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Friedrich Breyer sucks

27.11.2003, 03:04, junge welt

Soziales | Konstanz | Universität | Friedrich Breyer | Sozialhilfe | Arbeitslosigkeit | Zwangsarbeit

Friedrich Breyer, reaktionärer Wirtschaftsprof. an der Uni Konstanz, fordert laut junge welt vom 27.11.03 zusammen mit anderen 'Sachverständigen' die Halbierung der Sozialhilfe und die Abschaffung der Arbeitslosenversicherung


Plädoyer für Zwangsarbeit

Wissenschaftler wollen Sozialhilfe halbieren und Arbeitslosenversicherung ganz abschaffen

»Freie Bahn den (angeblich) Tüchtigen – nieder mit den (sozial) Schwachen!« – diese reaktionäre Kampagne, von Kanzler Schröder mit der »Agenda 2010« bedient und hofiert, von Unternehmerverbänden, Union und FDP noch in ganz anderem Ausmaß gefordert, hat einige Professoren zu einem Gutachten ganz besonderer Güte getrieben. Eine »Halbierung der Sozialabgaben« haben sich diese Herren in ihrem Mitte November vorgelegten Werk auf die Fahne geschrieben. Erreichen wollen sie dieses Ziel unter anderem durch drastische Kürzungen in der Pflege- und Krankenversicherung, die zusammengelegt werden sollen, durch ein Einfrieren der Rentenversicherung und durch die ersatzlose Abschaffung der Arbeitslosenversicherung – verbunden mit einer Halbierung der Sozialhilfesätze.

Wer ein solches Gutachten unter der Rubrik »völlig durchgeknallter Sozialdarwinismus« bagatellisieren möchte, irrt leider. Unter den fünf Verfassern des Gutachtens sind allein drei prominente Mitglieder von Beiräten bzw. Sachverständigengruppen der Bundesregierung:

– Professor Wolfgang Franz, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim und Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

– Prof. Eberhard Wille, Universität Mannheim, Vorsitzender des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen und

– Prof. Friedrich Breyer, Uni Konstanz, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und künftiges Vorstandsmitglied des Vereins für Socialpolitik.

Auch die Stiftungen, mit deren Hilfe diese Herren sowie die beiden anderen – Prof. Stefan Homburg aus Hannover und Prof. Reinhold Schnabel aus Essen – das Gutachten erarbeitet und vorgelegt haben, gelten als einflußreich: die als regierungsnah geltende Bertelsmann-Stiftung, die Heinz Nixdorf Stiftung und die den Unionsparteien nahestehende Ludwig-Erhard-Stiftung.

In einer Pressemitteilung hatte die Bertelsmann-Stiftung schon Anfang November das Gutachten angekündigt: »Grundsätzlich umsteuern will die Expertengruppe in der Arbeitslosenversicherung. Für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger soll der Sockelbetrag der Sozialhilfe halbiert werden. Gleichzeitig soll Hinzuverdienst bis zu einer Höhe von 300 Euro gar nicht, bis zu einer Höhe von 600 Euro nur zur Hälfte auf die Sozialhilfe angerechnet werden«, hieß es da.

Zum Vergleich: Bisher erhält ein Sozialhilfebezieher 297 Euro Regelsatz im Monat – also ca. 300 Euro – und kann etwa 150 Euro im Monat »hinzuverdienen«, ohne daß die Sozialhilfe gekürzt wird. Macht, mal angenommen, er oder sie findet einen solchen »Zuverdienst«, 450 Euro im Monat. Künftig wird dieses Verhältnis umgekehrt: Nach dem Plan der Professoren gibt’s nur noch 150 Euro als staatliche Sozialhilfe, 300 Euro sollen anrechnungsfreier Zuverdienst sein – wenn man ihn denn findet.

»Verbunden wird dies mit einer Verpflichtung der Kommunen, für entsprechende Beschäftigungsmöglichkeiten zu sorgen«, heißt es weiter. »Beschäftigungsmöglichkeit« heißt: kommunale Zwangsarbeit. Was die Gutachter vorschlagen, bedeutet nicht nur Verelendung pur. Was sie fordern, ist auch ein glatter Verstoß gegen das völkerrechtliche Verbot von Zwangsarbeit.

Von derselben sozialdarwinistischen Qualität sind ihre Auslassungen zur Arbeitslosenversicherung. »Schon durch ein dreijähriges Ansparen in Höhe des jetzigen Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung können Arbeitnehmer ein halbes Jahr Arbeitslosigkeit durch eigene Ersparnis überbrücken. Daher plädieren die Experten dafür, die Versicherungspflicht für Arbeitnehmer abzuschaffen«, heißt es in der schon zitierten Pressemitteilung der Bertelsmann-Stiftung. »Die Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit entfallen ... Auf der Leistungsseite entfallen schrittweise das Arbeitslosengeld, die Arbeitslosenhilfe, die übrigen Lohnersatzleistungen, die staatliche Arbeitsvermittlung sowie die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik«, schreiben die Autoren in der Kurzfassung des Gutachtens. Das ist nicht mehr und nicht weniger als die ersatzlose Zerschlagung der Bundesanstalt für Arbeit und damit der seit 1927 bestehenden Arbeitslosenversicherung. Weiter heißt es, »dem Einwand, diese Einschnitte seien radikal (an anderer Stelle sprechen die Verfasser sogar davon, man könnte sie für«rechtsradikal« halten – wie sie darauf nur kommen?) ... ist entgegenzuhalten, daß viele Staaten gar keine Sozialhilfe kennen und die dortigen (restriktiven) Arbeitslosenversicherungen de facto die Funktion der deutschen Sozialhilfe übernehmen. Die Sozialhilfe aber soll nach dem hiesigen Vorschlag erhalten bleiben.«

Mit anderen Worten: Die Arbeitslosenversicherung wird abgeschafft, wer arbeitslos wird, fällt sofort auf halbe Sozialhilfe und wird, wenn er oder sie nicht sofort wieder einen Job findet, in kommunal organisierte Zwangsarbeit gesteckt.

Die »Experten« haben sich sogar eine ökonomische »Begründung« für diesen Vorschlag ausgedacht. Diese lautet: Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erhöhen die Lohnkosten und führen so zu mehr Arbeitslosigkeit. Statt gegen Arbeitslosigkeit zu versichern, führen sie Arbeitslosigkeit herbei. Das ist ungefähr so »logisch« wie die Theorie, daß eine Feuerversicherung zu Brandstiftungen führt oder eine Krankenversicherung zu Erkrankungen. Was die Gutachter vorschlagen, könnte schon bald im politischen Tagesgeschäft wieder auftauchen. So weit weg von Koch, Merz, Westerwelle, Herzog und anderen Politikern sind die Gutachter leider nicht. Wer bei Auftritten von Repräsentanten der Bundesanstalt für Arbeit genau hinhörte, konnte schon vor einiger Zeit leise Hinweise hören, daß im Hintergrund der Reformdebatte um die Anstalt und ihren berüchtigten Chef Gerster noch ganz andere Pläne als »nur« die »Agenda 2010« gewälzt werden. Mit dem nun vorliegenden Gutachten der drei Stiftungen ist einiges davon ans Licht der Öffentlichkeit gelangt.

Hans Peter

junge welt, 27.11.03

* Nähere Infos auf der Homepage der Bertelsmann-Stiftung: www.bertelsmann-stiftung.de

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