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letzte Änderung: 24/03/04 10:29

Repression

Auch die TAZ schrieb über St. Michaelshof

24.03.2004, 10:29, Christian Fischer

Fahndungsziel Nasenbalm 250 Polizisten fallen auf einen Biobauernhof im Allgäu ein, das Maschinengewehr im Anschlag - im Auftrag des Wirtschaftskontrolldienstes. Für Baden-Württembergs Grüne ist der Einsatz "absurd".


Fahndungsziel Nasenbalm.
250 Polizisten fallen auf einen Biobauernhof im Allgäu ein, das Maschinengewehr im Anschlag - im Auftrag des Wirtschaftskontrolldienstes. Für Baden-Württembergs Grüne ist der Einsatz "absurd".
VON CHRISTIAN FISCHER.

Es ist ein friedlicher Morgen in Aichstetten bei Leutkirch, am Rande des Allgäus. Stille, nur die Vöglein zirpen. Hier steht der St. Michaelshof, ein Biobauernhof mit kosmobiodynamischem Landbau der Zukunft. Es ist gegen 10 Uhr an diesem 10. Februar, als es plötzlich laut über die Felder dröhnt: Eine riesige Fahrzeugkolonne rückt an, etwa 250 teils vermummte Polizisten springen heraus, das Maschinengewehr im Anschlag.

So schildert es zumindest Andrea Heppeler, eine von etwa zehn anwesenden BewohnerInnen des Hofes. "Ich saß im Büro und hörte plötzlich laute Schreie und Tritte. Dann kam ich ins Wohnzimmer, wo ungefähr 30 Vermummte mit Schlagstöcken und Schutzhelmen standen." Sie sieht ihren behinderten Freund auf dem Boden liegen, gewaltsam wird ihm der steife Arm auf den Rücken gedreht und ein Kabelbinder angelegt. "Er hat laut aufgeschrien und ich wollte helfen. Sie haben mich sofort gepackt und mir Handschellen angelegt."

Die Vermummten seien mit Zivilfahrzeugen gekommen. Es habe keinen Durchsuchungsbefehl gegeben. Heppeler sagt, sie habe sie zunächst "für Terroristen" gehalten. Doch das Einsatzkommando handelt im Auftrag des Wirtschaftskontrolldienstes. Fahndungsziel: Ringelblumen und Nasenbalsam.

Es war nicht die erste Heimsuchung. 2001 hatte der Wirtschaftskontrolldienst schon einmal den Hof besucht. Damals habe man sich mit dem Prüfer Jürgen Nagurski noch "freundlich unterhalten", erinnert sich Heppeler. 2003 kamen Nagurski und Kollegen erneut. Da laut Heppeler jedoch nur Gäste anwesend waren, hätten diese ihnen damals den Zutritt verweigert. Nagurski habe daraufhin erbost "das ganz große Programm" angekündigt.

Michael Kuhn, Sprecher der Polizei in Ravensburg, hat diesen Besuch jedoch ganz anders in Erinnerung: Man habe damals "mit körperlicher Gewalt" versucht, das Eindringen der Beamten zu verhindern und deshalb sei auch beim jüngsten Besuch auf dem Hof mit Widerstand zu rechnen gewesen. Ergebnis dieser Sorge: Türen wurden eingetreten, Tiere mit Tränengas besprüht, Kinder aus den Betten gezerrt, eine Decke eingeschlagen, Computer, Geld und persönliche Unterlagen konfisziert.

Was wird den Biobauern vorgeworfen? Herstellung, Lagerung und Verkauf von Medikamenten ohne die dafür erforderliche Zulassung. Es geht insbesondere um zwei Salben, die unrechtmäßig als Medikamente deklariert worden seien. Die biodynamischen Salbenproduzenten können den Vorwurf nicht nachvollziehen. Die aus Blumen und Kräutern bestehenden Produkte seien längst dem chemischen Veterinäruntersuchungsamt und dem Landratsamt gemeldet. Im Internet kann sie übrigens jedermann bestellen - ganz ohne Schlagstock.

Vielleicht ist der Staatsanwaltschaft der filmreife Auftritt von Wirtschaftskontrolldienst, Ravensburger Kriminalpolizei, zwei Staatsanwälten, Bereitschaftspolizei Biberach und Arzneimittelsachverständigen aus Tübingen irgendwann selbst ein wenig übertrieben vorgekommen, jedenfalls stellte man im Nachhinein plötzlich noch ganz andere Delikte fest. In der Presseerklärung zur Durchsuchung von Oberstaatsanwalt Gerhard Schurr heißt es, es seien "große Mengen Lebensmittelvorräte" sichergestellt worden, "bei denen der Verdacht besteht, dass sie umgepackt werden, um sodann als höherwertige Produkte teuer weiterverkauft zu werden".

Für die Biobäuerin Heppeler ist das "einfach absurd. Es handele sich um selbst geerntete Kräuter. Aus den Vorratsbehältnissen würden kleinere Portionen abgefüllt und zum Beispiel auf dem Münchener Viktualienmarkt verkauft. Auch der Vorwurf, Waffen gefunden zu haben, sei mindestens fragwürdig: Das sei bloß die Stilettsammlung eines Freundes, das Luftgewehr ihres Sohnes - ein Geschenk des Großvaters - sowie eine Gotcha-Pistole.

Das legt für Baden-Württembergs Grüne den Verdacht nahe, der Eingriff sei nur auf Grund von nicht bewiesenen Vorbehalten gegenüber der alternativen Lebensgemeinschaft so hart ausgefallen. In Aichstetten munkelt man seit längerem, auf dem St. Michaelshof wohne eine Art Sekte. "Diese Gerüchte haben mit Sicherheit Einfluss auf unsere Einsatzvorbereitungen gehabt", bestätigt Polizeisprecher Kuhn.
"Absurder Einsatz"

Für Thomas Oelmayer, den innenpolitischen Sprecher der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg, ist "der Einsatz so absurd, dass man eine parlamentarische Aufklärung suchen muss". Der Grüne hat einen Antrag an den baden-württembergischen Innenminister Thomas Schäuble (CDU) gestellt, diese "grandiose Überreaktion" aufzuklären. Oelmayer fordert eine Entschuldigung der verantwortlichen Polizisten. Auch das könnte sich zu einer größeren Aktion ausweiten. Schließlich waren 250 an dem Einsatz beteiligt.

taz Nr. 7302 vom 6.3.2004, Seite 18, 162 Zeilen (TAZ-Bericht), CHRISTIAN FISCHER