LinksRhein- News admin
Startseite Zurück letzte Änderung: 11/05/04 19:30

Deutsche für Folter

11.05.2004, 19:30, Georg Warning

Repression | Allensbach | Folter | Polizei

FRAGE: "Wie sehen Sie das: Darf die Polizei einem Kindesentführer in einem Verhör Gewalt androhen, um zu versuchen, ein entführtes Kind noch zu retten, oder darf sie das auf keinen Fall tun?"


68% der Befragten meinten: Die Polizei darf.

Anzahl der Befragten: 2159

Repräsentanz: Gesamtdeutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre Zeitraum der Befragung: 28. Februar bis 10. März

QUELLE: Institut für Demoskopie, Allensbach
Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 7054,
Februar/März 2004
www.ifd-allensbach.de

Deutsche für Folter

Dass die Mehrheit der Deutschen kein Problem damit hat, die Rechte derer zu beschneiden, die sie als ?die anderen' wahrnimmt, ist keine Überraschung. Die Entwicklung der Gesetzgebung im Asylbereich zeigt es deutlich. So unterliegen die Asylanten schon seit vielen Jahren einem Bezirksarrest, der vornehm Residenzpflicht genannt wird. Wird jemand unerlaubt außerhalb seines Bezirks ertappt, droht ihm das erste Mal eine Geldbuße, das zweite Mal eine Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr. Dabei war die Behinderung der Reisefreiheit seit langem ein wichtiger Vorwurf gegenüber den sogenannten sozialistischen Staaten in Osteuropa...

Nicht ohne Grund fand sich 1993 auch eine verfassungsändernde Mehrheit im Parlament, um die Rechte der Asylanten einzuschränken. Mehr noch: Während die damaligen Proteste sich vorrangig gegen die Verfassungsänderung richteten, erfolgte die wichtigste Änderung auf einer ganz anderen Ebene: Die Asylanten wurden aus der Sozialhilfe herausdefiniert und ein Asylbewerberleistungsgesetz verabschiedet. Die Sozialhilfe war durch das Verfassungsgericht an den Begriff der Menschenwürde gekoppelt. Einen darunter liegenden Standard zu schaffen, heißt, die Menschenwürde zu unterlaufen. Politiker pflegten dies damit zu rechtfertigen, dass Asylanten ja keine Zeitung lesen und nicht ins Theater gehen, also fallen diese Posten ja weg. Dass sie dafür den Kontakt zu ihren Angehörigen in der Heimat nur durch teure Auslandstelefonate halten können und außerdem im Asylverfahren einen Anwalt brauchen, übersahen sie lieber. Denn wer keinen Anwalt bezahlen kann, kann auch seine Rechte nicht einfordern, selbst die wenigen, die ihm das Gesetz auf dem Papier zugesteht. Und so hat der Gesetzgeber mit Billigung der Mehrheit der Wähler Zigtausende von Menschen aus dem Rechtsstaat geworfen: Über den Geldbeutel.

Obwohl das Institut von Frau Nölle-Neumann also die Grundhaltung einer Mehrheit der Bevölkerung gewiss richtig wiedergibt, muss es sich den Vorwurf gefallen lassen, mit seiner Fragestellung zugleich eine politische Linie zu propagieren. Denn die Frage lautet ja nicht, ob "die Polizei einem Kindesentführer in einem Verhör Gewalt androhen" darf, sondern ob "die Polizei einem mutmaßlichen Kindesentführer in einem Verhör Gewalt androhen" darf. Denn darüber, ob jemand eine Straftat begangen hat, entscheidet ein Gericht, nicht die Polizei. Und deshalb hätte die Fragestellung korrekt lauten müssen:

"Wie sehen Sie das: Wenn die Polizei Sie für einen Kindesentführer hält, darf sie Ihnen dann in einem Verhör Gewalt androhen, um zu versuchen, ein entführtes Kind noch zu retten, oder darf sie das auf keinen Fall tun?" Der Punkt ist doch, dass sich die große Mehrheit nicht mit einem Kindesentführer identifizieren wird, sondern mit dem entführten Kind. Was sie sich dabei nicht bewusst ist, dass die Polizei aber nicht Täter, sondern Verdächtige verfolgt, und in diese Situation kann prinzipiell eine viel größere Zahl von Menschen geraten. Ob die Prozentsätze dann noch immer gleich blieben, wäre eine Untersuchung wert!

Und Frau Nölle-Neumann hat die Schwelle zur Befürwortung der Folter auch noch in einem weiteren Punkt sehr niedrig gelegt: Sie fragt nur, ob die Polizei Folter androhen darf. Dabei ging es im Fall Daschner konkret darum, dass der Polizeivize von Frankfurt auch schon konkret einen Täter für die Folter im Auge hatte und nur darauf wartete, dass dieser aus dem Urlaub zurück kehrte, und dass er auch konkrete Foltermethoden vor Augen hatte, die er im Bedarfsfall hätte anwenden lassen. Doch selbst, wenn man dies unterschlägt und es nur bei der Frage um die Androhung von Gewalt belässt, wirft die Umfrage eine Reihe weitere Fragen auf. Was für Schlüsse sollen denn Politiker oder Polizisten daraus ziehen, wo sollen die Grenzen liegen? Wer das Tor zur Folter öffnet, sollte dann auch sagen, wie weit er gehen will.

Darf die Polizei dann auch mit Vergewaltigung drohen, oder mit der Vergewaltigung der Ehefrau, der Schwester oder des Kindes des mutmaßlichen oder angeblichen Täters, wie dies in Usbekistan verbreitet ist? Obwohl auch hierbei keine Gewalt angewandt werden muss und es genügt, dem Inhaftierten vor Augen zu führen, dass diese Angehörigen sich in der Gewalt der Polizei befinden, ist diese Form der Folter für die Opfer schlimmer als so manche brutale körperliche Attacke.

So hat das Institut eine Chance verpasst, eine Anatomie der Folterbereitschaft in der Bevölkerung zu erstellen, und auch eine Chance, zu messen, wie die Antworten ausfielen, wenn die Befragten durch die Fragestellung erst mal zum Nachdenken gezwungen werden, statt gleich aus dem Bauch heraus zu antworten.

Abs.: Georg Warning, PF 5303 D-78432 Konstanz, e-mail: ai2337@hotmail.com Konstanz, den 25.04.04

Kommentar

  Startseite Anfang