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Kandidat und Schönredner

21.05.2004, 11:18, Wolfgang Pomrehn

Globalisierung | ATTAC | Horst Köhler

ATTAC und andere saßen in Berlin über den Präsidentschaftsanwärter Horst Köhler zu Gericht


Kandidat und Schönredner

ATTAC und andere saßen in Berlin über den Präsidentschaftsanwärter Horst Köhler zu Gericht

»Horst Köhler war beim Internationalen Währungsfonds verantwortlich für die rosarote Sauce, die über den knallharten Neoliberalismus gegossen wurde«, meint Peter Wahl vom Alternativinstitut WEED (World Economy, Ecology, Development; Weltwirtschaft, Ökologie, Entwicklung). Für das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC und den Solidaritätsdienst International war das Anlaß für ein kleines »Tribunal«, das am Dienstag abend über den Präsidentschaftskandidaten von Union und FDP abgehalten wurde. Köhler war seit Ende 2000 Direktor des IWF, bis er in diesem Frühjahr wegen seiner Kandidatur zurücktrat. ATTAC hatte Wahl gebeten, über Geschichte und Funktion des IWF sowie Köhlers Rolle im Fonds zu referieren. Eingeladen waren außerdem Demba Moussa Dembele, Ökonom und sozialer Aktivist aus Senegal, der über die Folgen der IWF-Strukturanpassungsprogramme für Afrika berichtete, sowie Martin Ling von den Lateinamerikanachrichten und dem Neuen Deutschland, der Anschauliches über den Anteil des IWF an Argentiniens Dauerkrise zu berichten wußte.

Kern der IWF-Politik sind seit über 20 Jahren die sogenannten Strukturanpassungsprogramme. Länder, die aufgrund hoher Auslandsschulden in akute Zahlungsschwierigkeiten geraten, müssen sich beim IWF mit Überbrückungskrediten eindecken. Doch die bekommt nur, wer sich den berüchtigten Programmen unterwirft. Die beinhalten immer das gleiche: Privatisierung, Abwertung der Landeswährung, Öffnung der Märkte für Importe, Ausrichtung der Wirtschaft auf den Export, um Devisen für den Schuldendienst zu erwirtschaften. Die Folge ist weitere Verarmung. Zu Beginn der Schuldenkrise vor 20 Jahren haben Afrikas Auslandsschulden 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgemacht. Heute sind es 80 Prozent, berichtete Demba Moussa Dembele.

Und Köhlers Anteil an all dem? »Köhler hat wie kein anderer Direktor vor ihm von Entwicklung gesprochen und über alles eine rhetorische Sauce gegossen.« An der erbarmungslosen Schuldeneintreiberei habe das freilich nichts geändert, meinte Wahl, der ähnliches auch für Deutschland erwartet: Ein Präsident Köhler werde mit der Aura des angeblich Sachverständigen die hiesige »Strukturanpassung«, »Agenda 2010« genannt, schönreden.

Ein Aspekt kam an diesem Abend etwas zu kurz: Horst Köhler ist in der Regierung Kohl in verschiedenen Funktionen maßgeblich mitverantwortlich für die Deindustrialisierung des Ostens gewesen, wie ein Zuhörer anmerkte. Den Organisatoren war das Thema bekannt, doch hatte ein angefragter Referent aus Termingründen absagen müssen. Auch die Kampagne leidet etwas unter dem Zeitmangel der Aktiven. Am Sonntag, wenn die Bundesversammlung Köhler wählen wird, sind keine Protestaktionen geplant. »Nach der Demonstration am 3. April und dem Perspektiven-Kongreß«, so Wahl, der auch Mitglied des ATTAC-Koordinierungskreises ist, »war dafür keine Luft.« Immerhin gab es eine Postkarten- und Plakataktion gegen den Präsidenten in spe, und die Mitglieder der Bundesversammlung wurden per Email mit Informationen über Köhler eingedeckt.


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