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letzte Änderung: 27/05/04 23:32

sonstige

Winfried Wolf tritt aus der PDS aus

27.05.2004, 14:46, Winfried Wolf

Winfried Wolf, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der PDS für BAden-Württemberg und Spitzenkandidat der PDS für BW, ist aus der PDS ausgetreten. In seiner Austrittserklärung zieht er Bilanz.


1
Winfried Wolf
Warum ich aus der PDS austrete
vom 21. Mai 2004
Hiermit erkläre ich meinen Austritt aus der PDS.
Im Grundsatz habe ich mich zu diesem Schritt im vergangenen Dezember entschlossen. Im
kleinen Kreis des Geraer-Dialog-Sprecherrats machte ich dies Ende 2003 und in einem
Interview mit der Sozialistischen Zeitung/SoZ im Februar 2004 deutlich.(1) Ich wollte mir
aber nicht den Vorwurf einer übereilten Entscheidung zuziehen und die Entwicklung der PDS
und der PDS-Linken mehrere Monate mit einem gewissen Abstand beobachten.
Es war dann gerade die jüngere Entwicklung der PDS, die mich in meinem Entschluss
bestärkte:
- das unbeirrte Festhalten der PDS an der neoliberalen Politik im Berliner Senat und der
in der Schweriner Landesregierung trotz der Massenproteste vom November 2003 und
April 2004 – zuletzt dokumentiert mit dem Parteitag der PDS Berlin vom 16. Mai
2004
- der PDS-Wahlkampf zur Europawahl, in dem die PDS eine Verdummung potentieller
Wählerinnen und Wähler betreibt: Sie fordert zwar ein Referendum über die EUVerfassung,
stellt jedoch nicht die militaristischen Elemente dieser Verfassung und ein
Nein ins Zentrum und verschweigt bewusst, dass sie diesem Entwurf im EUVerfassungskonvent
im Juni 2003 zustimmte
- eine PDS-Linke, die nicht nach außen erkennbar als „andere PDS“ und als
konsequente Kritikerin des Mehrheitskurses auftritt und sich stattdessen für das Ziel
instrumentalisieren lässt, der von den „Reformern“ usurpierten PDS bei der
Europawahl über die 5-Prozent-Hürde zu verhelfen.
Selbstverständlich verfolge ich mit Interesse und Sympathie die Debatten über die
Herausbildung einer neuen, sozial engagierten Partei. Hier ist festzustellen, dass die PDS für
die vielen Zehntausend, die aus der SPD austraten, und für die Tausende, die sich für eine
solche neue Partei engagieren, kein Bezugspunkt mehr ist. Ich möchte aber deutlich sagen,
dass mein Austritt aus der PDS mit diesen Parteibildungs-Versuchen nichts zu tun hat und ich
auch Grund für einige Skepsis gegenüber solchen Versuchen habe.
Die PDS, die einmal eine Hoffnung für Zehntausende Sozialistinnen und Sozialisten auf ein
konsequentes Engagement gegen Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung und Kriegstreiberei
darstellte, ist heute zum Hindernis bei der Entwicklung von emanzipatorischem Bewusstsein
geworden. Sie ist in Programmatik und Praxis im negativen Sinn in der kapitalistischen
Gesellschaft „angekommen“ – indem sie dort, wo sie mitregiert, die Bereicherung weniger
mitbetreibt und den Raubzug bei den Millionen sozial Schwachen mitorganisiert.
***
Für diejenigen, die mir nahe stehen – auch für diejenigen unter ihnen, die in der PDS bleiben
wollen – möchte ich die Gründe für meinen Austritt erläutern.
2
Meine Arbeit für die und in der PDS
Ich verstehe mich seit Ende der sechziger Jahre als demokratischer Sozialist. Im
Bundestagshandbuch definierte ich mich als ein „an Rosa Luxemburg orientierter Sozialist
und als ein an Leo Trotzki orientierter Stalinismus-Kritiker“. Diese Charakterisierung galt für
1968 und sie gilt heute.
Vor gut zehn Jahren, Anfang 1994, entschloss ich mich zum Engagement für die PDS –
zunächst als Nicht-PDS-Mitglied und mehr oder weniger unabhängiger Linker. Ich
kandidierte in Baden-Württemberg zur Bundestagswahl im September 1994 auf Platz 1 der
Landesliste. Zu meiner und vieler Überraschung gewannen wir ein Mandat – ich wurde PDSMdB.
1997 trat ich in die PDS ein. 1998 kandidierte ich erneut auf Platz 1 der badenwürttembergischen
Landesliste – wir verbesserten uns deutlich; ich wurde für eine zweite
Legislaturperiode als MdB gewählt. 2002 wurde ich ein drittes Mal auf Platz 1 der Landesliste
gewählt. Bei der Bundestagswahl im September 2002 konnten wir als Landesverband unser
Ergebnis knapp halten, ich konnte mein Ergebnis in meinem Wahlkreis Mannheim nochmals
verbessern. Die bundesweite PDS scheiterte jedoch bekanntlich an der Fünf-Prozent-Hürde.
Im Bundestag war ich Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit (1994-
1995), im Verkehrsausschuss (1995 bis 2002), im Verteidigungsausschuss (1999-2001) und
im Immunitätsausschuss (1996 bis 1998). Von 1995 bis 2002 war ich verkehrspolitischer
Sprecher der PDS im Bundestag.
1995 gründete ich die Zeitung der PDS-Bundestagsfraktion „wirtschaft – soziales –
widerstand (wsw)“ und war von 1995 bis 2002 verantwortlicher Redakteur dieser Zeitung.
Im April 1999, zwei Wochen nach Beginn des Nato-Kriegs gegen Jugoslawien, gründete ich
die „Zeitung gegen den Krieg – ZgK“ – zunächst als Zeitung der PDS-Bundestagsfraktion, ab
der vierten Ausgabe dann als unabhängige Zeitung, die gemeinsam von Tobias Pflüger (IMI)
und mir herausgegeben wird. Von 1999 bis heute bin ich verantwortlicher Redakteur dieser
Zeitung, von der bisher 17 Ausgaben erschienen.
In den Jahren 1996 bis 1998 waren Ulla Jelpke und ich als PDS-Abgeordnete Mitglieder des
Immunitätsausschuss und in dieser Funktion damit befasst, den Angriffen auf Gregor Gysi
(Verdacht auf IM-Tätigkeit) zu begegnen.
1996 erreichte ich als MdB nach einem Besuch vor Ort, dass der deutsche Botschafter in Haiti
wegen Rassismus abberufen werden musste.
Am 23. Mai 2002 organisierten die PDS-MdBs Ulla Jelpke, Heidi Lippmann und ich im
Plenarsaal des Bundestags einen Transparent-Protest während der Rede von US-Präsident
George W. Bush.
Als in Baden-Württemberg bzw. in Westdeutschland gewählter Bundestagsabgeordneter
fühlte ich mich in der gesamten Zeit, in der ich für die PDS aktiv war, dafür verantwortlich,
sozialistische Politik für Baden-Württemberg und Westdeutschland zu konkretisieren. Das
erfolgte z.B. mit meinem Engagement gegen „Stuttgart 21“, gegen den „Mannheimer
Bypass“, zum Erhalt des Inselbahnhofs Lindau, in mehreren konkreten Hilfsaktionen
zugunsten von Flüchtlingen, mit Aktionen gegen den Transrapid bzw. Metrorapid usw. Von
1999 bis Ende 2003 führte ich in Stuttgart im Clara-Zetkin-Heim monatliche Veranstaltungen
(jours fixes) durch; seit 2004 setze ich diese im Zwei-Monats-Rhythmus fort.
Mein Austritt aus der PDS – Fünf Gründe
Es waren im wesentlichen fünf Gründe, die mich vor einem Jahrzehnt zum Engagement für
die PDS brachten. Da in diesen Bereichen die PDS vier Mal eine komplette Kehrtwende
3
machte und bei dem fünften Thema weitgehend einknickte, liegen hier gleichzeitig die
Gründe für meinen Austritt.
1
Die PDS ist nicht nur keine sozialistische Partei mehr. Sie ist auch keine
Partei mehr, die denen, die auf eine zum Kapitalismus alternative
Gesellschaft orientieren, eine politische Wirkungsmöglichkeit und eine
politische Plattform bietet.
Die PDS war eine Partei, die die Option auf eine sozialistische Gesellschaft als Alternative
zum Kapitalismus offen hielt und Raum bot für Menschen, die sich für eine alternative,
sozialistische Gesellschaft engagieren. Sie hat spätestens mit dem neuen, in Chemnitz im
Oktober 2003 verabschiedeten Programm deutlich gemacht, dass sie eine prokapitalistische
und antisozialistische Partei ist. In diesem Programm bekennt sie sich unzweideutig zu dem
Prinzip, das für den Kapitalismus konstitutiv ist – das Prinzip, dass die Profitmaximierung
der Maßstab aller Dinge ist. Der entsprechende programmatische Satz lautet:
„Unternehmerisches Handeln und Gewinninteressen sind wichtige Vorrausetzungen für
Innovation und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.“(2) In der wirtschaftspolitischen und
gesellschaftlichen Wirklichkeit zeigt sich, dass das „unternehmerische Handeln“ und die
Orientierung auf „Gewinninteressen“, sprich auf die Profitmaximierung, die Triebkraft für
Krisen, Massenerwerbslosigkeit, Verarmung der „Dritten“ Welt, Umweltzerstörung und –
zusammengefasst – für die aktuelle Politik des „Nach-uns-die-Sintflut“ sind.
Selbstverständlich ist ein Programm nicht allein entscheidend. Entscheidend ist letzten Endes
die politische Praxis einer Partei. Diese politische Praxis hat die zitierte Programm-Aussage
vorweggenommen. Die politische Praxis der PDS in den Landesregierungen in Schwerin und
Berlin kommt einem unzweideutigen Bekenntnis zum Kapitalismus gleich, ja es ist eine
einzige Anbiederung an ihn. Es war der Wirtschaftssenator Gregor Gysi, der im Sommer 2002
in New York demonstrativ die New York Stock Exchange besuchte und dann erklärte, die
Börse sei „eine geniale Erfindung des Kapitalismus“.(3) Und es ist erneut das Chemnitzer
(neue) PDS-Programm, das – ohne Not! – ausdrücklich positiven Bezug nimmt auf die
politische, pro-kapitalistische Praxis der PDS in den Regierungen von Schwerin und Berlin.
So, wenn es dort heißt: „Verlässlichkeit gegenüber unseren Wählerinnen und Wählern ist uns
Verpflichtung. Mit ... der Bildung der SPD-PDS-Regierungen in Mecklenburg-Vorpommern
und Berlin hat unsere Partei unter schwierigen Bedingungen Politikfähigkeit bewiesen.“(4)
Damit wurden Programm und Praxis in Übereinstimmung gebracht.
2
Die PDS präsentierte sich vormals als eine Anti-Macht-Partei, als eine
Partei, die in erster Linie auf außerparlamentarische Bewegungen setzt. Die
PDS ist heute unzweideutig eine Partei, die auf die bürgerliche Macht und
die Teilhabe an ihr orientiert. Sie agiert in Kontinuität als staatstragende
Partei. Parallel mit dem „Umbau“ der PDS zu einer neuen-alten „Partei
der Macht“ zerstörte die PDS-Führung die innerparteiliche demokratische
Kultur.
Die Entwicklung der PDS hin zu einer auf Macht orientierten Partei lässt sich mit den
zentralen Slogans in Wahlkämpfen illustrieren. 1994 führten wir einen
Bundestagswahlkampf unter der Losung: „Veränderung beginnt mit Opposition“. Der 1998er
Wahlkampf stand unter der Losung „Für eine gerechte Republik“. 2002 wurde die PDS nur
4
noch wie ein besseres Waschmittel – Spee statt Persil – , als „linke Kraft“ angepriesen. Im
aktuellen Europa-Wahlkampf wirbt die PDS faktisch für das Projekt Europäische Union und
plakatiert mit „Europa an der Seite der UNO, nicht im Schatten der USA“.
Im Sommer 2002, inmitten der heißen Phase des Wahlkampfs, erklärte Gregor Gysi für die
PDS: „Wir bringen Schröder an die Macht.“ Bundesgeschäftsführer Bartsch betonte 1999:
„Die PDS muss 2002 koalitionsfähig sein“ und konkretisierte 2002, er schließe „eine
Beteiligung unserer Partei an einer SPD-geführten Koalition nach der Bundestagswahl nicht
aus.“ (5) Im August 2002 wurden Gedanken über ein Zusammengehen von Lafontaine und
Gysi bzw. von Teilen der PDS und der SPD publik. Diese Operation war Ausdruck einer
Orientierung auf politische Macht. Die Wahlchancen der PDS reduzierten sich
konsequenterweise (und aus der Sicht linker Wähler richtigerweise) in dem Maß, wie die
Wählerin und der Wähler den Eindruck gewinnen mussten, dass die PDS nicht wirklich in
Opposition zur neoliberalen Offensive stehe, sondern dass sie Kanzler Schröder, der bereits
vier Jahre Regierungspolitik gegen Lohnabhängige, gegen Gewerkschaften und im Interesse
von Konzernen und Banken gemacht hatte, in jedem Fall unterstützen würde.
Anpassung an die Macht dokumentiert die PDS auch bei der Wahl zum
Bundespräsidentenamt. Bei der vorausgegangenen Präsidentschafts-Wahl im Mai 1999
hatten wir mit Uta Ranke-Heinemann noch eine eigene Kandidatin aufgestellt und dies als
Symbol für die Anti-Kriegs-Partei PDS und für unseren Protest gegen die anderen
Kandidaten, die alle den Krieg gegen Jugoslawien unterstützt hatten, verstanden. Bei der
anstehenden neuen Wahl kommt die PDS erst gar nicht auf die Idee, ein solches sichtbares
Zeichen zu setzen.
Es ist in diesem Sinne konsequent, wenn im Frühjahr 2004 als Ergebnis einer neuen Forsa-
Umfrage unter 1251 Abgeordneten die „Reformbereitschaft“ der PDS-Abgeordneten größer
ist als diejenige der befragten SPD-Abgeordneten und 58 Prozent der befragten PDSAbgeordneten
die Meinung vertraten, dass den Bürgerinnen und Bürgern „weitere
Einschränkungen zuzumuten“ seien (SPD: 52%).
Damit präsentiert sich die PDS als Partei der Macht, als staatstragend. Sie kehrt zurück zu
ihren Ursprüngen. Es war Dietmar Bartsch, der im Wahlkampf 2002 die Herkunft der PDS
aus der SED offen als Vorteil anpries und dabei den – damals wie heute – staatserhaltenden
Charakter der PDS unterstrich. Bartsch in der „Süddeutschen Zeitung“: „Das Wesen der PDS
war nie das einer bloßen Protestpartei. Das erklärt sich schon aus ihrer Vorgeschichte: Die
SED hat ja nun wirklich diesen Staat mitgetragen.“(6)
Das trifft zu: Die SED war das Machtmittel zur Verteidigung der Herrschaft der Nomenklatur,
die wiederum die DDR-Staatsmacht repräsentierte. Bis vor kurzem erklärte die PDS
allerdings, mit dieser Vergangenheit und Tradition gebrochen zu haben. Neu ist nun das
Bekenntnis dazu, die Erfahrungen der Herrschaftspartei SED für die aktuellen Beteiligungen
an der bürgerlichen Macht einbringen und nutzen zu wollen.
In der PDS stand aufgrund ihrer Herkunft die innerparteiliche Demokratie immer auf
schwachen Füßen bzw. die Macht des Apparats und der Parteiführung im engeren Sinn war
von Anfang an groß. Dennoch gab es in der PDS lange Zeit breite demokratische Debatten.
Auf zwei wichtigen Parteitagen – in Münster im April 2000 und in Gera im Oktober 2002 –
konnte sich gegen den erklärten Willen des Apparats jeweils eine demokratische
Basisströmung durchsetzen. Es waren dann die Reaktionen des Apparats auf diese
unvorhergesehenen Niederlagen, die zu Meilensteinen im Abbau der innerparteilichen
Demokratie wurden. Als auf dem Münsteraner Parteitag eine Zwei-Drittel-Mehrheit der
Delegierten beschloss, am grundsätzlichen Nein zu Kriegen festzuhalten, begann die
Parteiführung noch während der Debatten im Plenarsaal die Parteibasis zu erpressen. Unisono
erklärten Gysi, Bartsch, Zimmer, Claus und andere, der Beschluss müsse „schnellstmöglich
revidiert“ werden. Es sei „zu einer Diktatur der Minderheit“ gekommen (H. Holter), es sei
5
„nicht akzeptabel, dass Leute Parteitage terrorisieren“ (Bartsch), „dass ein Parteitag von vier
Leuten aus Hamburg terrorisiert wird, darf nicht noch einmal vorkommen.“, es handle sich
dabei um „pubertierende Mensagenossen“ (G.Gysi). In alter SED-Tradition stellte André Brie
fest. „Der Parteivorstand hat diesen Parteitag nicht gut vorbereitet.“
Auf dem Geraer Parteitag, der kurz nach der verlorenen Bundestagswahl vom September
2002 stattfand, scheiterte die Apparatfraktion um B. Bartsch und R. Claus in ihrem
Durchmarsch-Versuch. Gestützt auf die linken Strömungen wurde Gabi Zimmer als
Parteivorsitzende bestätigt und als neuer Bundesgeschäftsführer Uwe Hiksch gewählt. Es gab
eine kurzzeitige Öffnung der Partei für eine ehrliche Bilanz der Wahlniederlage und eine
Rückorientierung auf außerparlamentarische Bewegungen und auf demokratische und
sozialistische Positionen. Doch sofort setzte ein Trommelfeuer der „Reformer“ ein. Gregor
Gysi erklärte: „Die Niederlagen der PDS bei der Bundestagswahl und in Mecklenburg-
Vorpommern wären reparabel und verkraftbar gewesen, ihr Geraer Parteitag wohl kaum.“
Nach wenigen Wochen von Mobbing und Drohbriefen wechselte die Parteivorsitzende wieder
die Fronten und stellte den Bundesgeschäftsführer Hiksch kalt. Ende April 2003 gab es eine
Art innerparteilichen Putsch, mit dem ein Sonderparteitag durchgesetzt wurde. Insbesondere
die ostdeutschen Landesverbände mobilisierten offen gegen den gewählten
Bundesgeschäftsführer und den stellvertretenden Parteivorsitzenden; die Magdeburger
Fraktionsvorsitzende Petra Sitte erklärte: Hiksch und Dehm „sollten sich überlegen, ob die
PDS noch die richtige Partei für sie ist“; das sind „unbelehrbare Orthodoxe, verantwortlich für
die schwerste Krise der Partei seit 1990.“(7) Der Sonderparteitag am 28./29. Juni 2003 in
Berlin war dann von einem Klima der Erpressung und Einschüchterung geprägt; er wählte
Lothar Bisky als neuen-alten Parteivorsitzenden, Rolf Kutzmutz als Bundesgeschäftsführer
und einen neuen Parteivorstand, der sich fast stromlinienförmig aus „Reformern“
zusammensetzt. Dabei ist allerdings die Feststellung wichtig, dass es auf den Parteitagen in
Gera, in Berlin und in Chemnitz die gleichen Delegierten waren, die derart unterschiedliche
Entscheidungen trafen und Akzente setzten. Dies ist Ausdruck der Aushöhlung der
innerparteilichen Demokratie, aber auch Resultat einer enormen sozialen Abhängigkeit der
großen Mehrheit der Delegierten vom Parteiapparat und der parteinahen Stiftung.
Der beschriebenen, tiefgreifenden programmatischen Veränderung vom Oktober 2003 gingen
weitreichende personelle Veränderungen und ein flächendeckender Abbau der
innerparteilichen Demokratie voraus. Dies wurde und wird naturgemäß dadurch verstärkt,
dass parallel mit der Umpolung der PDS und verstärkt seit Bildung der Berliner SPD-PDSKoalition
kritische Genossinnen und Genossen die Partei verlassen. Die gegenwärtige PDS
wird inzwischen völlig vom Apparat kontrolliert, der sich wieder überwiegend aus verdienten
SED-Kadern zusammensetzt.
3
Die PDS hatte sich zu einer „sozialen und ökologisch orientierten Politik“
verpflichtet. Sie ist heute eine Partei, die sich an der Umweltzerstörung
beteiligt.
Das Thema „Ökologie“ war in der PDS zweifellos immer ein schwieriges. Hier war der
Einfluss der SED-Ideologie vom positiven Wirken des „technischen Fortschritts“ immer
präsent. Dennoch gelang es lange Zeit, grüne Themen in der PDS-Programmatik und Praxis
zu verankern. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Arbeit, die meine bayerische MdBKollegin
Eva Bulling-Schröter als MdB leistete. Im Verkehrsbereich versuchte ich eine
Politik der Verkehrswende in der PDS zu verankern.
Die offizielle Politik will von all dem nichts mehr wissen. Der damalige
Bundesgeschäftsführer D. Bartsch äußerte sich 1999 nach einem China-Besuch positiv zum
6
Transrapid-Export nach China und zum Drei-Schluchten-Stausee. Der SPD-PDS-Senat in
Berlin betreibt eine Verkehrspolitik, die die Anteile des öffentlichen Verkehrs reduziert, den
Pkw fördert und auf den Bau eines Großflughafen orientiert: Bei der öffentlichen
Verkehrsgesellschaft BVG und der Berliner S-Bahn betreibt bzw. unterstützt der SPD-PDSSenat
eine Politik der Privatisierung, des Outsourcings, der Lohndrückerei bei den
Beschäftigten und der Preistreiberei bei den Tarifen. Gleichzeitig setzte er einen neuen Chef
der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) ein, der fachlich erkennbar keinerlei Befähigung für
diesen Posten mit sich bringt, sich und ein Dutzend Top-BVG´ler jedoch sogleich mit
überproportionalen Gehältern „belohnte“. In Stuttgart nimmt die PDS im gegenwärtigen
Kommunalwahlkampf eine zweideutige Position zum wichtigsten zerstörerischen Projekt in
der Landeshauptstadt, zu „Stuttgart 21“, ein. Der umweltpolitische Sprecher der PDS in
Sachsen-Anhalt verteidigte im April 2004 die Großversuche mit Gen-Pflanzen in Sachsen-
Anhalt und erklärte, seine Partei habe sich für eine „kritische Zustimmung zur Gentechnik“
entschieden.
In Mecklenburg-Vorpommern hat die SPD-PDS-Regierung ihre Zahlungen an die
Verbraucherschutzzentrale im Mai 2004 eingestellt, so dass diese Insolvenz beantragen
muss und die 33 Mitglieder der Organisation in die Erwerbslosigkeit gehen. Bleibt es dabei,
dann ist Mecklenburg-Vorpommern das erste Bundesland ohne institutionalisierte,
unabhängige Verbraucherberatung.
Die Miles&More-Affäre ist ein typisches Beispiel für die Beteiligung der PDS an der
Privilegien-Gesellschaft und für die Abwesenheit eines ökologischen Bewusstseins bei der
PDS-Führung. Die PDS war die einzige Partei, die als Fraktion einen Antrag beschloss, mit
dem die Einführung des flächendeckenden Korruptionsinstruments Miles&More für die
Bundestagsabgeordneten abgelehnt wurde. Der „Tagesspiegel“ hatte dazu fünf Jahre später
und anlässlich des Gysi-Rücktritts als Wirtschaftssenator geschrieben: „Gysi hätte gewarnt
sein können. Am 25. Juni 1997 stellte die PDS im Bundestag den Antrag, ´Miles & More´
streng zu rügen. ... Die Antragsteller unter Federführung des PDS-Verkehrsexperten Winfried
Wolf erläuterten in diesem Antrag auch das Prinzip des Programms: Es gehe darum,
möglichst viele Dienstreisen zu beantragen, um ´möglichst viel privat konsumierbare
Flugmeilen anzusparen.´ ... Damit würde das Rabattprogramm zur Inflationierung des
Luftverkehrs und zur Steigerung der am meisten umweltzerstörenden Form des motorisierten
Verkehrs beitragen.“ Weiter der Tagesspiegel: „Die PDS forderte (in dem Antrag)
Verhandlungen, damit die angesparten Rabatte dem Bundestag selbst (anstatt den MdBs)
zugute kämen. Der Antrag wurde jedoch nie behandelt.“ Er wurde nie behandelt, weil die
Fraktionsführung unter G. Gysi ihn nicht auf die Tagesordnung des Bundestags setzten ließ –
was sie jederzeit hätte tun können. Stattdessen beteiligte man sich munter selbst an diesem
Programm der privaten Privilegienwirtschaft und kassierte eine tiefe Vertrauenskrise während
des 2002er Wahlkampfs. Als Gregor Gysi wegen seiner privater Familien-Flüge mit
Bundestags-Bonus-Meilen im August 2002 zurücktrat, schrieb er in seiner
Rücktrittserklärung, er sei „gedankenlos einer Fehlinformation“ gefolgt. Der Berliner
„Tagespiegel“ hält richtigerweise fest: Den PDS-Antrag gegen das Miles&More-Programm
„hatte Gysi selbst unterschrieben.“(8)
4
Die PDS hat den Slogan „sozial und solidarisch“ für sich in Anspruch
genommen. Darüber hinaus konnte sie von sich lange Zeit zu Recht sagen,
dass sie die Interessen der benachteiligten Ostdeutschen vertreten würde.
Heute ist die PDS eine Partei, die dort, wo sie mitregiert, vielfach an der
Spitze der Angriffe auf sozial Schwache steht. Gleichzeitig betreibt sie heute
7
selbst das Spiel der Ost-West-Spaltung – zum Schaden aller sozial
Schwachen in Ost und West.
Bis 2000/2001 wurde die PDS bei Gewerkschaften, Arbeitslosen und sozial Schwachen in
wachsendem Maß als ihre Interessenvertretung gesehen. Dies wurde auf
Gewerkschaftskonferenzen, beim Zuspruch für die Zeitschrift „wirtschaft-sozialeswiderstand“
und im konkreten Wahlverhalten mit überproportional großen PDSStimmenanteilen
bei gewerkschaftlich Organisierten und Erwerbslosen dokumentiert.
Bei der Bundestagswahl 2002 waren dann die Einbrüche in diesen Bereichen – bei
gewerkschaftlich Organisierten und Erwerbslosen - am größten. Die PDS verlor darüber
hinaus dort am meisten Stimmen, wo sie mitregierte oder zuvor toleriert hatte: In
Mecklenburg-Vorpommern mit minus 7,3 Prozentpunkten, in Sachsen-Anhalt mit minus 6,3
Prozentpunkten. Heute ist die PDS bei linken Gewerkschaftsmitgliedern abgeschrieben. Das
heißt: Die Politik, die die PDS als Koalitionspartnerin in Schwerin und Berlin mit zu
verantworten hat, ist maßgeblich für diese tiefgreifende Veränderung.
Von den rund 100.000 Leuten, die ihr SPD-Mitgliedsbuch in den letzten fünfzehn Monaten
aus Enttäuschung über die SPD-Politik abgaben, kam so gut wie niemand zur PDS – mit
guten Gründen. Das heißt: Die PDS ist kein Ansprechpartner bei der Abwendung von der
SPD und bei der Kritik an der Agenda 2010.
Die PDS hat es mit ihrer Politik vor allem in Berlin geschafft, sich bundesweit als Teil des
neoliberalen Angriffs zu präsentieren. Öffentliches Eigentum wird in großem Maßstab
verscherbelt bzw. privatisiert. Zunächst wurde Cross-Border-Leasing vom
Wirtschaftssenator Gysi öffentlich als pfiffig gepriesen. Im Dezember 2002 wurde der
Berliner Stromversorger Bewag an den schwedischen Konzern Vattenfall verscherbelt. Ein
Jahr später wurden die Berliner Wasserwerke teilprivatisiert.
Der aktuelle PDS-Wirtschaftssenator Harald Wolf propagierte 2003 als einer der ersten, die
Mehrwertsteuer zu erhöhen – Eichel kann heute nahtlos daran anknüpfen. Der SPD-PDSSenat
in Berlin war bundesweit Vorreiter bei der Abschaffung der Lernmittelfreiheit. Am
1.1.2004 wurde den Sozialhilfeempfängern Berlins das Sozialticket im öffentlichen Verkehr
gestrichen. Der Berliner Landesbeauftragte für Behinderte, Martin Marquardt, monierte, dass
der Senat Einrichtungen von Behinderten das Geld streiche und sie in den Ruin treiben würde.
Darüber hinaus, so ein Bericht im „ND“, würden die Interessen der Behinderten „weder beim
Umbau des Olympiastadions noch beim Bau des Holocaust-Denkmals baulich
berücksichtigt.“
Einen bundesweiten Dammbruch führte der SPD-PDS-Senat Berlins herbei, indem er im
März 2003 während noch laufender Tarifverhandlungen die Mitgliedschaft im Verband
öffentlicher Arbeitgeber kündigte. SPD und PDS in Berlin wurden damit, so die GEW, zum
„Vorreiter für eine bundesweite tarifpolitische Destabilisierung“. Tatsächlich wird
allerorten der Flächentarifvertrag in Frage gestellt. Vielerorts werden PDSKommunalvertreter,
die sich gegen Privatisierungen, gegen eine Aufweichung des
Flächentarifvertrags oder gegen Cross-Border-Leasing-Geschäfte wenden, vor Ort auf die
entgegengesetzte Politik verwiesen, die die PDS in Berlin und Schwerin betreibt.(9)
Das wird ergänzt durch eine Politik, die die Reichen und die Konzerne fördert. So wurde in
Berlin unter dem PDS-Wirtschaftssenator Gysi und dem PDS-Kultursenator Flierl die
Grundlage für eine private „Elite-Universität“ (European School of Management) gelegt.
Dafür schenkte der Senat das stadteigene Gebäude mit dazu gehörigem Gelände in 1a-City-
Lage den Betreibern, die sich aus den führenden und reichsten deutschen Konzernen
rekrutieren. Während wir bundesweit gegen eine Privatisierung der Ausbildung und in jedem
Fall gegen sogenannte Elite-Universitäten auftreten, erklärte Wirtschaftssenator Gysi: „Diese
Entscheidung (der Konzernspitzen von Allianz, DaimlerChrysler, Eon und ThyssenKrupp für
8
die private Elite-Universität) hat viel mit den Qualitäten unserer Hauptstadt im Bereich
Wissenschaft und Forschung ... zu tun.“(10)
Als großangelegte Beraubung öffentlicher Kassen bzw. der Steuerzahlenden muss dann die
Entscheidung des SPD-PDS-Senats bezeichnet werden, Bürgschaften in Höhe von mehr als
21 Milliarden Euro der faktisch bankrotten Berliner Bankgesellschaft zu übernehmen – eine
Zeche, die die Bürgerinnen und Bürger Berlins noch bis zu 30 Jahre lang zahlen müssen. Hier
wurde auch die Funktion der PDS zur Einbindung von Protest deutlich: Wäre eine solche
Entscheidung von einer anderen Berliner Regierung getroffen worden, hätte eine PDS mit
knapp 50 Prozent Stimmen im Ostteil der Stadt eine erhebliche Oppositionskraft gegen diesen
großangelegten Diebstahl öffentlicher Gelder darstellen können. Diese umfassende und auf
weitere drei Jahrzehnte gesetzlich abgesicherte Bereicherung der Reichen konnte in dieser
Form wohl nur mit einer PDS als Koalitionspartner zur Einbindung von potentiellem
Protestpotential im Osten und mit einer SPD als führender Regierungspartei zur zeitweiligen
Ruhigstellung der Gewerkschaften erfolgen.(11)
Während die PDS früher immer die Angleichung der sozialen Standards im Osten an die
höher liegenden Standards im Westen forderte, praktiziert sie in Berlin die Angleichung der
für die Beschäftigten günstigeren Standards im Westteil an die schlechteren im Ostteil
(Arbeitszeitverlängerung im öffentlichen Dienst). In der Bundespolitik trat sie als erste mit
der Forderung auf, ein „Sonderwirtschaftsgebiet, auch Innovationsfeld Ost“ (Gabi Zimmer)
zu propagieren.(12) Sonderwirtschaftsgebiete laufen jedoch immer auf ein weiteres
Sozialdumping und eine zusätzliche Begünstigung des privaten Kapitals hinaus.
Die PDS sah sich viele Jahre an der Seite der Gewerkschaften – zu Recht, wie viele in den
Gewerkschaften meinten. Heute betreibt sie vielfach Politik gegen Gewerkschaften,
Lohnabhängige und Erwerbslose. Liest man Sätze wie den folgenden:
„Ich habe es hautnah erlebt, wie kompromisslos sich die Gewerkschaften verhalten, wenn es darum
geht, Lohnerhöhungen für die Arbeitsplatzbesitzer durchzusetzen, auch wenn sich ein Arbeitgeber dies
gar nicht leisten kann... Die Traditionalisten innerhalb der Gewerkschaften verteidigen zu sehr ihre
Erbhöfe“,
dann denkt man zu recht an FDP und Westerwelle. Doch es ist Originalton Gregor Gysi.(13)
Kein Wunder, wenn die bereits zitierte Forsa-Studie unter Parlamentariern ergab, dass 23
Prozent der befragten PDS-Parlamentarier die Gewerkschaften als „Hauptbremser auf dem
Arbeitsmarkt“ sehen.
Zu Recht kritisiert die PDS gelegentlich weiterhin die ungerechte Steuerpolitik. In der neuen
Europazeitung der PDS (vom Mai 2004) schreibt Gregor Gysi: „Die Steuern für Konzerne
und Spitzenverdiener wurden gesenkt. Das allein macht eine Mindereinnahme von 30
Milliarden Euro (pro Jahr; W.W.) für Bund, Länder und Kommunen.“ Es war die
Steuerreform 2000, die diese gewaltige Entlastung vor allem der Kapitalgesellschaften mit
dem genannten jährlichen Minus an Steuereinnahmen mit sich brachte. Doch eben diese
Steuerreform wurde im Bundesrat mit der Stimme der SPD-PDS-Landesregierung von
Mecklenburg-Vorpommern verabschiedet. Anders als im Fall der ebenfalls erfolgten
Zustimmung dieses Bundeslandes zur sog. Rentenreform verteidigte die PDS das Ja zur
Steuerreform 2000 im Bundesrat öffentlich. Der bis dato größte Raubzug der öffentlichen
Kassen durch die Steuergesetzgebung – im Zeitraum 2001 bis 2003 liegt der Steuerausfall
bereits bei mehr als 65 Milliarden Euro – wurde also durch ein bewußtes Ja der PDS mit
ermöglicht. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ kommentierte dies wie folgt: „Die PDS ist
überraschend, aber doch deutlich und endgültig, und aus freien Stücken im Westen
angekommen: Sie hat, erstens, einer Steuerreform zugestimmt, die dem Kapital zugute
kommt, und sie hat es zweitens gern getan .... Die PDS hat mit dieser Entscheidung das
9
Vorhaben `moderne sozialistische Partei der Bundesrepublik Deutschland´ neu im Markt
positioniert.“(14)
In der öffentlichen Wahrnehmung dürfte der Aspekt der Politik gegen sozial Schwache und
gegen die Gewerkschaften der entscheidende bei der Umpolung der PDS sein. Es ist
tatsächlich dieser Bereich, mit dem sich die PDS als „moderne“ Partei „neu im Markt
positioniert“ hat, in dem die Umpolung ihrer Politik am deutlichsten zum Ausdruck kommt.
5
Die PDS hat wesentliche Verdienste als Antikriegspartei. Sie knickt in
dieser Frage seit einiger Zeit dort ein, wo die Antikriegs-Position hinderlich
auf dem Weg zur Macht ist. Damit ist sie dabei, auch ihre Anti-
Kriegsposition zu räumen. Deutlich wird dies im aktuellen Wahlkampf zum
Europäischen Parlament.
Für viele – so für mich – war das Argument, die PDS ist eine Antikriegspartei, zentral für ihr
Engagement für die PDS. Bis einschließlich des Nato-Kriegs gegen Jugoslawien traf diese
Charakterisierung überwiegend zu.(15)
Erstmals deutlich wurde der Versuch, auch diese Position zu räumen, mit dem Münsteraner
Parteitag 2000, auf dem die Position „Nein zu UN-Kampfeinsätzen“ aufgegeben werden
sollte. Als eine Zweidrittel-Mehrheit der Delegierten dies verweigerte, erklärten führende
Reformer immer wieder, dass diese Position revidiert werden müsste. Mit dem Chemnitzer
Programm 2003 erfolgte eine solche Revision in indirekter Form.(16)
Ein erstes öffentlich erkennbares Einknicken im Fall eines konkreten Krieges gab es mit dem
Afghanistan-Krieg, als Gysi beschränkte militärische Aktionen gegen Kabul forderte. Am
Ende des Programmparteitags in Dresden, am 7. Oktober 2001, verabschiedete die PDS einen
„Friedensappell“ oder auch „Dresdner Appell“. Obwohl es damals – gut drei Wochen nach
den Angriffen auf das World Trade Center – keinerlei Beweise für einen Zusammenhang
zwischen diesen Terrorakten und Al Qaida bzw. den Taliban in Afghanistan gab, heißt es
darin: „Die Terroristen vom 11. September wollen ihre Anschläge in den USA offenbar zum
Auftakt eines brutalen Kriegs zwischen den Kulturen, zwischen der nördlichen und südlichen
Hemisphäre machen.“ Der Text enthält kein Wort zu den konkreten Kriegsdrohungen und
Kriegsvorbereitungen der US-Regierung gegen Afghanistan. Wenige Stunden nach dem Ende
des Parteitags, am 7. Oktober 2001, begann der Afghanistan-Krieg.
Als der SPD-PDS-Senat gebildet wurde, stimmte die PDS einer Präambel des
Koalitionsvertrags zu, in der positiv auf die Nato Bezug genommen wird. In dieser heißt es:
„Berlin repräsentiert eine der führenden Industrienationen der Welt, die in die westliche
Wertegemeinschaft eingebunden ist, die der Organisation der Vereinten Nationen und dem
nordatlantischen Bündnis angehört, die die Erweiterung der Europäischen Union anstrebt und
zahlreiche weitere internationale Verpflichtungen erfüllt. In Berlin ist aufgrund seiner
Erfahrung mit Teilung und Wiedervereinigung das Bewusstsein über die Bedeutung dieser
Bindungen besonders hoch. Die Koalition wird den Verpflichtungen und Erwartungen, die
aus der Funktion Berlins als Hauptstadt Deutschlands resultieren, daher nachkommen.“
Als im Frühjahr 2002 der Irak-Krieg drohte und als es noch nicht opportun war, gegen einen
solchen Krieg und gegen den weltweit entscheidenden Kriegstreiber, den US-Präsidenten
George W. Bush, Stellung zu nehmen, weil die SPD-Grünen-Regierung die US-Regierung
und Bush noch hofierten, befolgten im Mai 2002 die PDS-Senatsmitglieder Gysi, Knake-
Werner und Flierl getreu den Senats-Beschluss, wonach keiner von ihnen sich an den großen
Anti-Bush-Demos in Berlin beteiligen dürfte. Auf einer internen Sitzung der PDS-Fraktion
im Vorfeld des Bush-Besuchs hatten die Abgeordneten Jelpke und Wolf versucht, die
10
Fraktion zu einer gemeinsamen und medienwirksamen Protest-Aktion während der Bush-
Rede im Plenarsaal des Bundestags zu gewinnen. Der Vorschlag erhielt keine Unterstützung
und wurde insbesondere von der Fraktionsführung strikt abgelehnt. Als es aus diesem Grund
dann keinen kollektiven, sondern den bekannten Transparent-Protest der drei PDS-MdBs
Lippmann, Jelpke und Wolf im Plenarsaal und während der Bush-Rede gab, gab es keine
erkennbare Solidarität der PDS-Fraktion mit ihnen. Stattdessen entschuldigte sich der PDSFraktionsvorsitzende
Roland Claus hinterher persönlich bei George W. Bush. Während des
gesamten Wahlkampfs 2002 verteidigte der Fraktionsvorsitzende diese Haltung. Prominente
PDS-Leute wie D. Bartsch, G. Gysi, P. Pau, W. Gehrcke oder D. Dehm kritisierten die
Protest-Aktion auf unterschiedliche Weise. Bis heute sah sich die PDS-Führung nicht
veranlasst, sich für das Kuschen der PDS-Senatsmitglieder bei der Anti-Bush-Demo vom 21.
Mai 2002 bzw. für den zwei Tage später stattfinden Kniefall ihres ehemaligen Fraktionschefs
vor dem US-Präsidenten, von dem wir inzwischen wissen, dass er einer folternden
Besatzungsmacht vorsteht, zu entschuldigen.(17)
PDS-Wahlkampf zur Europawahl 2004 und Verfassung der EU
Im aktuellen Europawahlkampf bündeln sich mehrere Aspekte, mit denen die Umpolung
der PDS, ihre Abkehr von sozialistischen Zielsetzungen deutlich wird. Und erneut
konkretisiert sich dies in der Frage von Krieg und Frieden, in der Abkehr der PDS von einer
konsequenten Antikriegs-Position.
Grundsätzlich agiert die PDS im Europawahlkampf als unkritische Begleiterin des Projekts
Europäische Union. Bereits Ende 2003 veröffentlichte die PDS eine – offensichtlich mit
Geldern des PDS-MdEP-Fraktionsetats finanzierte – Zeitung mit dem Titel „PRO Europa“.
Sie hatte eine Auflage von 1,3 Millionen. In ihr fand sich kein ernsthaftes Wort einer Kritik
an der EU.
Im Mai 2004 erschien eine PDS-„Zeitung zur Europawahl“, die nach PDS-Angaben 3,2
Millionen Auflage hat und offensichtlich aus PDS-Wahlkampfmitteln finanziert wurde.(18)
Diese Zeitung liest sich erneut an vielen Stellen wie eine Werbebroschüre der EU. Das
Europaparlament, unter allen Parlamenten in westlichen Industriestaaten wohl das am
weitesten von der Bevölkerung entfernte Parlament, wird schlicht als „Stimme des Volkes“
bezeichnet; die Europäische Kommission, die extrem hierarchische und bürokratisierte
Exekutive der EU, wird als „Motor der Union“ bezeichnet und dabei so getan, als sei die
Kommission ernsthaft parlamentarisch kontrollierbar (In der PDS-Wahlzeitung heißt es dazu:
„Die Kommission ist dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig. Das Parlament kann
ihr das Misstrauen aussprechen und sie so zum Rücktritt zwingen“).
Zum Europäischen Rat, der maßgeblich die Militarisierung der EU betreibt, heißt es neutral:
„Die Staats- und Regierungschefs entscheiden über die Grundzüge der Politik der EU. Im
Rahmen der Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik beraten sie auch über
Probleme der internationalen Politik und Sicherheitsfragen.“ (Jeweils Seite 4 der „Zeitung zur
Europawahl“).
Der Grundcharakter der Europäischen Union – die Bildung eines Europas der Konzerne und
Banken in Konkurrenz zum US/Nafta-Block -, die zerstörerischen Tendenzen dieses Projektes
für demokratische Rechte, Umwelt, Gewerkschaften, Lohnabhängige, regionale
Wirtschaftskreisläufe, kleine und mittlere Unternehmen usw. – ist nirgendwo ernsthaft ein
Thema. Die Osterweiterung der EU, die für Millionen Menschen in Mittel- und Osteuropa
dauerhaft Massenerwerbslosigkeit schaffen muss und in ihren sozialen Folgen EU-weit das
Sozialdumping fördert, wird grundsätzlich begrüßt. Als angebliche „positive Konsequenzen“
11
der erweiterten EU nennt EU-MdEP-Kandidatin Gabi Zimmer: „Beispielsweise haben jetzt
junge Leute die Möglichkeiten zu reisen, Länder und Menschen kennen zu lernen.“
Die Plakatierung der PDS in diesem Wahlkampf ist komplett populistisch. Teilweise kann sie
mit der Werbung für eine rechte Partei „verwechselt“ werden, so bei den Plakaten: „Es reicht!
Für eine bessere Politik“. Teilweise wirkt das Ganze wie eine Werbung für das Projekt EU –
so bei den Plakaten: „Europa – An der Seite der UNO, nicht im Schatten der USA“.
Diejenigen im Land, die „aus dem Schatten der Vergangenheit heraustreten“ wollen, tun dies
mit dem Projekt EU unter deutscher Dominanz und bewusst als Konkurrenzprojekt zum USImperialismus,
aber eben nicht als Projekt des Friedens, sondern als Projekt eines neuen und
in der Perspektive nicht minder gefährlichen EU-Imperialismus.
Krieg und Frieden kein PDS-Thema im EU-Wahlkampf
Die Orientierung der EU auf eine Militarisierung der Politik und auf die Schaffung eines
eigenen militärischen Arms und eines EU-weiten militärisch-industriellen Komplexes wurde
spätestens ab Mai 1999 mit dem EU-Gipfel in Köln konkretisiert. Seither wurde der
Rüstungskonzern EADS gebildet, wird die 60.000 Mann/Frau-Interventionsarmee aufgebaut,
wird ein militärisch nutzbares Satellitensystem („Galileo“) aufgebaut, werden Einzelprojekte
wie Militärtransporter A400M, Eurofighter usw. realisiert. In der EU-Verfassung wird letzten
Endes diese Militarisierung zusammengefasst und auf den Punkt gebracht.
Die Kampagne einer linken oder demokratischen Partei zur Europawahl 2004 müsste –
gleichberechtigt mit dem Thema Massenerwerbslosigkeit und den sozialen Folgen der EU und
der „Osterweiterung“ – die EU-Aufrüstung zum Themen haben. Doch das Thema „Soziales“
fehlt weitgehend im PD-Wahlkampf. Das Thema EU-Rüstung fehlt fast komplett. Es gibt
keine zentralen PDS-Plakate, die die EU-Aufrüstung zum Thema haben. Ruft man im Internet
Mitte Mai 2004 die Rubrik „Unsere Themen im Wahlkampf“ auf, dann werden dort die
Themen genannt „sozial“, „demokratisch“, „sicher“, „friedlich“ und multikulturell“. Doch
nirgendwo tauchen die konkreten, oben angeführten EU-Projekte der Militarisierung auf. Der
in dieser Beziehung am weitesten gehende Satz lautet. „Soll die EU eine militärische
Ergänzung für den globalen Interventions- und Vorherrschaftskurs der USA werden, oder
geht von ihr eine Stärkung der UNO, des Völkerrechts, der weltweiten Abrüstung sowie
ursachenorientierter und ziviler internationaler Politik aus?“ Es bleibt bei der – unzureichend
gestellten – Frage. Unter „sicher“ taucht dann eine „positive“, aber eher fatale Aussage auf:
„Die PDS unterstützt alle Bemühungen um eine länderübergreifende
Kriminalitätsbekämpfung. Dabei legen wir großen Wert auf parlamentarische Kontrolle
europäischer Strafverfolgungsbehörden wie Europol, den Schutz der Menschen- und
Bürgerrechte sowie auf Prävention. Terrorismus muss entschieden bekämpft werden.“(19)
In der 12seitigen PDS-Wahlzeitung vom Mai 2004 spielt das Thema Rüstung und Kriege eine
untergeordnete Rolle; es wird erstmals und ausschließlich auf Seite 9 aufgegriffen – in einem
Beitrag von Tobias Pflüger. In dem Artikel steht u.a. richtigerweise, dass der EUVerfassungsentwurf
eine Verpflichtung zur Aufrüstung enthält. Im Gesamtzusammenhang
des PDS-Wahlkampfs spielt dieser Artikel jedoch keine größere Rolle. Problematisch ist, was
in ihm nicht steht – und wie mit den Kandidaturen von Tobias Pflüger und Sahra
Wagenknecht die tatsächliche Politik der PDS in Sachen EU-Militarisierung und EUVerfassung
kaschiert werden soll.
Denn die Frage, inwieweit die PDS wenigstens noch Anti-Kriegs-Partei sei, spielt bei
denjenigen in der bundesdeutschen Linken, die eine Wahl der PDS in Erwägung ziehen, eine
wichtige Rolle. Professor Norbert Paech erklärt in der PDS-Zeitung zur Europawahl: „Die
PDS ... geht in den Wahlkampf zum Europäischen Parlament als einzige deutsche Partei mit
12
einem Nein zu diesem EU-Verfassungstext. Die Partei hat zudem die aussichtsreichen
Listenplätze mit glaubwürdigen Kandidaten besetzt ... Deren Kritik am Verfassungstext ist so
entschieden gewesen, dass sie die auch im EU-Parlament mit Nachdruck vertreten werden.“
Tobias Pflüger schreibt zum gleichen Thema in der genannten PDS-Wahlzeitung: „Die PDS
ist dagegen, auf EU-Ebene eigene militärische Komponenten zu schaffen.“ Im Text der
WählerInnen-Initiative für Tobias Pflüger wiederum wird festgestellt: „Die PDS hat sich nach
langer Debatte als einzige Partei auf eine Ablehnung der EU-Verfassung in der bislang
vorgeschlagenen Form festgelegt.“
Nun sind die parteilosen Norman Paech und Tobias Pflüger konsequente und von mir
geschätzte Kriegsgegner. Ihre hier zitierten Feststellungen sind jedoch nicht mit der PDSWirklichkeit
in Übereinstimmung zu bringen. Es ist sinnvoll, sich die konkrete Entwicklung
der PDS-Position zu diesem Thema zu vergegenwärtigen.
Im Juni 2003 lag der Verfassungsentwurf der Europäischen Union im dafür gebildeten
Konvent des Europaparlaments vor. Der PDS-Parteivorstand forderte die PDS-Vertreterin im
EU-Konvent per Beschluss auf, der EU-Verfassung zuzustimmen. Kaufmann hatte dies zuvor
selbst vorgeschlagen. MdEP Kaufmann tat Entsprechendes; als Vizepräsidentin des EUKonvents
unterzeichnete sie den Verfassungsentwurf sogar. Der Entwurf enthält u.a. ein
unzweideutiges Bekenntnis zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung, ein generelles Ja zu
Auslandseinsätzen von EU-Militär und die Verpflichtung aller EU-Staaten zu Aufrüstung.
Es handelte sich beim PDS-Ja im Konvent um eine bewusste Entscheidung - in Kenntnis des
Inhalts dieses Verfassungsentwurfs. In einer Presseerklärung schrieb Sylvia-Yvonne
Kaufmann darüber hinaus am 13.6.2003: „Der vorliegende Verfassungsentwurf stellt die weit
reichendste Reform in der Geschichte der Europäischen Union dar. Von ausschlaggebender
Bedeutung ist, dass der Konvent einen in sich geschlossenen Gesamtvorschlag vorlegen
konnte, der die unterschiedlichsten Interessenlagen und Vorstellungen seiner Mitglieder sowie
der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt.“ Im Mittelteil dieser Presseerklärung werden die
Passagen der EU-Verfassung mit der Aufrüstungs-Verpflichtung kritisiert. Doch der Schluss
lautet wie folgt: „In Anbetracht der realen politischen Kräfteverhältnisse sowie in Abwägung
der progressiven wie der kritischen Punkte überwiegen für mich bei der politischen
Gesamtbewertung trotz allem die erreichten Fortschritte für die europäische Einigung. Daher
habe ich dem Entwurf über den Vertrag für eine Europäische Verfassung zugestimmt. Jetzt
darf der Entwurf nicht verwässert werden.“(20)
Selbst ein knappes Vierteljahr später, als im September 2003 im Europaparlament der
Verfassungsentwurf zur Abstimmung stand (in Form einer Resolution, die sich auf die
Verfassung positiv bezog), enthielten sich alle PDS-MdEPs der Stimme. Obgleich Francis
Wurtz, Fraktionsvorsitzende der Vereinigten Europäischen Linken (GUE/NGL) und Mitglied
der Französischen KP, und viele andere PDS-MdEP-Fraktionskollegen aus anderen Ländern
mit „Nein“gestimmt hatten, stimmte keiner aus der PDS mit „Nein“. MdEP Hans Modrow
erklärte nach der Abstimmung, dass sein Abstimmungsverhalten falsch gewesen sei, dass man
zu diesem Verfassungsentwurf nur mit Nein habe stimmen können. Er blieb bis heute der
einzige Europa-Abgeordnete der PDS, der solches erklärte. MdEP Helmuth Markov
begründete die PDS-Enthaltungen damit, dass dadurch „die Abgeordneten die Absicht zum
Ausdruck gebracht (hätten), einer ´finalen Bewertung des Verfassungsvertrages nach dem
Abschluss der Regierungskonferenz nicht vorgreifen´ zu wollen.“ Tatsache ist, dass es sich
um die voraussichtlich finale Abstimmung im Europaparlament handelte. Es ging bei diesem
Verhalten schon um Grundsätzliches. MdEP André Brie machte dies deutlich, als er laut
„ND“ das Abstimmungsverhalten der PDS-MdEPs mit den Worten erklärte: Die PDS darf
„trotz aller Kritikpunkte nicht als Gegnerin einer europäischen Verfassung auftreten.“(21)
Sylvia-Yvonne Kaufmann kandidiert auf Platz 1 der neuen PDS-Europaliste, Helmuth
Markov auf Platz 2, André Brie auf Platz 6. Sechs MdEP-Plätze gelten bei Überwindung der
13
5-Prozent-Hürde als aussichtsreich. Man vergleiche die zitierten Verhaltensweisen im Fall der
Abstimmungen zur EU-Verfassung und deren Begründungen durch die PDS-MdEPs mit
Norman Paechs Feststellung: „Die Partei (PDS) hat zudem die aussichtsreichen Listenplätze
mit glaubwürdigen Kandidaten besetzt ... Deren Kritik am Verfassungstext ist so entschieden
gewesen, dass sie die auch im EU-Parlament mit Nachdruck vertreten werden.“
Nun wäre vorstellbar, die PDS habe sich seit September 2003 zu einer anderen Haltung
durchgerungen, „nach langer Debatte“, wie es im Unterstützungsaufruf für Tobias Pflüger
heißt. Das trifft nicht zu. Im neuen – am 26. Oktober 2003 in Chemnitz beschlossenen – PDSProgramm
wird der EU-Verfassungsentwurf im Grundtenor positiv erwähnt. Dort heißt es:
„Die PDS unterstützt den Prozess des Entstehens einer Europäischen Verfassung“. Obgleich
der Entwurf bereits seit vier Monaten fertig vorlag und im Konvent mit dem Ja der PDS und
im Europaparlament bei Enthaltungen aller PDS-MdEPs verabschiedet war, wird in dem
Programm gezielt die Unwahrheit verbreitet und von einem noch ablaufenden „Prozess des
Entstehens“ geschrieben. Verschiedene Abänderungsanträge, die den konkreten Inhalt des
längst verabschiedeten Entwurfs – das heißt u.a. die Verpflichtung zur Aufrüstung –
festhalten sollten, wurden auf Aufforderung der Parteiführung von der Mehrheit der
Delegierten abgeschmettert.
Wieder einen Monat später veröffentlichte die PDS ihre Wahlkampfstrategie für die
Europawahl. In dem sehr umfangreichen Text findet sich nicht ein Wort zur Kritik an der EUVerfassung.
(22)
Im Programm der PDS zur Wahl des Europaparlaments, das dann im Januar 2004
verabschiedet wurde, heißt es zwar zu Beginn:
„Die PDS sagt Nein zum vorliegenden Verfassungsentwurf“.
Im folgenden werden die Begründungen für ein solches „Nein“ jedoch relativiert. So wenn es
dort heißt:
„Inakzeptabel ist für uns vor allem, dass die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
(GASP), insbesondere die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP)
unverändert kaum parlamentarischer Einflussnahme und Kontrolle unterliegen ... Darüber
hinaus halten wir es für vollkommen undemokratisch und sind nicht bereit zu akzeptieren,
dass selbst der Einsatz von EU-Eingreiftruppen keiner Zustimmung des Europäischen
Parlaments bedarf.“
Tobias Pflüger kommt an anderer Stelle zur Auffassung: „Es gibt noch eine realistische
Chance, die EU-Verfassung zu verhindern: durch ein klares Votum am 13. Juni und vor allem
durch die Unterstützung von Friedensbewegungen und Linken in den Ländern, in denen
rechtsverbindliche Referenden über die EU-Verfassung stattfinden werden.“(23) Der erste
Teil dieser Feststellung überzeugt nicht. Die Wahl am 13. Juni kann diese Verfassung nicht
nur nicht stoppen. Es gibt vor allem auch keine Garantie dafür, wie sich eine PDS-MdEPFraktion
dann verhalten würde, wenn der EU-Verfassungsentwurf tatsächlich nochmals im
Europaparlament befasst werden würde. Selbst wenn die PDS die 5-Prozent-Hürde schafft,
bleibt die Tatsache bestehen, dass die Mehrheit derjenigen, die dann die PDS im neuen
Europaparlament vertreten (Kaufmann, Markov, Zimmer, Brie), sich zuvor als Befürworter
dieser Verfassung oder zumindest nicht als ihre Gegnerinnen und Gegner erwiesen haben.
Konstantin Wecker steuerte für die PDS-Wahlkampfzeitung die Sätze bei: „Ich kenne Sahra
Wagenknecht und Tobias Pflüger. Ihr Nein zur Militarisierung im EU-Verfassungsentwurf ist
glaubwürdig. Deshalb sollten beide ins Europaparlament.“ Das ist eine klare und belastbare
Aussage. Sie findet sich jedoch in der PDS-Wahlkampfzeitung nicht; laut Bericht der jungen
Welt „blieben Weckers Worte ungedruckt“ (24).
14
In der Summe ist festzustellen:
- Zum Zeitpunkt, als man hätte Alarm schlagen und eine öffentliche Kampagne gegen
die EU-Verfassung lostreten müssen, schwieg die PDS nicht nur – sie stimmte dem
Entwurf zu bzw. enthielt sich der Stimme.
- Die vorliegenden programmatischen Aussagen der PDS zu diesem Thema sind
windelweich.
- Auch heute führt die PDS im EU-Wahlkampf keine breite Kampagne durch, um „Nein
zur EU-Verfassung“ zu sagen. Stattdessen konzentriert sie darauf, dass es ein
Referendum geben müsse – was mehr als unwahrscheinlich ist. Und auch hier sagt sie
nicht: „Für ein Referendum, für ein Nein zum EU-Verfassungsentwurf“. Sondern
lediglich, dass die Bevölkerung entscheiden müsse.
- Die Spitzenkandidatin auf der PDS-EU-Liste ist diejenige, die die Verfassung mit
unterzeichnete und ihr im Konvent zugestimmt hat; zwei weitere aussichtsreich
Kandidierende haben sich bei der konkreten Abstimmung der Stimme enthalten und
nie erklärt, dass dies ein Fehler war.
Unter diesen Bedingungen richtet sich das gelegentlich platzierte Kleingedruckte,
wonach die PDS „inzwischen“ und „nach langer Debatte“ den vorliegenden Entwurf
der EU-Verfassung ablehnen würde, lediglich an linke Wähler, die nochmals als
nützliche Idioten gewonnen werden sollen, um der PDS über die 5-Prozent-Hürde zu
helfen.
Im übrigen läuft eine Konzentration des Themas EU-Militarisierung auf die EU-Verfassung
und auf ein Referendum über diese leicht ins Leere. Die oben konkret angeführten materiellen
Schritte dieser Militarisierung wurden und werden seit einigen Jahren auch ohne EUVerfassung
umgesetzt, das jüngste Beispiel erlebten wir im Mai 2004, die Fusion im
deutschen Kriegsschiffbau als Vorstufe für eine „EADS zur See“, eine EU-Hochrüstung im
Kriegs- und U-Boot-Schiffbau.
Doch all diese Themen sind keine im EU-Wahlkampf der PDS. Die PDS demonstriert damit
gerade in diesem Wahlkampf ihren grundlegend veränderten Charakter, die Aufgabe ihres
Charakters als Antikriegs-Partei.
Warum ein Austritt erst jetzt?
Oder: Die Linke in der PDS
Mit einigem Recht wird angemerkt werden: Wenn eine Bilanz der PDS derart vernichtend
ausfällt und wenn sie sich weitgehend belegen lässt mit Zitaten und Fakten aus den Jahren
2000 bis 2002 – warum ein Austritt erst jetzt?
Ich möchte nicht bestreiten, dass ich bei der Zusammenstellung dieser Bilanz der PDSWirklichkeit
selbst darüber erschrocken bin, wie konkret sich die Entfernung der PDS von
ihren Zielsetzungen belegen lässt – und darüber, dass dies in der geschilderten krassen Art seit
geraumer Zeit der Fall ist. Ein gewisses Maß an „Betriebsblindheit“ ist selbstkritisch
einzugestehen.
Bei meinem Zögern spielte sicherlich auch eine Rolle, dass ich die jüngere Entwicklung der
PDS auch als eine persönliche Niederlage empfinde – und als einen umfassenden Erfolg der
Parteirechten bzw. „Reformer“, die ja auch seit geraumer Zeit meinen Austritt forderten. Es
liegt nahe, dass ich solchen Wünschen nur ungern nachkomme.(25) Es handelt sich um eine
Niederlage auch hinsichtlich eines großen Teil meiner politischen Arbeit in den drei letzten
Jahren, die auf die Herausbildung einer konsequenten Linken in der PDS orientiert war.
15
Seit Anfang 2000 (und seit dem Münsteraner PDS-Parteitag) habe ich mich im Rahmen der
PDS-Linken dafür engagiert, der Rechtsentwicklung der PDS zu begegnen, sozialistische
Inhalte zu verteidigen und einen Beitrag zu einer konsequenten PDS-Linken zu leisten. Ich
habe dabei nie Rücksicht auf meine eigene Position als MdB genommen – und mich
entsprechend massiven Angriffen, Diffamierungen und Versuchen des Parteivorstands, meine
erneute Wahl auf Platz 1 der Landesliste zu verhindern, ausgesetzt. Stationen gegen die
Rechtsentwicklung der PDS, an denen ich in den letzten vier Jahren jeweils maßgeblich
beteiligt war, waren:
- Ende 1999: erstes Minderheitenvotum in der Programmkommission, verfasst von
Michael Benjamin, Uwe-Jens Heuer und Winfried Wolf
- Mai 2001: Vorlage eines alternativen linken PDS-Programmentwurfs (alternativ zum
ersten Reformer-Programmentwurf Brie-Klein-Brie-Text), verfasst von Dorothée
Menzner, Monika Balzer, Ekkehard Lieberam und Winfried Wolf.
- Oktober 2001, Dresdner Parteitag: Der alternative Programmtext („Entwurf 2.2.“)
erhielt schlappe 7 Prozent der Delegiertenstimmen. Der Brie-Klein-Brie-Text musste
in der Folge dennoch „der nagenden Kritik der Mäuse“ überlassen werden – er tauchte
nicht mehr auf.
- Oktober 2002, Geraer Parteitag: Vorlage eines linken „vierten Leitantrags“, der rund
ein Viertel der Delegiertenstimmen auf sich vereinte und maßgeblich zum Erfolg von
Gabi Zimmer als Parteivorsitzender und Uwe Hiksch als neuem
Bundesgeschäftsführer bzw. zur Niederlage der „Reformer“ um Bartsch / Claus / Pau
etc. beitrug.
- Dezember 2002: Gründung der Strömung „Geraer Dialog“ mit dem Ziel, der
Vereinigung der Linken in der PDS. U.a. Publikation zweier Bulletins di@log:gera
und der Zeitung wir@pds (Juni 2003).
- April/Mai 2003 und Juli 2003; Sonderparteitag in Berlin: Die Reformer setzen sich im
April/Mai mit einem innerparteilichen Putsch durch, der auf dem Sonderparteitag mit
der Neuwahl eines Reformer-Parteivorstands abgesegnet wird. Ein alternativer
Leitantrag, den der Geraer Dialog dort einbringt, erhält trotz Verfahrenstricks rund 15
Prozent der Delegiertenstimmen.
- Oktober 2003, Chemnitzer Parteitag: Verabschiedung des neuen PDS-Programms, das
das 1993er Programm ablöst. Der Geraer Dialog präsentierte auf diesem Parteitag
eine große Zahl von Abänderungsanträgen am „Reform-Programm“ und konnte für
diese jeweils zwischen 10 und 25 Prozent der Delegiertenstimmen auf sich vereinen.
In der Endabstimmung wurde das Chemnitzer Programm von rund 90 Prozent der
Delegierten angenommen.
Nach der Bundestagswahl vom September 2002 und bis zum Chemnitzer Parteitag im
Oktober 2003 hatte ich mich in erster Linie für die Herausbildung einer konsequenten PDSLinken
engagiert. Dabei spielten der Geraer Parteitag und die Chancen, die sich mit diesem
für eine Neubesinnung der PDS auf sozialistische Positionen zu eröffnen schienen, eine
wichtige Rolle. Ich vertrat die These, dass sich eine konsequente und überzeugende Linke
dann herausbilden würde, wenn die bestehenden linken Gruppierungen um das Marxistisches
Forum, die Kommunistische Plattform und den Geraer Dialog zusammenarbeiten würden.
Und ich argumentierte, dass für Sozialistinnen und Sozialisten ein Verbleiben in der PDS oder
am Rande der PDS nur dann vertretbar sein könnte, wenn eine solche PDS-Linke nach außen
sichtbar auftreten würde, wenn sie gewissermaßen für eine „andere PDS“ und für den
Anspruch stehen würde, die PDS wieder in eine sozialistische Partei „zurück zu verwandeln“.
Das hätte naturgemäß die Entwicklung eigener materieller Ressourcen und publizistischer
Mittel erfordert; dabei hätte man gegebenenfalls auch einen Bruch mit der PDS-Führung in
16
Kauf nehmen müssen. Diese Positionen wurden im Sprecherrat des Geraer Dialogs bis Herbst
2003 geteilt.
Das Vorhaben scheiterte. Das Scheitern lag nicht daran, dass diese PDS-Linke zahlenmäßig
relativ schwach war. Die rund 20 Prozent der Delegierten-Stimmen, die wichtige linke
Anträge auf dem Chemnitzer Parteitag erzielten, waren für sich genommen gute Resultate. Zu
dem Scheitern kam es teilweise deshalb, weil der Geraer Dialog selbst eine eher lockere
Veranstaltung blieb und die beschriebene Orientierung viel zu zögerlich betrieb. Das
Scheitern lag aber vor allem darin begründet, dass es nicht zu einer gemeinsamen Politik der
Linken kam. Maßgebliche Vertreter und Vertreterinnen von Marxistischem Forum und KPF
lehnten eine solche Zusammenarbeit ab. Die in der Öffentlichkeit maßgebliche Vertreterin der
KPF enthielt sich bei der Schlussabstimmung über das Chemnitzer Programm der Stimme
und rechtfertigte dies öffentlich.
Seit Herbst 2000 und seit dem Tod des führenden Kopfes der KPF, Michael Benjamin, gab es
damit eine Kontinuität des Fehlens einer linken Einheit: Bereits angesichts des ersten
Reformer-Programmentwurfs weigerten sich die zwei genannten linken Strömungen, sich an
der Entwicklung eines linken, alternativen Programms zu beteiligen bzw. den „Entwurf 2“
offensiv zu unterstützen. Vergleichbares gab es bei allen darauf folgenden Parteitagen – es
gelang nie, bereits im Vorfeld dieser Parteitage eine gemeinsame Linie (mit Anträgen usw.)
zu entwickeln. MF und KPF verweigerten systematisch eine solche prinzipielle
Zusammenarbeit.
Diese fehlende Gemeinsamkeit einer PDS-Linken erklärt auch, dass die Chance, die sich
kurzfristig mit der Öffnung nach dem Geraer Parteitag und mit der überraschenden Abwahl
bzw. dem kurzzeitigen Abgang maßgeblicher Reformer aus PDS-Funktionen ergab, nicht
genutzt wurde.
Im Rückblick ist man geneigt zu sagen: Das Scheitern des Versuchs, eine konsequente PDSLinke
zu entwickeln, war objektiv bedingt bzw. durch den Charakter der PDS und des großen
Teils ihrer Mitglieder vorgegeben. Tatsächlich ist diese Partei und ist ein großer Teil der
„offiziellen“ PDS-Linken (Marxistisches Forum, KPF) von einer Parteifixiertheit und
teilweise einem m Parteifetischismus geprägt, der in der SED-Tradition steht. Dies tritt
gepaart mit einer tiefen Angst vor jeglicher Spaltung an sich auf; Spalter sind des Teufels,
sprich: sind blanker Trotzkismus.(26) Des weiteren spielen in der PDS, vor allem in der PDS
in den neuen Bundesländern, soziale Abhängigkeiten (und teilweise damit
zusammenhängende Karriere-Orientierungen) eine große Rolle. Sie verstärken das
erstgenannte Moment des Parteifetischismus.
Dennoch halte ich das Scheitern nicht allein für „objektiv“ bedingt oder, aus meiner Sicht,
nicht für ausschließlich „von außen bedingt“. Einen entscheidenden eigenen Fehler bzw.
einen Fehler derjenigen, die für eine konsequente PDS-Linke arbeiteten, sehe ich darin, dass
es nicht zu einer in diesem Sinn längerfristig angelegten Arbeit kam. Diese hätte nach
dem Münsteraner Parteitag einsetzen und kontinuierlich vorangetrieben werden müssen. Nur
auf diese Weise hätte es eine Chance gegeben, das faktische linke Oppositionsmonopol der
KPF (und teilweise des MF), das als linke Wärmestube betrieben wurde und betrieben wird,
aufzubrechen und zu einer ernsthaften Herausforderung der Parteirechten zu werden. Was es
stattdessen gab, waren relativ kurzatmig angelegte „organisierte linke Aufwallungen“
(„Mittelgroßer Ratschlag“, „Entwurf 2“, „Geraer Dialog“).(27)
Festhalten lässt sich: Es gab zumindest in der Zeit Herbst 2002 bis Ende 2003 den Versuch,
eine vereinte, konsequente PDS-Linke zu bilden. Dieser Versuch hatte erheblichen Zuspruch
an der PDS-Basis und vor allem an der Basis der KPF. Keine und keiner kann sagen, es hätte
nicht konkrete Angebote in dieser Richtung gegeben. Und es liegt auf der Hand, dass allein
eine gemeinsame linke Politik eine Perspektive für sozialistische Politik „in und um die PDS“
17
geboten hätte. Diejenigen, die konsequent eine linke Einheit verweigerten, tragen eine
erhebliche Mitverantwortung für die desaströse Entwicklung der PDS und für die ebenso
katastrophale Entwicklung dessen, was sich heute als PDS-Linke sieht. Es geht dabei nicht
allein um die Verantwortung für die PDS als Partei. Letzten Endes sind Parteien immer Mittel
zum Zweck – es geht um Politik, um politische Einflussnahme auf die Gesellschaft, um
Engagement für Menschen – und um die Verantwortung für politische Individuen. Ähnlich
wie die Grünen viele Zehntausende Menschen politisch zerstörten, indem sie ihre
ökologischen und antimilitaristischen Ideale verrieten und diese Menschen in Apathie und
Perspektivlosigkeit zurückließen, wirkt die PDS zersetzend auf die politische Identität von
Tausenden Individuen. Dass die PDS-Führung dafür die entscheidende Verantwortung trägt,
liegt auf der Hand. Allerdings sollte bedacht werden, dass dies ihr Job ist, dass sie damit die
ihr im Rahmen des Systems zugedachte Aufgabe erfüllt und dafür teilweise fürstlich belohnt
wird. Die Aufgabe einer PDS-Linken wäre es gewesen, für die bisher oder bis vor kurzem
überzeugten Sozialistinnen und Sozialisten eine politische Perspektive zu weisen. Hier hat
diese Linke versagt.
Unter den heutigen Bedingungen wirken Sozialistinnen und Sozialisten in der PDS und im
Rahmen eines PDS-Wahlkampfs unglaubwürdig. Sie befinden sich in der klassischen
Feigenblatt-Funktion bzw. in der tragischen Rolle von Steigbügelhaltern.(28)
Ich habe in meiner Haltung zur PDS zehn Jahre lang deutlich gemacht, dass ich dafür nicht
zur Verfügung stehe.
Mein Abschied von der PDS ist keine Verabschiedung von der politischen Arbeit. Politische
Perspektivlosigkeit und Demoralisierung sind mir auch heute fremd. Meinen Parteiaustritt
empfinde ich durchaus auch als Befreiung von Bestürzung und Lähmung, die mich in den
letzten fünf bis sechs Monaten auf Grund der PDS-Realität und meiner Noch-Mitgliedschaft
gelegentlich plagten. Es geht – ein weiteres Mal – um ein Neubeginn oder besser, um eine
Fortsetzung der Arbeit unter anderen Bedingungen.
Die PDS hat ihre Ideale verraten. Das Engagement für die Ziele der gesellschaftlichen
Emanzipation – für Solidarität, für Frieden, für eine Gesellschaft, die keine Ausbeutung des
Menschen durch den Menschen kennt, in der der Mensch kein geknechtetes und sich selbst
entfremdetes Wesen ist – wird fortgesetzt. Es bedarf dazu eines Neuanfangs – was nicht
heißen muss, der Bildung einer neuen Partei. Es bedarf dazu vor allem der Erkenntnis, dass
gesellschaftliche Veränderungen durch das Engagement der Menschen vor Ort, in
Bewegungen und mit Gewerkschaften erreicht werden können. Die jüngeren Mobilisierungen
gegen die Agenda 2010 und gegen die kapitalistische Globalisierung ermutigen dazu. Wenn
ein Engagement in diesem Sinne gemeinsam mit Freundinnen und Freunden erfolgt, die zuvor
in der PDS waren oder die den Schritt zum Parteiaustritt nicht oder noch nicht vollziehen,
dann ist das erfreulich und willkommen.
Uns allen sollte der Ruf einen, den Karl Marx im „Achtzehnten Brumaire des Louis
Bonaparte“ – ganz offensichtlich abzielend auf die Wahl zum Europaparlament 2004 –
formulierte: „Und wenn sie ihre Arbeit vollbracht haben, wird Europa von seinen Sitzen
aufspringen und rufen: Brav gewühlt, alter Maulwurf!“(29)
18
Anmerkungen:
(1) Vgl. Sozialistische Zeitung/SoZ, Köln, Februar 2004.
(2) PDS-Programm, Berlin 2003, S.6. Die vielfachen Verweise darauf, dass das Programm vor dem
zitierten Satz (mit der Formulierung „Die gesellschaftliche Dominanz der Profitlogik ist mit (dem)
... Grundgesetz ... unvereinbar“) und an anderen Stellen im Programmtext die genannte
Grundaussage wieder relativiert, ist uninteressant. Es handelt sich hier um die prinzipielle
Methode, in das Programm auch vieles hineinzuschreiben, was gutgläubige Linke befriedigt. Der
zitierte Satz – bewusst durch einen Punkt von anderen Sätzen abgetrennt – ist jedoch zentral – und
die „Reformer“ und insbesondere die interessierten Medien haben ihn auch so und richtig
verstanden: Er wurde als bewusste Provokation in den Programmentwurf hineingeschrieben und
bis zum Schluss verteidigt.
(3) Berliner Morgenpost vom 14.6.2002.
(4) A.a.O., S. 52. Dieser Satz macht in einem Programm, das auf zehn und mehr Jahre angelegt ist,
„eigentlich“ keinen Sinn, da sich die Regierungskonstellationen in Schwerin und Berlin schnell
ändern können. Doch er ist eben im genannten Sinn „programmatisch“ – er soll das Ja der PDS
zum Kapitalismus selbst noch in der Praxis der neoliberalen Sparpolitik unterstreichen. In diesem
Sinne agierten die Reformer auf dem Chemnitzer Parteitag auch engagiert, damit all die vielen
Änderungsanträge, die diese Passage streichen oder abschwächen wollten, nicht durchkamen.
(5) Berliner Zeitung vom 29.11.1999 und Frankfurter Rundschau vom 10.1.2002. Am 16. September
2002 machte das Berliner Boulevard-Blatt „Kurier“ mit der Hauptschlagzeile auf: „Gysi: Wir
machen Schröder zum Sieger“.
(6) Süddeutsche Zeitung vom 28.8.2002. Zuvor Angaben zur Forsa-Studie: Wirtschaftsmagazin
Impulse, April 2004; hier nach: junge Welt vom 21.4.2004.
Dem Ziel, die Staatsmacht mitzutragen und von dieser mit zu profitieren, diente es auch, wenn
führende PDS-Vertreter immer wieder gezielte rechte Provokationen begingen. Das war so, als die
Parteivorsitzende Gabi Zimmer auf dem Parteitag von Cottbus 2000 und in einem Interview mit der
Tageszeitung/taz erklärte: „Ich liebe Deutschland“. (Taz vom 29.10.2000). Das war so, als André
Brie erklärte, der Staatssozialismus sei „in seinem Anspruch, alles unterzuordnen unter einen
gestaltenden Willen ... totalitärer“ gewesen als der Nationalsozialismus (ND vom 27.1.1999).
Zimmer biederte sich mit ihrer Deutschtümelei an die zunehmend national argumentierende
„politische Klasse“ der BRD an – und trug dazu bei, dass die Rechtsextremen und ihre Ideen durch
die offizielle Linke hoffähig gemacht werden. Brie bagatellisierte mit seiner Aussage die
Verbrechen des Nationalsozialismus und machte zugleich die Totalitarismus-Theorie „von links“
hoffähig. Gleichzeitig blockierte er mit seiner abstrusen Gleichsetzung die Aufarbeitung des DDRRegimes,
das selbstverständlich antidemokratisch und autoritär war und in dessen Diensten er und
viele der heute führenden PDS-Leute bis zum Ende der DDR gestanden und gearbeitet hatten. So
wurde André Brie nach der Maueröffnung, im Dezember 1989, von einer DDR-Zeitung gefragt:
„Was halten Sie ... von der Forderung, die Partei (SED) möge ihre staatstragende Rolle aufgeben?“
mit: „Nichts.“ In: Nationalzeitung (DDR) vom 14.12.1989.
(7) Angaben zu Münster nach: Frankfurter Rundschau 11.4.2000 (H. Holter), Berliner Zeitung
11.4.2000 (Bartsch), Süddeutsche Zeitung 11.4.2000 (Gysi), Die Welt 11.4.2000 (A.Brie).
Angaben zu Gera: ND vom 16.10.2002 (Gysi-Zitat zu Gera); Artikel U. Hiksch in junge Welt vom
9.5.03 (zum Mobbing gegen Zimmer); junge Welt vom 7.5.2003 (Zimmer entzieht Hiksch die
Zuständigkeiten; Mitteldeutsche Zeitung vom 7.5.2003 (Sitte-Zitat). Selbst elementare Formen der
Demokratie werden verletzt. In PDS-Landesverband von Mecklenburg-Vorpommern mussten 2001
bei einer wichtigen Abstimmung über eine erste Bilanz von Rot-Rot die Delegierten zur
Abstimmung einzeln im Plenum aufstehen, um ihr Votum abzugeben. Bei der Wahl zum
brandenburgischen Landesvorsitzenden Anfang 2003 stellte die Berliner Zeitung fest: „Kurios:
Zwar enthielten sich 25 Delegierte der Stimme, doch Gegenstimmen gab es keine – weil die
Delegierten auf den Wahlzetteln gar nicht mit Nein stimmen konnten. Das sei das positive
Wahlverfahren, hieß es aus dem Parteivorstand. Dabei seien eben nur Ja-Stimmen und
Enthaltungen vorgesehen.“ (10.2.2003). Gewählt wurde Ralf Christoffers mit 155 von 180
Delegierten-Stimmen.
(8) Berliner Tagesspiegel vom 31.7.2002. Rücktrittserklärung G. Gysi vom 31.7.2002 (Presse-
Information der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen). Angaben zuvor zum
Verbraucherschutz in Mecklenburg-Vorpommern: AP-Meldung vom 8.5.2004. Zur Gen-Technik
nach: Junge Welt vom 8.5.2004. Zu „Stuttgart 21“: Im Kommunalwahl-Programm der PDS/Offene
Liste Stuttgart heißt es zu „Stuttgart 21“ einerseits, dass am Widerstand gegen dieses zerstörerische
Großprojekt festgehalten werde, andererseits schließen sich daran zwei Forderungen an, die von
19
einer Umsetzung dieses Projekts bzw. von der kritischen Begleitung bei der Umsetzung von
„Stuttgart 21“ ausgehen. So, wenn es dort heißt: „Die Bebauung der einzelnen Abschnitte (der
durch „Stuttgart 21“ freiwerdenden Flächen; W.W.) muss im menschlichen Maßstab erfolgen“.
Und „Die PDS unterstützt die Forderung des Mietervereins, dass auf Stuttgart 21-Flächen weniger
Gewerbebauten und stattdessen mehr Mietwohnungen vorgesehen werden.“ Im Landesinfo
(2/2004), in dem das Stuttgarter PDS-Kommunalwahlprogramm auszugsweise und eine
umfangreiche Rede der Spitzenkandidatin Ulrike Küstler wiedergegeben sind, fehlt das Thema
„Stuttgart 21“ dann komplett.
(9) Einige Überschriften aus Zeitungen und Quellen zu dem zuvor Gesagten: „Eltern müssen
Schulbücher jetzt selber kaufen“, in: Tagesspiegel vom 29.1.2003; „Berlin streicht Gelder für
Wohntagesstätten – Obdachlose demonstrieren“, in: junge Welt vom 23.10.2002. „Bewag wird Teil
von Vattenfall“, in: ND vom 4.12.2002. Zum Plan einer Privatisierung der Berliner Wasserwerke
sagte 2001 der damalige PDS-Oppositionsführer Harald Wolf: „Die Teilprivatisierung bedeutet
nichts anderes als eine Beutegemeinschaft der Privaten und des Senats zu Lasten der Berliner
Bürger.“ Ende 2003/Anfang 2004 wird vom SPD-PDS-Senat eben eine solche Teilprivatisierung
beschlossen, bei der die Rendite der privaten Investoren festgeschrieben wird – und damit massive
Erhöhungen des Wasserpreises auf die Berliner Haushalte zukommen. Nach: junge Welt vom
10.12.2003. Kritik der Behindertenverbände nach: ND vom 4.12.2002. GEW-Zitat nach:
Gemeinsames Flugblatt von GEW Hessen und PDS Hessen vom 26. März 2003. Zu Cross-Border-
Leasing: Gysi in seiner Abschlussrede auf dem Dresdner Parteitag, in der er seine Perspektiven
nach der Berlin-Wahl skizzierte: „Ich erzähle euch mal, wie man damit Geld machen kann. Du
vermietest zum Beispiel als Land die ganze BVG (Berliner Verkehrsgesellschaft) an einen
amerikanischen Konzern. Dafür zahlt der dir 10 Millionen. Der vermietet wieder die ganze BVG an
die BVG selbst, so dass die alles so weiter macht wie vorher, und verlangt dafür 10 Millionen. Die
geben die ihm. Dafür geben wir der BVG 10 Millionen zurück, die wir vorher bekommen haben.
Dann ist alles wieder im Ist-Zustand. Trotzdem bezahlt der in den USA dafür 5 Millionen weniger
Steuern. Das teilt man sich unter Ganoven 2,5 zu 2,5 Millionen. Und schon hat man wieder eine
Mehreinnahme.“
(10) Berliner Zeitung vom 19.2.2002 und vom 5.10.2002.
(11) Zur Bankgesellschaft u.a. nach Handelsblatt vom 6.7.2002. Der Berliner „Tagesspiegel“ hatte
Anfang 2002 berichtet: „Auch der neue Wirtschaftssenator Gregor Gysi genoss die Garantien und
Vorzüge eines der umstrittenen Immobilienfonds der Bankgesellschaft Berlin. ... Gysi bestätigte
dies auf Anfrage ... ´Es gibt doch einen Unterschied, ob man solche Fonds anlegt oder ob man sie
zeichnet´, so Gysi gegenüber dem Tagesspiegel. Gysi sagte weiter, er habe die Bank angewiesen,
seinen Fonds-Anteil zurückzugeben.“ (Tagesspiegel 23.1.2002).
(12) ND vom 8.2.2003.
(13) Interview in der Zeitung „Volksstimme“ vom 12.2.2003.
(14) FAZ vom 15.7.2000.
(15) Sie traf nur „überwiegend“ zu, weil es bereits in dieser Zeit und während des Krieges
Zweideutigkeiten gab. So entzog der Fraktionsvorstand im April 1999 dem Projekt „Zeitung gegen
den Krieg“ nach der dritten Ausgabe (bei der eine vertriebene Auflage von 420.000 Ex. erreicht
worden war), alle Geldmittel der PDS-Fraktion. Das hätte unter normalen Umständen bedeutet,
dass das Blatt (während des Krieges!) hätte eingestellt werden müssen. Als Begründung wurde
angeführt, dass im Fraktions-Etat keine Finanzmittel für ein solches Zeitungsprojekt mehr
vorhanden seien. Am Jahresende 1999 wurde festgestellt, dass ein großer Finanzposten für
Publikationen nicht ausgeschöpft wurde. Der tatsächliche Grund für die Streichung der Gelder war
die massive Kritik der SPD und vor allem Angriffe von Struck an die Adresse der PDS in einer
Plenardebatte im Bundestag, wonach diese „mit Steuergeldern“ eine solche Zeitung finanzieren
würde. Die „Zeitung gegen den Krieg“ wurde dann ab Nummer 4 gegen den Willen des
Fraktionsvorstands, aber meist unterstützt von rund einem Dutzend PDS-MdBs, weiter
herausgegeben – getragen überwiegend von meinem MdB-Büro und von Tobias Pflüger und der
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., Tübingen.
(16) In Münster wurden Kampfeinsätze nach Kapitel VII der UN-Charta grundsätzlich abgelehnt, weil
sie aufgrund der Zusammensetzung des Sicherheitsrats und nach allen bisherigen Erfahrungen
letzten Endes imperialistische Kriege sein würden. Im neuen (Chemnitzer Programm) heißt es
dazu: „Der PDS geht es um die strikte Einhaltung und Durchsetzung des Völkerrechts, wie es in
der Charta der Vereinten Nationen verankert ist ... Der Weltsicherheitsrat darf das allein ihm durch
die Charta übertragene Recht, auch militärische Mittel, wenn alle zivilen ausgeschöpft sind, zur
Abwendung der Gefährdung des Weltfriedens einzusetzen, nicht unter dem Druck und im Interesse
der Großmächte missbrauchen.“ (PDS-Programm, Berlin 2003, S.26f.). Da die bisherige
Parteitags-Position „Ablehnung von UN-Kampfeinsätzen“ fehlt und da im neuen PDS-Programm
positiv auf die UN-Satzung Bezug genommen wird, stellt dies zumindest auf indirekte Art und
20
Weise eine Rückgängigmachung des Münsteraner Beschlusses und die Öffnung des Programms für
ein fallweises Ja zu Kriegen dar. Immerhin werden derzeit Kriege entweder durch den
Sicherheitsrat abgedeckt (Irak 1991; Afghanistan 2001) oder es handelt sich um Kriege, die
einseitig unter offenem Bruch des Völkerrechts begangen werden, die dann jedoch im Nachhinein
vom UN-Sicherheitsrat sanktioniert werden (Krieg gegen Jugoslawien 1999; Irak 2003/2004).
(17) Gabi Zimmer erklärte, sie sei über „die Aktion (im Plenarsaal) verärgert“; Petra Pau sah darin „eine
Brüskierung des Präsidenten“ ; im übrigen gebe es „fundamentale Differenzen mit diesen (drei)
Abgeordneten“. Nach: Süddeutsche Zeitung 25.2.2002 (Zimmer); Spiegel Online und AFP vom
23.5.2002 (Pau). G.Gysi sagte, die Aktion sei „nicht in Ordnung“ gewesen (Berliner Zeitung vom
27.5.2002). W. Gehrcke erklärte, die Aktion sei „hinter dem Rücken der Fraktion“ erfolgt (TVARD
21.5.02). D. Dehm sprach von einer „Dreier-Inszenierung“ (PDS-Forum 28.5.2002 (16.30h).
Roland Claus meinte noch Monate nach dem Plenarsaal-Protest: „Eine solche Aktion ist ein
Signal, das da heißt: Die machen sich selbst zum Maßstab der Gesellschaft.“ (Aus Standard-
Briefen/E-Mails von R. Claus während des Bundestagswahlkampfs an Menschen, die sich mit der
Protestaktion solidarisiert hatten).
(18) Der Titel der erstgenannten Zeitung „Pro“ (= großgeschrieben) und „Europa“ als Balken darüber
ähnelt fatal der Bezeichnung der damals in Hamburg vertretenen Schill-Partei (PRO). In ihr findet
sich ein Gysi-Leitartikel, in dem R. Prodi attestiert wird, er habe in seinem „Leben schon viele
wunder vollbracht ... Schade, dass nicht Sie, sondern Frau Breuel mit der Leitung der
Treuhandanstalt beauftragt worden war.“ (dort S.2).
(19) Nach: http://sozialisten.de/wahlen2004/wahlprogramm/themen/index.htm (abgerufen am
19.5.2004).
(20) Nach: Pressedienst PDS Nr. 25 vom 20.6.2003. Zwei Ausgaben zuvor enthält der Pressedienst der
PDS (Nr. 23 vom 6.6.2003) eine offensichtlich ungekürzte Rede, die S.-Y. Kaufmann am 31. Mai
auf der Plenartagung des Europakonvents wiedergibt. In ihr findet sich kein Wort der Kritik an der
Militarisierungsverpflichtung. Die Überschrift lautet: „Zum Verfassungsentwurf: Gründliche
Überarbeitung nötig.“ Inhaltlich kritisiert werden v.a. die „einfach scheußliche Vertragssprache“.
(21) ND vom 26.9.2003.
(22) Konzeption für den Europawahlkampf der PDS, in: Pressedienst PDS Nr. 46 vom 14.11.2003.
(23) junge Welt vom 8.5.2004.
(24) Nach: junge Welt vom 18.5.2004.
(25) „´Leute, die die eigenen Genossen schlecht machen ... sollten die Konsequenzen ziehen´, sagte
Bisky dem ´Hamburger Abendblatt´. Namentlich nannte er Michael Benjamin, Sahra Wagenknecht
und Winfried Wolf.“ ND vom 26.4.2000. Ein halbes Jahr später, nach dem Cottbusser Parteitag,
auf dem die Parteivorsitzende Zimmer ihre Liebe zu Deutschland kund getan und ich diese wegen
„Deutschtünelei“ angegriffen hatte, erklärte „mein“ Fraktionsvorsitzender R. Claus öffentlich:
„Wolf hat den Rubikon überschritten. Ich sage nur tschüss.“ (Spiegel 44/2000).
(26) Die Parteiführung griff immer wieder in typisch stalinistischer und SED-Tradition zum Begriff
„Trotzkismus“, um eine konsequente linke Politik in der PDS abzuqualifizieren. Nach meiner
Beobachtung funktionieren die entsprechenden antrainierten Reflexe weiterhin. Nach
Veröffentlichung des alternativen Programmentwurfs 2 wurde der Bundesgeschäftsführer im
„Spiegel“ gefragt: „Haben Sie den Gegenentwurf von Wolf gelesen?“ Antwort Bartsch: „Ich bin
kein solcher Anhänger des Trotzkismus, dass ich das selbst lesen muss. Ich kenne die
Vorstellungen der Autoren.“ (Spiegel 20/2001).
(27) Eine Austrittserklärung vom Oktober 2000 von sechs PDS-Genossinnen und Genossen aus
Schleswig-Holstein (darunter der jW-Journalist Wolfgang Pomrehn) liest sich über weite Strecken
ähnlich wie die hier vorliegende, dreieinhalb Jahre später abgefasste. Das heißt, alle von mir
genannten Themen, die einen Austritt aus sozialistischer Sicht rechtfertigten, zeichneten sich
bereits damals ab. Ausdrücklich wurde damals als ein Austrittsgrund das Fehlen einer organisierten
Linken genannt: „Wir hatten bislang die Hoffnung, dass sich in den Partei-internen
Auseinandersetzungen zumindest die Sozialistinnen und Sozialisten zu einer handlungsfähigen
Strömung formieren würden ... Die Gründe dafür, dass dies offensichtlich nicht möglich ist, sind
vielfältig und u.a. in der Diskurs-feindlichen Kultur der PDS zu suchen. ... Zu den Gummiwänden,
gegen die wir in der PDS immer wieder haben anrennen müssen, gehört ein unsäglicher
Parteifetischismus...“ (Erklärung von Horst G., Marko K., Axel L., Jörg M., Christoph Sch. und
Wolfgang P. vom Oktober 2000).
Es wäre noch eine genauere Untersuchung wert, welche Rolle dabei die Hamburger Liste Links,
die längere Zeit den offiziellen Hamburger Landesverband repräsentierte, spielte. Nach außen
usurpierte diese Truppe ab dem Münsteraner Parteitag den Titel „West-Linke“, die Medien stürzten
sich bereitwillig auf dieselbe und ihre infantilen Clownereien. Das konkrete Agieren dieser Leute
arbeitete jedoch unzweideutig dem Parteivorstand in die Hände. Diese Leute traten 2000/2001 als
Ultralinke auf, die mit der offiziellen PDS nichts am Hut zu haben schienen – und diskreditierten
21
damit die tatsächlichen Ansätze für einen Formierungsprozess einer konsequenten Linken. Ab
Mitte 2003, als die offizielle PDS erneut nach rechts und auf „Reformer“-Kurs gebracht worden
war, vertrat diese pseudomarxistische Klosterschule eine Linie der Aussöhnung mit dem
Parteivorstand bzw. der Verteidigung der „PDS als Ganzes“.
(28) Das Versagen der PDS-Linken bzw. die innerparteiliche Kapitulation von Leuten, die sich in der
PDS-Linken engagierten, lässt sich auf Ebene meines baden-württembergischen Landesverbands
konkretisieren. Seit Mitte 2003 deutlich wurde, dass sich die alte Apparatfraktion der Reformer
durchsetzt und definitiv seit dem Parteitag in Chemnitz wirkt das „Landesinfo“ dieses
Landesverbands wie eine Hofpostille der Reformer. Nach dem Chemnitzer Parteitag verabschiedete
der Landesvorstand bei einer Gegenstimme (des inzwischen ebenfalls ausgetretenen
Landesvorstandsmitglieds Nick W.) eine Ergebenheitsadresse an den Parteivorstand, in der es
heißt: „Zu allen zentralen Gesellschaftsthemen formuliert das Programm sozialistische Positionen,
auf die wir uns beziehen können ... Im Landesvorstand sind wir trotz Differenzen zu
Einzelformulierungen der Ansicht, dass unser antikapitalistischer Grundanspruch und die
vielseitige Arbeit unserer Mitglieder im Land durch das neue Programm unterstützt wird..“
(Erklärung vom 14.11.2003; in: Landesinfo vom Dezember 2003). Dabei muss bedacht werden,
dass mehrere Mitglieder des Landesvorstands sich zum „Geraer Dialog“ bekannten. Es ist diese
kriecherische Art, dieses Verleugnen von politischen Positionen und das Verbiegen von
Charakteren, die zur SED-Unkultur zählten. Diese Untugenden spielen in der gegenwärtigen PDS
zunehmend eine Rolle.
(29) Karl Marx, Der Achtzehnte Brumaire des Lous Bonaparte, MEW Band 8, S. 196.