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letzte Änderung: 14/07/04 01:07

Antimilitarismus

Kriegsbereit in fünf Tagen

14.07.2004, 01:07, Winfried Wolf

Der Verfassungsentwurf der Europäischen Union wurde klammheimlich nachgerüstet


Kriegsbereit in fünf Tagen

Der Verfassungsentwurf der Europäischen Union wurde klammheimlich nachgerüstet

Auf dem vergangenen EU-Gipfel in Brüssel am 17. und 18. Juni stand die Forderung zur Debatte, in die Präambel der neuen EU-Verfassung einen Bezug auf Gott aufzunehmen. Dieser Forderung wurde nicht nachgekommen. Der Heilige Stuhl, selbst noch in keine EU-Erweiterung einbezogen, drückte dazu sein tiefes Bedauern aus. Die Medien berichteten über die Gott-rein-Gott-raus-Debatte. Nirgendwo fand sich jedoch ein Bericht darüber, welchen Göttern in dieser Verfassung tatsächlich gehuldigt wird: dem Gott des Kriegs, den Götzen der Rüstung, den Dämonen des militärisch-industriellen Komplexes. Es gab auch bis heute keinen Bericht in einem relevanten Medium und keine Presseerklärung einer Partei, die im EU-Parlament vertreten ist, mit denen enthüllt worden wäre, wie beim EU-Verfassungsentwurf klammheimlich und im Wortsinne nachgerüstet wurde.

Beispiel 1 – Verpflichtung zum militärischen Gegenschlag für alle EU-Staaten: Bisher stand im Verfassungsentwurf, Artikel I-40, Absatz 7, es sei eine »engere Zusammenarbeit im Bereich der gegenseitigen Verteidigung« vorgesehen. Im abgeänderten Text steht nun: »Im Fall eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates müssen die anderen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung leisten.« Der Verweis auf die UN-Charta ist pure Demagogie. Dort wird das Recht auf militärische Gegenwehr festgehalten. Der neue Text verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten jedoch zu militärischer Gegenwehr und dazu, »alle in ihrer Macht stehende ... Unterstützung« zu leisten. Was immer das etwa bei den bisher zwei Atomwaffenstaaten in der EU heißen mag.

Beispiel 2 – Das militärische Kerneuropa wird im Detail geregelt: Auf dem Gipfel wurde ein »Protokoll über die ständig strukturierte Zusammenarbeit« beschlossen und als ergänzender Teil der EU-Verfassung eingefügt. Das Protokoll bezieht sich auf den Aufbau des militärischen »Kerneuropa«. Dabei handelt es sich um jene Gruppen von EU-Staaten, die laut Verfassungsentwurf »anspruchsvollere Kriterien in bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf die Missionen (gemeint: militärische Einsätze) mit höchsten Anforderungen untereinander feste Verpflichtungen eingegangen sind« (Artikel I-40, 6). Im Klartext: Da das eine oder andere EU-Land (wie Österreich oder Irland) in der nationalen Verfassung noch auf Neutralität verpflichtet ist bzw. da in dem einen oder anderen EU-Land (z.B. Schweden) die Bevölkerung einen EU-Krieg nicht mitmachen würde, wird es laut Verfassungsentwurf eine Staatengruppe mit »ständig strukturierter (militärischer) Zusammenarbeit (SSZ)« geben.

Das war bereits im »alten« Entwurf vorgesehen. Nun regelt das ergänzende Protokoll dieses militärische Vorpreschen im Detail. So, wenn es dort heißt: »An der ständig strukturierten Zusammenarbeit ... kann jeder Mitgliedstaat teilnehmen, der sich ... verpflichtet ..., spätestens 2007 über die Fähigkeit zu verfügen ... bewaffnete Einheiten bereitzustellen, die ... taktisch als Kampfgruppen konzipiert ... und fähig sind, innerhalb von fünf bis 30 Tagen Missionen ... aufzunehmen.« Damit wird die »Fähigkeit« gefordert, binnen fünf Tagen einen Krieg vom Zaun zu brechen.

Beispiel 3 – Parlaments- und Verfassungsvorbehalte gegen Angriffskriege werden ausgehebelt. Im Protokoll heißt es, die an der »SSZ teilnehmenden Mitgliedstaaten verpflichten sich ... gegebenenfalls ihre nationalen Beschlußfassungsverfahren zu überprüfen«. Damit ist gemeint, daß ein Verfassungsverbot von Angriffskriegen oder ein Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen den zitierten hehren Zielen, etwa kriegsbereit in fünf Tagen zu sein, im Weg steht und daher »überprüft«, spricht beseitigt werden muß. Das zielt nicht zuletzt auf das Grundgesetz, das Bundes-wehreinsätze nur zu Verteidigungszwecken kennt, und auf die bisherige Festlegung, wonach Auslandseinsätze im Bundestag beschlossen werden müssen.

Insgesamt, so Tobias Pflüger, Europaparlamentarier der PDS, geht es darum, »das militärische Kerneuropa zu institutionalisieren und detailliert zu regeln«. Die Friedenswerkstatt Linz, Österreich, die ausführlich zu dem Thema berichtete, stellt fest: »Wir müssen davon ausgehen, daß die SSZ – das militärische Kerneuropa – zum eigentlichen Machtzentrum der EU wird. Mit der SSZ schält sich eine Struktur heraus, die den Führungsanspruch des Militärisch-Industriellen Komplexes in den Verfassungsrang erhebt.«

* Nähere Informationen über: www.friwe.at

(Siehe auch Thema: Kein Europa der Bürger)


Winfried Wolf