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Kapitalismus à la Zinn und Keynes: natürliche Arbeitswilligkeit bis ins hohe Alter

16.07.2004, 23:15, stw

Soziales | Konstanz | Kapitalismus | Keynes | Neoliberalismus | attac | Weltladen | AStA | Vortrag | Universität

Karl Georg Zinn, Wirtschaftsprof der RWTH Aachen, hielt gestern an der Uni Konstanz seinen Vortrag 'Wie Reichtum Armut schafft' im Rahmen der von attac, dem AStA und dem Weltladen organisierten Veranstaltungsreihe 'Spielregeln'.



Im Publikum sassen etwa 60 VWL-Studis, SPD-ler und ein paar Linke. Sie hörten sich eine Stunde lang eine Einführungsveranstaltung in keynesianische Wirtschaftspolitik (inklusive deficit spending, antizyklische Ausgabenpolitik, Nachfrageorientierung, etc.) an, die von der neoliberalen Wirtschaftspoltik abgegrenzt und als sozialer charakterisiert wurde. Der Leitgedanke des Vortrags bestand in dem Argument, dass im Zweifel eine Wirtschaftspolitik vorzuziehen sei, die sich auf die ökonomische Theorie mit der besseren Prognosefähigkeit beruft. Und dies ist für Zinn die von Keynes und Fourastié begründete Stagnationstheorie. Einen empirischen Beleg dafür sieht Zinn z.B. in dem schwedischen Wohlfahrtsstaat, der eine um ein paar Prozentpunkte geringe Arbeitslosenquote vorweise als Deutschland und in dem insgesamt eine solidarischere Kultur durch alle Einkommensschichten hindurch vorherrsche.

Neoliberalismus kommt bei Zinn vor allem als eine politische Wirtschaftsideologie daher, die sich über Think-tanks und ihren Einfluss auf die Medien zur herrschenden Ideologie gemausert habe, selbst wenn andere makroökonomische Theorien offensichtlich die Realität besser beschreiben könnten. Angesichts von soviel Politik und Ideologie tritt der grundlegendere Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit in der Analyse von Zinn stark in den Hintergrund.

Am konkreten Beispiel sprach sich Zinn u.a. scharf gegen die derzeitigen Massnahmen zur Arbeitszeitverlängerung aus (siehe den aktuellen Arbeitskampf bei Siemens). Eine derartige Politik sei für die gesamte Volkswirtschaft der reine Wahnsinn. Arbeitszeitverlängerung würde direkt zu mehr Arbeitslosigkeit und damit zu Massenkaufkraftverlust führen. Zinn's Gegenvorschlag: (Wochen-)Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, solange bis Vollbeschäftigung erreicht ist. Im Gegenzug wäre es sogar möglich die Lebensarbeitszeit z.B. bis zum 67. Lebensjahr zu verlängern - schliesslich sei der Mensch ja von Natur aus arbeitswillig und durch die geringere Arbeitsbelastung dann auch länger arbeitsfähig.

Mal abgesehen von dem Unding, von einer natürlichen (Lohn-)Arbeitswilligkeit zu schwadronieren: Dass Arbeitszeitverlängerung zu mehr Arbeitslosigkeit führt ist wohl richtig. Falsch ist aber, dass dies aus Unternehmer- und Staatssicht irrational sei. Im Gegenteil. Wer sich unentgeltliche Mehrarbeit aneignen kann – sei es im öffentlichen Dienst die 41 oder 42 Stunden Woche oder im Fall von Siemens die 40 Stunden Woche (5 Stunden pro Woche mehr als bislang, bei 4000 Beschäftigten) - kann sich zunächst einmal bereichern. Aus staatlicher Sicht rechnet sich das allerdings nur, wenn parallel dazu die Sozialausgaben zurückgefahren werden oder durch empfindliche Sanktionen Arbeitslose wieder in Billiglohnverhältnisse gepresst werden. Und genau das geschieht derzeit in Deutschland auf breiter Front. Jüngstes Beispiel sind die sog. Hartz IV -Gesetze, mit denen u.a. das Arbeitslosengeld ab 1.1.05 auf Sozialhilfeniveau gesenkt wird und praktisch jede Arbeit (auch unentgeltliche) als zumutbar gilt. (ausführlich: http://www.free.de/Zope/linksrhein/Features/1088766287/index_html)

Vollbeschäftigung in Form von prekärer Teilzeitarbeit, Zwangsarbeit zu geringsten Löhnen - passt das nicht auch gut zur keynesianischen Wirtschaftstheorie? Das Problem mit Zinn ist, dass er den Neoliberalismus kritisiert aber nicht den Kapitalismus an sich. Bei ihm scheint der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit auf eine akademische Frage nach der besseren Wirtschaftstheorie reduziert zu sein. Es geht ihm nicht um das Ende der Ausbeutung, sondern um die besser regulierte, gleichmässiger verteilte, nachhaltigere und weniger krisenanfällige Ausbeutung.

Das kann nicht unsere Perspektive sein. Zinn sollte von einer antikapitalistischen Linken nicht mehr als Referent geladen werden. Auch wenn er noch so schön mit professoralen Weihen gegen die Ideologie des Neoliberalismus anspricht – seine Alternative ist lediglich ein Kapitalismus à la Keynes.

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