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letzte Änderung: 17/07/04 16:42

Soziales

Die Berliner Regierung stürzen

17.07.2004, 16:42, Michael Hammerbacher

Der politische Druck auf den Berliner PDS/SPD-Senat steigt. Das Anfang Juni gestartete Volksbegehren wird von einem Sozialbündnis und den Gewerkschaften GdP und GEW getragen. Die Initiatoren drohen für den Fall, dass sich der Senat ihren Forderungen verweigert, mit einem Volksentscheid für vorgezogene Neuwahlen. Bisher wurden nach GdP-Angaben 15 000 Unterschriften gesammelt. 50 000 sind für die erste Stufe bis Dezember erforderlich. Inzwischen beteiligt sich auch der PDS-Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf an der Kampagne. Nähere Infos unter www.volksbegehren-soziales-berlin.de


Argumente für das Volkbegehren „Soziales Berlin“

von Michael Hammerbacher

Auf der Veranstaltung am 12. Mai in der HU haben wir beschlossen das Volksbegehren zur Auflösung des Abgeordnetenhauses und für Neuwahlen einzuleiten. Ich möchte nun – fast drei Wochen später - zu Beginn einige zentrale Argumente für das Volksbegehren benennen und den Stand der politischen Gespräche und Debatte zusammenfassen.

Politische Stossrichtung des Volksbegehrens Soziales Berlin

Gleich zu Beginn: Wenn es uns gelingt einen Senat aufgrund seiner unsozialen Politik aus dem Amt zu jagen, ist dies ein deutliches Signal auch an die Bundespolitik und stützt die außerparlamentarische Bewegung gegen die Agenda 2010 und Sozialabbau in der Bundesrepublik. Das Volksbegehren „Soziales Berlin“ ist damit Teil der Bewegung gegen neoliberale Kürzungs- und Privatisierungspolitik.

Ich ärgere mich besonders über manche linke KritikerInnen am Volksbegehren die den rot-roten-Senat verteidigen bzw. deren Abwahl ablehnen. Dabei muss man sich die Ausgangslage in Berlin vor Augen halten. Wir leben in einer Stadt, in der jeder 6. unter der Armutsgrenze von 600 € im Monat leben muss, dies sind nach dem neuen Sozialstrukturatlas Berlins über 530 000 Menschen. Diese Zahl wird noch mal um mind. 50 000 Menschen steigen, wenn das ALG II im kommenden Jahr greift. Über 300 000 Menschen sind in Berlin erwerbslos gemeldet (ca. 17%) und mehr als 250 000 beziehen Sozialhilfe.

Vier weitere Zahlen zum Hintergund der Berliner Situation möchte ich noch nennen:
Berlin erhielt 1991 noch 20 Mrd. D- Mark „Berlin-Hilfe“ vom Bund - mitte der neunziger Jahre waren es nur noch 11 Mrd. DM.
Von 1996 an sanken die staatlichen Ausgaben in Berlin um 6% - während in anderen Bundesländern diese um 8% stiegen.
Schon zwischen 1996 und 2000 wurden 35000 Vollzeitstellen im Landesdienst abgebaut.
Die Sachinvestitionen für Bauen und Ausrüstung - also in die Infrastruktur der Stadt - betrugen 2002 noch ein Drittel, jener, die 1995 getätigt wurden.
(zitiert nach: Michael Heine, 2004)

In dieser Lage kürzt der Berliner Senat mit dem Doppelhaushalt 2004/2005 u. a.
bei Sozialhilfeempfängern mit der Streichung des Sozialtickets;
beim Telebus und beim Blindengeld bei den Behinderten;
zerschlägt die jahrzehntelang gewachsene Struktur der sozialen Projekte in der Stadt, die für viele der letzte Anlaufpunkt sind;
und – dies ist für viele im gewerkschaftlichen Bereich der größte Kritikpunkt - macht sich zum Vorreiter für Stellenabbau, Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerung im öffentlichen Dienst. Skandalös ist, das ein SPD/PDS-geführter Senat als erstes Bundesland den kommunalen Arbeitgeberverband verlassen hat und damit als Vorreiter für andere Bundesländer für soziale Verschlechterungen gilt. Wir fordern den Senat in unseren Forderungen auf, wieder in diesen Verbund einzutreten.
In dem Entwurf für den Doppelhaushalt 2006/2007 sind weitere 500 Mio. Euro Kürzungen eingestellt. Kein Berliner Senat zuvor hat so eine unsoziale Politik zu verantworten.

Mit unseren fünf Forderungen und dem „Ultimatum“ für eine grundlegende Veränderung der Senatspolitik haben wir eine gute Grundlage für ein überlegtes und ein in der Öffentlichkeit vermittelbares Vorgehen. Zur Zeit wirkt dieses Ultimatum zugegebener Maßen noch etwas zahnlos – aber mit jeder Unterschrift gewinnt es an Kraft und der politische Druck auf den Senat wird bis zum Oktober wesentlich ansteigen.

Der Berliner Senat verfolgt die Strategie, in den kommenden Wochen über die Sommerpause sämtliche kontroverse Themen vom Tisch zu bekommen:
die Wohnungsbaugesellschaft GSW soll verkauft werden (vorbehaltlich des Beschlusses im AH am 18. 6. 04)
bei Vivantes liegt ein für die Beschäftigten - mit ver.di vereinbartes – unmögliches Angebot vor, mit dem Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld und dem Abbau von 1700 Stellen.
das Thema BVG - auch hier drohen Lohnkürzungen, Stellenabbau und Verschlechterung des Angebots für die Nutzer - soll in der Sommerpause vom Tisch.
Das sind nur einige Beispiele für bestehende und kommende zentrale politische Auseinandersetzungen in der Stadt. Mit dem Volksbegehren geben wir den Betroffenen ein – außerparlamentarisches - politisches Druckmittel in die Hand sich effektiv zu wehren. Das Volksbegehren ist Teil der außerparlamentarischen Bewegung gegen Sozialabbau, Kürzungen und Privatisierung in Berlin.

Antworten auf Fragen und zur Kritik am „Volksbegehren Soziales Berlin“

Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, die uns unsere Kritiker und auch Bürger an den Ständen fragen bwz. entgegenhalten:

Das Argument des kleineren Übels: Was kommt denn bei den Neuwahlen heraus – bringen wir nicht die CDU an die Macht und dann wird alles noch schlimmer in der Stadt?

Die Gegenthese ist, das wenn ein Senat aufgrund seiner unsozialen Politik fällt, dann wird der nächste Senat eine solche Politik nicht fortsetzen können. Er wird darauf Rücksicht nehmen müssen, das die Neuwahlen von einer außerparlamentarischen Bewegung erzwungen wurden.

Die These der KritikerInnen ist auch deswegen nicht haltbar, da die Senatsparteien in Umfragen zur Zeit bei ca. 32% liegen. Die Zustimmung in der Berliner Bevölkerung zur Politik der SPD/ PDS Koalition liegt bei 7 (!) %. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Dies bedeutet, das die Berliner Linke vor folgender Situation steht: Das Ende des SPD/ PDS-Senats bei einer regulären Abgeordnetenhauswahl 2006 ohne eine außerparlamentarische Mobilisierung gegen Kürzungs- und Privatisierungspolitik - oder eine Neuwahl und Regierungsbildung unter dem Eindruck eines erfolgreichen Volksbegehrens mit dem Focus auf den Widerstand gegen Kürzungen im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich, gegen die Privatisierung öffentlicher Betriebe und der Sicherung öffentlicher Dienstleistungen für die Bürger Berlins.

Die dritte Antwort auf die SkeptikerInnen, ist der paralelle Aufbau des Wahlbündnisses. Mit einer Berliner Wahlalternative, die ihren Fokus im Widerstand gegen die Sozial- und Privatisierungspolitik in Berlin und im Bund, verleihen wir denjenigen wieder eine Stimme im Parlament, die jetzt keinen Ansprechpartner bei den neoliberalen Blockparteien von PDS bis CDU haben.

Das Argument der mangelnden Programmatik: Euch fehlen die Alternativen zur Senatspolitik

Der stadtpolitische Kongress wird den inhaltlichen Stand der Bewegung dokumentieren – und der ist gar nicht so schlecht, wie er von Einigen gemacht wird.

Der Forderungskatalog des Berliner Sozialbündnisses zur Kampagne gegen den Doppelhaushalt ist hier eine gute Ausgangsbasis:
die Ideen für einen öffentlichen Beschäftigungssektor in Berlin;
die Ideen für ein Zins- bzw. Schuldenmoratorium;
die Idee, für einen Fond für die Finanzierung sozialen Projekte;
und die Rücknahme der Risikoabschirmung für die Fondzeichner bei der Bankgesellschaft.
Diese zeigen die Richtung an, die wir für richtig halten. Klar ist aber auch, ohne Veränderungen und Hilfe auf Bundesebene kann Berlin nicht entschuldet werden und die Krise lösen.

Wir werden in den kommenden Wochen zur vier Themenbereichen fundierte Positionspapiere erarbeiten: Öffentliche Finanzen, Privatisierung, Bildungspolitik, soziale Projekte. Dadurch werden unsere Alternativen in der Öffentlichkeit nach der Sommerpause noch deutlicher.

Bericht von den Gesprächen mit der GdP Berlin und der GEW Berlin und deren Ergebnisse

Die GEW wird morgen auf ihrer Delegiertentagung über die Teilnahme am Volksbegehren entscheiden. Wenn die Entscheidung positiv ausfällt, was wir erwarten, wird die GEW und ihre Vorsitzenden sich an einer gemeinsamen Arbeitsstruktur für das Volksbegehren beteiligen. (Nachtrag: Die GEW hat auf ihren Delegiertentag dem Volksbegehren mit ca. 80 % Delegiertenstimmen zugestimmt)

Mit der GdP liegt folgende Vereinbarung vor:
1. Die GdP Berlin, die Initiative Volksbegehren Soziales Berlin die GEW Berlin führen zusammen ein Volksbegehren zur Auflösung des Abgeordnetenhauses und für Neuwahlen durch. Zur Durchführung der Unterschriftensammlung und Kampagne bilden sie eine gemeinsamen Arbeitsstruktur. Die Unterschriften werden mit dem Bogen der GdP gemeinsam gesammelt.

2. Es werden fünf Vertrauensleute benannt, die gemeinsam die Unterschriften bei der Senatsverwaltung für Inneres einreichen (2 von der GdP Berlin, 2 von der Initiative Volksbegehren Soziales Berlin und 1 von der GEW).

3. Erste gemeinsame Aktivitäten sind:
- am 4.6.04 der öffentliche Auftakt am Alexanderplatz
- am 10.6.04 eine gemeinsame Pressekonferenz
- am 21.6.04 um 18 Uhr ein „Unterstützertreffen“.

4. Gemeinsam kritisieren alle Beteiligten die unsoziale Kürzungs- und Privatisierungspolitik des Berliner Senats in allen gesellschaftlichen Bereichen. Sollte der Senat seine Politik in den kommenden Monaten nicht grundlegend ändern, werden die Unterschriften beim Landeswahlleiter eingereicht.

Ich denke, mit unseren geplanten Aktivitäten in den kommenden Tagen bei Vivantes, dem öffentlichen Auftakt am 4.6. am Alex, unserem Auftreten beim stadtpolitischen Kongress und der Wahlalternative und der geplanten Aktion in den GSW Häusern – aber auch mit den verbindlichen Bündnisabsprachen mit den Kollegen der GEW und GdP, sind wir auf dem richtigen Weg das Volksbegehren zu einem Fokus derjenigen zu machen, die sich gegen Kürzungen und Privatisierungen – nicht nur in der Stadt – wehren.