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letzte Änderung: 06/08/04 15:07

Soziales

Wie die rote Daggi von Hartz IV profitiert

06.08.2004, 14:09, Spiegel

Sechs Wochen vor den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen stürmt die PDS in den Meinungsumfragen nach oben. Mit dem Kampfschrei "Hartz IV muss weg" treibt sie CDU und SPD vor sich her



PDS

Wie die rote Daggi von Hartz IV profitiert

Von Carsten Volkery

Sechs Wochen vor den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen stürmt die PDS in den Meinungsumfragen nach oben. Mit dem Kampfschrei "Hartz IV muss weg" treibt sie CDU und SPD vor sich her.Das erste Plakat hängt bereits am S-Bahnhof. Ein weiteres ist geschickt platziert an der Ausfahrt des Netto-Marktes in Schildow. "Hartz IV, das ist Armut per Gesetz. Weg damit. PDS", steht darauf.

In Brandenburg ist Landtagswahlkampf, und die Sozialisten surfen auf der Welle des Volkszorns. "Hartz IV ist das Thema bei den Menschen", sagt Dagmar Enkelmann. Die blonde Spitzenkandidatin der PDS ist in den vergangenen Wochen über die Wiesen Brandenburgs gewandert und hat "Sprechstunden unter freiem Himmel" abgehalten. Was ihr die Bürger klagten, war stets das Gleiche: Ärger, Empörung, Wut über das jüngste Reformwerk aus Berlin.

Der PDS kommt die Aufregung sehr gelegen, hat sie sich doch von Anfang an als konsequente Gegnerin der Neuerungen profiliert. Hartz wirkt wie eine Dosis "Doppelherz" auf die Rentnerpartei. Vor zwei Jahren war die PDS bereits endgültig abgeschrieben worden, als sie den Einzug in den Bundestag verpasste. Plötzlich ist wieder Energie drin, und zwei populäre Ministerpräsidenten sorgen sich vor der Protest-Partei, die auf einmal im Namen des Volkes reden kann.

In Sachsen, wo am 19. September auch gewählt wird, sind die Umfragewerte des CDU-Ministerpräsidenten Georg Milbradt zweistellig eingebrochen. Im schwarzrot regierten Brandenburg könnte die PDS laut Meinungsforschern sogar stärkste Kraft werden. Eine Wiederholung des Europawahlergebnisses von 30 Prozent scheint möglich.

Für Enkelmann, die 1990 von Journalisten zur "Miss Bundestag" gekürt wurde, eröffnet das neue Perspektiven. Sie kann plötzlich mit dem Posten Ministerpräsidentin liebäugeln - noch vor wenigen Wochen undenkbar. SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness glaubt bis heute nicht daran. Anfang der Woche schnaubte er: "Es gibt in Brandenburg nur ein Duell, und das heißt Schönbohm gegen Platzeck". Darüber lächelt Enkelmann fein und sagt: "Ich werde nicht nur dabeistehen und die Gewehre laden."
Sie ist an diesem Dienstagabend nach Schildow nördlich von Berlin gekommen, um ihr Wahlkampfbuch "Mein Brandenburg" vorzustellen. Ihr rotes Sommerkleid ist der einzige Farbtupfer im Bürgersaal. Das Publikum bevorzugt Beigetöne und hat graue Haare - viel geändert hat sich bei der Partei nicht.

Enkelmann gilt als eins der frischen Gesichter, hat aber jahrelange Erfahrung. Sie saß von 1990 bis 1998 im Bundestag, seit 1999 vertritt sie den Kreis Barnim im Potsdamer Landtag. Auf dem Landesparteitag wurde sie mit 98 Prozent der Stimmen zur Spitzenkandidatin gewählt - was auch wieder an die alten Zeiten erinnert.

Die dreifache Mutter hat sich etwas Mädchenhaftes bewahrt. Gregor Gysi nennt sie Daggi, wenn er was von ihr will, verrät sie in ihrem Buch, "oft mit einem zuckersüßen Unterton". Ein weiterer Freund ist der amtierende SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck, gegen den sie nun antritt. Sie haben schon zu Volkskammerzeiten gemeinsam Umweltpolitik gemacht. Seit Hartz ist sie jedoch enttäuscht von ihm.

Enkelmann behauptet, sie bezweifele, dass die PDS dank Hartz wirklich Stimmen gewinnen werde. Sie glaube vielmehr, dass viele gar nicht wählen gingen. Doch andere in ihrer Partei sind da nicht so zögerlich. "Liebe SPD: Vielen Dank für Hartz IV!" heißt es im PDS-Blättchen "Linker Bote" aus Potsdam.

Hartz ist ein Thema, das nicht nur die Betroffenen mobilisiert. Beim Bäcker im Netto steht der 68-jährige Dieter und trinkt Kaffee. "Ne Sauerei is dit", sagt der Rentner. "Mich betrifft es ja nicht, aber meinem Kumpel nehmen sie 50 Euro weg."

Die PDS-Kreisverbände nutzen die Steilvorlage der SPD und schüren den Volkszorn nach Kräften. Sie bieten Hilfe beim Ausfüllen der Bewerbungsbögen und verteilen Postkarten, auf denen steht: "Von 331 Euro kann man nicht leben" - darüber ein Bild von Gerhard Schröder mit dicker Zigarre und VW Phaeton. Die Kampagne bezieht sich auf den künftigen Mindestregelsatz im Osten, verschweigt aber, dass die Summe mit Wohngeld deutlich höher liegt.

"Populismus" schreien denn auch CDU und SPD in Sachsen und Brandenburg - doch längst sind sie ebenfalls auf Anti-Hartz-Kurs umgeschwenkt. Milbradt fordert die Verschiebung der großen Reform um mindestens ein Jahr.In dieselbe Richtung stößt Enkelmann. Sie weiß auch, dass sie als Landespolitikerin eine bundesweite Reform nicht abschaffen kann. Es gehe ums "Abmildern", sagt sie und lässt damit schon Pragmatismus erkennen.

Was könnte die PDS denn ändern, wenn sie an der Regierung wäre? Im Bürgersaal in Schildow herrscht Skepsis. "Sie sind doch in denselben Zugzwängen wie die SPD, wenn sie in der Regierung sitzen", meint einer. Das sehe man ja schon in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, wo die PDS mitregiere und Hartz IV nun umsetze.

Den "Spagat des Mitmachens" nennt das ein Purist und fordert, in der Opposition zu bleiben. "Wir können doch nicht solche Hartz-Plakate an die Bäume kleben und dann in die Regierung gehen und abmildern", erregt er sich. "Das muss weg." Enkelmann versucht zu beschwichtigen: "Selbst wenn wir stärkste Partei werden zwingt uns das nicht zum Regieren."

Das wäre in den Augen einiger in der Parteizentrale sowieso die eleganteste Lösung: Am 19. September den Sieg einfahren und sich dann wieder auf die Oppositionsbank zurückziehen und im Namen des Volkes gegen die große Koalition stänkern.