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Druck zeigt Wirkung

23.08.2004, 10:04, junge welt

Soziales | Hartz IV | Arbeitsmarktreform

Verstärkte Forderungen nach Korrekturen an »Hartz IV«. Schröder lehnt ab


Druck zeigt Wirkung

Verstärkte Forderungen nach Korrekturen an »Hartz IV«. Schröder lehnt ab

Vor den heute erwartenten Demonstrationen in der Bundesrepublik gab es aus den höheren Etagen von Politik und Wirtschaft am Wochende widersprüchliche und zum Teil nervöse Signale. So kritisierte CSU-Generalsekretär Markus Söder die ostdeutschen Demonstranten wegen der Verwendung von DDR-Symbolen, während Exminister Norbert Blüm (CDU) eine Ausweitung der Proteste gegen »Hartz IV« vorhersagte. Söder erklärte in der Chemnitzer Freien Presse, wenn die Verunsicherung der Menschen genutzt werde, »um das kommunistische Unrechtssystem zu glorifizieren, dann ist das ein Schlag ins Gesicht für die Opfer der DDR-Diktatur«. Das sorge auch in Westdeutschland immer mehr für Kopfschütteln. »Demonstranten mit alten DDR-Fahnen sind kein gutes Zeichen für das Zusammenwachsen von Ost und West«. Blüm erklärte in der taz er sei bereit, auch auf Montagsdemonstrationen zu sprechen.

Von »Zusammenwachsen« war bei den Kritikern von »Hartz IV« in Gewerkschaften und Union, die sich am Sonnabend und Sonntag zahlreich zu Wort meldeten, keine Rede. Die Ursachen für die Massenproteste in Ost- wie Westdeutschland blieben in allen Erklärungen säuberlich ausgeklammert. Offenbar ist der Druck der Proteste allerdings so groß, daß die Forderungen nach Korrekturen an »Hartz IV« stärker werden. Die gemachten Vorschläge haben jedoch den Nachteil, daß sie bereits alle abgelehnt wurden. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) konnte daher in gewohnter Manier auftreten. Er bekräftigte auf einer SPD-Wahlveranstaltung im nordrhein-westfälischen Sundern, er wolle die »Agenda 2010« ohne Abstriche umsetzen und betonte: »Was entschieden wurde, mußte jetzt sein«.

Zuvor hatte CDU-Chefin Angela Merkel in einem vorab verbreiteten Interview der Zeitschrift SuperIllu staatliche Zuschüsse für Niedriglohnjobs verlangt. »Tätigkeiten, die auf dem ersten Arbeitsmarkt angeboten werden, aber in der Entlohnung nicht das Arbeitslosengeld II erreichen, müssen durch Lohnzuschüsse aufgewertet werden.« Diese Lohnzuschüsse für Niedriglohnempfänger wären »das erste, was eine Unions-geführte Bundesregierung bei ›Hartz IV‹ nachbessern würde«.

Kritik an den Ein-Euro-Jobs wies die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt in der Frankfurter Rundschau zurück. Sie seien »realistische Angebote«, überhaupt wieder in Arbeit zu kommen. Im übrigen dürfe nicht vergessen werden, daß die Menschen nicht für ein oder zwei Euro pro Stunde arbeiteten, sondern für zehn bis zwölf Euro, erklärte die Repräsentantin der Partei mit den am besten verdienenden Wählern. »Das ist ein Lohn, der in Ostdeutschland deutlich über dem liegt, was Menschen in ganz normalen Jobs verdienen.«

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ist sich sicher, daß es Korrekturen bei »Hartz IV« geben wird. »Ich sehe trotz des Kanzlerworts durchaus noch die eine oder andere Chance, daß wir etwas durchsetzen können«, meinte DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. So wolle der DGB bei der Neuregelung des Arbeitslosengeldes II höhere Freibeträge bei der Vermögensanrechnung durchsetzen, vor allem bei Aufwendungen für die Altersvorsorge.

Für DGB-Chef Michael Sommer wäre die Anerkennung der sogenannten 58er-Regelung »ein wichtiger Fortschritt«. Er hält zudem die Chancen, Korrekturen zu erreichen, für größer, als einen gesetzlichen Mindestlohn durchzusetzen. Den hatte SPD-Chef Franz Müntefering am Sonntag im »Deutschlandfunk« angeboten, um die Zumutbarkeitsregeln abzumildern. Nach Sommer würde ein Mindestlohn »nur Sinn machen, wenn er klar über dem Niveau eines zweiten Arbeitsmarktes liegt«.

Einen klärenden Beitrag zur Debatte um »Hartz IV« lieferte der Arbeitsmarktexperte Viktor Steiner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in der Süddeutschen Zeitung. Er erwartet von dem Gesetz bis zu 300 000 neue Beschäftigungsverhältnisse. Besonders die 500 000 Betroffenen, die 2005 ihre bisherige Unterstützung völlig verlieren würden, stünden dann unter Druck, sich einen Job zu suchen. Von ihnen war in den übrigen Diskussionsbeiträgen keine Rede.


junge welt, 23.8.04


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