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letzte Änderung: 28/09/04 00:30

Arbeitskampf

Nestlé in die Suppe gespuckt

28.09.2004, 00:30, Hans-Gerd Öfinge

Erfolgreicher Streik der Maggi-Beschäftigten im Werk Singen - Was Daimler für die Autobranche ist, sollte Maggi für die Nahrungsindustrie werden. Doch die Kostensenkungspläne des Nestlé-Vorstands waren nicht durchzusetzen.


Nestlé in die Suppe gespuckt
Erfolgreicher Streik der Maggi-Beschäftigten im Werk Singen


Was Daimler für die Autobranche ist, sollte Maggi für die Nahrungsindustrie werden. Doch die Kostensenkungspläne des Nestlé-Vorstands waren nicht durchzusetzen.
Nach einer Woche Arbeitskampf im Maggi-Werk Singen wurde in der Nacht zum Freitag ein Tarifvertrag abgeschlossen. Wie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) mitteilte, wurde für das Werk im äußersten Süden Baden-Württembergs zwischen Bodensee, Rheinfall und Schwarzwald eine Beschäftigungssicherung bis zum Jahre 2010 vereinbart. Gleichzeitig einigten sich Gewerkschaft und die Nestlé Deutschland GmbH, zu der Maggi gehört, rückwirkend zum 1. Juni auf eine Lohnerhöhung von 2 Prozent für die rund 950 Beschäftigten. Zudem wird eine Einmalzahlung fällig. Die Arbeitszeit, derzeit 37 Stunden pro Woche, wird nicht verlängert.
Damit ist das Bestreben des Nestlé-Konzerns gescheitert, die Belegschaft unentgeltlich eine Stunde länger in der Woche arbeiten zu lassen. Dafür machte die Gewerkschaft Zugeständnisse bei der Jahressondervergütung, die gesenkt wird, und bei den bezahlten Pausen für Schichtarbeiter, die ganz entfallen. Die bisherigen Freizeitregelungen für ältere Beschäftigte gelten nur noch für diejenigen, die bereits jetzt einen Anspruch darauf haben. Uwe Hildebrandt, NGG-Landesbezirksvorsitzender in Baden-Württemberg, strich in seiner Bewertung jedoch heraus, dass sich die Gewerkschaft dank der eindrucksvollen Streikbereitschaft bei Maggi in wichtigen Fragen behauptet hätte. Dem Ergebnis stimmten gestern Nachmittag in einer Urabstimmung die Gewerkschaftsmitglieder im Maggi-Werk zu.
Die Entschlossenheit der Beschäftigten – rund 70 Prozent sind in der NGG organisiert – hatte die Unternehmensführung offensichtlich überrascht. Vergangene Woche hatten sich 99,5 Prozent der Mitarbeiter für den ersten Streik im Singener Maggi-Werk seit dem Jahr 1907 ausgesprochen. Da sich auch die nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeiter am Streik beteiligten, stand die komplette Produktion der Tütensuppen, Brühwürfel, Soßen und Fertiggerichte still.
Auslöser des Arbeitskampfes war das Bestreben des Nestlé-Managements, in den Verhandlungen über einen neuen Haustarifvertrag zu Lasten der Beschäftigten jährliche Kostensenkungen von 3,2 Millionen Euro zu erzielen. Davon ist der vereinbarte Tarifvertrag nach Angaben der NGG weit entfernt. Der Arbeitskampf weckte Erinnerungen an den Konflikt um das Sindelfinger DaimlerChrysler-Werk vor gut zwei Monaten. »Was der Daimler für die Autoindustrie, das sollte Maggi für die Lebensmittelbranche sein«, mutmaßte vergangene Woche ein NGG-Mitglied in Singen: »Offensichtlich soll auch hier eine starke und gut organisierte Belegschaft weich geklopft werden. Kriegt uns der Konzern klein, dann sind die anderen Betriebe dran.« Symptomatisch für die Stimmung in Singen ist die Aussage einer Arbeiterin: »Früher waren wir Mensch, heute sind wir Kostenfaktor und Nummer.«
Die Streikenden bei Maggi erhielten Unterstützung von Gewerkschaftern aus nah und fern. Aus dem Raum Frankfurt (Main) waren NGG-Mitglieder von Coca-Cola und anderen Betrieben der Branche nach Singen gereist, um einen Tag lang den Streik aktiv vor Ort mit zu erleben. Aus aller Welt gingen Solidaritätserklärungen von Nestlé-Belegschaften ein.
Wie der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Alfred Gruber auf ND-Anfrage mitteilte, hatte die Belegschaft schon in den letzten Jahren große Opfer gebracht. Daher wirkte der jüngste Vorstoß von Nestlé-Arbeitsdirektor Friedrich Schmidt zur weiteren Kostensenkung wie ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Wer in drei Schichten rund um die Uhr arbeite und dafür Gesundheit sowie soziale Kontakte aufs Spiel setze, der könne dafür nicht auch noch durch eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit bestraft werden, war der Tenor in der Belegschaft. Völliges Unverständnis für die Pläne gab es auch aus einem weiteren Grund heraus: Der Gesamtkonzern Nestlé machte im Jahre 2003 weltweit rund 6,3 Milliarden Schweizer Franken Gewinn.

Von Hans-Gerd Öfinger