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letzte Änderung: 12/10/04 18:21

Arbeitskampf

Rückzugsgefechte

12.10.2004, 14:56, junge welt

Kompromißbereitschaft der Gewerkschaften erleichtert es dem Kapital, sein Tarifdiktat durchzusetzen


»Wir sind fest entschlossen, den gewerkschaftlichen Kampf um alle unsere Arbeitsplätze gemeinsam aufzunehmen. Eine Spaltung in unterschiedliche Gruppen von Betroffenen werden wir nicht zulassen.« So die Resolution der Tarifkommissionsmitglieder und des Gesamtbetriebsrats der Karstadt Warenhaus AG vom 4. Oktober. Ähnlich klingt die Anfang September zwischen der IG Metall und der schwedischen Metallarbeitergewerkschaft getroffene Vereinbarung, sich nicht durch General Motors Europa bei Opel und Saab gegeneinander ausspielen zu lassen. Auch die Verlautbarungen des Gesamtbetriebsrats zu den Plänen von Personalvorstand Peter Hartz, die Arbeitskosten bei VW drastisch zu senken, klingen so.

So weit, so vielversprechend. Doch die jüngsten Erfahrungen lassen Skepsis aufkommen. Zumindest solange die Gewerkschaften ihre Strategie der Abwehr gegen Lohnsenkungen, Entlassungen und Verlagerungen nicht verändern. Dies sind längst keine begrenzten Konfliktfelder mehr, sondern ein fundamentaler und koordinierter Angriff auf das gesamte bestehende Tarifsystem. Er findet durch das Kapital im Häuserkampf statt: Haus für Haus fällt, verschlechtert so die Bedingungen für die nächste Bataille. Und dennoch können die Gewerkschaften behaupten, den Flächentarif gerettet zu haben. Nur langsam stellt sich die Frage, wofür?

Beispiel 1: Die Handywerke der Siemens AG in Bocholt und Kamp-Lintfort bleiben in Nordrhein Westfalen und werden nicht nach Ungarn verlagert – vorerst. Länger arbeiten für weniger Geld war die einfache Formel, auf die man sich in einem »Ergänzungstarifvertrag« geeinigt hatte. Zugaben zur »Standortsicherung«: die Umwandlung des Weihnachts- und Urlaubsgelds in eine niedrigere, erfolgsabhängige Gewinnbeteiligung, Zeitlohn statt Akkordlohn und Kürzung der Schichtzulagen. Laut Siemens-Gesamtbetriebsrat ein »Bekenntnis zum Flächentarifvertrag«.

Beispiel 2: DaimlerChrysler. Zwar haben sich die traditionell kampfstarken Belegschaften von Stuttgart und Bremen nicht gegeneinander ausspielen, aber doch spalten lassen. Neben Lohnsenkungen und Pausenkürzungen im »produktiven« Bereich werden in den Dienstleistungsbereichen und dort besonders bei Neueingestellten, die Entgelte gesenkt und die Arbeitszeit verlängert. IG-Metall-Vize Berthold Huber sagte hierzu: »Der Kompromiß macht deutlich, welche Flexibilität die Tarifverträge der Metallindustrie bieten«.

Beispiel 3: »Modernisierung« des Tarifrechts des öffentlichen Dienstes. Nachdem die Länder aus der Tarifgemeinschaft ausgetreten sind und die Tarifverträge zu Arbeitszeit sowie zu Weihnachts- und Urlaubsgeld gekündigt haben, nachdem Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und die Bundesregierung die Arbeitszeit für alle Arbeiter und Angestellten verlängert haben, verhandelt ver.di dennoch weiter. »Die Reform des öffentlichen Dienstrechts soll Leistung künftig besser honorieren, um mehr Dynamik und Leistungsbereitschaft zu erzielen«, so das Eckpunktepapier »Neue Wege im öffentlichen Dienst«. Statt den Kampf gegen Verschlechterungen auch nur zu versuchen, akzeptiert ver.di damit Privatisierung, Wettbewerb und Konkurrenz nun auch im Bereich öffentlicher Dienste.

Nur kampfbereite Belegschaften mit einem hohen Organisationsgrad hätten eine Chance, »den Häuserkampf, den uns die Gegenseite aufzwingt, schadlos zu überstehen«. Deshalb müsse sich die IG Metall noch mehr als früher auf ihre Stärke in den Betrieben orientieren – so Dieter Knauß, Sprecher der IGM-Region Stuttgart. Doch die Kampfbereitschaft der Daimler-Belegschaft wurde für den Verzichtskompromiß mißbraucht. Statt zu mobilisieren gab es Betriebsversammlungen, auf denen das Ergebnis den Beschäftigten als Erfolg verkauft wurde. Den Initiatoren der pressewirksamsten Aktion, der Besetzung der B10 beim Aktionstag am 15. Juli 2004, droht eben diese Stuttgarter IG Metall mit disziplinarischen Maßnahmen und wirft ihnen Spaltung vor.

Anstatt die Zersplitterung der abhängig Beschäftigten in Betriebe, Branchen, Gewerkschaftszuständigkeiten und nicht zuletzt Staaten zu überwinden und den Widerstand an all diesen Fronten grenzüberschreitend miteinander zu verbinden, lassen sich die Gewerkschaften auf diesen Häuserkampf ein. Durch »sozialverträgliche« Kompromisse, durch Besitzstandswahrung für die Altbeschäftigten, aber Schlechterstellung für Neueingestellte, werden die Belegschaftsspaltungen verschärft und die so nötige Kampfkraft nachhaltig untergraben.

Mag Wompel

Quelle: http://www.jungewelt.de/2004/10-09/018.php