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Erwünschte Verluste

14.10.2004, 23:29, André Rothenbühler

Globalisierung | Steuervermeidung | Abschreibungen

Die Multis maximieren mit dubiosen Praktiken ihre Gewinne. Den Preis bezahlen die BürgerInnen und KMU in Form von höheren Abgaben und Leistungskürzungen.


Erwünschte Verluste

Von André Rothenbühler

Die Multis maximieren mit dubiosen Praktiken ihre Gewinne. Den Preis bezahlen die BürgerInnen und KMU in Form von höheren Abgaben und Leistungskürzungen.

In China boomt die Wirtschaft, und die wachsenden Investitions- und Konsumbedürfnisse versprechen gute Gewinne. Dennoch weist dort rund die Hälfte der ausländischen Niederlassungen Verluste aus. Tatsächlich schreibt aber nur ein Drittel dieser Firmen rote Zahlen, zwei Drittel machen Gewinne. Wie aus Gewinnen Verluste werden, beschrieb unlängst die Zeitung «China Daily»: Eine Tochterfirma kauft konzernintern von einer anderen Tochtergesellschaft im Ausland Rohmaterial zu einem höheren Preis als üblich ein. Das bearbeitete Produkt wird dann zu einem sehr tiefen Preis wieder an eine andere Tochterfirma exportiert. Auf diese Weise lassen sich die Gewinne mit dem «Transfer Pricing», den Verrechnungspreisen für konzerninterne Leistungen, mittels Über- oder Unterfakturierung dorthin verschieben, wo die Steuern am tiefsten sind. Die Staaten verlieren durch solche Steuervermeidungspraktiken Milliarden (siehe ganz unten).

Nur selten werden solche Fälle in der Öffentlichkeit bekannt, zumal sie in der Regel nicht strafrechtlich, sondern nur administrativ verfolgt werden. So forderte beispielsweise das US-amerikanische Finanzdepartement im August 2004 vom Mobilfunkausrüster Motorola wegen ungerechtfertigter Transferpreise 500 Millionen US-Dollar an Nach- und Strafsteuern.

Kürzlich geriet auch die Schweizer Swatch-Gruppe in den Verdacht, das «Transfer Pricing» für Gewinnverschiebungen zu missbrauchen. Laut «Wall Street Journal» und «Financial Times» beschuldigten zwei ehemalige Swatch-Mitarbeiter den Konzern, in den letzten sechs Jahren mittels überhöhter Verrechnungspreise Steuern in der Höhe von 180 Millionen Dollar umgangen zu haben. Swatch weist jedoch die Vorwürfe der Steuerumgehung zurück und versichert, sich strikt an die nationalen und internationalen Gesetze zu halten.

Es liegt im Ermessen der Steuerbehörden, welche Auf- und Abschläge sie bei den Verrechnungspreisen tolerieren. Vor allem Hochsteuerländer wie die USA, Britannien oder Deutschland sowie Entwicklungs- und Schwellenländer leiden unter der grenzüberschreitenden Steuervermeidung. Gemäss einer Studie des niederländischen «Tinbergen Institute» führt die Erhöhung der Unternehmenssteuern in einem Land nicht zu einer Zunahme der Steuereinnahmen - weil die Unternehmen dann weniger Gewinne angeben. Im Durchschnitt bewirkt eine Steuererhöhung um ein Prozent aufgrund von Gewinnverlagerungen gar einen Einnahmerückgang von drei Prozent, so die Studie.

Schweizer Unternehmen profitieren

Laut Angelo Digeronimo, Experte für internationale Unternehmensbesteuerung bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung, finden Gewinnverlagerungen vor allem dort statt, wo das volkswirtschaftliche Niveau tief ist: «Solange ein Land sehr auf ausländische Investitionen und neue Arbeitsplätze angewiesen ist, lässt es die Unternehmen gewähren.» Das trifft vor allem auf die Entwicklungsländer zu. Zudem liegen dort die Unternehmenssteuern durchschnittlich um zehn Prozent tiefer als in den Industriestaaten. Die britische Hilfsorganisation Oxfam schätzt, dass dies insgesamt in den Entwicklungsländern zu jährlichen Steuerausfällen von 35 Milliarden US-Dollar führt. Hinzu kommen 15 Milliarden US-Dollar an entgangenen Steuern auf Vermögenserträgen reicher Eliten.

Bezüglich der Schweiz sagt Digeronimo: «Wir als relatives Tiefsteuerland sind nur wenig mit dem Problem des 'Transfer Pricing' zu unseren Lasten konfrontiert.» Andere Steuerexperten wie Jürg Altorfer vom Steueramt des Kantons Zürich sehen das ähnlich. Das bedeutet, dass die Schweiz vielmehr zu den Nutzniessern des «Transfer Pricing» zählt. Ein Indiz dafür sind auch die zahlreichen Holdings, Mischgesellschaften und Koordinationszentren ausländischer Konzerne, die in der Schweiz von attraktiven Steuerbedingungen profitieren, ihre Geschäfte aber grösstenteils im Ausland abwickeln.

Andreas Missbach von der Erklärung von Bern (EvB) zweifelt aber nicht daran, dass auch Profite von der Schweiz ins Ausland verlagert werden. «Das Steuerniveau in der Schweiz ist zwar tiefer als in anderen Ländern, doch im Vergleich zu null Steuern in einer reinen Steueroase ist es immer noch deutlich höher», sagt Missbach.

Digeronimo hat jährlich nicht mehr als etwa zehn hängige Fälle wegen ungerechtfertigter Transferpreise auf dem Tisch. Das ist nicht viel, doch die Summen, um die es geht, sind beträchtlich. So haben etwa ausländische Steuerbehörden laut Digeronimo den steuerpflichtigen Gewinn von zwei Schweizer Niederlassungen um je 200 Millionen Franken nach oben korrigiert. In einem anderen Fall habe die Eidgenössische Steuerverwaltung bei einem Schweizer Unternehmen wegen ungerechtfertigter Transferpreise eine nicht rückerstattbare Verrechnungssteuer von achtzig Millionen Franken erhoben.

Dass den Steuerfahndern nicht mehr Fälle ins Netz gehen, liegt auch daran, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung nicht die Kapazität hat, um jedes Unternehmen zu überprüfen: «Wir können nur intelligent selektiv vorgehen», sagt Digeronimo. Es sei aber eine Verdoppelung der Revisoren der Eidgenössischen Steuerverwaltung im betreffenden Bereich geplant. Dies werde es ermöglichen, künftig vermehrt auch vermeintlich unverdächtige Fälle zu kontrollieren. Ein anderer Grund ist, dass die Schweiz den Unternehmen beim «Transfer Pricing» weniger strenge Auflagen macht und bei den Prüfungen weniger rigoros ist als andere Staaten. Die Unternehmen in der Schweiz haben zum Beispiel keine Dokumentationspflicht für das «Transfer Pricing», wie dies in anderen Staaten der Fall ist.

Die Konzerne und ihre Beratungsfirmen lassen sich ständig neue und raffiniertere Steuervermeidungstricks einfallen. Missbach nennt Beispiele: «Unternehmen können fiktive Versicherungsgesellschaften gründen, an die sie überhöhte Prämien zahlen. Sie können ihre Patente auslagern. Sie können finanzielle Absicherungs- und Spekulationsgeschäfte über Steueroasen abwickeln, die häufig einen grösseren Ertrag abwerfen als die zugrunde liegenden realen Handelsgeschäfte.» Demgegenüber bekunden Staaten in aller Welt immer mehr Mühe, ihre Steuern zu erheben. Bruno Gurtner von der Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke sagt: «Die Steuerlast verschiebt sich zunehmend von mobilen zu immobilen Faktoren, von Kapital- zu Arbeitseinkommen, von direkten zu indirekten Steuern.» Deshalb werden die lokalen Bevölkerungen und Unternehmen verstärkt zur Kasse gebeten. Wachsende Defizite veranlassen die Staaten gleichzeitig, ihre Ausgaben und Leistungen zu kürzen. Die von Oxfam geschätzten Einnahmeverluste der Entwicklungsländer durch Steuer- und Kapitalflucht reicher Individuen und Unternehmen entsprechen der weltweiten öffentlichen Entwicklungshilfe von rund fünfzig Milliarden US-Dollar (2001).

Auf verlorenem Posten

Daher drängen die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und die EU die Niedrigsteuerländer und Steueroasen dazu, ihre schädlichen Steuerpraktiken aufzugeben und sich am gegenseitigen Informationsaustausch in Steuersachen zu beteiligen. Auch die Schweiz steht dabei am Pranger. Und die Konzerne geraten vermehrt unter Druck. Laut einer 2003 bei 600 Konzernen in 22 Ländern durchgeführten Umfrage des Beratungsunternehmens Ernst & Young sind die Prüfungen von konzerninternen Verrechnungspreisen durch Steuerbehörden intensiver geworden. Als Gründe werden neue gesetzliche Auflagen und eine striktere Umsetzung bestehender Gesetze genannt. Jeder dritte Konzern musste aufgrund der Prüfung seine Verrechnungspreise korrigieren. Jedes siebte dieser Unternehmen wurde gebüsst.

Dennoch würden die Steuerbehörden auf verlorenem Posten kämpfen, wenn sie die Gewinnverlagerung in Niedrigsteuergebiete aufhalten wollten, schreibt die «Financial Times». Als Lösung sieht Andreas Missbach von der EvB die Einführung einer einheitlichen Untergrenze für Unternehmenssteuern, wie sie auch in der EU erwogen wird.

Riesige Steuerausfälle

Rund sechzig Prozent des weltweiten Handels werden heute laut OECD innerhalb der multinationalen Konzerne abgewickelt. Dies erlaubt den Konzernen, über das so genannte «Transfer Pricing» ihre Steuern zu optimieren. So belaufen sich zum Beispiel in China die geschätzten Steuerausfälle durch Steuervermeidungspraktiken ausländischer Niederlassungen auf jährlich mindestens vier Milliarden US-Dollar, sagt die nationale chinesische Steuerverwaltung. Und gemäss «Financial Times» wird der Steuerverlust für die USA durch über- und unterfakturierte Exporte allein im Jahr 2001 auf 53 Milliarden US-Dollar geschätzt. Einem Steuerfluchtbericht des für den US-Kongress tätigen «General Accounting Office» ist zu entnehmen, dass zwischen 1996 und 2000 zwei Drittel der einheimischen und ausländischen Konzerne in den USA keine Gewinnsteuern entrichtet haben. In Britannien zahlten in den letzten Jahren gemäss «Financial Times» acht der zwanzig grössten Niederlassungen ausländischer Konzerne (ohne Ölfirmen) mit einem Umsatz von zusammen fast hundert Milliarden Pfund keine oder nur minimale Steuern. Zudem gaben vierzehn der zwanzig Niederlassungen eine Nettoschuld gegenüber ihrer Gruppe an. Bruno Gurtner von der Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke vermutet in diesem Zusammenhang noch einen anderen Steuervermeidungstrick: Tochtergesellschaften verschulden sich über Darlehen, die sie von ihren Konzernen erhalten. Die Profite der Töchter wandern dann in Form überhöhter Schuldzinsen zu den steuergünstigen Konzernstandorten.

André Rothenbühler arbeitet für die Agentur Infosüd, die auf Entwicklungspolitik und den Nord-Süd-Dialog spezialisiert ist.

WOZ vom 14.10.2004


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