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letzte Änderung: 07/11/04 00:50

Antifa

Der stille Bombenbastler vom Bodensee

07.11.2004, 00:38, Tobias Engelsing

Vor 65 Jahren wurde Johann Georg Elser am Emmishofer Zoll festgenommen


Wollte Hitler in die Luft sprengen

Bild:
Seine Bombe hätte Hitler getötet, wäre der nicht früher aufgebrochen. Vor 65 Jahren wurde Johann Georg Elser in Konstanz verhaftet. Dieses Foto machte die Gestapo unmittelbar nach seiner Festnahme. Bild: SK-Archiv

Die Bundesrepublik brauchte sehr lange, bevor sie an den ersten Hitler-Attentäter erinnerte, der beinahe Erfolg gehabt hätte. Der adlige Widerstand der Offiziere des 20. Juli stand damals noch treu zum Führer und zu seinen Eroberungsplänen, als Elser schon zuschlug. Noch Jahre nach dem Krieg ließ Pastor Martin Niemöller, ein Mann der evangelischen Bekennenden Kirche, nicht davon ab, Elser öffentlich als Strohmann der Nazis selbst zu diffamieren. Wie konnte im Land des Beschweigens auch ein einfacher Tischler gefeiert werden, der schon 1939 gewusst hatte, das Hitler Deutschlands Unglück war, als noch Millionen Deutsche dem Diktator zujubelten?

Vor 65 Jahren wurde Elser in Konstanz gefasst. Seit 1983 erinnert ein Täfelchen in der Schwedenschanze an seine Festnahme, 1989 benannte der Gemeinderat einen Platz in Petershausen nach dem Attentäter.

Eine Rückblende: Die beiden Zollbeamten saßen unter einem Fenster des Wessenberg-Kinderheims unmittelbar am deutsch-schweizerischen Grenzzaun an der Schwedenschanze. Von da aus konnten sie während ihrer Nachtwache den erleuchteten Zaun mit dem Stacheldrahtkranz beobachten. Aus einem geöffneten Fenster über ihrem Sitzplatz dröhnte die Rede Adolf Hitlers aus dem Volksempfänger, die der "Führer" an diesem Abend des 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller hielt. Plötzlich entdeckten die beiden Beamten ganz in der Nähe des Zauns eine dunkle Gestalt: "Hallo, wo wollen Sie hin?!", rief Zöllner Waldemar Zipperer. Der Angesprochene erschrak und antwortete: "Ich glaub, ich hab' mich verlaufen." Er suche einen Freund, der hier irgendwo wohne.

Die Zöllner brachten den Aufgespürten ins nahe Hauptzollamt, dort sollte sich die Gestapo um den Mann kümmern. Als man ihn aufforderte die Taschen zu leeren, kamen neben einer abgelaufenen Grenzkarte und einer Ansichtskarte des Münchner Bürgerbräukellers auch eine Uhrfeder, kleine Schrauben und ein Aluminiumröhrchen zum Vorschein.

Der damals 36-jährige Tischlergeselle Elser hatte ganz allein beschlossen, Adolf Hitler umzubringen, um größeren Schaden für Deutschland und die Welt abzuwenden. Um 21.20 Uhr ging im Bürgerbräukeller in München die Bombe hoch, die Elser gebastelt und in einjähriger Nachtarbeit in einer ausgehöhlten Säule des Veranstaltungssaals untergebracht hatte. Eine Kellnerin und sieben alte NSDAP-Parteigenossen starben, 63 Personen wurden durch herunterfallende Trümmerteile verletzt. Adolf Hitler hatte zu diesem Zeitpunkt entgegen seiner früheren Übung die "alten Kämpfer" der Partei bereits verlassen. Er kehrte noch in der Nacht nach Berlin zurück, um tags darauf die Planung für den militärischen Überfall auf Frankreich abzuschließen.

Einige Tage nach seiner Festnahme gestand Elser unter der Folter der Gestapo, Urheber des Attentats zu sein. Er alleine? Das nationalsozialistische Regime konnte diese Version nicht glauben. Bis zum Ende des Krieges waren Hitler und die Führung des Reichs davon überzeugt, dass sich der englische Geheimdienst des begabten Tischlers bedient haben musste.

Heute wissen wir: Elser war Einzeltäter. In allen Vernehmungen und selbst nach schwerster Folter schilderte er die immer gleiche Geschichte von der Motivation und Vorbereitung seiner Tat. "Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten", tippten die Gestapobeamten ins Vernehmungsprotokoll.

Kam gut bei Frauen an

Vierzehn Jahre vor dem Attentat war Elser aus seiner Heimat Königsbronn aufgebrochen, um anderswo Arbeit zu finden. Von Tettnang und Friedrichshafen kam er 1925 schließlich nach Konstanz. Er fand eine Anstellung als Gehäusetischler in einer Uhrenfabrik in der Fischenzstraße 1 im Paradies und nahm sich ein Zimmer in der Inselgasse 15. Er fand Anschluss an den Trachtenverein und spielte dort Zither. Politisch hatte er Sympathien für die linke Holzarbeitergewerkschaft, er schloss sich dem Roten Frontkämpferbund an und wählte die KPD, wurde aber politisch nicht tätig. In diesem Milieu wuchs eine solide Abneigung gegen den Nationalsozialismus und seinen Führer: "Schau nur dem sein Verbrechergesicht an", war sein oft wiederholtes Urteil über Hitler.

Ende der 20er-Jahre arbeitete er in Bottighofen und später in Meersburg. Bei seinen Arbeitskollegen galt er als still und verschlossen, doch bei jungen Frauen kam der "Sonderling" gut an. Die Kantonspolizei befand später: "Esler galt als flotter Bursche und war beliebt."

Alle Untersuchungen erbrachten keine weiteren Aufschlüsse. Hitler ließ Elser als "Sonderhäftling" zunächst im KZ Sachsenhausen inhaftieren. Nach dem Krieg sollte ein Schauprozess gegen ihn geführt werden. Anfang 1945 wurde Elser in das KZ Dachau verlegt. Das Land war zerstört, das Regime am Ende. Nun wurden Spuren verwischt. Am 5. April erging ein Befehl des Chefs der Sicherheitspolizei in Berlin an den Dachauer KZ-Kommandanten: "Bei einem der nächsten Terrorangriffe auf München, bzw. auf die Umgebung von Dachau ist Elser angeblich tödlich verunglückt. Ich bitte zu diesem Zweck, Elser in absolut unauffälliger Weise nach Eintritt einer solchen Situation zu liquidieren." Vier Tage später holte man den ahnungslosen Johann Georg Elser angeblich zu einer Vernehmung aus der Zelle. In einem kahlen Nebenraum des Krematoriums wurde der 42-jährige durch Genickschuss ermordet.

Der Zöllner, der Elser 1939 verhaftete, erhielt für sein "unerschrockenes und geistesgegenwärtiges Zupacken" das Zollgrenzschutz-Ehrenzeichen und wurde befördert. Fast 40 Jahre später bekam der gleiche Mann wegen seiner unstreitigen Verdienste als bundesdeutscher Unternehmer in Offenburg das Bundesverdienstkreuz.

Tobias Engelsing

Südkurier, 6.11.04