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letzte Änderung: 05/03/05 18:12

Soziales

Arbeitslosigkeit in Deutschland: Eine verlogene Debatte

05.03.2005, 18:12, Wal Buchenberg fĂŒr Indymedia

Die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen in Deutschland erreichte im Februar den Rekordwert von 5,216 Millionen. Bereits im Januar waren zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik mehr als fĂŒnf Millionen arbeitslos gemeldet. Daran entzĂŒndet sich eine verlogene Debatte.


Erstens wird versucht, die böse Wirklichkeit nicht gelten zu lassen. Statt darauf hinzuweisen, dass neben den gemeldeten 5 Millionen Arbeitslosen noch weitere 3 oder vier Millionen Leute ohne Job sind, die es aufgebeben haben, bei der Arbeitsagentur prÀsent zu sein - statt zuzugeben, dass die Wirklichkeit schlechter ist, als es die Arbeitslosenstatistik zeigt, wird behauptet: Die Statistik sei schuld an der Misere oder das kalte Wetter.
Da schreibt die Financial Times Deutschland: „Der grĂ¶ĂŸte Teil des Anstiegs geht auf Effekte der Arbeitsmarktreform Hartz IV zurĂŒck. Etwa 130.000 erwerbsfĂ€hige SozialhilfeempfĂ€nger, die nun das so genannte Arbeitslosengeld II erhalten, blĂ€hen die Statistik auf. ZusĂ€tzlich belastet wird der Arbeitsmarkt durch den kalten Winter.“
Egal in welcher Statistik diese SozialhilfeempfĂ€nger gezĂ€hlt werden, sie sind ohne Arbeit, also arbeitslos. Noch lĂ€cherlicher ist es, das Wetter verantwortlich zu machen. Jeder Anstieg der Arbeitslosigkeit ist die Folge eines Anstiegs der KĂŒndigungen. Allein die EigentĂŒmer der ArbeitsplĂ€tze, die Kapitalisten, entscheiden darĂŒber, ob die Zahl der Arbeitslosen zunimmt oder nicht, nicht das Wetter. FĂŒr wie blöd halten uns die Journalisten?

Irgendwie hat die Massenarbeitslosigkeit aber doch mit der Wirtschaft zu tun, das können auch kapitalistische Medien nicht verschweigen. Unsere weisen Wirtschaftsprofessoren zeigen sich nun skeptisch, was das Wirtschaftswachstum angeht. Also sei auch weiter mit hohen Arbeitslosenzahlen zu rechnen. Suggeriert wird damit: Gutes Wirtschaftswachstum = niedrige Arbeitslosigkeit, niedriges Wirtschaftswachstum = hohe Arbeitslosigkeit. Aber diese Gleichungen gehen nicht auf. LĂ€ngst haben wir nicht mehr mit einer konjunkturellen, sondern mit einer strukturellen Arbeitslosigkeit zu tun. Diese Arbeitslosigkeit ist nicht Folge einer RĂŒckstĂ€ndigkeit oder Erfolglosigkeit des Kapitals, ganz im Gegenteil.
Sehen wir uns einmal die großen kapitalistischen Verlierer, die Megapleiten der letzten Jahre an:
Folgende Großbetriebe gingen seit 2002 in Deutschland bankrott (in Klammer die Zahl der betroffenen Lohnarbeiter):

Babcock Borsig (11.500)
Kirch (10.000)
MĂŒhl (3.800)
Dornier (3.600)
Philipp Holzmann (3.200)
Herlitz (1.900)
Sachsenring (1.300)
Cargolifter (500).

Macht zusammen 35.800 Arbeitslose, die durch Großpleiten verursacht wurden. Auch wenn man die vielen kleinen Bankrotteure hinzurechnet, kommt man da niemals auf eine Million, geschweige denn auf 5 Millionen oder mehr Arbeitslose.
Unsere Massenarbeitslosigkeit ist nicht das Resultat kapitalistischer Erfolglosigkeit, sondern Ergebnis kapitalistischen Erfolgs: Durch stĂ€ndige Steigerung der ArbeitsproduktivitĂ€t schaffen immer weniger HĂ€nde und Köpfe die gleiche oder eine grĂ¶ĂŸere Menge von Waren und Dienstleistungen.
Durch die Steigerung der ArbeitsproduktivitĂ€t, d. h. vor allem durch Anwendung verbesserter Technik, versucht jedes Kapital möglichst viel von seiner angewandten Arbeitskraft ĂŒberflĂŒssig zu machen. Vermehrung des Kapitals vernichtet also immer dort ArbeitsplĂ€tze (relativ oder absolut), wo mittels technischer Neuerungen die ProduktivitĂ€t der Arbeitskraft gesteigert wird. LĂ€ngerfristig werden dann auch dort ArbeitsplĂ€tze vernichtet, wo das Kapital nicht so profitabel arbeitet. Denn ĂŒber kurz oder lang zwingt der besonders profitable Kapitalist auch die anderen Kapitalisten ihre angewandte Arbeitskraft relativ zu reduzieren, oder Pleite zu gehen.

„Es ist eines der großen Verdienste Ricardos, die Maschinerie nicht nur als Produktionsmittel von Waren, sondern auch von â€šĂŒberschĂŒssige Lohnarbeitern’ begriffen zu haben.“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 430, Anm. 154.)

Die hohe Zahl der Arbeitslosen drĂŒckt auf die Löhne der BeschĂ€ftigten und zwingt sie zu immer mehr Arbeit fĂŒr gleiches oder weniger Geld.

Der britische „Economist“ schreibt: „Ökonomen von ABN Amro schĂ€tzen, dass die Arbeitskosten in Deutschland inzwischen niedriger sind als in Italien.“ (The Economist, 19.02.05).

Das macht die deutschen Unternehmen höchst erfolgreich und höchst konkurrenzfĂ€hig. Deutschland war in den letzten fĂŒnf Jahren das einzige G7-Land, das seinen Exportanteil auf dem Weltmarkt ausweiten konnte.
Der „Economist“ kommt zu dem Schluss: „Die landlĂ€ufige Vorstellung, dass Deutschland wegen höher Löhne nicht konkurrenzfĂ€hig sei, scheint nicht zu stimmen.“ (The Economist, 19.02.05).

Dabei kommt es den Kapitalisten auf die Gesamtsumme des Wirtschaftswachstums wenig an: „Das vergangene Jahr war ein bombiges Jahr fĂŒr die deutschen Unternehmen. Die Gewinne explodierten. WĂ€hrend in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Zuwachs der Arbeitsentgelte exakt null Komma null betrĂ€gt, sind die Einkommen aus UnternehmertĂ€tigkeit und Vermögen um 10,7 Prozent gestiegen. Das ist, bei einem Wachstum der gesamten Wirtschaft von 1,7 Prozent, ein schöner Erfolg fĂŒr die deutschen Unternehmen.“ (FTD, 4.2.05).

Wal Buchenberg fĂŒr Indymedia, 1. MĂ€rz 05.