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Jürgen Elsässer: „Heuschrecken“ statt Analyse?

01.03.2007, 22:02, antifaschistischer freundeskreis konstanz

Antifa | Konstanz | Vortrag | Flugblatt

Heute abend hat der „Marxistische Gesprächskreis“ Jürgen Elsässer eingeladen, um sein neues Buch „Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und globaler Krieg“ vorzustellen. Wir als antifaschistischer Freundeskreis halten seine Kapitalismus“analyse“ für verkürzt und zudem gefährlich.


In seinem Buch ist zu lesen:

„Seit den siebziger Jahren haben Aliens mit der Kolonisation der Erde begonnen. Im Unterschied zu den traditionellen Kapitalisten leben die Außerirdischen nicht von der Abschöpfung des Mehrwerts, sondern von der Zerstörung der Mehrwertproduktion. Heuschreckenschwärme vertilgen Industriekonzerne auf der ganzen Welt, spucken die darin enthaltene menschliche Arbeitskraft aus und stoßen das ausgeweidete Skelett meistbietend ab - das ist die Quelle ihres Profits.“

„Die Heuschrecken des Kapitalismus fressen alles kahl und verwüsten auch blühende Volkswirtschaften. Wer sich wehrt, wird zum Schurken erklärt und militärisch vernichtet. Wer sich fügt, muß Militärbasen dulden und seine Souveränität dem Imperium abtreten. Wie vor hundert Jahren entstehen rund um den Globus Kolonien und Halbkolonien - sowie Konzentrationslager für die renitenten Eingeborenen.“

„Der nationalistische Faschismus ist passé - sein postmoderner Bastard ist globalistisch.“

Mit Hilfe solch plakativer Formulierungen versucht Elsässer die Änderungen zu beschreiben, die seit den siebziger Jahren in den kapitalistischen Kernländern vor sich gehen. Dabei fällt auf, dass Jürgen Elsässers Kapitalismusbegriff entmaterialisiert ist und somit der Gegenstand seiner Kritik aus dem gesellschaftlichen Kontext gerissen wird.

Bei Jürgen Elsässer wird Kapitalismus reduziert auf ein Zerrbild desselben, nämlich auf "die multinationalen Finanzmärkte und die globalen Finanzmärkte". Die Ausbeutung der ArbeiterInnen in der Produktion über die Abschöpfung des Mehrwerts wird kleingeredet und relativiert, während die Zirkulationssphäre (das ominöse „Finanzkapital“) betont wird und ohne die Produktionssphäre auszukommen scheint. Aber Profit entsteht nicht aus geschicktem Übervorteilen im Tausch (z.B. beim Akquirieren von Unternehmen), sondern durch Ausbeutung der ArbeiterInnen im Produktionsprozess. Rationalisierung und Unternehmenskonzentration sind unter der Logik des Kapitals ein systemimanenter Zwang, dem alle gleichermassen unterliegen.

Kapitalismuskritik, die wie bei Elsässer auf der Zirkulationssphäre stehen bleibt und die realen Produktionsverhältnisse ausklammert, wird den gesellschaftlichen Problemen nicht annähernd gerecht. Diese verkürzte Kapitalismuskritik birgt eine weitere Gefahr: Sie ist nur noch um Haaresbreite entfernt von der kruden Rede vom "schaffenden" (d.h. gutem) und "raffendem" (d.h. schlechten, gar jüdischen) Kapital. Damit ist die Argumentationslinie von Jürgen Elsässer anschlussfähig an die menschenverachtenden und antisemitischen „Kapitalismuskritiken“ von Silvio Gesell und der Neuen Rechten.

Jürgen Elsässer hat den historischen Materialismus ebenso wie die internationalistische Forderung des "Grenzen auf für Alle" längst über Bord geworfen.

Er schreibt:

„Mit Staatsknete wird Multikulti, Gender-Mainstreaming und die schwule Subkultur gefördert,während die Proleten auf Hartz IV gesetzt werden und sich oft auch keine Kita, kein Schwimmbad und keine warme Wohnung mehr leisten können .(…) Auch in Deutschland könnten die Sozialisten wieder eine geschichtsmächtige Kraft werden, wenn sie mit Fundi-Dogmatismus ebenso brächen wie mit Realo-Spielereien und sich endlich der Mehrheit der Bevölkerung zuwendeten, statt sich auf die Probleme von Randgruppen zu kaprizieren.“

Wir wenden uns gegen populistische Versuche, mittels rassistischer Ressentiments, Homophobie und Sexismus die deutsche, männliche, weiße, heterosexuelle „Mehrheitsgesellschaft“ auf Kosten von Minderheiten zu gewinnen. Auch hier ist wiederum deutlich, wie anschlußfähig Jürgen Elsässers Thesen an die antihumanistischen Konzepte der Neuen Rechten sind. Wir wünschen uns marxistische Zusammenhänge, die sich nicht mit Lesben, Schwulen und MigrantInnen entsolidarisieren, sondern das Gemeinsame der einzelnen Kämpfe betonen.

Alle Übel des Kapitalismus auf die USA zu projizieren, bringt keinen Erkenntnisgewinn über Unterdrückungsverhältnisse, sondern läuft seinerseits Gefahr, zu einer „Hassideologie“ zu werden.

Elsässer bezieht sich positiv auf „die progressiven Regierungen zwischen Peking, Brasilia und Caracas“. Er nicht mehr unterscheiden zu können zwischen emanzipatorischen Basisbewegungen wie in Venezuela und diktatorischen Regimes wie im Iran, die eben solche Bewegungen unterdrücken. Darüber hinaus kritisieren wir Jürgen Elsässers positiven Bezug auf die „Nation“ und Deutschland. Eine Flucht zurück an den Busen des Nationalstaats verkennt, dass die Bildung von Nationalstaaten untrennbar mit den Funktionsbedürfnissen des aufstrebenden Kapitalismus verbunden war und ist. Dem Kapitalismus den „starken Staat“ entgegensetzen zu wollen, hieße, den Bock zum Gärtner zu machen.


Kasten: Elsässer und der VPM

Jürgen Elsässer ist regelmäßiger Autor der Zeitschrift „Zeit-Fragen“ der (angeblich) aufgelösten, pseudo-wissenschaftlichen Sekte VPM („Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis“) aus der Schweiz.

Für „Zeit-Fragen“ schreibt ebenfalls Prof. Dr. Alfred de Zayas aus Genf. Er ist Autor in mehreren neurechten Zeitschriften und nebenbei „Alter Herr“ der rechtsextremen Burschenschaft Rhenania aus Tübingen.

Jürgen Elsässer nahm am Kongress «Mut zur Ethik»“, der vom 1. bis 3. September 2006 in Feldkirch stattfand, teil, auf dem neben Zayas auch andere neurechte Theoretiker wie z.B. Karl-Albrecht Schachtschneider, ein ehemaliger Aktivist für die rechte Kleinpartei „Bund Freier Bürger“ und Eberhard Hamer, der zu den Mitbegründern der rechten Sammlungs-bewegung „Stimme der Mehrheit“ gehört und Mitglied im „Arbeitskreis Demokratiereform“ (gehört zum Umfeld der neonazistischen „Deutschland-Bewegung“) ist bzw. war.

Elsässer war 2006 zu einer Lesung nach Stockach geladen und zwar von einer Initiative, die sich „Freie Bürger für eine freie Demokratie“ nennt. Hinter dieser Gruppe stecken mehrheitlich Sympathisanten und Mitglieder des VPM. Bis jetzt hat sich Jürgen Elsässer nicht von seiner Zusammenarbeit mit dem VPM distanziert.

Morgen stellt Elsässer sein Buch in Stockach vor. Wieder bei den „Freien Bürgern“/VPM?


Für uns ist der Kapitalismus nicht eine Verschwörung einzelner Staaten oder Staatsmänner, sondern jedeR Einzelne von uns ist Teil des Systems. Nur wer sich der eigenen Position innerhalb des kapitalistischen Systems bewußt ist, kann praktisch daran arbeiten, dieses System zu überwinden. Radikale Gesellschaftskritik kommt nicht um eine Infragestellung von „Nation“, „Arbeit“, „Geschlecht“ und „Wert“ herum. Wir brauchen keinen „Staat“ und keine „Nation“, vielmehr setzen wir uns selbstbewusst & solidarisch für eine Welt jenseits von patriarchaler, rassistischer und kapitalistischer Unterdrückung ein!

Für den Kommunismus!

antifaschistischer freundeskreis konstanz

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