Bild: Benjamin H., Leiter des JN Stützpunkts Konstanz (in der Mitte)
Nazis raus aus Tübingen!
Am 21.Juli 2007 wollen die Neonazis von den Jungen
Nationaldemokraten (JN) sowie sog. "freie Kräfte" in Tübingen
demonstrieren. In ihrem Aufruf machen sie ihren Anhängern weis, dass
Tübingen ein Hort "dumpfer Gewalt" sei und erdreisten sich, die
Stadt als "Keimzelle für gewaltbereite Linksfaschisten in unserem
schönen Baden-Württemberg" zu bezeichnen. Wir werden diese
Verdrehung der Tatsachen zum Anlass nehmen, um klar zu machen, wer
hier die Faschisten sind und von wem die Gewalt ausgeht. Seit Anfang
der 90er Jahre sind durch rechte und neofaschistische Gewalt in
Deutschland 130 Menschen ermordet und Tausende schwer verletzt
worden. Die Zahl rechter "Propagandadelikte" und Gewalttaten steigt
nach wie vor und ist im Jahr 2006 auf über 18.000 angewachsen. Pro
Jahr werden allein in Ba-Wü von rechten Gewalttätern rund 70
Schwerverbrechen verübt. Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo in
Deutschland Menschen angegriffen werden, die nicht ins Weltbild
eines völkisch-deutschen Herrenmenschentums passen: Asylsuchende,
Menschen mit anderer Hautfarbe, Menschen mit jüdischem Glauben,
Obdachlose, Linke, Homosexuelle, ganz "normale" Menschen wie
kürzlich die Theatergruppe in Halberstadt... Schon Leute, die sich
diesem Spektrum nur zugehörig fühlen, haben in Tübingen und auch
sonst wo nichts zu suchen.
In Ideologie und Handeln von (Neo-)FaschistInnen ist alles vereint,
was wir ablehnen und wogegen wir uns einsetzen: Rassismus,
sexistische und militaristische Männlichkeit, Nationalismus und
völkischer "Antikapitalismus", Antisemitismus, Antiamerikanismus...
"Volksgemeinschaft" und nationalistischer "Antikapitalismus"
Die NPD (inklusive ihrer sich als besonders revolutionär
aufspielenden Jugendabteilung JN) hat sich in den letzten Jahren zur
Dachorganisation für völkisch-nationalistische Parteigänger und die
außerparlamentarisch organisierten sog. Kameradschaften entwickelt.
Das zentrale ideologische Moment dieses Spektrums ist die
pseudoreligiöse Wahnidee der "Volksgemeinschaft". Kein NPD-Pamphlet,
kein Demo-Aufruf, kein Liedtext, in dem nicht das (vom Aussterben
bedrohte) deutsche Volk beschworen wird. Aus dieser Ideologie der
"Volksgemeinschaft", die keine Klassen und sonstigen Unterschiede
kennt, ergibt sich neuerdings ein völkischer "Antikapitalismus des
kleinen Mannes". Mit diesem versucht die NPD mit entsprechenden
populistischen Parolen ("Wir sind das Volk", "Volksgemeinschaft
statt Globalisierung"), die von den Zumutungen von Sozialabbau und
neoliberaler Globalisierung Betroffenen auf ihre Seite zu ziehen -
mit kurzfristigem Erfolg, wie bei der Landtagswahl in Sachsen 2004.
Was als Kapitalismuskritik verkauft wird, ist aber bei Lichte
betrachtet nicht mehr als ein völkisch aufgeladener
Standortnationalismus. Diese Ideologie ist rassistisch, weil sie
alles ausgrenzen will, was zu diesem Volk nicht gehören darf. Sie
ist antisemitisch und antiamerikanisch, weil dabei der altbekannte
künstliche Gegensatz zwischen dem guten "schaffenden" und dem
schlechten "raffenden" Kapital konstruiert wird und von der
"Ostküste" (USA) und die Welt beherrschenden jüdischen
Finanzkartellen phantasiert wird. Sie ist inhuman und weltfremd,
weil wir in einer Weltgesellschaft leben, die nicht nur aus
Deutschland besteht.
Rassismus und "Ethnopluralismus"Antisemitismus und Antiamerikanismus
Trotz aller islamophoben Seitensprünge ist der Antisemitismus die
zentrale Konstante rechtsextremer Ideologie. "BRD, Judenstaat, wir
haben dich zum Kotzen satt" lautete eine Parole von vermummten
Neonazis bei der Demo in Frankfurt am 7.Juli. Neonazis pflegen
aktuell eine unverhohlene Sympathie für islamische Gottesstaaten und
für islamistische Terroristen, weil diese genauso wie die
Rechtsextremen die USA und Israel verachten und terrorisieren. Als
"Tag X" betrachtet die JN einen möglichen kriegerischen Angriff der
USA auf den Iran und schreibt: "Der iranische Präsident ist kein
Feind der freien Welt, er ist ein Feind des grenzenlosen
Liberalismus, der nur dem Kapital und allem Krankem auf dieser Erde
Freiheit garantiert.1" Mit USA- und Israel-feindlichen Parolen
("Kein Blut für Israöl") beteiligten sich rechte "Pazifisten" auch
im Zusammenhang mit dem Irakkrieg an Anti-Kriegs-Protesten und
riefen zum Boykott amerikanischer Waren auf. Niemand bezweifelt,
dass Kritik etwa am US-Krieg im Irak berechtigt ist. Rechter
"Pazifismus" hat aber nichts mit Antimilitarismus zu tun, sondern
ist einfach ein schäbiger Antiamerikanismus. Ao werden auch
Kriegseinsätze der deutschen Bundeswehr kritisiert, aber nur, weil
sie im Verbund mit USA, NATO oder anderen Bündnissen erfolgen.
"Neue Rechte" und bürgerlicher Konservatismus
Neonazis und andere Rechtsextreme kommen nicht aus dem Nichts, sie
sind ein Teil dieser Gesellschaft. Die Übergänge zwischen
neofaschistischer Ideologie, sog. Neuen Rechten und bürgerlichem
Konservatismus (der "Mitte") sind an vielen Stellen fließend. Es
gibt zwar mittlerweile viele, auch staatlich geförderte, Kampagnen
gegen Rechts. Rassismus wird aber nach wie vor als
gesellschaftliches Randphänomen erachtet und schlicht mit
Rechtsextremismus gleichgesetzt. Es muss daran erinnert werden, dass
es die bürgerlichen Volksparteien waren, die Anfang der 90er-Jahre
mit Parolen wie "Das Boot ist voll" nicht nur für die Abschaffung
des Grundrechts auf Asyl gesorgt haben, sondern auch die verbale
Munition für zahllose rechtsextreme Anschläge geliefert haben. Lager
für Flüchtlinge, zehntausende Abschiebungen, weitere Verschärfungen
der Asylgesetze und Militarisierung der Grenzen haben dazu geführt,
dass die Asylfrage gelöst ist und nur noch eine Handvoll
Asylsuchende pro Jahr ins Land kommen. Die Grenzen um die
Europäische Union, die gerne als Hort von Demokratie und
Menschenrechten dargestellt wird, werden immer höher gezogen. Das
reiche Europa schottet sich nach Süden und Osten von der Armut ab
und nimmt in Kauf, dass jährlich tausende Migranten an den Grenzen
zu Tode kommen. Deutschland hat angeblich das modernste
Zuwanderungsrecht Europas, es werden nur keine Zuwanderer herein
gelassen, obwohl behauptet wird, dass man welche brauche. Dabei
dominiert ein ökonomischen Interessen folgender
Nützlichkeitsrassismus, der scharf zwischen einer nützlichen Eliten-
oder Arbeitsmigration und einer unnützen Armuts- und Fluchtmigration
trennt. Menschenrechte und globale Gerechtigkeit fallen dabei unter
den Tisch.
Trotz Bekenntnissen zur "Integration" ist nach dem 11.9.01 von
Politik und Medien ein künstlicher Gegensatz zwischen "uns" und den
"Muslimen" geschaffen worden, eine gesellschaftliche Stimmung, die
Menschen allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit als
Sicherheitsrisiko einstuft. Das mündete in Initiativen wie dem
baden-württembergischen Einbürgerungstest, der von rassistischen
Stereotypen, Pauschalverdächtigungen und den Rechtsextremen
ähnelnden kulturnationalistischen Vorstellungen durchzogen ist.
Statt wegen der "Filbinger-Affäre" im April dieses Jahres zurück zu
treten, hat sich Ministerpräsident Oettinger mit windigen
Formulierungen den Kopf aus der Schlinge gezogen. Bei dem von
Filbinger gegründeten Studienzentrum Weikersheim ist er schnell
ausgetreten, dieses besteht aber weiterhin. Oettinger hat sich mit
seiner geschichtsverfälschenden "Trauerrede" ("Filbinger war kein
Nationalsozialist"), gewollt oder ungewollt, in eine Reihe gestellt
mit Schlussstrichrednern wie Martin Hohmann (CDU) und Martin Walser,
die aus ihrem latenten Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus
keinen Hehl gemacht haben. Auch wenn in den letzten Jahren viele
positive Entwicklungen zu verzeichnen sind, muss doch festgehalten
werden, dass seit der Wiedervereinigung insgesamt ein neuer
Nationalismus salonfähig wurde, der das heutige Deutschland nicht
mehr mit seiner Vergangenheit in Verbindung bringen will und die
Interessen Deutschlands nun am Hindukusch und überall sonst auf der
Welt "verteidigen" will.
Und Tübingen?
Wir wollen festhalten, dass es in Tübingen seit über 20 Jahren
keinen Neonazi-Aufmarsch oder dergleichen gegeben hat. Neonazis
haben in Tübingen keine soziale Basis. Aber Tübingen ist keine Insel
der Seligen. Wenn nun Oberbürgermeister Boris Palmer behauptet, dass
Tübingen eine "weiße Zone" bleiben soll, dann gehört zu dieser
Aussage ein gehöriges Maß an Verdrängung. Es gibt hier den
Grabert/Hohenrain Verlag, der seit Jahrzehnten zu einem der
führenden Publizisten im geschichtsrevisionistischen und
rechtsextremen Spektrum gehört. Es gibt in Tübingen elitäre
rechtslastige Burschenschaften, die hier ihre "Traditionen" pflegen
und wieder ungehindert in ihrem Wichs an der Uni verkehren dürfen.
Aktuelle Mitglieder der Burschenschaft Germania Strassburg sind auch
aktiv bei "Jung-Weikersheim" und zeichnen für die Einladung von
Martin Hohmann und Ex-KSK-General Günzel verantwortlich, weswegen
Ex-Burschenschafter Günther Oettinger zusätzlich in die Bredouille
kam. Neben diesen traditionsreichen rechten Institutionen hat
Tübingen ein Regierungspräsidium zu bieten, dessen Abteilung
"Bezirksstelle für Asyl" seit 15 Jahren die Asylverfahren und
Abschiebungen (u.a. aus dem zwischenzeitlich geschlossenen
Abschiebeknast in Rottenburg) des gesamten Regierungsbezirks managt.
Es gibt also über die Verhinderung einer Demo von pubertierenden
Jung-Nazis hinaus auch in Tübingen noch einiges zu tun. Aber wir
wollen hier nicht nur schwarzweiß malen. Die Offenheit der Tübinger
Bevölkerung für kulturelle Vielfalt und Internationalität, das
reichhaltige Vorhandensein kultureller und sozialer Initiativen und
Organisationen soll hier nicht übersehen werden, sondern mit dem
Engagement gegen die Neonazis auch aktiv verteidigt werden.
Wir stehen für eine emanzipatorische Politik, die sich gegen
patriarchale Männlichkeit, Rassismus und Ausbeutung wendet.
Wir setzen uns für eine Migrationspolitik ein, die das Recht auf
Bewegungsfreiheit respektiert und ohne militarisierte Grenzen, Lager
und Sondergesetze auskommt! Wir wollen Fluchtursachen bekämpfen,
nicht Flüchtlinge! Wir stehen für das Zusammenleben aller Menschen
in einer multikulturellen Gesellschaft, in der Menschen nach ihrem
Charakter und ihrem Verhalten beurteilt werden und nicht nach
Herkunft und Hautfarbe.
Wir stehen für eine "andere Globalisierung", durch die soziale
Gerechtigkeit, Menschenrechte und Umweltschutz weltweit durchgesetzt
werden.
Wir setzen uns gegen jeden Krieg ein, weil Krieg ein Verbrechen
gegen die Menschlichkeit ist!
Wir rufen dazu auf, den Neonazi-Aufmarsch am 21. Juli in Tübingen
geschlossen und entschlossen zu verhindern.
Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!
Die Nazis wollen "Tübingen rocken", wir werden ihnen den Marsch blasen!
Machen wir Tübingen zur No-Go-Area für Faschisten!
1 Quelle: www.jn-bw.de