linksrhein
linksrhein@nadir.org

Volltextsuche

linksrhein-Homepage

nadir

cm, Konstanz 01. 08 99

Kommunale Finanz- und Wirtschaftspolitik: Soziale Ansprüche statt Förderung des Kapitals

Die Bedeutung der Kommunalpolitik

Der Lebensstandard der werktätigen Bevölkerung (ArbeiterInnen, Angestellte, Erwerbslose, RentnerInnen, SchülerInnen, StudentInnen, Hausfrauen) hängt heute in beträchtlichem Ausmaß davon ab, welchen Umfang, welche Qualität und, nicht zu vergessen, welchen Preis öffentliche Dienstleistungen haben. Die Bedeutung dieser Faktoren nimmt in dem Maß zu, je weniger Geld den darauf Angewiesenen zum Leben zur Verfügung steht und je stärker sie den Belastungen der Profitproduktion ausgesetzt sind. Wer als arbeitsloser Sozialhilfeempfänger auf 1200 DM oder weniger monatlich angewiesen ist, für den können Preiserhöhungen für Strom, Wasser, Gas zu Existenzfragen werden. Wer als Alleinerziehende gezwungen ist, die Arbeitskraft in Teilzeit zu verkaufen, für die kann der Mangel an Kinderkrippenplätzen in Überschuldung und Armut führen. Wer als ausländischer Arbeiter in Schicht schuften muß, um seine überteuerte Wohnung bezahlen zu können, ruiniert seine Gesundheit.

Öffentliche Dienstleistungen werden in sehr großem Umfang über die Kommunen zur Verfügung gestellt - oder eben auch nicht. Im Rahmen dieser "Daseinsvorsorge" werden heute ungefähr zwei Drittel aller Sachinvestitionen und rund die Hälfte aller staatlichen Investitionen in der BRD über die Gemeinden abgewickelt. Das macht es unumgänglich, die Interessen und Ansprüche der werktätigen Bevölkerung auf dieser Ebene unüberhörbar anzumelden. Um so mehr gilt dies, weil die Politik von Regierung und Kapital ihr in zunehmendem Maße solche Lebensinteressen streitig macht: Die Unternehmer wollen, daß die Arbeitshetze steigt, sie schaffen immer mehr Arbeitsverhältnisse, von denen niemand leben kann, sie bauen die Schicht- und Wochenendarbeit aus und fordern mit der Flexibilisierung totale Verfügbarkeit fürs Kapital. Gleichzeitig sind Millionen arbeitslos, ebenfalls Millionen auf karge Sozialhilfe angewiesen, Armut breitet sich aus. Die konservativ- liberale Regierung befördert diesen Prozeß mit seit Jahren betriebenen "Reformen", denen spärlich genug ausgefallene Sozialleistungen zunehmend zum Opfer fallen und die darauf zielen, erkämpfte Versorgungs- und Versicherungsansprüche der Lohnabhängigen insgesamt zu beseitigen. Milliarden sollen so in die übervollen Kassen der westdeutschen Konzerne fließen - damit auf dem Weltmarkt erfolgreich expandiert werden kann und die Dividenden der Kapitaleigner stimmen.

Ein wichtiger Teil des Widerstands gegen diese Politik ist der Kampf um ausreichende Versorgungsleistungen der Kommunen. Die ALL will mit ihrer Politik einen Beitrag dafür leisten, daß sich Kommunalpolitik künftig an den Interessen der werktätigen Bevölkerung orientiert und nicht weiter die Gewinnsteigerung von großen Unternehmen zur Maxime hat.

Finanzielle Austrocknung und politische Entrechtung

Entscheidend für die Möglichkeiten der Kommunen, Versorgungsleistungen zur Verfügung zu stellen ist ihre Finanzausstattung und - die Möglichkeit, selbst darüber zu entscheiden, wieviel Geld als Steuer, Abgabe etc. erhoben wird, und von wem. Entgegen den bei jeder Gelegenheit verbreiteten Lobreden der bürgerlichen Politiker über die Vorzüge der sogenannten kommunalen Selbstverwaltung tendieren die Spielräume für die Gemeinden zusehends gegen Null.

Schon immer gab es in der kapitalistischen BRD Versuche der Herrschenden, die Rechte der Kommunen, in deren Zuständigkeitsbereich der größte Teil der öffentlichen Dienstleistungen fällt, einzuengen und ihnen finanziell das Wasser abzugraben. In den letzten zwei Jahrzehnten hat die bürgerliche Politik hier wichtige Einbrüche erzielen können.

Vor der Gemeindefinanzreform im Jahr 1969 bestimmten die Kommunen 94,3% ihrer Steuereinnahmen selbst, die Gewerbesteuereinnahmen, die hauptsächlich mittlere und große Unternehmen aufbringen, machten 30,4% der Haushaltseinnahmen aus. Der Anteil der Gebühren, die fast vollständig von den Werktätigen gezahlt werden müssen, belief sich auf 14,5%. Heute, 1989, haben die Kommunen nur noch auf schätzungsweise 54% ihrer Steuereinnahmen Einfluß. Die Folgen dieser Politik der Entrechtung der Kommunen blieben nicht aus. Während die Kapitalisten planvoll entlastet werden - der Gewerbesteueranteil sank in diesen 20 Jahren durch verschiedene Gesetzesänderungen befördert um 14,6% -, plündert man die arbeitende Bevölkerung aus: Über Gebühren finanziert sie die kommunalen Haushalte mit 21,4%, dazu kommen noch die Lohnsteuergelder, die heute als Einkommenssteueranteil der Gemeinden in die Kommunalhaushalte einfließen (15,5%).

Die Entlastungen der Kapitalisten durch eine zunehmende Entschärfung der Gewerbesteuergesetzgebung begannen schon Mitte der 70er Jahre unter der sozialliberalen Koalition. Die Gangart verschärfte sich erheblich, nach dem die Kohlregierung ans Ruder gekommen war. Für die Wirtschaft sprangen dabei im Zeitraum von 1975 bis 1987 schätzungsweise 75 Mrd. DM heraus. Die Kommunen mußten - trotz Ausgleichszahlungen des Bundes (höherer Einkommenssteueranteil und niedrigere Gewerbesteuerumlage) Mindereinnahmen von mindestens 15,5 Mrd. hinnehmen, eine Entwicklung, die sich im Gefolge der Steuerreform eher noch verschärfen wird.

Diese Zahlen täuschen über das tatsächliche Ausmaß der staatlichen Kürzungspolitik noch hinweg. Denn parallel zur zunehmenden staatlichen Gängelung und finanziellen Austrocknung der Gemeinden halste ihnen der Zentralstaat immer neue Aufgaben auf. Insbesondere die rasanten Zuwächse kommunaler Ausgaben für soziale Leistungen, verursacht durch die mitleidlose angebotsorientierte Wirtschafts- und Sozialpolitik der konservativ-liberalen Koalition, deren "Folgelasten" der Bundesgesetzgeber auf die Kommunen abwälzte, schnüren den finanziellen Spielraum der Kommunen dramatisch ein.

Die Folgen spüren wir am eigenen Leib: Drastische Gebührenerhöhungen gehen einher mit rigiden Sparmaßnahmen, realem Personalabbau, weniger und schlechteren Dienstleistungen.

Einen weiteren entscheidenden Schlag gegen die Kommunen und damit gegen die arbeitende Bevölkerung wollen die Herrschenden mit der "Gewerbesteuerreform" landen. Diese Steuer, sie stammt noch aus Zeiten, wo unumstritten war, daß die Kapitalisten ihren Staat selbst finanzieren, ist den Konzernen und ihren Politikern ein Dorn im Auge. Die verschiedenen Modelle, die im Gespräch sind, laufen alle darauf hinaus, den Kommunen auch noch diese letzte bedeutende Realsteuer, über die sie in eigener Regie verfügen können, aus der Hand zu nehmen und damit auch den letzten Rest von "kommunaler Selbstverwaltung" zu beseitigen. Der Boden für einen noch tieferen Griff in die Geldbeutel der arbeitenden Menschen, für eine noch zügellosere Förderung der Konzerne wäre damit bereitet.

Um den Lebensinteressen der arbeitenden Menschen Geltung zu verschaffen ist es dagegen unerläßlich, gegen die zunehmende Entrechtung und finanzielle Austrocknung der Kommunen aufzutreten. Die ALL tritt deshalb ein für:

  • eine Finanzausstattung der Kommunen, die ausreichend ist, um die Versorgungsansprüche der werktätigen Bevölkerung umfassend zu befriedigen
  • eine starke Erhöhung aller Steuern, die Großunternehmen belasten; insbesondere wenden wir uns gegen alle Pläne, die Gewerbesteuer unter dem Deckmantel einer Reform faktisch abzuschaffen
  • das Recht der Kommunen, eigene Steuern zu erheben, um die finanzielle Abhängigkeit von Bund und Land abzuschwächen
  • eine Unterstützung aller Bestrebungen, die die Entscheidungsgewalt der Kommunen gegen Bund und Land stärken Langfristig fordern wir die vollständige finanzielle Autonomie der Kommunen gegenüber Bund und Land.
Die werktätige Bevölkerung zahlt immer mehr Gebühren für weniger und schlechtere Leistungen

Wer heute auf die vergangenen fünf Jahre Kommunalpolitik seit den letzten Wahlen zurückblickt, wird vor allem eines feststellen: Das Leben in Konstanz ist teurer geworden, zumindest für jene, die nicht viel Geld haben. Über die Kommune wird die Versorgung mit einer Vielzahl von buchstäblich lebensnotwendigen Leistungen geregelt, auf die niemand verzichten kann. Wasser-, Gas- und Stromversorgung liegen ebenso in kommunalem Verantwortungsbereich wie der öffentliche Nahverkehr, die Müllabfuhr, die Abwasserentsorgung. Die Stadt ist, zusammen mit dem Kreis, zuständig für die Sozialhilfe, die Gesundheitsversorgung, die Pflege alter Menschen und vieles andere mehr.

Die bürgerliche Kommunalpolitik in Konstanz nutzt die Abhängigkeit von diesen Leistungen aus, um die werktätige Bevölkerung zunehmend brutaler auszuplündern. Seit Jahren ziehen die vom FWG-Oberbürgermeister Eickmeyer geführte Verwaltung und eine konservativliberale Gemeinderatsmehrheit die Gebührenschraube immer härter an. Im vergangenen Jahr wurde die Bevölkerung von einer Welle von Gebührenerhöhungen geradezu überrollt:

  • Seit Anfang 1988 müssen männliche Einwohner eine vom Gemeinderat neueingeführte Feuerwehrabgabe in Höhe von 70 DM jährlich zahlen.
  • Den Wasserpreis erhöhte die Stadt zum gleichen Zeitpunkt um 30% von 1 auf 1,30 DM pro Kubikmeter.
  • Ebenfalls seit 1.1.88 verlangen die Stadtwerke um durchschnittlich 10,6% höhere Fähretarife.
  • Drastische Preiserhöhungen um bis zu 21 % gab es am 1. 11.88 bei den städtischen Buslinien.
  • Am 1. Januar 1989 wurden die Abwasserpreise von 2,15 auf 2,30 DM je Kubikmeter verteuert.
  • Seit Jahresanfang kostet auch Baden mehr: Die Stadt hat Einzeleintrittskarten um 50 Pfennig angehoben. Bäderpässe von 120 auf 150 DM, Mehrfachkarten um 5 DM.
  • Die Strompreise haben die Stadtwerke im Januar 1989 um durchschnittlich 6,5% nach oben geschraubt.
  • Und schließlich wird auch Sterben teurer: Seit Anfang des Jahres kassiert die Stadt um bis zu 50 Mark bei Bestattungen mehr.

Seit 1980 hat die Stadt Konstanz ihr Gebührenaufkommen um satte 43% von 19 Mio. auf 27,5 Mio. DM gesteigert. Ähnliches gilt für den kommunalen Eigenbetrieb Stadtwerke, der für Strom, Gas, Wasser und öffentlichen Nahverkehr im vergangenen Jahr 44,5 Mio. DM kassierte. Statistisch gesehen zahlt die Konstanzer Bevölkerung pro Kopf jährlich rund 1 000 DM Abgaben, Gebühren und Tarife an die Stadt oder die Stadtwerke. Und diesen Kurs wollen die bürgerlichen Kommunalpolitiker unbeirrbar fortsetzen: Schon hat die Verwaltung neue Gebührenerhöhungen angekündigt. So sollen die Abwasserpreise bis 1993 stufenweise von 2,30 auf sage und schreibe 3,60 DM angehoben werden. Und auch die Müllabfuhr will die Stadt wieder einmal verteuern.

Geht es darum, die Bevölkerung zu schröpfen, ist dem BürgerInnenblock kein Mittel zu schäbig. So erhebt die Stadt Konstanz von ihrem Eigenbetrieb Stadtwerke eine sogenannte Konzessionsabgabe dafür, daß er das Leitungsnetz benutzt. Die Fadenscheinigkeit der Konstruktion könnte deutlicher nicht sein: Ein Betrieb der Stadt zahlt an die Stadt, weil er Einrichtungen der Stadt nutzt...

Tatsächlich handelt es sich um eine Sonderabgabe, die der Bevölkerung abverlangt wird, denn um die Abgabe zu erwirtschaften, Jahr für Jahr meist mehr als 1 Mio. DM, erhöhen die Stadtwerke schlicht die Preise.

Kommunale Leistungen werden für die werktätige Bevölkerung nicht nur immer teurer, sie werden gleichzeitig auch noch eingeschränkt und verschlechtert. Seit Jahren stagniert die Zahl der städtischen Beschäftigten, trotz vielfach drastisch gewachsener kommunaler Aufgaben, z.B. im sozialen Sektor. Härtere Arbeitsbedingungen für das städtische Personal und eine schlechtere Versorgung der Bevölkerung sind die Folgen. Am jährlich verabschiedeten kommunalen Haushalt setzen Verwaltung und Gemeinderat den Rotstift immer kräftiger an: "Konsequente Sparpolitik" nennt das Eickmeyer unter dem Beifall fast aller Gemeinderatsfraktionen und droht für die Zukunft weitere "Leistungseinschränkungen" an.

Dabei scheinen die Verantwortlichen gegenwärtig insbesondere damit zu liebäugeln, öffentliche Dienstleistungsbereiche zu privatisieren und damit direkt den Marktgesetzen zu unterwerfen. Das zeigt nicht nur die anhaltende Diskussion in den Reihen der konservativ-liberalen Fraktionen, das zeigt auch die öffentlich wenig beachtete Umwandlung der städtischen "Tourist-Information" in eine GmbH, die zukünftig direkt von denen geleitet werden soll, die an diesem Geschäftszweig verdienen. Prompt hat die FDP noch eins draufgesetzt: Sie will die Stadtwerke, und damit die Energieversorgung und den öffentlichen Personennahverkehr privatisieren. Über die Beweggründe schreibt der "Südkurier" in dankenswerter Offenheit: "Will beispielsweise der Eigenbetrieb die Preise im öffentlichen Nahverkehr anheben, müssen werksausschuß und Gemeinderat dem Vorschlag zustimmen. Eine GmbH braucht die Zustimmung dieser Gremien nicht einzuholen." Würden die Stadtwerke in ein offen nach kapitalistischen Grundsätzen wirtschaftendes Unternehmen umgewandelt, wären die Ansprüche der Konstanzer Bevölkerung auf grundlegende Dienstleistungen vollends dahin. Könnten reaktionäre Kommunalpolitiker einen solchen Privatisierungskurs durchsetzen, wären die Folgen weitreichend: Rationalisierungen, Entlassungen und Lohnsenkungen für Beschäftigte, De-facto-Abschaffung von kommunalen Leistungen für all jene, die in die Höhe schießende Preise dafür nicht mehr Zahlen könnten.

Für die in Konstanz regierende bürgerliche Kommunalpolitik zählen die Versorgungsbedürfnisse der werktätigen Bevölkerung nur in einer Hinsicht: als Gegenstand kapitalistischer Produktion von Waren. Eine solche Optik verlangt wie selbstverständlich, die Preise (Gebühren) hochzutreiben und die Waren (Leistungen) zu verknappen, wenn sich kostenrechnende Beträge nicht mehr erzielen lassen. Auf Strom, Gas, Wasser kann niemand verzichten? Um so teurer kann sich die Stadt diese Leistungen bezahlen lassen. Ein städtisches Bad wirft zu wenig ab? Dann muß es eben geschlossen werden. Stützen können sich die bürgerlichen KommunalpolitikerInnen bei ihrer Gebührenpolitik auf gesetzliche Grundlagen: In der Gemeindefinanzreform von 1974 hat der Bundesgesetzgeber festgeschrieben, daß die Bereiche der kommunalen Haushalte, mit denen Leistungen für die Bevölkerung finanziert werden, im Gegensatz zur vorherigen Praxis, als "kostenrechnende Einheiten" geführt, sprich durch Gebühren finanziert werden müssen. Damit hat sich der bürgerliche Staat eine weitere Möglichkeit eröffnet, den Lohnabhängigen tief in die Taschen zu greifen. Bundesweit zahlen sie heute 40,8 Mrd. DM an Gebühren jährlich (1974 waren es 15,1 Mrd.), der Gebuhrenanteil an den Gesamteinnahmen der Kommunen wuchs von 1974 15,8% auf heute 21,4%. Verstärkt wird diese Tendenz vor allem durch die von den Konzernherren geforderte und von Bonn und Stuttgart betriebene angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, mit der alle verfügbaren Mittel für die Weltmarktexpansion des westdeutschen Kapitals mobilisiert werden sollen. "Konsumtive Ausgaben", d.h. Mittel, die in den Verbrauch der Lohnabhängigen fließen, sind für Daimler Benz & Co nur lästige Kostenfaktoren, die es zu beseitigen gilt: Um den "Standort Bundesrepublik" attraktiv zu machen, sprich die Profite zu erhöhen.

Diese Subventionierung der Konzerne finanzieren Bundes- und Landesregierung zu einem Teil darüber, daß den Kommunen Gelder gekürzt werden. Zum anderen schieben Bund und Land zunehmend vor allem Aufgaben im sozialen Bereich auf die Kommunen ab, die weder über ausreichend finanzielle, sachliche noch personelle Voraussetzungen verfügen, um sie erfüllen zu können. Und die Kommunen reagieren darauf wie beabsichtigt: Immer mehr Abgaben von der arbeitenden Bevölkerung für immer weniger und schlechtere Leistungen eintreiben, heißt die Devise nicht nur der Konstanzer Kommunalpolitikerinnen. Die Gebührenexplosion trifft die arbeitende Bevölkerung dabei um so härter, als sie sich gleichzeitig weitgehenden Angriffen von Kapital und Regierung gegenübersieht:

  • Während die Armut wächst, kürzt die Bundesregierung rabiat die Versorgungsleistungen für die Lohnabhängigen. Im Landkreis Konstanz ist die Zahl der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger inzwischen auf über 8% gestiegen. Vor allem viele Frauen und Menschen aus dem Ausland leben inzwischen in Verhältnissen, die den Gang zum Sozialamt unerläßlich machen.
  • Trotz glänzender Konjunktur sind in Konstanz über 1 500 Menschen erwerbslos, die "stille Reserve" gar nicht mitgerechnet.
  • Die Unternehmer steigern die Arbeitshetze und setzen vermehrt Arbeitsverhältnisse zu üblen Bedingungen und für wenig Geld durch.
  • Das Geschäft mit der Wohnungsnot floriert. Explodierende Mieten führen in Konstanz dazu, daß immer mehr Geld für immer miesere Wohnungen aufgebracht werden muß (siehe dazu auch Programmpunkt Wohnungspolitik).

Diejenigen, die am wenigsten haben, und denen dieses wenige noch gekürzt wird, finanzieren den Löwenanteil des städtischen Etats. Der Konstanzer Haushalt wird zu 21% aus Lohn- und Einkommenssteuer bezahlt, ein weiteres Viertel (Zuweisungen, Erstattungen vom Land) stammt ebenfalls zu einem Großteil aus dem Lohn- und Verbrauchssteueraufkommen. Zusammen mit den Gebühren und den Einnahmen der Stadtwerke macht das unter dem Strich, vorsichtig geschätzt, über 70% aller städtischen Einnahmen aus.

Die ALL tritt angesichts dieser von der Verwaltung und dem konservativ- liberalen Bürgerblock betriebenen Politik der Gebührenausplünderung und des Leistungsabbaus für einen radikalen Kurswechsel ein. Sie fordert:

  • einen sofortigen Stopp der Gebührenerhöhungen für die werktätige Bevölkerung
  • eine schrittweise, deutliche Senkung der Gebührenlast
  • eine sofortige Verbilligung der Kosten für Energie und Abfallbeseitigung für die Privathaushalte
  • die Beseitigung des Kostendeckungsprinzips bei kommunalen Dienstleistungen
  • langfristig Nulltarif für alle kommunalen Dienstleistungen
  • Abschaffung der Konzessionsabgabe der Stadtwerke an die Stadt
  • keine Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Leistungen
  • mehr Personal in kommunalen Einrichtungen
  • nicht Abbau, sondern Ausbau sozialer, pädagogischer, kultureller und sportlicher Einrichtungen für die werktätige Bevölkerung durch die Stadt
Gemeinderat und Verwaltung fördern das Kapital

Während sich die werktätige Bevölkerung laufenden Gebührenerhöhungen und Leistungskürzungen gegenübersieht, zeigen sich Gemeinderatsmehrheit und Verwaltung gegenüber dem Kapital und den Reichen mehr als großzügig. Wirtschaftsförderung heißt das wohl meistgebrauchte Wort im Vokabular von Verwaltung und Ratsmitgliedern. Städtische Gelder in Millionenhöhe fließen Jahr um Jahr direkt oder indirekt in die Kassen vor allem großer Unternehmen.

Seit Jahren sinkt der Anteil der Gewerbesteuer, die gezielt vor allem mittlere und große Unternehmen belastet, an den städtischen Einnahmen, während den Lohnabhängigen und kleinen Gewerbetreibenden immer tiefer in die Tasche gegriffen wird. Mitte der 70er Jahre betrug er noch über 20%, noch Anfang der 80er Jahre lag er um die 17%, heute erreicht er gerade noch 14%. Obwohl das Aufkommen seit 1985 mehrere Jahre in Folge selbst unter den vorsichtig festgesetzten Ansätzen im Haushalt blieb, wehrte sich der Bürgerblock mit Händen und Füßen gegen eine Erhöhung der Gewerbesteuer. Erst im vergangenen Jahr stimmten die Herren und Damen im Gemeinderat einer schüchternen Anhebung der Hebesätze um 10 Punkte zu. Damit erreicht die Gewerbesteuer gerade wieder die Größenordnung von Ende der siebziger Jahre, bevor sie 1980 um 10 Punkte gesenkt worden war. Trotz dieser Erhöhung rangiert ihr Hebesatz in Konstanz mit 335 Punkten noch immer deutlich hinter dem Bundesdurchschnitt, der im vergangenen Jahr bei 352 Punkten lag.

Die rigide Gebührenpolitik, die Gemeinderat und Verwaltung gegen die Bevölkerung durchsetzen, steht im umgekehrten Verhältnis zur Abgabenpolitik, die gegenüber den großen Unternehmen eingeschlagen wird. Während die Ärmsten immer größere Summen hinblättern müssen, schont man die Reichsten, wo immer es geht. Die Konzerne krempeln ganze Regionen nach ihren Wünschen um, sie schaffen Ballungsgebiete oder lassen ganze Städte veröden, je nach Konzernstrategie. Die Kosten für die daraus resultierende Armut und Wohnungsnot haben zum Großteil die Kommunen zu tragen. Firmen wie Ravensberg, Herose und andere sind es, die den größten Teil des Giftmülls verursachen und Luft und Wasser verschmutzen. Die "Reparaturen" zahlt, wenn überhaupt, die Kommune, und das heißt die werktätige Bevölkerung. Denn den Großunternehmen machen die Verantwortlichen billigste Sondertarife. Obwohl ihre tatsächliche Höhe ein gutgehütetes Geheimnis der Stadtverwaltung ist, muß davon ausgegangen werden, daß die Abgaben, die Firmen wie AEG, CGK oder Herose für den Verbrauch von Strom, Gas und Wasser leisten, um mehr als die Hälfte unter dem liegen, was die Stadt bei den Lohnabhängigen abkassiert. Eine dementsprechende Erhebung des "Verbandes der Energieabnehmer e.V." bei 50 kommunalen Energieversorgungsunternehmen hat z.B. ergeben, daß elektrischer Strom einen großer Industriebetrieb (der drei Schichten fährt) durchschnittlich 14,1 Pf/kWh kostet, während ein Privathaushalt im Schnitt 29,0 Pf/kWh hinblättern muß.

Doch niedrige Steuern und Dumpingpreise für Energie und Wasser sind bei weitem nicht die ganze Förderung, auf die große Unternehmen in Konstanz zählen können. Dazu kommen weitere Geschenke in Form städtischer Millionenbeträge für den Ausbau der Infrastruktur, für Grund- und Boden, Bauprojekte, Straßen etc. Einige Beispiele aus den vergangenen Jahren können das verdeutlichen:

  • Die Computerfirma CTM erhält 1984 insgesamt 1,32 Mio. DM indirekten Zuschuß von der Stadt, als die Verwaltung ihr ein Grundstück weit unter Marktpreis überläßt.
  • 1,25 Mio. DM schenkt 1985 die Stadt einem Technologiezentrum, an dem sich der Leitz-Konzern beteiligt.
  • Knapp 240000 DM weniger als am hiesigen Grundstücksmiarkt üblich zahlt die Computerfirma CGK 1986 für ein städtisches Grundstück.
  • Dem "Südkurier" schenkt die Stadt 1988 eine Million DM für eine neue Druckerei im Industriegebiet.
  • Fast 5 Mio. DM schießen 1987/88 Gemeinderat und Verwaltung dem Tourismusunternehmen Insel Mainau für den Bau einer Zugangsstraße indirekt zu.
  • Was der Kaufhauskonzern Hertie letztendlich an Steuergeldern kassiert haben wird, wenn seine neue Kundentiefgarage einmal bezugsfertig ist, steht in Sternen. Sicher ist, daß die Stadt bislang mit über 10 Mio. DM dabei ist.

Das sind nur einige Beispiele für die in Konstanz betriebene Politik für das große Geld. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Im letztjährigen Haushalt der Stadt beziffert sich die Summe der Investitionen, die im engeren Sinne die Wirtschaft fördern, auf rund 15 Mio. DM, d.h. 30% aller Investitionen fließen letztendlich in die Taschen der Kapitalisten.

Und diesen Kurs will der Bürgerblock in den kommenden Jahren fortsetzen: Schon plant er ein neues Großkaufhaus in der Innenstadt, auf dem Areal Stromeyersdorf soll ein Gewerbegebiet hochgezogen werden, im Rathaus wird von einem weiteren Großbetrieb gemunkelt, der plant, sich dort anzusiedeln.

Wirtschaftsförderung sichere und schaffe Arbeitsplätze und damit den Wohlstand der Bevölkerung - mit diesem Standardargument begründen und verteidigen CDU/FDP/FWG, häufig genug auch die SPD und teilweise sogar die FGL diese Millionengeschenke an die Unternehmer. So oft es auch zu hören ist, richtiger wird es dadurch noch lange nicht. Denn:

  • Seit Anfang der 80er Jahre sind über 1 500 Menschen in Konstanz erwerbslos, obwohl die Konjunktur seit nunmehr sieben Jahren läuft wie geschmiert und die Profite überschäumen wie selten zuvor. Die Verarmung hat in diesen Jahren jedoch erheblich zugenommen, die Wohnungsnot lastet auf einem immer größeren Teil der Konstanzer Bevölkerung. Obwohl Millionen und Abermillionen städtischer Gelder auf die Konten der Kapitalisten geflossen sind, hat der Wohlstand für Leute mit wenig Geld nicht zu-, er hat abgenommen.
  • Wenn das Arbeitsamt nach langen Jahren im Juli erstmals wieder steigende Beschäftigungszahlen meldet, verdecken diese Zahlen, um was für Arbeitsverhältnisse es sich da handelt. Befristete Arbeitsverträge, Teilzeitarbeit, Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, Arbeit auf Abruf, Saisonarbeit - das sind zu einem Großteil die neuen Arbeitsplätze, die vor allem im Dienstleistungsbereich geschaffen werden. So meldet z.B. die Singener IG Metall, daß von 241 neuen Stellen, die in der Metallindustrie der Region geschaffen wurden, 35% befristet sind. Solche Arbeitsplätze schaden den Interessen der Lohnabhängigen, sie bedeuten Lohnsenkung in bisher ungekanntem Ausmaß, sie erhöhen brutal die Arbeitshetze. Wer mit Wirtschaftsförderungsgeldern mit zur Schaffung solcher Verhältnisse beiträgt, heuchelt, wenn er vorgibt, diese flössen für soziale Interessen.

Das Beispiel CTM zeigt exemplarisch die Folgen städtischer Wirtschaftsförderpolitik. Jahrelang hat das Unternehmen billig städtische Leistungen in Anspruch genommen, 1984 eine Million Wirtschaftsförderung eingesteckt. Eine Aufsichtsratssitzung genügte, um 180 Entlassungen zu beschließen; die Stadt, die CTM Millionen zugeschusterte, hat darauf keinerlei Einflußmöglichkeit.

Die Politik des Bürgerblocks dient nicht sozialen Ansprüchen der werktätigen Bevölkerung. Sie orientiert sich an den Profitwünschen der Unternehmer. Sie ist Ausfluß von Verhältnissen, in denen allmächtige Konzerne auf allen Ebenen diktieren können, was zu geschehen hat. In Konstanz findet das große und größte Geld in Verwaltung und Gemeinderat willfährige Sachwalter.

Gegen diese Politik will die ALL tätig werden. Sie tritt gegen die Förderung des Kapitals ein für die sozialen, politischen und kulturellen Ansprüche der werktätigen Bevölkerung ein. Deshalb fordert sie:

  • Deutliche Erhöhung der Gewerbesteuer um zunächst 20 Punkte;
  • Abschaffung sämtlicher Billigtarife für große Unternehmen;
  • Schluß mit der Subventionierung großer Unternehmen, keine Mark an Wirtschaftsförderung mehr für das große Geld; kein Verkauf von Baugrund mehr, Vergabe nur noch in Pacht; Infrastrukturmaßnahmen, die Unternehmen zugute kommen, sollen in vollem Umfang von diesen finanziert werden,
  • Erhebung einer Verkehrs- und Wohnungsabgabe von großen Unternehmen;
  • Auflegung eines kommunalen Beschäftigungsprogramms, das sich an den Interessen der in Konstanz lebenden Werktätigen orientiert und in erster Linie darauf zielt, Arbeitsplätze in öffentlich oder genossenschaftlich kontrollierbaren Einrichtungen zu schaffen und sich an gewerkschaftlichen Mindeststandards orientiert;
    Über die Konstanzer Stadtgrenzen hinaus muß für eine Umgestaltung des Rechts- und Steuersystems eingetreten werden, um die Erpressbarkeit der Kommunen durch die Konzerne einzuschränken. Das heißt in diesem Zusammenhang vor allem:
  • Erhalt und Ausweitung des Gewerbesteuer-Hebesatzrechts für die Kommunen, das bisher von Land und Bund eingeschränkt wird;
  • Recht der Kommunen auf Einblick in die Geschäfte der Unternehmensleitungen, um Steuerhinterziehung zu unterbinden;
  • Schaffung gesetzlicher Möglichkeiten, die Großbetriebe zur Zahlung sämtlicher Kosten heranzuziehen, die sie verursachen;
  • Die Kommunen brauchen das Recht, die lokale Wirtschaft entsprechend dem Bedarf durch genossenschaftliche oder öffentliche Betriebe eigenständigzuorganisieren. So kann nicht nur die Erpressungspolitik der Konzerne (Arbeitsplätze...) unterbunden werden; ein solches Recht schafft auch günstigere Voraussetzungen für den Kampf der Lohnabhängigen für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn.