linksrhein@nadir.org Volltextsuche sw, Konstanz 01. Februar 2000 |
Die Debatte um die Verstümmelung weiblicher Genitalien als "kulturelles Ritual"
Frauenrechte, MenschenrechteDieser Artikel beleuchtet einige Aspekte
der Debatte um die Verstümmelung der
weiblichen Genitalien, die oft verharmlosend als "weibliche Beschneidung" bezeichnet wird. Dabei geht es nicht zuletzt
um die Frage: Was haben wir EuropäerInnen damit zu tun?
Frauenrechte sind Menschenrechte, war eine zentrale Forderung auf der Weltfrauenkonferenz im September 1995 in Peking. Und zu diesen Menschenrechten gehören nach Ansicht vieler Delegierter auch die sexuellen Rechte der Frauen, Der Begriff war auf der Konferenz allerdings derart umstritten, daß er im Abschlußdokument nicht auftaucht, sondern nur umschrieben wird. Kritik vieler Delegierter erregte ein Passus, in dem "zur vollen Achtung religiöser und ethischer Werte, kultureller Hintergründe und philosophischer Überzeugungen aller Völker im Einklang mit den Menschenrechten und fundamentalen Freiheitsrechten" aufgerufen wird (zit. nach FR 14.9.95), und die Allgemeingültigkeit von Menschenrechten wurde auch durch Verzicht auf das Beiwort universell in Frage gestellt. Mit dem Recht auf kulturelle Differenz argumentieren nicht nur politische und religiöse Führer, sondern auch einige Afrikanerinnen aus Basisbewegungen, wenn sie sich gegen Einmischung von Europäerinnen im Namen der Menschenrechte wehren (siehe "Menschenrechte für Afrika?", off limits 10, S. 5-11) Die Auseinandersetzung um die weibliche Beschneidung oder, wie es andere nennen, Verstümmelung der weiblichen Genitalien (female genital mutilation, FGM), die insbesondere in vielen Ländern Afrikas praktiziert wird. steht im Spannungsfeld dieser Kontroverse. Nicht nur europäische Regierungen, sondern auch weiße Feministinnen hätten sich herauszuhalten, wenn es um spezifisch afrikanische Traditionen gehe, meinen die einen. Andere AfrikanerInnen beziehen klare Gegenpositionen und fordern Unterstützung von Europäerinnen beim Kampf gegen eine Praxis, die für sie eine Menschenrechtsverletzung und nicht Kultur ist. Und sie weisen auch die Beteiligung von EuropäerInnen an der Aufrechterhaltung dieser Praxis nach. Auf der Pekinger Weltfrauenkonferenz kam es immerhin zu einer umfassenden Verurteilung von Gewalt gegen Frauen, und als ein Beispiel dafür wird "female genital mutilation" genannt. Der folgende Artikel erhebt nicht den Anspruch, die verschiedenen Formen, Folgen und Begründungen von FGM umfassend darzustellen (Näheres dazu siehe Literaturhinweise). BegriffAuf einer Frauenkonferenz 1990 in Addis Abeba wurde beschlossen, den bis dahin üblichen Begriff female circumcision (weibliche Beschneidung) durch den Begriff female genital mutilation (weibliche Genitalverstümmelung), FGM, zu ersetzen, da es verschiedene Formen gibt, die nicht gleichzusetzen sind mit der männlichen Beschneidung. Während es im Französischen immerhin verschiedene Begriffe für die Praxis bei Männern (circonsision) und Frauen (excision) gibt, ist im Deutschen weiterhin der verharmlosende Begriff Beschneidung auch für die Verstümmelungen an Frauen üblich. Das ist m.E. nicht nur ein Übersetzungsproblem, sondern auch Ausdruck davon, daß es in Deutschland, im Unterschied zu Frankreich oder den USA, kaum eine Diskussion um FGM gibt - außer in Form von Skandalartikeln mit Verallgemeinerungen über die Brutalität "fremder", "primitiver" Völker (siehe z.B. 7) oder einzelnen Beiträgen mit einer Verurteilung aus feministischer Sicht. Emma spricht z.B. vom "Grauen der sog. Klitorisbeschneidung, genauer gesagt: der sexuellen Verstümmelung von Frauen. Noch genauer: der weiblichen Kastration. " (2, S.60) Nicht nur aus sprachlichen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen verwende ich im folgenden die englische Abkürzung FGM.Formen der FGM und ihre VerbreitungEs sind vier Grundformen der Genitalverstümmelung bei Frauen bekannt:
Praktiziert wird FGM an Frauen und Mädchen in ganz Ost- und Westafrika, allerdings bei weitem nicht bei allen Ethnien (in Gambia und Senegal z.B. nicht bei den Woloff, bei den Mandinga aber z.B. zu fast 100% in Form der Exzision, während z.B. im Sudan trotz Verbot noch die Infibulation verbreitet ist), im südlichen Teil der Arabischen Halbinsel und entlang des Persischen Golfs, in muslimischen Bevölkerungsgruppen in Malaysia und Indonesien, sowie in kleineren Gemeinschaften in Indien. In den letzten Jahren wurden Fälle auch in Europa und Nordamerika bekannt, die Beachtung fanden seit der Ankunft von Flüchtlingen, z.B. aus Somalia und Sudan. FGM ist also weder ein afrikanisches Problem noch auf Menschen islamischen Glaubens beschränkt. Das Alter zur Ausführung der FGM ist je nach Ethnie sehr unterschiedlich: bei Mädchen von einem Monat oder weniger bis zum Alter von 10 Jahren, aber auch bei Frauen von über 20 (vor der Hochzeit und auf Verlangen des Bräutigams oder der zukünftigen Schwiegermutter), Als generelle Tendenz wird jedoch beobachtet, daß immer mehr ganz junge Mädchen der FGM unterworfen werden. 1979 wurde das Thema Genitalverstümmelung auf der Weltgesundheitskonferenz in Khartoum zum ersten Mal öffentlich diskutiert. Damals schätzte man die Zahl der betroffenen Frauen auf rund 30 Millionen, heute beträgt die Schätzung ca. 80 bis 110 Millionen - ein Anstieg, der allerdings großteils aus dem Bevölkerungswachstum resultiert. (5) Das Ursprungsgebiet von FGM ist schwer zu ermitteln. Quellen weisen in den Nahen Osten, insbesondere nach Ägypten vor Ankunft des Islam, wo FGM aber nicht sehr verbreitet war, sondern nur bei reichen Familien, wie den Königsfamilien, als Voraussetzung für gesellschaftlichen Status und Heirat praktiziert wurde. Im römischen Reich stieg bei Sklavinnen ihr Verkaufspreis mit der Verstümmelung. In Europa wurde im 19.Jahrhundert das Zusammenklammern der Scheide als medizinische Behandlung empfohlen, aber wieder aufgegeben, weil keine Ergebnisse erzielt wurden. "Die Amputation der Klitoris wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts von England nach Amerika eingeführt. Man behauptete, sie sei das Mittel gegen alle möglichen Beschwerden, die speziell Frauen beträfen, darunter Hysterie und besonders Masturbation. (...) In Europa war die Genitalverstümmelung aber auf Frauen aus einer bestimmten Schicht beschränkt, in erster Linie auf die Aristokratie oder andere, die sich die Operation leisten konnten, während sie in anderen Regionen heute weit verbreitet ist. Außerdem wurde die Operation in Europa nicht als religiöse Verpflichtung angesehen " (4, S. 30f.). Sie war eher ein lukratives Geschäft. Begründungen für die Praktizierung von FGMViele AfrikanerInnen sagen, daß bei ihnen bis vor wenigen Jahren FGM ein Tabuthema war und z.T. noch ist, das heißt, es wurde auch nicht über die Gründe dafür geredet. Manche Afrikanerinnen dachten, alle Frauen der Welt seien beschnitten.
Neben religiösen gibt es verschiedene andere Rechtfertigungsversuche für FGM, die je nach Region und Ethnie unterschiedlich sind:
Der verbreitetste Grund für FGM ist, "daß die Klitoris das weibliche Organ des sexuellen Verlangens ist. Da die Masturbation mißbilligt wird und um die Frauen vor Versuchung und Schande zu bewahren, praktiziert man die Klitoridektomie. " (3, S. 32) Und hierin liegt auch der entscheidende Unterschied zur Beschneidungspraxis bei Männern: Die männliche Beschneidung fördert durch erhöhte Sensibilität die sexuelle Befriedigung, während die Genitalverstümmelung bei Frauen jede Empfindung abtötet. Wesentlicher Zweck der FGM ist es, die Jungfräulichkeit sicherzustellen und dadurch die Frauen heiratsfähig zu machen bzw. nach der Heirat Promiskuität zu verhindern. "Um die von männlicher Seite als bedrohlich und unbändig empfundene weibliche Sexualität zu zügeln, muß der Frau schon frühzeitig das Vergnügen an und die Möglichkeit zur Lust genommen werden. " (5, S. 542) Erduldet wird FGM von vielen Frauen aus Angst, nicht dazuzugehören, denn der Preis der Zuwiderhandlung ist der Ausschluß aus der Gemeinschaft. "Eine unbeschnittene Frau, die nicht 'rein' gemacht wurde und daher nicht in der Lage ist zu heiraten, kann keine legitimen Kinder gebären und nicht im Alter eine respektable Stellung in der Gesellschaft einnehmen. " (6, S. 547) Übersehen wird auch oft, daß FGM ein gewinnbringendes Geschäft ist. Beschneiderinnen sind meist alte Frauen oder traditionelle Geburtshelferinnen. Genitalverstümmelungen sind oft ihre einzige Einnahmequelle. "In zunehmendem Maße führen Mitarbeiter von Gesundheitsdiensten diese Operationen aus finanziellen Gründen durch. Sie erwirtschaften dadurch nicht nur einen guten Verdienst, sondern verfestigen auch die Praxis, weil sie die Risiken auf ein Minimum reduzieren. " (3, S. 34) FGM ist zunehmend auch ein privates Geschäft für Ärzte und Hebammen in westlichen Ländern. Ein weiterer wirtschaftlicher Grund ist, daß in vielen Regionen die Höhe des Brautpreises steigt mit der Jungfräulichkeit. Der Ehemann kann die Frau verstoßen, wenn er mit ihrer Infibulation nicht zufrieden ist. In Frankreich besteht auch ein Zusammenhang zwischen restriktiver Einwanderungspolitik und Festhalten an Traditionen: Früher kam ein Sohn nach Frankreich und ging nach einiger Zeit wieder zurück. Heute bleibt er, aus Angst, nicht mehr nach Frankreich einreisen zu können. Wer nach Frankreich geht, muß die Familie, oft das ganze Dorf, die Moschee usw. im Heimatort unterstützen. "Das heißt, man hat Verpflichtungen, nicht nur ökonomische. Die Alten, die im Land geblieben sind, haben das Sagen und die Macht. Ihre Wünsche sind Befehle. Und die Frage der Beschneidung der Töchter ist Teil davon " (l, S.58). Verteidigung von Traditionen gegen westliche Einmischung?Kampagnen gegen die Beschneidung sind in Afrika zahlreich, leiden aber darunter, daß als erste die Kolonialherren damit begannen (obwohl sie in vielen Ländern die Praxis - sicher nicht ohne Eigeninteressen - stillschweigend duldeten). "Als christliche Missionare in den 20er Jahren in Kenia die Beschneidung beim Kikuyu-Volk unterbinden wollten, entwickelte sich daraus breiter antikolonialer Protest. In Französisch-Westafrika wurde als Reaktion auf die christliche Herrschaft die Beschneidung zur islamisehen Pflicht erklärt, obwohl ja Kinder aller Religionen beschnitten werden. So kommt es, daß die Beschneidung oft zur bewahrenswerten afrikanischen Tradition verklärt wird und Gegner der Beschneidung in den Verdacht westlicher Fremdbestimmung geraten " (9). In den USA und England lösten ein Buch (Possessing the Secret of Joy, deutsch 14) und ein Fernsehfilm (Warrior Marks) der schwarzen Schriftstellerin Alice Walker, in denen sie zur Abschaffung von FGM aufruft, 1994 heftige Debatten aus. Afrikanische Frauen warfen Walker Sensationsmache vor und schrieben, ihr Film sei "bezeichnend für die westliche femmistische Tendenz, FGM als die geschlechtliche Unterdrückung zu sehen, die alle Unterdrückung beenden soll" statt "als ein Thema, das als solches beachtenswert ist" (4). Fuambai Ahmadu aus Sierra Leone polemisiert in Pride, einem britischen Magazin für Afrikanerinnen: "Hyperkoffeinierte weiße Hochschulfeministinnen ", aber auch die schwarze amerikanische Schriftstellerin Alice Walker, betrachteten die Afrikanerinnen als passiven Gegenstand einer phallokratischen Verschwörung gegen ihre Sexualität. Ganz falsch: Jedenfalls bei Erwachsenen sei die Entfernung der Klitoris freiwillig, bewußt und "untrennbar verbunden mit unserer weiblichen Identität". Überdies werde das Konzept der Weiblichkeit von jeder Kultur anders konstruiert. Logische Folge: Westlichen Feministinnen stehe es nicht zu, für ihre Ansicht, die Genitalverstümmelung bei Frauen sei eine Verletzung elementarer Menschenrechte, universale Geltung zu beanspruchen (8). Dagegen äußerte sich die Ärztin Christine Mwangi, Nairobi: "Nur Frauen bringen es fertig, die Menschenrechtsverletzungen, die an ihnen verübt werden, auch noch zu rechtfertigen. (...) Sie hat insofern recht, als wir Afrikanerinnen es nicht sehr schätzen, von Frauen aus dem Westen über unsere barbarischen Bräuche oder unseren Selbsthaß belehrt zu werden. Ist die Vergewaltigungsrate in manchen europäischen Ländern oder die Facelifting-Manie der Amerikanerinnen vielleicht Zeugnis einer besonders frauenfreundlichen Kultur?" Aber Fuambai Ahmadu irrte sich zunächst einmal in einem wichtigen Punkt, sagt Christine Mwangi: Von einem freien Entschluß könne bei kaum einer Verstümmelung die Rede sein - weil die Opfer nachweislich immer jünger werden. "Leute wie Ahmadu verkennen völlig, daß das Kulturargument immer selektiv zu Ungunsten der Frauen dieses Kontinents ins Feld geführt wird. (...) Es ist ja wohl etwas faul, wenn die Verantwortung für die Bewahrung der repressivsten Traditionen ausschließlich den Frauen aufgebürdet wird - während sich die Männer sozusagen die Filetstücke der Tradition und der Moderne aussuche dürfen" (zit. nach: 8, S. 16). Alice Walkers Meinung ist: "Folter ist keine Kultur!" (4) und: "Sklaverei war auch eine Tradition. Und auch diese Tradition ist bekämpft worden " (2, S.60). Afrikanische Frauenorganisationen kämpfen gegen FGMAuch Binta Sidibe von der Association for Promoting Girl's and Women's Advancement in The Gambia (AGPWA), die im Oktober in Hamburg ihre Kampagne gegen FGM vorstellte, sieht Tradition und Kultur nicht als statisch, sondern sie verändern sich mit Entwicklungsprozessen. Ihr Ziel sei, positive Traditionen zu fördern und schädliche auszumerzen. Der Kolonialismus habe eine systematische Entwertung aller afrikanischen Traditionen betrieben. Gambia habe trotzdem einige sehr gute Traditionen bewahrt, z.B. den Respekt vor dem Alter, die Solidarität unter Frauen und die aktive Rolle von Frauen in der Politik sowie die öffentliche Verantwortung für Benachteiligte, d.h. die Haltung, daß das Individuum die Gemeinschaft etwas angeht. Es gebe jedoch auch negative Seiten von Traditionen, vor allem bzgl. der Gesundheit von Frauen und Kindern, darunter FGM, frühe Heiraten, Erb- und Witwenrecht und die Bevorzugung männlicher Kinder. Aber nicht alle diese gesellschaftlichen Normen sind traditionell afrikanisch, und vor allem seien afrikanische Traditionen im allgemeinen nicht brutal. Auch FGM werde von Frauen nicht aus Grausamkeit praktiziert, sondern in der Überzeugung, dem Kind Gutes zu tun. Binta hält FGM für schädlich, aber einige der Riten, die damit verbunden sind, seien gut für die Erziehung der Mädchen, z.B. die Anleitung, eine gute Mutter und Bürgerin zu werden. Ihr Ziel ist, FGM bis zum Jahr 2000 in Afrika abzuschaffen, aber man müsse vorsichtig vorgehen, um die Alten, die als (Meinungs-)FührerInnen gelten, nicht zu beleidigen. Deshalb liegt der Schwerpunkt der Argumentation von AGPWA darauf, nachzuweisen, daß (im Gegensatz zur guten Absicht) FGM kurz- und langfristig schädlich für Frauen ist, vor allem für ihre Gesundheit und Psyche. Außerdem hält AGPWA eine Ausrottung von FGM nur für möglich, wenn für die Frauen, die ihren Lebensunterhalt durch FGM verdienen, Einkommensalternativen geschaffen werden, z.B. durch Aufbau von Gartenbau- und Geflügelzuchtprojekten. Dafür ist finanzielle Unterstützung dringend nötig. Befragt zur Haltung der Männer bzgl. FGM meinte Binta: "It's' a women's affair, men are not involved" Ein gambischer Mann hielt dagegen, daß ein wesentlicher Grund zur weiteren Praktizierung von FGM der Stolz der meisten Männer sei, eine Jungfrau zu erobern, und sie fühlten sich stark, wenn die Mädchen nach der Heirat gefesselt zu ihnen gebracht werden und tagelang leiden. Bintas Organisation versucht auch, Stellungnahmen von Männern gegen FGM zu erreichen, aber in die falsche Richtung geht für sie die Forderung, die ein afrikanischer Arzt auf einem Kongreß von sich gab: Alle Männer sollten sich weigern, beschnittene Mädchen zu heiraten. Dies sei eine neue Form von Diskriminierung und löse das Problem nicht. Binta sieht FGM als universelles Frauen- und Menschenrechtsthema, deshalb sollten Frauen aus aller Welt darüber reden und einander unterstützen. Als ersten Erfolg sieht sie, daß in Gambia jetzt offen über FGM gesprochen wird, während das Thema früher - für Frauen und Männer - ein Tabu war und diejenigen, die nachfragten, oft dafür bestraft wurden. Auch Mrs. Muuya von der Organisation Mandeleo in Kenia ist für ein vorsichtiges Vorgehen. Jeder Versuch, tief verwurzelte Bräuche auf einen Schlag auszumerzen, wecke fatale Erinnerungen an die blinde Verteufelung einheimischer Kulturen durch die Kirchen und die Kolonialherren. "Wir müssen - erstens - den Frauen klarmachen, daß zwischen der Genitalverstümmelung und ihren Gesundheitsproblemen ein Zusammenhang besteht. Und wir müssen sie davon überzeugen, daß ihre Gesundheit ein Wert an sich ist denn diese Frauen haben bisher in ihrem Leben nur eines gelernt: ihre Bedürfnisse hinter die ihrer Männer, Kinder und Verwandten zu stellen. Aufklärung gelingt aber nur, wenn Mandeleo sich ihrer miserablen Lebensbedingungen insgesamt annimmt: Armut, Analphabetismus, Aids, verschwundene Ehemänner, schlechte Gesundheitsversorgung und die mangelnde Beherrschung der eigenen Fruchtbarkeit. Empowerment muß unser Ziel sein: den Frauen die Kontrolle über ihr eigenes Leben zu geben. " Dies dürfe nicht zu einer Isolierung der Frauen führen. "Deshalb müssen - zweitens - alle Beteiligten eingebunden werden: Mütter, Großmütter, Tanten und Dorfälteste und die Männer. Wir müssen ihnen klarmachen, daß die Gesundheit ihrer Frauen auch ein Anliegen der gesamten Gemeinschaft ist. Für die dayas (Beschneiderinnen) müssen wir - drittens - andere Einkommensquellen finden, vielleicht, indem wir ihnen medizinische Schulung geben." Und schließlich: "Wo die Verstümmelung mit einem Initiationsritus verknüpft ist, sollten wir versuchen, eine positivere Art von Reifezeremonie zu entwickeln, in der den Mädchen nicht mehr erzählt wird, daß nur Folgsamkeit und Leidensfähigkeit sie zu nützlichen Mitgliedern ihrer Gemeinschaft machen " (zit. nach 8, S. 16). In vielen afrikanischen Ländern ist die Beschneidung gesetzlich verboten, wird aber trotzdem heimlich praktiziert. Den Anstoß zu einem anderen Vorgehen gab die Weltfrauenkonferenz in Kenias Hauptstadt Nairobi im Jahr 1985, in dessen Folge bei der UNO ein Interafrikanisches Komitee über traditionelle Praktiken eingerichtet wurde (Sitz: 147, rue de Lausanne, Genf). Es unterstützt Aufklärungsinitiativen afrikanischer Frauen. Was tun in Europa?FGM wurde inzwischen von vielen internationalen Organisationen als Form von Gewalt gegen Frauen und damit als Menschenrechtsverletzung deklariert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Kinderschutzorganisation Unicef haben sich, nach jahrzehntelangem entsetztem Weggucken, zu einer Verurteilung der Beschneidung durchgerungen. Vom UNHCR wurde die Flucht vor drohender Verstümmelung zu einem Asylgrund erklärt. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international hat Ende August auf ihrer Vollversammlung beschlossen, die Bekämpfung dieses Brauchs in ihre Arbeit einzubeziehen. In Frankreich und Norwegen wurde die Praktizierung von FGM unter Strafe gestellt und in Frankreich 1990 auch zum Ausweisungsgrund erklärt. Wenige Monate darauf wurde in einem aufsehenerregenden Prozeß eine Beschneiderin aus Mali zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Malische Einwanderergruppen protestierten damals scharf. "Dadurch zieht der Westen wieder eine Trennungslinie zwischen 'zivilisierten' und 'wilden' Menschen", sagt die Rechtsberaterin Amina Sedibe (zit. nach 9). Viele Afrikanerinnen in Frankreich verstehen nicht, warum FGM verboten ist, und ohne Aufklärungsarbeit durch afrikanische Frauenorganisationen und Ärztinnen hat das Verbot nur zur Folge, daß FGM heimlich weiter praktiziert wird und die Eltern Angst haben, ihre Töchter ins Krankenhaus zu bringen, wenn Komplikationen auftreten. Die Polizei geht oft mit äußerst rassistischer und sexistischer Brutalität gegen afrikanische Frauen vor, denen Praktizierung oder Duldung von FGM vorgeworfen wird (siehe Berichte von Frauen in l). Eine 22jährige Frau aus Mali, die nach Frankreich geflüchtet war, um der von Eltern und Bräutigam erzwungenen Beschneidung zu entkommen, hatte zum ersten Mal in einem europäischen Land ihren Asylantrag mit der "massiven Bedrohung ihrer körperlichen Integrität" begründet, und obwohl die französische Asylbehörde 1991 zu der Auffassung gelangte: "Die Beschneidung fällt unter die Menschenrechtsverletzungen, wie sie von der Genfer Konvention definiert wurden", wurde der Antrag der Frau abgelehnt - wegen, so die Begründung, Unüberprüfbarkeit der Geschichte (taz 2.7.92). Die USA und Kanada sind derzeit die einzigen Länder, in denen Frauenmißhandlung als Asylgrund gilt. Aber was genau unter diesen Begriff fällt, ist offen. Als erstes Land überhaupt hat Kanada einer Frau Asyl zuerkannt, die mit ihrer Tochter aus Somalia geflohen war, weil diese beschnitten werden sollte (FR 9.9.95). In den USA suchten zwei Frauen aus Sierra Leone Asyl, die dort dem Beschneidungsritual unterworfen wurden. "Die eine Frau erhielt in Arlington im Bundesstaat Virginia das Asylrecht zugesprochen - sie habe, so der Richter, 'eine schreckliche Form der Verfolgung' durchlitten. Der anderen wurde Asyl verweigert; die Beschneidung, so erklärte der Richter in Baltimore der Frau, sei wichtig für den Zusammenhalt ihres Stammes, und sie habe die Wahl gehabt, ob sie das Ritual gutheiße. " Die US-Einwanderungsbehörde hat gegen das ArlingtonUrteil Berufung eingelegt: Die Frau habe in ihrem Asylantrag nichts von Beschneidung gesagt und sei daher unglaubwürdig. "Bisher haben US-Richter wenig Erfahrungen mit derartigen Entscheidungen. Im US-Bundesstaat Oregon wurde einer Nigerianerin letztes Jahr das Recht zugesprochen, ihre Kinder in den USA zu behalten, anstatt sie - wie von der Familie gewünscht - zur Beschneidung nach Nigeria zu schicken; aber ihrem Antrag auf Asyl wegen möglicher Racheakte wurde nicht stattgegeben " (taz 12.9.95). Terre des Femmes rief schon 1992 dazu auf, auch in Deutschland Gynakologinnen zu befragen, ob ihnen Fälle von FGM bekannt sind. Nach der Pekinger Weltfrauenkonferenz forderte Kerstin Müller, Fraktionssprecherin der Bündnisgrünen, die Bundesregierung auf, frauenspezifische Verfolgung endlich als Asylgrund anzuerkennen. Mütter, die mit ihren Töchtern fliehen, um sie vor Beschneidung zu schützen, müßten in der BRD Zuflucht finden. Menschenrechtsverletzungen an Frauen - und eine solche ist FGM - müssen eindeutig verurteilt werden. Wir müsssen Frauen, die in ihren Ländern dagegen kämpfen, unterstützen und für Frauen, die hierher fliehen, Rechte fordern. Es kann nicht darum gehen, als Europäerinnen in paternalistischer Manier über weit entfernte Grausamkeiten in "primitiven" Kulturen zu lamentieren. Conni Grenz LiteraturZeitschriftenartikel1 Edith Canestrie, Excision. La parole aux femmes 'coupees', Marie Claire,Juni 1993 2 Warrior Marks. Gegen die Tradition von Frauen, in: EMMA Juli/August 94 3 Enyonam Afele, Grausames Ritual. Die Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane verstößt gegen die Menschenrechte, in: der überblick 2/93 4 David A. Kaplan / Shawn D. Lewis in Detrolt und Joshua Hammer in Ken/a, ls lt Torture or Tradition? , in: Newsweek, 10.1.1994 5 Herta Haas (Gründungsmitglied von Terre des Femmes), Fürs Leben verwundet, in: Deutsche Hebammen Zeitschrift 11/95 6 Christine Filippi, Die Beschneidung der Frau, Deutsche Hebammen Zeitschrift 11/95 7 Irmgard Hochreither, "Mutter, Hilfe! Warum tut Ihr das?", Stern 41/94 8 Constanze Stelzenmüller, Schnitt in die Seele, Die Zeit Nr.36,1.9.1995 9 Kerstin Kilanowski, "Wir möchten euch etwas zeigen", taz 2.6.95 10 Hanny Lightfoot-Kjein, Das grausame Ritual. Sexuelle Verstümmelung afrikanischer Frauen, Fischer Taschebuch Verlag, Frankfurt 1992 11 Alifa Rifaat, Zeit der Jasminblüte, Unionsverlag, Zürich 1990 12 Nawal ei Saadawi, Tschador. Frauen im Islam, con medien und vertriebsgesellschaft, Bremen 1980 13 Awa Thiam, Die Stimme der schwarzen Frau. Vom Leid der Afrikanerinnen, Rowohlt Verlag, Reinbek 1981 14 Alice Walker, Sie hüten das Geheimnis des Glücks, Rowohlt Verlag, Reinbek 1995 15 Christa Wichterich, Frauen der Welt. Vom Fortschritt der Ungleichheit, Lamuv Verlag, Göttingen 1995 |