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Offener Brief zu Newroz-Verbot |
Offener Brief an Oberbürgermeister Horst Frank und den Gemeinderat der Stadt KonstanzSehr geehrter Herr Oberbürgermeister Frank, sehr geehrte Damen und Herren, Das Rechts- und Ordnungsamt der Stadt Konstanz hat am 12. März um 17.45 eine Demonstration verboten, welche die Konstanzer Basisorganisation der PDS für den 13. März angemeldet hat. Auch das von der "Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen" am 20. März geplante kurdische Neujahrfest "Newroz" wurde kurzfristig von der Stadt Konstanz verhindert. Anlaß der Demonstration war die Verschleppung von Abdullah Öcalan in die Türkei. Wie die PDS belegen kann, wurde dieses Verbot vom türkischen Generalkonsulat in Karlsruhe initiiert. Der Kernsatz in der Begründung für das Verbot der Demonstration ist die Behauptung, es sei "unter Berücksichtigung der in den letzten Wochen zahlreich stattgefundenen Gewaltaktionen der PKK im In- und Ausland" zu erwarten, "daß es bei der geplanten Demonstration zur Eskalation der Gewalt kommen wird. Es wäre mit Sicherheit damit zu rechnen, daß Teilnehmer der Demonstration sich mit Steinen, Stöcken oder Waffen bewaffnen und diese auch einsetzen würden." Woher das Rechts- und Ordnungsamt diese Sicherheit nimmt, ist uns schleierhaft, da die Aktionen, auf die es sich bezieht (Botschaftsbesetzungen, Selbstverbrennungen) ganz offenkundig spontane Akte von verzweifelten und empörten Menschen waren, die mit der Verhaftung von Abdullah Öcalan einen neuen Höhepunkt im Leidensweg ihres Volkes hinnehmen mußten. Der Polizei, den Geheimdiensten, den Innenministerien ist sehr wohl bekannt, daß die PKK von der ersten Minute an die Kurdinnen und Kurden dazu aufgerufen hat, ihren Protest besonnen und ohne Gewalt zum Ausdruck zu bringen. Ebenso bekannt ist es, daß es nach dieser ersten spontanen Eskalation bei zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen zu keinerlei Gewalt mehr gekommen ist. So haben in den letzten Wochen allein in Karlsruhe und Stuttgart tausende demonstriert, ohne daß etwas vorgefallen ist. Am besagten Samstag fand in Freiburg eine im übrigen genehmigte und völlig friedlich verlaufende Demonstration mit 900 Teilnehmern statt. Wir sehen im Verbot der Demonstration eine eklatante Einschränkung demokratischer Rechte, für die in letzter Instanz Sie als Oberbürgermeister ebenso verantwortlich sind wie für einen völlig überzogenen, martialischen Polizeieinsatz am Tag der Demonstration. Daß es angesichts der polizeilichen Entschlossenheit nicht zu einer Eskalation kam, ist nur der Besonnenheit der überwiegend kurdischen Menschen zu verdanken, die sich nicht provozieren ließen, obwohl sie angesichts der Tatsache, wie dieser Staat mit ihnen umgeht, allen Grund dazu hätten. Auch das kurdische Neujahrsfest Newroz wurde von der Stadt Konstanz verhindert, indem sie der Veranstalterin am Tag vor der geplanten Feier mitteilte, daß der Treffpunkt Petershausen nicht zur Verfügung steht, da diese unter das Motto "Freiheit für Abdullah Öcalan" gestellt wurden angeblich entstand dadurch die Gefahr, daß sich "auch Personen zum Besuch der Veranstaltung provoziert fühlen, die gegenteilige politische Interessen vertreten." Wenn dies eine hinreichende Begründung wäre, hätte in Konstanz auch die Wehrmachtsausstellung nie gezeigt werden dürfen. Von Ihrer Sekretärin, Herr Oberbürgermeister, wissen wir, daß diese Entscheidung erst nach Rücksprache mit Ihnen getroffen wurde. Gerade von Ihnen, Herr Oberbürgermeister, hatten wir erwartet, daß Sie sich für das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Versammlungsfreiheit, auch für Menschen aus Kurdistan stark machen. Angesichts der einseitigen Presseberichterstattung über die Vorgänge um die Verhaftung von Abdullah Öcalan scheint es angebracht, noch einmal über die Situation der Kurden in der Türkei zu berichten, und auch über die Verantwortung der Bundesrepublik in diesem Konflikt zu sprechen. Seit der Gründung des türkischen Staates 1923 ist das kurdische Volk ständigen Massakern ausgesetzt. Entgegen der vorher getroffenen Absprache, der Bevölkerung in den kurdischen Gebieten weitgehende Autonomie zu gewähren, ging die Atatürk-Regierung mit blutiger Härte gegen das kurdische Volk vor. Die kurdische Sprache wurde verboten, Dorfbewohner umgesiedelt und Beamte zwangsversetzt, um bestehende soziale und politische Strukturen zu zerstören. Seit 1984 führt das Militärregime einen offenen Krieg in Kurdistan. Mehr als 30.000 Tote sind in diesem Krieg bis jetzt zu beklagen. Fast 4.000 kurdische Dörfer wurden vom türkischen Militär zerstört, etwa 5 Millionen Menschen wurden vertrieben. Massenverhaftungen, Folter, Mord sind Alltag im schmutzigen Krieg der Türkei gegen die Kurden. Diesen Krieg kann der türkische Staat nur führen, weil er als Nato-Staat von den Bündnispartnern gestützt und aufgerüstet wurde und wird. Namentlich die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland haben in den letzten Jahrzehnten Waffen und Rüstungsgüter im Wert von mehr als 3 Milliarden Mark an das Regime in Ankara geliefert Zur Hand geht der deutsche Staat der Türkei auch, indem er immer wieder Flüchtlinge aus Kurdistan in die Türkei abschiebt, Menschen, die anschließend häufig genug in Gefängnissen gefoltert werden oder "verschwinden". Die Türkei bezeichnet die PKK, die in Kurdistan einen Befreiungskampf führt, als terroristisch. Die Bundesrepublik hat als einziger europäischer Staat diese Sprachregelung übernommen und die PKK verboten. Tatsache ist jedoch, daß die PKK bis heute die wichtigste Organisation ist, die das Los der Kurden namhaft gemacht hat. Ihre Aktionen haben die Türkei erst dazu gezwungen, überhaupt über ein "Kurdenproblem" zu reden. Am vergangenen Wochenende haben Danielle Mitterand, Uri Avnery und Norman Paech, eine eine internationalen angelegte Kampagne namens "Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan" vorgestellt. Die Initiative fordert in einem Aufruf, der von NobelpreisträgerInnen, PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen, SchriftstellerIanen und KünstlerInnen (u. a. Prof. Elmar Altvater, die britischen Politiker Lord Avebury und Tony Benn, die Rocksängerin Gianna Nannini, der osttimoresische Friedensnobelpreisträger Jose Ramos Horta, die Literaturnobelpreisträger Dario Fo und Jose Saramango und der schweizer Nationalrat Jean Ziegler) unterschrieben ist, daß die Türkei sofort ihre militärischen Operationen in den kurdischen Gebieten einstellen und in einen Dialog mit der kurdischen Seite eintreten muß. Sie weist darauf hin, daß vor einem türkischen Gericht kein faires Verfahren denkbar ist. Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren, es ist zwar spät, aber nicht zu spät für eine politische Lösung im Konflikt um Kurdistan. Dazu können Sie, kann der Gemeinderat der Stadt Konstanz einen Beitrag leisten.
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