linksrhein
linksrhein@seeseiten.de

Suche:
Volltextsuche

linksrhein

Seeseiten

cm, Konstanz 26. Juni 99

Frieden auf dem Balkan?

Fortsetzung der Aggression mit anderen Mitteln!

Die NATO hat ihre Bombardierungen eingestellt, der kriegerische Teil des Feldzugs des "freien Westens" gegen Jugoslawien scheint beendet. Die am Krieg beteiligten westlichen Staaten feiern sich als Sieger. Zehntausende NATO-Soldaten, darunter auch Bundeswehr-Einheiten haben den Kosovo besetzt, die serbische Armee ist abgezogen.

Doch alle westliche Siegespropaganda kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß es der NATO eben nicht gelungen ist, das kleine Jugoslawien in die Knie zu zwingen. Der Bombenkrieg hat sein Ziel, einen souveränen Staat ins völkerrechtliche Niemandsland zu befördern, verfehlt. Am Ende mußten die Kriegstreiber doch die UNO mit ins Boot holen, um im Kosovo einrücken zu können. Trotz aller ökonomischer Erpressungsversuche ist Rußlands Armee mit von der Partie. Und vom ursprünglich erklärten Ziel, faktisch ganz Jugoslawien zu besetzen, ist nicht mehr die Rede.

Die Bilanz

Der Preis jedoch, den die geschundende Bevölkerung der Region zu zahlen hat, ist hoch. Man erinnere sich: die NATO hat den Krieg mit dem Argument begonnen, nur so könne eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindert werden. Die Bilanz nach über drei Monaten des Mordens spricht diesem vorgeblichen Ziel Hohn: Jugoslawien liegt in Schutt und Asche, NATO-Bomben haben Industrie- und Wirtschaftsunternehmen, Versorgungseinrichtungen, Infrastruktur, kulturelle und medizinische Institutionen systematisch vernichtet, tausende von Toten, zehntausende Verwundete, vor allem unter der Zivilbevölkerung Jugoslawiens, sind zu beklagen, Hunderttausende waren und sind auf der Flucht.

Dabei hatten die NATO-Führer behauptet, sie würden einen "klinisch sauberen Krieg" führen, in dem "intelligente" Waffen ausschließlich militärische Ziele treffen sollten. Inzwischen ist klar, daß diese Darstellung zu den NATO-Lügen gehört, die den Krieg von Anfang an begleitet haben. Schon das Unwort von den "kollateralen Schäden" macht ja deutlich, daß keineswegs nur militärische Ziele getroffen wurden.

Neben den unmittelbaren Verlusten und Schäden wird der NATO-Krieg auch weitreichende und langandauernde ökologische Folgen haben. So setzten die Militärs bei der Bombardierung von E-Werken großflächig hochgiftige Stoffe wie z.B. einen Graphit-Staub ein, der eine langanhaltende Umweltvergiftung zur Folge hat. Die Zerstörung von Raffinerien, Treibstofflagern und Chemischen Fabriken hat ebenfalls zur Vergiftung von Boden, Grundwasser und Flüssen durch Öl und Chemikalien geführt. Die Bombardierung der Stickstoffdüngemittelfabrik und des petrochemischen Komplexes von Novi Sad hat zur Ausbreitung einer Vielzahl schädlicher Chemikalien geführt. Fachleute stellten unmittelbar nach dem Bombenangriff fest, daß die Luftbelastung mit toxischen Gasen um das Zehntausendfache über dem zulässigen Wert lag. Diese ökologische Vergiftung macht an den Grenzen nicht halt, außer Jugoslawien wird die gesamte südosteuropäische Region durch diese Folgen der NATO-Angriffe geschädigt werden.

Mit zweierlei Maß

Besonders aberwitzig erscheint die Tatsache, daß nicht nur der Exodus der Kosovo-Albaner erst nach Beginn des NATO-Bombardements einsetzte. Heute sind zusätzlich zehntausende von Serben auf der Flucht. Allein bis Ende letzter Woche flohen nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) etwa 50000 Serben aus dem Kosovo.

Während von westlichen Politikern und Medien jedoch jeder tatsächlich oder vermeintlich flüchtende Albaner quasi als lebendes Argument für die Notwendigkeit, Bomben zu werfen, ins Feld geführt wurde, interessiert dieselben Kreise das Schicksal der jetzt vertriebenen und flüchtenden Serben einen Dreck. Bei Übergriffen der UCK, die im Windschatten der NATO-Truppen mordet und foltert, drücken die Verantwortlichen, vor allem die Bundeswehr-Truppen großzügig ein Auge zu. So kam es z.B. im Kloster Devic, das im unmittelbaren Verantwortungsbereich der Bundeswehr liegt, in den vergangenen Tagen zu schweren Übergriffen durch die UCK, die in das Kloster eindrang und Mönche und Nonnen überfiel und mißhandelte. Serbische Zivilisten wurden gefoltert und ermordet.

Auch sonst stellt die sogenannte Friedenstruppe klar, für und gegen wen sie steht. Während man der jugoslawischen Armee nur wenige Tage ließ, die Region zu räumen, und nach dem Einmarsch jeder jugoslawische Soldat oder Polizist sofort entwaffnet wurde, gibt man der UCK jetzt insgesamt 90 Tage (sic!) Zeit, die Waffen abzugeben; schwere Waffen müssen innerhalb von 30 Tagen abgeliefert werden, mit Handfeuerwaffen dürfen die UCKler noch weitere 60 Tage schießen. Und wer bis dahin noch kein Versteck gefunden hat, ist schließlich selbst schuld...

Kriegsgewinnler

Die Äußerungen der westlichen Staaten auf dem G7-Gipfel in Köln zu ihrer zukünftigen Jugoslawien-Politik lassen nur einen Schluß zu: der militärische Teil der Aktion ist beendet, jetzt wird die Aggression auf dem Balkan mit ökonomischen Mitteln fortgesetzt. Nach der systematischen Zerstörung der materiellen Lebensgrundlagen der jugoslawischen Bevölkerung hat sich das westliche Kartell auf dem G7-Gipfel in Köln das Monopol auf den Wiederaufbau gesichert. Die Milliardenverluste, die dieser Krieg verursachte, werden sozialisiert, die Sparpakete dafür sind bereits geschnürt. Kriegsgewinnler wird das private Unternehmertum sein, das sich im verwüsteten Jugoslawien ein weites Investitionsfeld erhofft, bis hin zur feindlichen Übernahme großer Teile der jugoslawischen Volkswirtschaft.

Geld soll allerdings nur dann fließen, wenn sich die jugoslawische Bevölkerung so verhält, wie es den NATO-Staaten gefällt. Was von den Jugoslawen als Bedingung für Wiederaufbauhilfe verlangt wird, ist der Verzicht auf ihre politische Selbstbestimmung, auf ihr Recht auf freie Wahl. Nichts anderes verbirgt die G-7-Forderung nach "demokratischen Reformen". Diese sollen offenkundig ein Wahlgesetz hervorzaubern, das ein Votum für Milosevic bzw. die Sozialistische Partei Serbiens ausschließt und die Regierungsübernahme der bislang (per definitionem) "demokratischen Opposition" garantiert. Dafür benötigt sie natürlich Schützenhilfe, deshalb setzen die USA die Infiltration Jugoslawiens fort. Nach US-Angaben hat sich der Balkanbeauftragte der USA, Robert Gelbard, mit politischen Gegnern des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic getroffen. Ein hochrangiger US-Vertreter sagte dazu letzte Woche in Washington, Gelbard habe am vergangenen Wochenende mit Oppositionsführern über einen "gewaltfreien Führungswechsel" in Jugoslawien gesprochen.

Der Bombenkrieg mag vorbei sein. Der Westen scheint jedoch entschlossen, die Politik der Aggression, der Erpressung und Nötigung nun auf ökonomischem Gebiet fortzusetzen. Sein Ziel ist nach wie vor, ein Jugoslawien, das sich nicht in das Korsett der zentralistischen Marktwirtschaft Marke USA und EU zwängen lassen will, zu zerstören.

Die Anklageschrift gegen Milosevic strotzt vor Widersprüchen

Die Anklage von Slobodan Milosevic und vier weiteren serbischen Führern durch das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien hat großes Aufsehen erregt. Den Beweisen und den juristischen Grundlagen, die der Anklage zugrunde liegen, wurde jedoch nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das Auffallendste an der 36 Seiten starken Anklageschrift ist, was sie nicht enthält: Nachdem Milosevic monatelang mit Hitler und das Verhalten der Serben im Kosovo mit dem der Nazis verglichen worden war, erhob die Anklägerin des Tribunals, die kanadische Juristin Louise Arbour, gegen keinen Verantwortlichen der Bundesrepublik Jugoslawien und keinen Führer der serbisch nationalistischen, paramilitärischen Truppen den Vorwurf des Völkermords. Auf die Frage bei einer Pressekonferenz, warum dieser Vorwurf nicht erhoben werde, wollte Arbour nur sagen, daß der Standard für Beweise beim Tribunal höher angesetzt sei als bei der NATO und bei den Medien.

Obwohl wahrscheinlich kein Affront gegen die amerikanische Regierung und die Propaganda der Medien beabsichtigt war, ist es doch außerordentlich bemerkenswert, wie die Schätzungen über die Toten im Kosovo geschrumpft sind: Von den Hunderttausend, die der amerikanische Verteidigungsminister wiederholt genannt hatte, und den 4.600, von denen ein Bericht des amerikanischen Außenministeriums letzten Monat sprach, sind in der Anklageschrift des Kriegsverbrechertribunals nur noch 346 übrig geblieben.

Amerikanische Regierungsvertreter lobten die Anklageerhebung gegen Milosevic und gingen einfach über die riesige Differenz hinweg, die zwischen den Todesopfer-Zahlen des Tribunals und denen des Pentagon und des Außenministeriums existiert. Einige Tage nach der Veröffentlichung der Anklage gab David Schieffer, der im Außenministerium für Menschenrechtsfragen zuständige Beamte, die Zahl der im Kosovo vermißten Männer mit 225.000 an.

Die Anklageschrift des Kriegsverbrechertribunals verfügt über einen längeren Anhang, der die Namen von 340 seit dem 1. Januar 1999 angeblich von serbischen Soldaten, Polizisten oder Milizen getöteten Albanern enthält. Das Dokument enthält kurze Beschreibungen von sechs Massakern. Niemand kann solche Morde billigen, ob sie nun aus ethnischem Haß begangen wurden oder im Verlauf des Krieges zwischen der UCK und der jugoslawischen Armee geschahen. Aber zwei Dinge müssen doch gesagt werden: Eine Handvoll Zwischenfälle sind wohl kaum der systematische Völkermord, den die Sprecher der NATO und die westlichen Medien im Kosovo festgestellt zu haben behaupten, und der den Vorwand für die militärische Intervention lieferte. Und die gesamte Zahl der Opfer ist weit geringer als die Anzahl ziviler Opfer durch die Bombardierungen der USA und der NATO.

Ein großer Teil der Anklage stützt sich auf die NATO-Version des Auseinanderbrechens von Jugoslawien. Sie verteufelt die Serben und ignoriert die Grausamkeiten anderer ethnischer Chauvinisten auf seiten der Kroaten, Muslime und Albaner. Diese Darstellung widerspricht sich selbst an mehreren Stellen: Der Paragraph 23 enthält das Eingeständnis, daß es die UCK war, und nicht das Milosevic-Regime, das den Bürgerkrieg im Kosovo ausgelöst hat.(...)

Wenn man in Betracht zieht, daß durch die kriegerischen Auseinandersetzungen des Jahres 1998 bereits 300.000 Menschen vertrieben wurden, ist es nicht aus der Luft gegriffen, davon auszugehen, daß der Beginn der NATO-Bombardierung des Kosovo am 24. März in Verbindung mit einer stark intensivierten serbischen Militäroffensive gegen die UCK zu einer doppelt oder dreifach so hohen Flüchtlingszahl geführt hat, ohne daß man einen Plan des jugoslawischen Regimes unterstellen müßte, die albanische Bevölkerung des Kosovo zu eliminieren.

Eine weitere Frage ergibt sich aus dieser Darstellung. Wenn der Verlust an Menschenleben im Kosovo das Ergebnis eines Bürgerkriegs zwischen der UCK und der jugoslawischen Armee ist, in dem auf beiden Seiten brutale Maßnahmen eingesetzt wurden, hat sich da nicht auch die UCK Kriegsverbrechen schuldig gemacht? Bewaffnete UCK-Kämpfer begingen Greueltaten wie den Mord an serbischen Studenten in einem Kaffeehaus in Pristina, die Erschießung von Postbediensteten und anderer Staatsangestellten und, nach zahlreichen Berichten, die Exekution von Kosovo-Albanern, die Gegner ihrer separatistischen Politik oder ihrer Verbindung zum Drogenhandel waren. (...)

Martin McLaughlin, www.wsws.org, 15.6.99

Konstanzer Bündnis gegen den NATO-Krieg