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Wilhelm Kempf
am 20. 4.1999
in der Infokneipe

Wilhelm Kempf

Deutschlands Weg in den Krieg
Eskalationsdynamik, Propaganda und Medien vom Golfkrieg bis zum Krieg der NATO gegen Jugoslawien

1. Von 1945 bis 1999

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs erschien es in Deutschland nahezu undenkbar, daß Deutschland wieder eine Armee haben könnte. Noch bei der Verkündigung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland am 8. Mai 1949 bestand öffentliche Einigkeit darüber: das Grundgesetz sollte die Möglichkeit einer Armee in der Bundesrepublik ausschließen.
1956 wurde das Grundgesetz geändert, die Bundesrepublik richtete die Bundeswehr ein. Wiederum bestand öffentliche Einigkeit: die Bundeswehr sollte ausschließlich zur Verteidigung bei einem Angriff von außen dienen.
Mit einer für Gesetzestexte ungewöhnlichen Klarheit ist - im Art. 87a GG und 115a GG - definiert: Die Bundeswehr ist zur Verteidigung bestimmt und darf dazu nur eingesetzt werden, soweit es das Grundgesetz ausdrücklich zuläßt. Der Verteidigungsfall ist nur dann gegeben, wenn die BRD mit Waffengewalt auf dem Bundesgebiet selbst angegriffen wird.

Bis etwa 1989 stimmten alle Bundesregierungen darin überein, daß es einzig und allein die Bedrohung durch die Sowjetunion sei, die die Existenz der Bundeswehr und die enormen Kosten des Militärs rechtfertigten. Ginge es nach öffentlichen Erklärungen, hätte 1990, nach dem Fall der Berliner Mauer, dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes, und er deutschen Wiedervereinigung die Bundeswehr einfach aufgelöst werden können (vgl. Schluroff, 1998).

Am selben Tag, an dem sich der erste gesamtdeusche Bundestag konstituierte, begann der Golfkrieg, durch welchen nun, nach dem Ende des Kalten Krieges eine "Neue Weltordnung" etabliert werden sollte. Deutschland war militärisch damals (noch) nicht mit dabei, sondern begnügte sich damit, den Golfkrieg - gemeinsam mit Japan - zu finanzieren. Aber: Politik und Medien benutzten den Golfkrieg, um eine Debatte über die Neubegründung der Bundeswehr und über den Krieg als Mittel der Politik in Gang zu setzen (vgl. Kempf, 1994).

So formulierte z.B. Gerd Appenzeller in einem Leitartikel des Südkurier am 19.1.1991:

    "Die Deutschen werden ohnedies, wie auch immer, die Folgen des Golfkrieges noch in Punkten zu spüren bekommen, die schmerzen. Gegen die Annexion Kuwaits kämpfen inzwischen Briten, Franzosen, Niederländer, Italiener, Kanadier, Amerikaner. Deutschland steht, verfassungsbedingt korrekt, abseits. Aber wenn der Krieg (hoffentlich erfolgreich) vorbei ist, werden sich die, die ihn gegen den Aggressor gewannen, gegenseitig auf die Schultern klopfen, und auf jene herabschauen, die sich nicht engagierten".

Von nun an ging es Schlag auf Schlag (vgl. Meder, 1998):

  • Am Golfkrieg war die Bundesrepublik zwar nicht direkt beteiligt. Aber immerhin wurden 600 deutsche Soldaten in die Türkei verlegt und beteiligte sich die Bundesrepublik an den AWACS-Aufklärungsflügen.
  • Von April bis Juni 1991 leistete die Bundeswehr Flüchtlingshilfe für irakische Kurden in der Türkei und im Iran.
  • Zur selben Zeit beteiligte sie sich an der Minenräumung im Persischen Golf.
  • Ab Oktober 1991 unternahm sie Transportflüge für UN-Inspektoren im Irak.
  • Im Mai 1992 wurden 130 Sanitäter der Bundeswehr nach Kambodscha geschickt.
  • Ab Juli 1992 beteiligte sich die Bundeswehr mit der Fragatte Bayern am UN-Embargo in der Adria und an Versorgungsflügen nach Sarajewo.
  • Ab Oktober 1992 erfolgte der AWACS-Einsatz der Bundeswehr über Bosnien zur Überwachung des UN-Flugverbots. Eine Verfassungsklage der SPD und FDP gegen diesen Einsatz wurde "abgewiesen".

Am 26. November 1992 erließ dann Verteidigungsminister Rühe die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr: Berechtigungsgrundlage und Auftrag der Bundeswehr ist nach diesen Richtlinien nicht mehr, wie es im Grundgesetz steht, die Abwehr eines Angriffs auf das Territorium der Bundesrepublik, sondern der Einsatz des Machtinstruments Armee zur Durchsetzung deutscher Interessen (vgl. Schluroff, 1998).

Während dann der Krieg im ehemaligen Jugoslawien eskalierte, verschaffte sich die Bundeswehr durch "humanitäre Einsätze" eine gute Presse (vgl. Meder, 1998):
  • Ab März 1993 unternahm sie Versorgungsflüge für ostbosnische Moslemenklaven.
  • Vom 11. Mai 1993 bis 23.März 1994 fand dann der Somaliaeinsatz der Bundeswehr statt. Eine Verfassungsklage gegen den Somaliaeinsatz wurde erneut zurückgewiesen.

Am 12. Juli 1994 erfolgte schließlich die Neuinterpretation des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht: dasselbe Grundgesetz, das "out of area" Einsätze der Bundeswehr über Jahrzehnte hin verboten hatte und noch im Golfkrieg eine deutsche Beteiligung ausgeschlossen hatte, stellt auf einmal keinen Hinderungsgrund mehr dar. Noch im selben Monat begann dann der Tornado-Einsatz der Bundeswehr in Bosnien zum Schutz der UNO- Truppen, und Ende 1995 wurden im Rahmen der NATO-Friedenstruppe deutsche Bodentruppen in Kroatien und Bosnien stationiert.

Daß es sich dabei um einen "Friedenseinsatz" handelte, der dem Schutz eines Waffenstillstandes dient, mochte beruhigen: es gab scheinbar keinen Grund davon auszugehen, daß "die Dämme gebrochen" seien und Deutschland wieder zur "kriegsführenden Nation" erstarkt sei. Im Sommer 1998 jedoch begann die Regierung Kohl öffentlich über die Beteiligung an einer Nato-Intervention im Kosovo nachzudenken - notfalls auch ohne völkerrechtliche Legitimation.

Im März 1999 ist es dann soweit. Deutschland beteiligt sich an einem völkerrechtlich nicht legitimierten Luftkrieg gegen Serbien. Daß der Krieg "zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe" dienen soll, wird als hinreichende Legitimation angesehen, und wie Verteidigungsminister Scharping letzte Woche auf einer Pressekonferenz erklärte, hat die Kriegsbeteiligung dem Ansehen Deutschlands in der Welt ungemeinen Auftrieb gegeben.

2. Das moralische Dilemma

Gegenüber der Öffentlichkeit wird die Kriegsbeteiligung Deutschlands mit unserer - infolge der Wiedervereinigung "gewachsenen Verantwortung" begründet. Es besteht Grund dafür, anzunehmen daß die Formulierung "gewachsene Verantwortung" nur verschleiern soll, worum es wirklich geht:

  1. Um einen faktischen Machtzuwachs; und
  2. um den Willen, diese Macht auch zu gebrauchen und sie weiter auszubauen.

"Verantwortung wahrzunehmen", hätte bedeutet, der Eskalation der Konflikte im früheren Jugoslawien entgegenzuwirken. Weder die deutsche Politik noch die deutschen Medien haben dazu irgendeinen Beitrag geleistet. Weder in Bosnien, noch im Kosovo.

  • Im Dezember 1991 hatte der damalige UN-Generalsekretär Perez de Cuellar in einem Briefwechsel mit Hans-Dietrich Genscher eindringlich vor einer vorschnellen und einseitigen Anerkennung der Unabhängigkeit einzelner jugoslawischer Teilrepubliken gewarnt, bevor die Modalitäten des Zusammenlebens der verschiedenen Ethnien in den neuzugründenden Staaten in einer Form geregelt sind, die für alle beteiligten Bevölkerungsgruppen annehmbar ist. Der damalige deutsche Außenminister hat diese Bedenken beiseite gewischt und die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch die Europäische Gemeinschaft durchgesetzt. Die Medien nahmen von dem Briefwechsel nicht einmal Kenntnis.
  • Der gemäßigte Albanerführer Rugova fand im Westen keine Unterstützung. Von den Medien wurde und wird er als "Literaturprofessor" tituliert, den man nicht ernstzunehmen braucht.
  • Der Kosovo blieb aus den Friedensverhandlungen von Dayton ausgeklammert, und zehn Jahre des gewaltfreien Widerstandes im Kosovo fanden keinerlei Medienecho.
  • Für die Menschenrechte im Kosovo begann man sich erst zu interessieren, nachdem es zum bewaffneten Kampf gekommen war.
  • Im Unterschied etwa zur PKK in Kurdistan, die man als "Terroristen" abstempelt, wurden die bewaffneten Kräfte der UCK als "Freiheitskämpfer" hochstilisiert.
  • Der Druck der Medien zugunsten einer NATO-Intervention nahm zu, und gegebenfalls wurden Menschenrechtsverbrechen als irrelevant beiseite geschoben, wenn sie nicht der serbischen Seite anzulasten waren.

So schrieb z.B. Thomas Schmidt am 31.8.1998 in der durchaus seriösen Ruf genießenden Berliner Zeitung im Zusammenhang mit der Auffindung von 22 verkohlten Leichen in dem Dorf Klecka im Kosovo:

    "Es ist (...) durchaus möglich, daß die UCK Gegner exekutiert hat. Eine Antwort auf die Anklage von Amnesty International, sie habe mindestens 138 Menschen entführt und womöglich auch ermordet, ist die albanische Guerilla bislang schuldig geblieben."

Und dann kommt es:

    "Sollte die albanische Guerilla tatsächlich 22 serbische Zivilisten getötet und eingeäschert haben, ändert das nichts an dem Umstand, daß im Kosovo seit acht Jahren die Albaner weitgehend rechtlos sind, daß 250 000 Flüchtlinge Albaner sind und nicht Serben und der Aufstand der UCK ursächlich Widerstand gegen ein Besatzungsregime ist".

Der Umgang mit der "gewachsenen Verantwortung" ist äußerst selektiv. Dennoch stellt sie ein mächtiges Propagandamotiv dar, welches sich vor allem an jene Teile der Bevölkerung wendet, die sich noch der aus dem 2. Weltkrieg gezogenen Lehre erinnern:

    "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg".
Gerade diese Menschen werden durch das Flüchtlingselend und die Menschenrechtsverletzungen im Kosovo in ein moralisches Dilemma gestürzt:
  • "Angesichts der von den Serben begangenen Verbrechen kann man doch nicht tatenlos zusehen",
  • und Pazifismus bekommt einen negativen Beigeschmack.
  • Auch die Befreiung Deutschlands vom Hitlerfaschismus geschah ja erst durch militärische Gewalt.

In diesem moralischen Dilemma verfangen, sind weite Teile der deutschen Bevölkerung bereit, sich im Zweifelsfall gegen internationales Recht, und für einen Krieg aus humanitären Gründen zu entscheiden.

3. Von Kuwait zum Kosovo

Diese Entscheidung speist sich aus 2 Quellen:

  • Erstens: Eine gewaltfreie Konfliktlösung ist nicht in Sicht. Weder Deutschland noch die Nato hat jemals ernsthafte Anstrengung unternommen um im Kosovo zu einer Konfliktlösung zu kommen, die für alle Seiten annehmbar ist. Man hat immer nur versucht, Milosevic Bedingungen zu diktieren, von denen man wissen konnte, daß er sie nicht akzeptieren konnte ohne seine eigene Machtbasis in Serbien zu verlieren; und wenn es schon auf Seiten der Politik an der Kreativität mangelt, welche erforderlich wäre um eine gewaltfreie Konfliktlösung zu finden, so kann man kaum erwarten, daß der sprichwörtliche "Mann auf der Straße" über entsprechende Kompetenzen und Visionen verfügt, um einen anderen Ausweg aus seinem moralischen Dilemma zu finden, als sich auf die Seite des Krieges zu schlagen.
  • Zweitens wurde das moralische Dilemma, in welchem wir uns heute befinden, über zehn Jahre hinsystematisch aufgebaut. Vom Tag der deutschen Wiedervereinigung an befand sich Deutschland auf dem Weg in diesen Krieg.

Von den ersten Reaktionen auf die irakische Invasion in Kuwait bis über das Ende des Golfkriegs hinaus schwammen die deutschen Medien im Kielwasser der amerikanischen Propaganda und der von ihr verbreiteten Motivationslogik mit den drei Elementen:

  • Lehren aus der Geschichte: Diktatoren wie Saddam oder Hitler muß Einhalt geboten werden;
  • Der rechte Moment: Nach dem Ende des Kalten Krieges darf die Chance eines Neuanfanges nicht verpaßt werden;
  • Fair Play: Nicht das Gesetz des Stärkeren, sondern internationales Recht soll die Beziehungen zwischen den Nationen bestimmen.
Dasselbe Motivationsmuster fand sich dann in Bosnien:
  • Lehren aus der Geschichte: Den als Faschisten identifizierten Serben muß Einhalt geboten werden;
  • Der rechte Moment: Dem Leid der Menschen in den vom Krieg betroffenen Gebieten muß durch einen militärischen Befreiungschlag ein Ende gestzt werden;
  • Fair Play: Den als (unschuldige) Opfer identifizierten bosnischen Muslimen, muß gegen die serbische Großmacht(politik) zu ihrem Recht verholfen werden.

Während die Neue Weltordnung im Golfkrieg noch kontrovers diskutiert wurde, war das in Bosnien schon nicht mehr der Fall. Drei Gründe sind dafür maßgeblich:

  • Erstens: Die Bedrohung Israels, deren medienwirksame Aufbereitung Teile der Friedensbewegung aus dem Widerstand gegen den Golfkrieg herausbrechen ließ.
  • Zweitens: Die Verfolgung der irakischen Kurden durch Saddam Hussein nach Kriegsende, die weitere Pazifisten auf die Seite der Bellizisten zog und in der Forderung nach Wiederaufnahme des Kriegs gegen Saddam Hussein mündete; und
  • Drittens spielte die Tatsache eine Rolle, daß man sich in Sachen Jugoslawien viel mehr Zeit ließ um einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, bevor man schließlich in Bosnien zum erstenmal militärisch intervenierte.

Während das serbische Feindbild dabei in Österreich und Deutschland an historische Traditionen anknüpfen konnte, die bis vor den ersten Weltkrieg zurückreichen, schien eine offene Unterstützung Kroatiens mit Rücksicht auf die EU-Partner (insbesondere Frankreich und England) und die USA zunächst undenkbar. Daß sich im westlichen Diskurs die kroatische Propaganda, welche die Serben mit den Tschetniks identifizierte, gegenüber der serbischen Propaganda durchsetzen konnte, welche die Kroaten in die Traditionslinie der Ustascha stellte, ist mindestens drei Faktoren geschuldet. Diese sind:

  • Erstens: Die Fokussierung auf die bosnischen Muslime, wodurch ein Diskurs über die durch die gemeinsame faschistische Vergangenheit vorbelasteten deutsch- kroatischen Beziehungen vermieden wurde.
  • Zweitens: Die Wiederbelebung der, auf den Kalten Krieg zurückgehenden, Totalitarismustheorie im Zuge der deutschen Wiedervereinigung. Nach dieser Theorie ist zwischen Diktaturen von rechts und von links kein Unterschied zu machen.
  • Drittens spielten die Aktivitäten von Public Relations Agenturen eine wesentliche Rolle. Z.B. Ruder & Finn, die 1993 für ihr Engagement in Sachen Bosnien mit der Silbermedaillie der Public Relations Society of America in der Kategorie "Krisenkommunikation" ausgezeichnet wurde.

Die schwierigste Teil dieser Operation war es - nach Aussage von James Harff, der die Operation leitete -, die jüdischen Kreise für sich zu gewinnen:

    "Das war eine wirklich schwere Partie, und von daher war die Aufgabe auch außerordentlich gefährlich. Präsident Tudjman hatte sich in seinem Buch "Irrwege der Geschichte" als unvorsichtig gezeigt, denn man konnte ihn auf Grund dessen, was er geschrieben hatte, des Antisemitismus bezichtigen. Auch auf der bosnischen Seite waren die Dinge nicht einfacher, denn Präsident Izetbegovic hatte sich in seinen 1970 veröffentlichten "Islamischen Deklarationen" zu offen für einen fundamentalistischen islamischen Staat ausgesprochen. Außerdem war die Vergangenheit Kroatiens und Bosniens von einem realen und grausamen Antisemitismus gekennzeichnet. Mehrere zehntausend Juden sind in kroatischen Lagern liquidiert worden. Es bestanden also alle Voraussetzungen dafür, daß die jüdischen Intellektuellen und Organisationen gegenüber den Kroaten und Bosniern feindlich gesinnt sein würden. Wir standen vor der Herausforderung, diese Situation umzukehren. Das ist uns auch gelungen, und zwar meisterhaft. Zwischen dem 2. und 5. August 1992, als "New York Newsday" die Sache mit den Lagern veröffentlichte. Da haben wir im Flug zugegriffen und drei jüdische Organisationen überlistet (...) Wir haben ihnen vorgeschlagen, einen Beitrag in der "New York Times" zu veröffentlichen und eine Protestkundgebung vor dem Sitz der Vereinten Nationen zu organisieren. Das hat hervorragend funktioniert; die jüdischen Organisationen auf Seiten der Bosnier ins Spiel zu bringen war ein großartiger Bluff. In der öffentlichen Meinung konnten wir auf einen Schlag die Serben mit den Nazis gleichsetzen" (zit. n. Beham, 1996, S.8f).

Als dann noch die britische Fernsehjournalistin Penny Marshal Bilder aus dem serbischen Lager Trnopolje präsentierte - Männer mit nacktem Oberkörper hinter Stacheldraht -, war dieses Urteil für die Weltöffentlichkeit endgültig zur Gewißheit geworden - nicht weil der amerikanische Präsident oder der deutsche Bundeskanzler sich zu einer platten Gleichsetzung von Milosevic mit Hitler verstiegen hätte, sondern weil sie mit eigenen Augen gesehen hatte, was sie sehen mußte, um sich dieses Urteil zu bilden.

Als Thomas Deichmann (1997) aufdeckte, daß diese Bilder auf einer Täuschung beruhen, daß sie nicht Menschen hinter Stacheldraht zeigen, sondern von innerhalb eines mit Stacheldraht umgebenen Grundstücks gefilmt wurden, in dem es vor dem Krieg Agrarmaterial zu kaufen gegeben hatte, wurde er von Erica Fischer (1997) deswegen im Freitag mit den Worten angegriffen:

    "Warum tut er das? Immerhin hat das Foto die Welt wachgerüttelt".

Und weiter:

    "Hat Penny Marshal denn behauptet, sie wäre außerhalb gestanden? Ich weiß es nicht, und es ist mir im Grunde genommen auch egal".

Hatte der Golfkrieg durch das Auftreten von Public Relations-Agenturen einen ersten Meilenstein in der Geschichte der Privatisierung der Propaganda gesetzt, so ging diese mit dem Aufkommen des "Journalism of Attachment" im Bosnien-Krieg noch einen Schritt weiter, wurden die berufsethischen Normen des Journalismus von Journalisten selbst über Bord geworfen. "Journalism of Attachement" - was sich in kritischer Distanzierung mit "Betroffenheitsjournalismus" übersetzen ließe - steht für einen Journalismus, der weder um neutrale Distanz noch um eine Deeskalation des Krieges bemüht ist, sondern der Partei ergreift und dem es nur darum geht, die Menschen aufzurütteln - jedoch nicht gegen den Krieg, sondern gegen jene, die man als "Feind" ausgemacht zu haben glaubt.

Dieser engagierten und von moralischem Impetus getragenen Haltung ist die Wahrheit nur Rohmaterial, das sich zwecks Bestätigung vorgefaßter Überzeugungen beliebig umformen läßt. Was zählt, ist die Überzeugungskraft. Wenn es sein muß, bedient man sich aller erdenkbaren Mittel, um Kritiker mundtot zu machen. So wurde Mick Hume, dem Herausgeber der kleinen linken Monatszeitschrift LM magazine, von dem britischen Fernsehsender ITN eine Verleumdungsklage angehängt, weil er Thomas Deichmanns Enthüllungen abgedruckt hatte.

Gemessen an der Schärfe, mit welcher der Propagandakrieg unter westlichen Journalisten geführt wurde, erscheint die aktuelle Tagesberichterstattung über den Krieg in Bosnien- Herzegowina überaschend wenig tendenziös. Wie aus einer Untersuchung der überregionalen Presse in den USA und Europa (Kempf, 1999) hervorgeht, haben sich die westlichen Medien nicht so eindeutig auf eine Seite geschlagen, wie das etwa im Golfkrieg der Fall war oder heute im Kosovo der Fall ist.

Zumindest die aktuelle Tagesberichterstattung stand allen drei Kriegsparteien relativ distanziert gegenüber. Die Darstellung aller drei ethnischen Gruppen (Serben, Kroaten, Muslime) war durch die Beschreibung von konfrontativem Verhalten dominiert, welches militärischer Logik folgte. Ungeachtet dessen, um welche der drei Gruppen es sich handelte, überwogen die Bestreitung von ihnen in Anspruch genommener Rechte und die Unterstellung "böser Absichten".

Allerdings berichtete die internationale Presse weit häufiger über serbische Akteure denn über bosnische oder kroatische. Das entspricht in etwa der Einschätzung der norwegischen Menschenrechtsexpertin Hanne-Sophie Greve, wonach alle Seiten, die an den Zerstörungen im ehemaligen Jugoslawien beteiligt waren, Unrecht begangen haben, jedoch die meisten Übergriffe von Serben begangen wurden.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Jaeger (1998). Die deutschsprachigen Tageszeitungen berichteten über die Vergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina unterschiedlicher und differenzierter als sie zunächst befürchtet hatte: Über die Hälfte der von ihr analysierten Textpassagen behandelten das Thema auf sachlich- nüchterne Weise und ließen Deutungen außen vor. Dem gegenüber stand jedoch auch ein bemerkenswert hoher Anteil von Textpassagen, die sich vorwiegend mit serbischer Gewalt gegen nicht-serbische Frauen befaßten. Gerade diese Textpassagen tendierten auch dazu, das Leid der vergewaltigten Frauen zu funktionalisieren, um festzustellen, welche Seite die größere Schuld hat. Im subjektiven Glauben, für die Rechte der vergewaltigten Opfer einzutreten, wurde deren Leid durch einen solchen Journalismus mißbraucht, um nationale und ethnische Stereotype und Feindbilder zu erzeugen bzw. zu zementieren. Die Frauen selbst wurden dadurch ein weiteres Mal mißbraucht.

Wie aus der bereits zitierten Studie von Kempf (1999) hervorgeht, waren die Unterschiede in der Darstellung der drei ethnischen Gruppen hauptsächlich den verschiedenen Rollen geschuldet, in welchen sie von den Medien portraitiert wurden.

Die positivste Rolle wurde den Muslimen zugeschrieben, deren Verhalten am seltensten als konfrontativ beschrieben wurde. Die Muslime wurden seltener in einer Angriffsposition und häufiger in einer Verteidigungsposition dargestellt als Serben und Kroaten. Und, obwohl ihre Handlungen häufiger kritisiert wurden als die der anderen beiden Gruppen, richtete die internationale Presse die Empörung über den Krieg am häufigsten gegen ihre Feinde. Darüber hinaus präsentierte sie mehr Anreize zur sozialen Identifikation mit muslimischen Opfern denn mit Opfern aus den Reihen der anderen Gruppen.

  • In den meisten Fällen wurde der Konflikt so interpunktiert, daß die Muslime weniger deutlich in einer Angriffsposition erschienen als Serben oder Kroaten. Durch die Betonung der (militärischen) Stärke der Muslime wurde zugleich die Zuversicht geschaffen, daß sie den Krieg durchstehen würden.
  • Häufig wurden die Muslime in einer klaren Verteidigungsposition dargestellt. In diesen Fällen wurde die Stärke der Muslime sogar noch stärker betont.
  • Wenn die Muslime dagegen in einer Angriffsposition erschienen, wurde ihre Gefährlichkeit heruntergespielt, indem ihre militärischen Stärke nur wenig Augenmerk fand und/oder die Bedrohung betont wurde, welcher sie aufgrund der Gefährlichkeit ihrer Gegner ausgesetzt waren.

Im Unterschied dazu wurden sowohl Serben als auch Kroaten eher als Aggressoren dargestellt: Die Serben erschienen am seltensten in einer Verteidigungs- und die Kroaten am häufigsten in einer Angriffsposition. Während auf serbischer Seite am wenigsten militärische Logik berichtet wurde und obwohl die internationale Presse serbische Handlungen am seltensten explizit bewertete, waren es andere Faktoren, welche ein negatives Bild der Serben entstehen ließen:

  • Erstens: Über serbische Akteure wurde doppelt so oft berichtet wie über die anderen, und das Verhalten der Serben wurde am stärksten als konfrontativ dargestellt.
  • Zweitens: Während einerseits die Rechte und Intentionen der Serben wenig Beachtung fanden, wurde andererseits die Möglichkeiten einer Kooperation zwischen Serben und ihren Gegnern akzentuiert. Das (konfrontative) Verhalten der Serben erschien dadurch nur umso mehr als ungerechtfertigt.
  • Drittens: Die internationale Presse stimulierte weit seltener Empörung über die Gegner der Serben als dies im Falle der anderen beiden Gruppen der Fall war. Berichte über serbische Kriegsopfer waren selten und wurden in der Regel durch gleichzeitige Darstellung des Leides auf der gegnerischen Seite konterkariert.
  • Viertens: Es wurden nicht nur extrem wenig Anreize zu sozialer Identifikation mit serbischen Opfern gegeben, die Opfer auf serbischer Seite wurden sogar mit einiger Regelmäßigkeit dehumanisiert.

Darüber hinaus tendierten die Medien dazu, die Kooperation zwischen Kroaten und Muslimen dadurch zu unterstützen, daß sie dem Preis der militärischen Konfrontation und dem Abbau von Mißtrauen zwischen den beiden Parteien einige Aufmerksamkeit schenkten. Indem sie dabei die Bedrohung der Kroaten und Muslime durch die Gefährlichkeit des gemeinsamen Gegners herausstellten, disqualifizierte dies die Serben umso mehr.

Während es kaum überrascht, daß die Muslime in einer defensiven Rolle, die Serben dagegen in der Rolle des Bösewichts portraitiert wurden, ist das vielleicht interessanteste Ergebnis der Untersuchung darin zu sehen, wie die Kroaten aus der Schußlinie der öffentlichen Kritik gebracht wurden.

  • Die Berichterstattung ließ erkennen, daß die Kroaten am stärksten von allen durch militärische Logik geleitet waren und der Logik einer friedlichen Streitbeilegung am deutlichsten eine Absage erteilten. Empörung über den Krieg wurde (relativ zum Ausmaß der Berichterstattung über die jeweilige Seite) fast ebenso häufig im Zusammenhang mit kroatischen Aktionen evoziert wie im Zusammenhang mit denen der Serben.
  • Zum Ausgleich dafür wurden kroatische Handlungen jedoch am häufigsten gerechtfertigt, und die Rechte und Intentionen der Kroaten fanden die größte Beachtung.
  • Während im Zusammenhang mit kroatischen Aktionen immer wieder der mögliche Nutzen herausgestellt wurde, den die Beendigung des Krieges mit sich bringen würde, wurden Kooperationsmöglichkeiten zwischen Kroaten und ihren Gegnern häufig zurückgewiesen und/oder in Empörung über die Gegner der Kroaten umgemünzt.

Das Festhalten der kroatischen Seite an militärischer Logik erschien dadurch als gerechtfertigt und sachlich begründet.

Obwohl die internationale Presse über die drei ethnischen Gruppen sehr unterschiedlich berichtete, war die Berichterstattung über jede der drei Gruppen ziemlich ambivalent. Die internationale Presse identifizierte sich mit keiner der bosnischen Kriegsparteien, sondern eher mit der internationalen Staatengemeinschaft, für welche der Krieg in Bosnien-Herzegowina ein leidiges Problem darstellte. Dabei unterstützte sie jedoch nicht die Bemühungen um eine gewaltfreie Konfliktlösung sondern das Szenario einer militärischen Intervention.

  • Je mehr die internationalen Akteure in den Konflikt hineingezogen wurden, desto mehr Sympathie brachten ihnen die Medien entgegen, und
  • nur 8% der Berichte über neutrale Drittparteien fokussierten die Logik einer friedlichen Streitbeilegung und interpretierten das Verhalten der Drittparteien eher in deren Rahmen, denn im Rahmen militärischer Logik.

Führende Medienvertreter sind bis heute stolz darauf, die (insbesondere amerikanische) Öffentlichkeit überzeugt, die NATO-Intervention in Bosnien ermöglicht und damit zur Beendigung des Krieges in Bosnien-Herzegowina beigetragen zu haben. Im Kosovo wollten sie diese Erfolgsgeschichte offensichtlich wiederholen, indem sie die UCK als legitimen Vertreter der Kosovo- Albaner aufbauten und die Risiken einer militärischen Intervention herunterspielten.

  • So konnte man z.B. "politische Analysen" lesen, welche darauf hinausliefen, daß Milosevic selbst NATO-Luftangriffe braucht und wünscht, um nachgeben zu können und dennoch seine Macht in Serbien zu festigen.
  • Der Krieg würde daher nach zwei Tagen zuende und eine "humanitäre Katastrophe" erfolgreich verhindert sein.
  • Daß er - im Gegenteil - erst zum Auslöser der humanitären Katastrophe werden könnte, wurde mit keinem Wort auch nur in Betracht gezogen.
  • Und erst jetzt, wo sich der Krieg in einen Bodenkrieg auszuweiten droht, beginnt der Mediendiskurs auch kritische Stimmen zuzulassen.

Auch, wenn ein solcher Diskurs zugelassen wird, ist der Haupttenor dessen, was uns seit Kriegsbeginn in den Nachrichten und Hintergrundberichten geboten wird, pure Propaganda, welche die Kriegsbereitschaft der Deutschen stärken soll. Es gibt kaum etwas in der Berichterstattung über den Kosovo-Krieg, das nicht schon altbekannt wäre als Propagandatechnik - bis hin zu den klugen Äußerungen von Schröder, Scharping oder Fischer, von denen man den Eindruck haben kann, als wären Sie aus Golfkriegsreden des amerikanischen Präsidenten Bush ins Deutsche übersetzt worden.

Natürlich ist das nicht der Fall, und die Herren in Bonn glauben, was sie sagen, denn dies ist genau das, was ein jeder glauben muß, der keine Ahnung davon hat, wie die Eskalation von Konflikten funktioniert, der keinerlei Kompetenzen für einen konstruktiven Umgang mit Konflikten hat, und blind auf die Durchsetzung seiner Ziele mit Mitteln der Gewalt setzt.

Literatur

  • Beham, M., 1996. Kriegstrommeln. Medien, Krieg und Politik. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
  • Deichmann, Th., 1997. Mehr Schock. Der Standard, 10.1.1997.
  • Fischer, E., 1997. Ging ein falsches Photo um die Welt? Freitag, 7.2.1997.
  • Jaeger, S., 1998. Propaganda mit Frauenschicksalen? Die deutsche Presseberichterstattung über Vergewaltigung im Krieg in Bosnien-Herzegowina. In: Kempf, W., Schmidt-Regener, I. (Hrsg.). Krieg Nationalismus, Rassismus und die Medien. Münster: Lit-Verlag.
  • Kempf, W., (Hrsg.), 1994. Manipulierte Wirklichkeiten. Medienpsychologische Untersuchungen der bundesdeutschen Presseberichterstattung im Golfkrieg. Münster: LIT-Verlag.
  • Kempf, W., 1999. Escalation and deescalation oriented elements in the coverage of the Bosnia conflict. In: Kempf, W., Luostarinen, H. (Eds.). Journalism in the New World Order. Vol. II. Studying war and the media. London: Sage (in Vorbereitung).
  • Meder, G., 1998. Zur Neubestimmung der Rolle der Bundeswehr in den deutschen Printmedien. In: Kempf, W., Schmidt-Regener, I. (Hrsg.). Krieg Nationalismus, Rassismus und die Medien. Münster: Lit-Verlag.
  • Schluroff, M., 1998. Grundlagen der gegenwärtigen deutschen Militärpolitik. Die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" von 1992. In: Kempf, W., Schmidt-Regener, I. (Hrsg.). Krieg Nationalismus, Rassismus und die Medien. Münster: Lit-Verlag.

[LinksRhein]  nadir  erstellt: Christof Mainberger, 21. 4.1999