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woi, Konstanz 6.10.99

Gemeinderatswahlen '89:

Status Quo forever

Die Auswahl, so scheint es, ist groß genug: Sieben Listen mit insgesamt 257 Kandidatinnen und Kandidaten bewerben sich um die 40 Sitze, die am 22. Oktober vergeben werden. Dennoch war bis vor kurzem von Wahlkampf so gut wie gar nichts zu spüren. Eine Wahlbeteiligung deutlich über 50 Prozent wäre schon eine große Überraschung. Woran mag es liegen, daß Kommunalwahlen in dieser Stadt so wenig Resonanz finden?

Von: Norbert Faulhaber

Daß trotz des idyllischen Images, das Konstanz überregional hat und das von der hiesigen Fremdenverkehrsbehörde eifrig gefördert wird, viele Probleme auf den Nägeln brennen, ist den meisten Einheimischen durchaus bewußt und wird ihnen sozusagen tagtäglich vor Augen geführt. Wohnungsnot und teure Mieten, Verkehrsprobleme, saftige Gebührenerhöhungen bei kommunalen Dienstleistungen und Entlassungen wie bei CTM sind ein chronisches Ärgernis - nicht für die Touristen, die sich höchstens mal über die verstopfte alte Rheinbrücke ärgern, sondern für diejenigen, die in dieser Stadt wohnen, arbeiten und leben (müssen). Viele dieser Probleme existieren schon seit Jahren, waren bereits Thema im Gemeinderatswahlkampf '84 - woran erkennbar wird, wie wenig sich eigentlich seitdem geändert hat, daß die städtische Verwaltung und die sie unterstützenden Gemeinderatsfraktionen unfähig waren, eine Wende zum Besseren einzuleiten.

Eigentlich wäre es Aufgabe der Linken in dieser Stadt, diese Defizite aufzugreifen, Protest zu artikulieren und eine Strategie zu entwickeln, wie der Politik der bürgerlichen Gemeinderatsmehrheit aus CDU, FDP und EWG entgegengetreten werden kann. Damit soll nicht gesagt werden, daß die existierenden Parteien und Listen, die im weitesten Sinne zur Linken zählen (SPD, FGL und ALL) sich nicht bemühen würden, dies zu versuchen - der springende Punkt ist eher der, daß jede dieser Gruppierungen selbst mit Problemen zu kämpfen hat und daß das größte Problem überhaupt der fast völlig fehlende Wille zur Zusammenarbeit ist. Jede der drei Organisationen hat ihre eigene Strategie zur Abgrenzung gegenüber der linken "Konkurrenz" entwickelt; ein Anachronismus angesichts der Tatsache, daß die bürgerliche Mehrheit in sich wesentlich geschlossener agiert und es ihr oft genug gelungen ist, einen "parteiübergreifenden" Konsens im Gemeinderat zu inszenieren, der notwendige Fronten verwischte und die Artikulierung einer (links- )oppositionellen Politik natürlich in keiner Weise gefördert hat.

Was die SPD betrifft: Sie, die einmal (1971) 33 Prozent der Stimmen auf sich vereinigte, ist in einem stetigen Niedergang begriffen, an dem auch die schönste Wahlkampfrhetorik nichts verändern kann. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß sie am 22. Oktober hinter der FGL landen wird, so groß war schließlich das letzte Mal der Abstand nicht (24 zu 16 Prozent). Dies entspräche durchaus einem Trend, der sich bereits bei den letzten Kommunalwahlen in anderen baden-württembergischen Universitätsstädten (z.B. Tübingen) abgezeichnet hat. Wie auch immer, geschadet hat ihr sicherlich die Tatsache, daß sie in Konstanz seit Jahren de facto in eine Art "große Koalition" eingebunden ist, daß sie einen der beiden beigeordneten Bürgermeister stellt, und daß das Dezernat, das er vertritt, in der Vergangenheit oft genug mit unpopulären Maßnahmen an die Offentlichkeit trat. Im Klartext: Wer glaubt, man müsse mit der Ansiedlung von noch mehr Kaufhausfilialen, dem Bau eines Parkhauses nach dem anderen und der Zerstörung gewachsener Strukturen in der Altstadt Konstanz sozusagen auf "Weltniveau" bringen - ein Konzept, das teilweise durchaus aufgeht, ist doch nach vorläufigen Schätzungen das Touristenaufkommen in diesem Jahr um circa 20 Prozent gestiegen - darf sich nicht wundern, wenn kritische (und vor allem junge) Wähler seiner Partei den Rücken kehren. Daß sich mancher Jungsozialist in der SPD mittlerweile als "Leprakranker" fühlt, hat natürlich seine Konsequenzen. Trotz der enorm angewachsenen Studentenzahlen an Uni und Fachhochschule hat die hiesige Sozialdemokratie von dieser Entwicklung nicht profitiert - im Gegenteil.

Die FGL dagegen rechnet optimistisch mit einem kräftigen Zugewinn am Wahltag und mag damit durchaus richtig liegen. Ihr ist zugute zu halten, daß sie zumindest gegen viele der schlimmsten Fehlentwicklungen Front gemacht hat, daß sie oft genug die einzige Gemeinderatsfraktion war, die Opposition artikulierte und daß sie Sammelbecken für viele wurde, die Anfang der achtziger Jahre der SPD enttäuscht den Rücken kehrten. In gewisser Hinsicht steht die FGL jedoch an einer Wegscheide - und wohin der Kurs führen soll, ist noch keineswegs entschieden.

Einige atmosphärische Details aus der Programmdiskussion der FGL in den letzten Monaten sollen dies illustrieren. Daß in der Frage "§218" die Meinungen weit auseinandergehen, ist dabei vielleicht noch am ehesten verständlich. Ein heftiger Streit entzündete sich jedoch über einen eher saloppen Satz im Programmentwurf, durch den mehrere FGL-Mitglieder die Kirche beleidigt sahen. Eine kurze, aber heftige Diskussion zwischen den amtierenden Stadträten Klaus Oettinger und Christoph Hahn war die Folge und sie beleuchtete schlaglichtartig das Problem, vor dem die FGL steht: Soll sie inhaltliche Konzessionen an bürgerliche Wäh1er machen, um tief in das CDU/FDP/FWG-Potential einzubrechen? Oder soll sie vielmehr ihre Positionen in aller Entschiedenheit offenlegen, frei nach dem Motto: Lieber vernünftige Politik mit fünf Gemeinderäten als unvernünftige mit neun? Der Konflikt endete formal zugunsten der zweiten Position; Oettinger, der argumentiert hatte, als "bekennender Katholik" fühle er sich vor den Kopf gestoßen verließ kurz danach den Sitzungsraum. Ein ähnlicher Streit über die Behandlung des Themas "Schwule und Lesben" endete mit einem Kompromiß.

In einer Hinsicht hat die FGL allerdings einiges hinzugelernt, und zwar in der Bündnisfrage. Im April wurde beschlossen, daß auch Mitglieder anderer Organisationen auf der Liste kandidieren dürfen - wenn auch ohne Hinweis auf diese. Der Umgangston zwischen FGL- und ALL-Mitgliedern ist seitdem wenn auch nicht gerade herzlicher, so doch sachlicher geworden. Eine gemeinsame Kandidatur auf einer Liste kam dennoch nicht in Betracht, zu groß waren die politischen Differenzen. Zum ersten Mal schien es aber so, als seien diese sachlichen Streitpunkte kein vorgeschobener Grund, hinter dem sich schlichter Antikommunismus verbarg; daß "Hendrik The Lion" nicht mehr die FGL dominiert, macht sich überaus positiv bemerkbar.

Umso bedauerlicher, daß die ALL in ihrer Grundsatzerklärung zur Wahl wieder einen scharfen Abgrenzungskurs einschlug. Die pauschale Verdammung von SPD und FGL als zumindest zeitweilige Helfershelfer der bürgerlichen Gemeinderatsmehrheit stand auch nicht ursprünglich im Entwurf, sondern wurde auf Druck des "autonomen" Flügels nachträglich aufgenommen. Daß es für ein Bündnis wie die ALL politischen Spielraum in Konstanz gibt, steht außer Zweifel. Spielraum ist jedoch nicht dasselbe wie Spielwiese, und eine ernsthafte linke Politik in dieser Stadt sollte zunächst einmal von den Realitäten ausgehen, die darin bestehen, daß ohne SPD und FGL die Vorstellung einer etwaigen linken Gemeinderatsmehrheit blanke Utopie ist. Nichts gegen die Formulierung von klaren und unverwechselbaren Positionen - wie jedoch Erhard Eppler vor langer Zeit einmal im Konzil gesagt hat, benötigt man, um gesellschaftliche Veränderungen zu erzwingen, nicht fünf Prozent der Stimmen, sondern 51. Zwar gab es mal eine Zeit, in der der KBW den "Kampf gegen die bürgerliche Mathematik" verkündete, aber an die kann sich vermutlich kaum noch jemand so richtig erinnern.

Wenn nicht alles täuscht, wird es für die 51 Prozent ohnehin nicht reichen, zu groß ist der politische Konservativismus der Konstanzer Wählerinnen und Wähler. Minimale Sitzverschiebungen wären keine Überraschung. Zementierung des Status Quo also? Selbst die "Republikaner", von denen zu befürchten ist, daß sie in den Gemeinderat einziehen, werden daran nicht viel ändern.

Konstanz hat ja schließlich seine Erfahrungen mit Gruppierungen aus der ganz rechten Ecke: Bis 1984 saß Walter Eyermann mit zwei Kumpanen aus der sogenannten "Bürgergemeinschaft Konstanz"(BGK) im Lokalparlament. Dies zeigt, daß es in dieser Stadt schon immer ein rechtsradikales Potential gegeben hat, das nur deshalb nicht im letzten Gemeinderat vertreten war, weil die BGK auf eine Kandidatur verzichtet hatte.

Wozu dann noch wählen, werden viele sich fragen. Zwar hesteht so gut wie keine Aussicht darauf, die bürgerliche Mehrheit zu kippen; bedeutungslos wird der Gang ins Wahllokal deshalb noch lange nicht. Insbesondere das baden- württembergische Kommunalwahlrecht mit seiner Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens bietet die Möglichkeit einer überaus differenzierten Stimmabgabe. Wem daran gelegen ist, daß sich gegen eine Politik, die Konstanz langsam aber sicher in ein Touristenparadies mit angegliedertem Studentenghetto verwandelt, laut und deutlich Opposition artikuliert, sollte dies nutzen.