Quelle: Neues Nebelhorn 02/93 | |
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Wenn die gesuchten Ressourcen zur Handelsware einiger Konzerne werden, dann beherrschen die Schokogiganten die Kakaoherstellung von der Pflanze bis zur Verarbeitung. Nicht ohne Grund haben viele Läden der Dritte-Welt-Solidarität auch Schokolade in ihrem Sortiment. Denn wie beim Kaffee oder anderen Produkten des Südens ist Kakao einem ungerechten Weltmarkt unterworfen. Mit der Einführung der Gentechnologie wird sich der Markt um den Kakao nochmals dramatisch verändern. Kaum haben die Industrieländer die "gentechnische Revolution" eingeleitet, sind die Folgen bereits absehbar.
Theobrom, "Speise der Götter" nannte der Botaniker Carl von Linne die tropische Pflanze mit den braunen, bitteren Bohnen. Noch immer ist diese wissenschaftliche Bezeichnung gebräuchlich; und noch immer läßt sich auch ein wenig von der Verzückung derer erahnen, die von jenem merkwürdigen Getränk kosteten, das aus den Früchten dieser Pflanze zubereitet wurde. Inzwischen allerdings scheinen Charakter und Herkunft der Pflanz vergessen, begraben unter einer Überfülle von Naschwerk, die eine gewaltige Industrie in Europa und Nordamerika daraus macht. Von "Kakao" ist die Rede - und von den Begierden, die er weckt.
Ursprünglich stammt der Kakaobaum aus dem Amazonasgebiet. Alle Völker Lateinamerikas verehrten dessen faszinierende Früchte. Den Azteken galt Cacahuatl als Geschenk des gefiederten Schlangengottes; und sogar der spanische Eroberer Hernando Cortez schlürfte genüßlich einen Becher Xocoatl. Die Spanier, die anders als ihre indianischen Opfer das bitterbraune Schokoladen-Gebräu mit Vanille, Zimt und sehr viel Zucker "würzten" und es erst so für europäische Gaumen genießbar machten, beherrschten lange Zeit den Handel mit Kakao: Sie exportierten ihn nach Europa. Schokolade wurde das Modegetränk für Adel und Höflinge. Erst viel später, im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, erhielt die Schokolade eine feste Form - und ihre unaufhaltsame Karriere als süße Leckerei begann.
Die Spanier blieben nicht die einzige Kolonialmacht, die sich für Kakaoanbau und -handel interessierten. Wie viele andere tropische Pflanzen auch - Zuckerrohr, Kautschuk, Indigo, Chinin - wurde der Kakao aus seiner Heimat "entführt" und in andere Kontinente verpflanzt. So waren es die britischen Kolonien Westafrikas, die sich gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts zum weltweit führenden Kakaoproduzenten entwickelten. Auch "Deutsch-Kamerun" lieferte die begehrten Früchte heim ins Reich. Heute decken die Elfenbeinküste, Ghana, Nigeria und Kamerun mehr als die Hälfte des weltweiten Kakaobedarfs.
Seitdem vor 500 Jahren erobernde weiße Männer den Kakao entdeckten, begann eine Lange Geschichte der Enteignungen. Jetzt scheint eine neue Phase anzubrechen. Nun schickt sich eine unheilige Allianz von Wirtschaftsmacht und Wissenschaft an, den Raub der natürlichen Reichtümer des Südens durch die Länder des Nordens zu vollenden. Auch diesmal ist Kakao wieder das Objekt der Begierde, diesmal für die Bio- und Gentechnologie. Von der Pflanze bis zur Verarbeitung, von neuen Kakao-Sorten bis zu billigen Ersatzstoffen - nichts bleibt, wie es ist. Ähnliches droht bei Zucker, Palmöl, Vanille und vielen anderen pflanzlichen Geschmacks-' und Wirkstoffen. Die Folgen für die Länder des Südens sind dramatisch.
Schon immer war es ein lohnendes Ziel, die Erträge der Kakaopflanze zu steigern und gleichzeitig ihre Widerstandsfähigkeit gegen jene Krankheitserreger zu stärken, die häufig Ernte und Bäume vernichteten. Doch nun stehen Gentechnik und verwandte biotechnische Verfahren zur Verfügung - und damit grundsätzlich neue Möglichkeiten, die "lebendige Natur" gezielt zu verändern. Seit Jahren versuchen vor allem nordamerikanische Institute und Gen-Laboratorien, neue Kakaosorten nach Maß zu "konstruieren".
Mars entwickelt in Brasilien und Malaysia Eine Kakao-Sorte, die gegen Insekten"schädlinge" resistent sein soll. Dazu werden "Embryonen" von Kakaobäumen erst gentechnisch verändert und dann zu einer Pflanze "regeneriert", die nun ein Gift absondert, welches die Insekten beim Fraß abtötet. Hershey arbeitet mit ähnlichen Verfahren an neuen Kakao-Sorten, die gegen Pilz-Erreger widerstandsfähig sind. Nestle und Hershey ist es bereits gelungen, Kakao in "Zellkulturen" zu gewinnen: Unter Einsatz von Hormonen und Wachstumsregulatoren in einer kontrollierten Nährstofflösung. Auch wenn der so gewonnene Kakao derzeit noch viel zu teuer und somit kommerziell uninteressant ist, könnte die Zellkulturtechnik langfristig den traditionellen landwirtschaftlichen Anbau verdrängen.
Der Verband der US-amerikanischen Schokoladenhersteller betreibt seit 1986 ein großes Kakao-Forschungs-Institut an der Universität von Pennsylvania. Dort beschäftigt man sich nicht nur damit, genetisch identische Pflanzenkopien aus einer zuvor veränderten Zelle zu "klonen", sondern auch mit konkreten Genprojekten. Ein Projekt hat zum Ziel, den Fettanteil in der Kakaobutter zu erhöhen. Ein anderes soll Kakao süßer machen. Dazu wird das Gen einer süß schmeckenden afrikanischen Pflanze (Thaumatin) eingeschleußt. Oder es wird andersherum kombiniert: Sojabohnen bekommen Kakao-Gene, so daß einzelne Kakaobestandteile auch außerhalb der tropischen Zonen gedeihen können.
Doch bis dahin muß die Schoko-Industrie noch einiges an Ideen aufwenden. Denn Kakao ist nicht nur die Summe seiner Gene. Seinen besonderen Charakter, die Farbe, den Geschmack bekommt er beispielsweise erst wenn die frisch geernteten Kakao-Bohnen "gedarrt" werden. Gleichzeitig macht dieses traditionelle Fermentationsverfahren ihn haltbar und transportfähig. Den Verlauf dieses komplizierten Vorgangs perfekt zu steuern, ihn zu beschleunigen oder dabei gar die schlechtere Qualität eines Massen-Kakaos zu kaschieren - das haben sich verschiedene Forschungsprojekte vorgenommen, an denen etwa die Schoko-Giganten Mars und Cadbury beteiligt sind. Damit geriete das Fermentieren der Kakaobohnen vollständig unter industrielle Regie.
Viele dieser Gen-Projekte sind über das Experimentierstadium noch nicht hinausgekommen; bei einigen ist es zweifelhaft, ob sie jemals gelingen. Dennoch: die unternehmerischen Motive, die diese Forschung vorantreiben, und vor allem die dadurch entstehenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen sind bereits überdeutlich.
Seit einigen Jahren verändert sich die Weltkarte des Kakaoanbaus: Die Verlierer sind die westafrikanischen Erzeugerländer Elfenbeinküste, Ghana, Nigeria und Kamerun, die Gewinner Brasilien, Malaysia und Indonesien. Denn hier finden sich die geeigneten Voraussetzungen, um die neuen Hochertragssorten großflächig anzupflanzen - riesige Plantagen, auf denen die notwendigerweise chemie- und düngemittelintensiven Anbaumethoden effektiv angewandt werden können, dazu genug Kapital, um die teuren Super-Sorten zu finanzieren. Im weltweiten Konkurrenzkampf sind die afrikanischen Länder mit ihren noch vorwiegend kleinbäuerlichen Strukturen hoffnungslos unterlegen.
Hinzu kommt, daß auf dem Weltmarkt schon jetzt ein Überangebot an Kakao herrscht. Bereits kleine Produktionssteigerungen genügen, und die Weltmarkt-Preise brechen zusammen. In den letzten zehn Jahren sanken sie um mehr als die Hälfte. Diesem doppelten Druck von Überproduktion und sinkenden Preisen halten vor allem die westafrikanischen Länder nicht stand, deren Export zudem fast ausschließlich vom Kakao abhängt. Und dort trifft es vor allem die Kleinbauern und -bäuerinnen mit ihren Familien; wenn der Kakao sich nicht mehr lohnt, verlassen sie ihr Land und wandern in die Slums der großen Städte ab.
Ohne neugezüchtete Kakaosorten wäre der weltweite Verlagerungsprozeß kaum möglich -gewesen. Bio- und Gentechnologiewerden ihn weiter beschleunigen und verschärfen. Empfindliche, teure und technologieabhängige Kakaopflanzen mit noch einmal gesteigerten Erträgen, maßgeschneidert in den Gen-Laboren jener multinationaler Konzerne, die Handel und Weiterverarbeitung des Kakaos ohnehin beherrschen, werden für die Länder Westafrikas gewaltige Probleme bringen. Wollen sie mithalten beim Tempo, wie es ihnen aufgezwungen wird, bleibt ihnen kaum anderes übrig, als ihre gewachsenen wirtschaftlichen Strukturen zu ändern. Doch ohne viel Geld sind die notwendigen Investitionen nicht zu haben - und das bedeutet: Kredite, Verschuldung, Abhängigkeit von Weltbank und Internationalem Währungsfond.
Überproduktion, fallende Preise, die soziale wie regionale Verlagerung des Kakaoanbaus das ist die Kehrseite der schönen, neuen Schokoladenwelt. Doch es ist noch nicht alles. Ein Teil der weltweiten Kakaoproduktion läuft sogar Gefahr, von Ersatzstoffen verdrängt zu werden.
Neben Zucker, Milchpulver und zermahlenen Kakaobohnen ist fürjede Schokolade noch ein weiterer Grundstoffnotwendig: Kakaobutter, ein hochwertig es Fett, das aus der Kakaomasse herausgepreßt wird. Diese Kakaobutter - außerdem ein geschätzter Grundstoff zur Herstellung pharmazeutischer und kosmetischer Produkte- ist ein weiteres Objekt der Begierde: Sie billiger herzustellen sowie einen "kakaofreien" Ersatzstoff zu finden, ist die erklärte Absicht der großen kakaoverarbeitenden Unternehmen.
Schon länger wird Kakaobutter-Ersatz aus billigen Ölen hergestellt - allerdings bisher in erbärmlicher Qualität. Doch nun eröffnen Bio- und Gentechnologie ganz neue Wege. Konzerne wie Nestl6 und Cadbury forschen daran, mit Palm-, Raps-, Soja- oder Sonnenblumenöl zu Kakaobutter zu imitieren. Sogar Fisch- oder Wal-Öle sind als Grundstoff für die fälsche Kakao-Butter denkbar.
Unternehmen aus der Fett-Branche wie Unilever und Schokoladenhersteller wie Ferrero entwickeln enzymatische Verfahren, um billige Ersatzstoffe zu finden, die auch vor den verwöhnten Schleckermäulern in den reichen Industrieländern bestehen. Die japanische Fuji Oil Company und das US-amerikanische Gentech-Unternehmen Genencor besitzen bereits entsprechende Patente.
Es sollen speziell entwickelte Bakterien oder Hefen eingesetzt werden, die bestimmte Fettsäuren produzieren, welche sich als Kakaobutter-Ersatz eignen.
Heute beträgt der Weltmarkt für Kakaobutter-Ersatz bereits 130 000 Tonnen im Jahr. Das entspricht einer Menge von 350 000 Tonnen Kakaobutter, oder, anders ausgedrückt: schon jetzt werden 15 Prozent der weltweiten Kakaoernte - der gesamte Jahresertrag von Kamerun und Ghana - durch billige Kakaobutter-Ersatzstoffe verdrängt. Sind erst die neuen bio- und gentechnisch hergestellten Substitute einsatzreif, werden diese Mengen rasch zunehmen. Zwar ist es in der Bundesrepublik - anders als etwa in Dänemark oder Großbritannien - derzeit noch nicht erlaubt, Schokolade als "Schokolade" zu verkaufen, wenn ihr Kakaobutterersatz beigemischt ist. Doch das soll sich schon bald ändern, die EG möchte binnenmarktweit fünf Prozent davon deklarationsfrei in Schokolade zulassen - damit würde der Bedarf an Kakaobohnen schätzungsweise um weitere 60 bis 80 tausend Tonnen pro Jahr sinken.
Ein künstlich und industriell produzierter Billig-Stoff macht die Giganten des Kakaogeschäfts damit vollends unabhängig von allen Launen und Unwägbarkeiten: denen der Natur, von Klima und Ernteerträgen, von Weltmarktpreisen und der politisch-wirtschaftlichen Lage in den Anbauländern. f& wäre ein doppelter Sieg: über die Natur und über die Länder des Südens.
Der Text ist in großen Teilen dem Informationsblatt "Kakao - Gentechnologie und Dritte Welt" (herausgegeben vom Gen-ethischen Netzwerk e.V.) entnommen. Das Poster "Aufbruch zu reichen Ufern" kann beim Gen-ethischem Netzwerk, Schöneweider Straße 3, lOO0 Berlin 44 für 5 Mark plus Versandkosten bestellt werden.
Dope oder wohlstandsfeiste Geste?Über die Ursachen der SchokoladensuchtKönnen auch Sie tagelang auf Schokolade verzichten, verfallen aber, sobald das erste Stück im Gaumen geschmolzen ist, dieser zartesten Versuchung? Und wundern Sie sich, warum eine Tafel in so viele kleine Stückchen eingeteilt ist, obwohl für die Mehrheit der SchokoladenesserInnen der Riegel oder zumindest das Doppelstück die kleinste Schokoladeneinheit darstellt? Dann kann es sein, daß Sie in Punkte Schokolade suchtgefährdet sind. Denn das, was so sorgfältig in Aluminiumpapier eingehüllt wird, hat es in sich, berichtet das britische Wissenschaftsmagazin New Scientist im Dezember 1992. Danach sind in jeder 100 Gramm-Portion Schokolade bis zu 660 Milligramm Phenylethylamin enthalten. Diese Substanz, wirkt ähnlich wie die körpereigenen Substanzen Dopamin und Adrenalin: der Blutdruck steigt, das Herz schlägt schneller und die Sinneswarhmehmung wird gesteigert. Alles in allem, meinen manche WissenschaftlerInnen, seien die Reaktionen vergleichbar mit einem Orgasmus. Zwar von schwächerer Intensität, aber immerhin. Die Faszination der Schokolade liegt für John Harwood, Biochemiker aus Wales, im Gefühl eines befriedigten Gaumens, das sich beim Schmelzvorgang im Mund einstellen soll. Zurückzuführen sei dieses sensorische Erlebnis auf die Kakaobutter. Wenn sie im Mund zergeht, entzieht sie dem Gaumen Wärme und produziert so das zarte Feeling. Andere Wissenschaftlerinnen glauben eher an eine Wirkung wie beim Kaffee oder beim Tee. Der Grund dafür sehen sie in 5 Milligramm Methylxanthin beziehungsweise 160 Milligramm Theobromine pro Tafel, beides dem Koffein ähnliche Drogen. Schokolade sei daher doch kein guter Ersatz für sexuelle Lusterlebnisse. Erfolgversprechender ließe sich ein passabler Gute-Nacht-Trunk daraus machen, sagt der Biochemiker John Harwood, weil die Substanzen hauptsächlich auf die Nieren wirken und deswegen harntreibend sind. Der Psychologe David Booth kann den Theorien der Biochemikerinnen nichts abgewinnen. Seiner Meinung nach hängt die Nascherei mit einem gewissen Wohlstandsgefühl zusammen. Dieses Gefühl soll ein Stück dieser braunen Masse wieder aufleben lassen, das sei die Sucht. Und gerade weil uns die sozialen Normen einen gemäßigten Genuß vorschreiben, verfallen wir dieser Sucht. Für diese Hypothese spricht immerhin die Beobachtung der Schokoladenfirmen, daß gerade in Zeiten wirtschaftlicher Rezession das Schokoladengeschäft floriert. |
Marc Haug
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sw, 4.01.01