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Doris Baur
Am l. Oktober soll das sogenannte "Asylbewerberleistungsgesetz" in Kraft treten. Flüchtlinge können danach ihr Essen nicht mehr selber kaufen, sondern erhalten Lebensmittelpakete oder Gutscheine. Für sämtliche sonstigen Bedürfnisse sollen die Flüchtlinge mit 80 Mark auskommen, Kinder bis 13 Jahre sogar mit nur 40 Mark. Noch nicht anerkannte AsylbewerberInnen sollen für zwei Mark Stundenlohn Zwangsarbeit leisten, dagegen wird das Arbeiten während der Wohnpflicht in Aufnahmelagern wieder verboten. Wer trotzdem arbeitet, wird mit Taschengeldentzug bestraft. Außerdem folgt ein Strafverfahren. Desweiteren bekommen Gemeinden die Kosten für die soziale Betreuung der Flüchtlinge nicht mehr vom Land erstattet, weshalb der Landkreistag empfiehlt, die Sozialarbeiterinnen zu entlassen.
In einem Brief vom 24. April fordert der Arbeitskreis Asyl Oberbürgermeister Horst Eickmeyer auf, sich gegen dieses Gesetz zu wenden. Außerdem soll er statt der Sachverpflegung den Flüchtlingen weiterhin Geld statt Essenpakete zukommen lassen, auf der bisherigen Kostenentschädigung für die Unterkunft und soziale Betreuung bestehen und sich für die Sozialarbeit in den Unterkünften der Stadt Konstanz und in der staatlichen Sammelunterkunft einsetzen. Geantwortet hat Bürgermeister Wilhelm Hansen.
In seinem Brief vom 14. Mai schreibt der Sozialbürgermeister der Stadt Konstanz, daß er das "Asylbewerberleistungsgesetz" für dringlich hält: "Es ist unbedingt notwendig, die Kosten für die öffentliche Hand zu reduzieren." Wie er dies erreichen will, wenn die Flüchtlinge in Zukunft Essenpakete statt Geld erhalten, schreibt Hansen nicht. Elisabeth Köhler, Mitglied des bayrischen Landtags und asylpolitische Sprecherin der Grünen stellte fest, daß Lebensmittelpakete deutlich teurer sind, als wenn die Flüchtlinge ihr Essen selbst einkaufen. Außerdem wird durch diese Regelung dem Wucher Tür und Tor geöffnet. Als Beispiel nannte Köhler ein Flüchtlingswohnheim in Augsburg, für das die Firma Weigl aus Nürnberg das Monopol auf die Lebensmittellieferungen bekommen hat. Die Firma bekommt 60 bis 70 Mark pro wöchentlichem Paket, womit der Warenwert mindestens um das Doppelte überstiegen wird.
Der Arbeitskreis Asyl in Friedrichshafen fand heraus, daß Essenlieferungen, die für vier Tage reichen sollten, Waren im Wert von etwa 25 Mark enthielten. Die Stadt Friedrichshafer zahlte dafür aber mehr als 43 Mark. Der Landkreis Schwäbisch-Hall errechnete, daß nach der neuen Regelung die Kosten für die Verpflegung der Flüchtlinge 65 000 Mark mehr als bisher betragen wird und die Stadt Köln rechnet mit 8 Millionen Mark mehr, die für die 4 000 in der Stadt lebenden Flüchtlinge aufgebracht werden müssen. Auch der Aktionskreis Menschenwürde Radolfzell und der Freundeskreis Asyl Radolfzell rechneten ihrer Stadt vor, daß die Essenpakete teurer werden, als Bargeld.
Im Konstanzer Sammellager gab es mehrere Hungerstreiks gegen einseitige und minderwertige Essen, das von der Firma RoRi in Engen geliefert wird, die sich daran eine goldene Nase verdient hat.
Darüberhinaus wird dieses Geld für oftmals völlig unsinnige Dinge ausgegeben, weil in jedem Paket dasselbe ist. So begeistert sich die fünfköpfige Familie für ihre fünf Dosen Pfeffer, daß Kleinkind freut sich auf seine Zwiebeln und der Säugling nuckelt Essiggurken.
Auch die Ausgabe von Gutscheinen, mit denen dezentral untergebrachte Flüchtlinge in vorgeschriebenen Geschäften ihre Lebensmittel kaufen sollen, ist keine Lösung. Erstens führt dies zu einer täglichen Diskriminierung bei der Einlösung eines Gutscheins und zweitens wird auch hier eine Monopolstellung einzelner UnternehmerInnen geschaffen, die an den - ihnen per Gutschein geschaffenen - festen Kundinnenstamm ihre Ware teuer verkaufen können.
Das Taschengeld von 80 Mark, für Kinder 40 Mark, soll uns vom Gesetzgeber wohl noch als besonders "großzügig" dargestellt werden.
Mit diesem Minimalbetrag müssen die Flüchtlinge ihren Bedarf an Körperpflegemitteln, Telefon, Busfahrscheinen, Zeitungen, Schulbüchern und anderem bezahlen. Darüberhinaus wird es für die Flüchtlinge unmöglich, mit diesem Geld den letzten Rest Verbindung mit ihren Bekannten und Verwandten in der Heimat aufrechtzuerhalten, um sich nach deren Ergehen zu erkundigen. Völlig unmöglich gemacht wird es ihnen, einmal einen Abend auszugehen, um den Kontakt zu Deutschen zu suchen. Eine weitere Isolation ist die Folge. Besonders listig ist es, daß die Flüchtlinge von ihrem "Taschengeld" auch die Kosten für einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin bestreiten sollen, die für ihre Anerkennung als politisch Verfolgte dringend notwendig sind. Prozeßkostenhilfe erhalten die Flüchtlinge nicht. Mit solchen Tricks wird es unser Gesetzgeber noch schaffen, die Anerkennungsquote als politisch Verfolgte auf den von ihm angestrebten Wert von 0,0 Prozent zu drücken.
"97 Prozent der Asylbewerber haben keinen Asylgrund und nutzen letztendlich nur das System der bundesdeutschen Sozialleistungen aus", schreibt Hansen in seinem Brief. Er übertrifft damit an Hetze gegen Asylbewerber die "Republikaner" und die mittlerweile verbotene "Nationale Offensive", die das gleiche 95 Prozent der Flüchtlinge unterstellen.
Der Arbeitskreis Asyl antwortete darauf am 7. Juli: "Diese Aussage mag einem Stammtisch angemessen sein, ein Sozialbürgermeister müßte besser über die Tatsachen informiert sein. Nach der nun schon jahrelang geführten Asyldebatte kann Ihnen bei dieser Aussage schlichte Unkenntnis nicht mehr zugute gehalten werden. Wir müssen deshalb davon ausgehen, daß sie wider besseres Wissen die Tatsachen verfälschen".
In der Tat dürften die Bürger und Bürgerinnen der Stadt von ihrem "Meister" erwarten, daß er wenigstens die offiziellen Zahlen kennt, die der baden-württembergische Innenminister Frieder Birzele am 6. Oktober 1992 veröffentlichte: 1991 entschied das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Baden-Württemberg in 8585 Fällen. Davon wurden 1809 Anträge unanfechtbar positiv beschieden.
Das heißt, in Baden-Württemberg beträgt die Quote der als politische Flüchtlinge anerkannten 21,1 Prozent. Und dies, obwohl sehr eng ausgelegt wird, was als Fluchtgrund gilt. Folter in den Heimatländern ist zum Beispiel keiner. Flucht aus Krieg- oder Bürgerkrieg wird auch nicht als politische Verfolgung anerkannt, nach der Genfer Konvention dürfen Menschen jedoch nicht in Kriegsgebiete abgeschoben werden.
Der Anteil an Flüchtlingen, die allein aus dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland geflohen sind beträgt nochmals 28 Prozent. "Sie flohen, weil: ihre Häuser zerbombt, die Männer zum Militärdienst gezwungen und viele Frauen Opfer von Vergewaltigungen wurden. Vor ihrer Flucht dachten sie mit Sicherheit nicht an die Höhe der bundesdeutschen Sozialhilfe und es war ebensowenig ihr größter Wunsch, in hellhörigen, zugigen Blech-Containern von der Stadt Konstanz auf sehr beengtem Raum untergebracht zu werden", schreibt dazu der Arbeitskreis Asyl.
Bürgermeister Hansen, der schon im sogenannten "Walschburger-Skandal" um die Südwestdeutsche Philharmonie bewiesen hat, daß ihm im Umgang mit Zahlen einiges an Kompetenz fehlt, versagt mit seiner Behauptung, 97 Prozent der Asylbewerberinnen hätten keinen Asylgrund, nun offensichtlich an einer Prozentrechnung, die selbst Schülerinnen zu Beginn der Mittelstufe nur ein müdes Lächeln entlokken kann.
"Auf den Landkreis Konstanz bezogen wird ein weiteres Anwachsen der Sozialleistungen nicht nur ein baldiges Ende der Kommunalpolitik herbeiführen, weil es keinerlei Entscheidungsfreiräume mehr gibt, sondern alsbald ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten zur Folge haben", meint Hansen. Nicht etwa, daß Werner Walschburger, den Hansen eigentlich hätte kontrollieren sollen, mehr als eine Million Mark des städtischen Geldes unbemerkt verjubeln konnte, belastet also den Stadtsäckel, sondern ein Anwachsen der Sozialleistungen. Das "Ende der Kommunalpolitik" sieht Hansen im Zusammenhang mit den hier lebenden Flüchtlingen gekommen.
Dabei werden der Stadt die Kosten für die Flüchtlinge erstattet. Die vollen Sozialhilfekosten wurden vom LandBaden-Württemberg übernommen, außerdem erstattet das Land den Kommunen neben einer Betreuungspauschale von 250 Mark eine Verwaltungspauschale von 300 Mark im Jahr pro Flüchtling. "Falls diese eventuell trotz Arbeit die Wuchermieten, die die Stadt Konstanz für ihre Unterbringung verlangt, nicht aufbringen können und deshalb zum Sozialamt gehen, kann das Sozialamt der Stadt Konstanz sämtliche entstehenden Ausgaben dem Land Baden-Württemberg in Rechnung stellen", schreibt dazu der Arbeitskreis Asyl.
Das die soziale Betreuung der Flüchtlinge ganz eingestellt werden soll, ist dem Bürgermeister in seinem Antwortschreiben kein Wort wert. "Wir dürfen daraus schlußfolgern, daß sie die Konflikte, die sich aus der neuen, für die Flüchtlinge unerträglichen Situation ergeben, billigend in Kauf nehmen", schreibt der Arbeitskreis Asyl. Tatsächlich sind die Asylbewerber auf Hilfe im Alltag in einem fremden und fremdsprachigen Land dringend angewiesen: "Bei Kontakten mit Behörden, Ärzten, Schulen, Arbeitgebern und Rechtsanwälten sind viele Flüchtlinge auf die Hilfe der sozialen Betreuung angewiesen. Das Zusammenleben der Flüchtlinge unterschiedlicher Kulturen in den beengten Unterkünften erfordert ständig das Engagement der Sozialarbeiterinnen. Vor allem die menschliche Not, die jedes Flüchtlingsschicksal mit sich bringt, die Sorge der Flüchtlinge um in der Heimat zurückgelassene Verwandte und Freunde, die Ungewißheit der eigenen Zukunft macht die persönliche und menschliche Zuwendung der Sozialarbeiterinnen notwendig.
Auch die Akzeptanz der Flüchtlinge in der Gesellschaft wird von der Sozialarbeit wesentlich unterstützt. So spielt die Sozialarbeit insbesondere bei der Annahme der Unterkünfte in der Bevölkerung eine wichtige Rolle. Bei Konflikten ist die Sozialarbeit um Ausgleich bemüht und wirbt auf beiden Seiten um Verständnis. Die Begegnung von Deutschen mit den Flüchtlingen wird meist von der sozialen Betreuung vermittelt. Gerade in dieser Zeit von eskalierender Fremdenfeindlichkeit und von Gewalt gegen Flüchtlinge kann deshalb auf den Beitrag der Sozialarbeit zum sozialen Frieden nicht verzichtet werden", schreibt der Arbeitskreis.
"Das Vorgehen gegen die Flüchtlinge, die Schaffung eines Sondergesetzes könnte Beispiel sein für weitere Einbrüche in die Sozialhilfe. Schlagwörter wie 'Sozialer Wildwuchs', 'Sozialmißbrauch', 'Sozialkriminalität' werden immer häufiger von Politikern gebraucht und in der Presse lanciert. Diese Kampagne könnte schließlich dazu führen, daß die Schikanierung von allen Sozialhilfeempfängern durch Sachverpflegung und Zwangsarbeit eingeführt wird, wie es zum, Beispiel heute schon der Präsident des Außen- und Großhandels, Fuchs, fordert", schreibt der Arbeitskreis Asyl.
So können alle Menschen in Deutschland, egal mit welchem Paß, solche Sprüche nur als Drohung für die Zukunft auffassen: "Der Staat muß sich vor den Rechtsansprüchen seiner Bürger und derer, die zu uns kommen, schützen. Der Staat und die ihn leitende Klasse soll auf Kosten der Verfassung geschützt werden. Und das macht man am besten, indem man bei den Rechten derer anfängt, die keine oder noch keine Bürger dieses Landes sind. Doch die Grundrechte bilden ein System, aus dem man nicht beliebig - je nach Lage der Dinge und je nach Selbsterhaltungsinteresse der regierenden Parteien - etwas herausbrechen kann, ohne das ganze System zu ändern. Und so ist es kein Zufall, daß jetzt ein Grundrecht nach dem anderen, und sei es mit Hilfe des verfassungswidrigen Artikels 18 *), zur Disposition gestellt wird. Wir müssen die Rechte derer, die keinen deutschen Paß haben, schützen, schon um die Rechte derer zu schützen, die ihn haben.", schreibt Hauke Brunkhorst in dem Buch "Die vierte Gewalt" (siehe Buchtips).
Mit Sprüchen wie "Ich befürchte schwerwiegende Folgen für unsere Sozialstruktur, falls wir durch Sozialverpflichtungen, die millionenfach von Außen an uns herangetragen werden, nicht mehr in der Lage sein sollten, eine sozial ausgeglichene, homogene Gesellschaft in unserem Land zu erhalten" behauptet Hansen, daß es die Flüchtlinge und nicht die Politik seiner Partei, der CDU, ist, die immer mehr Menschen in die Armut treibt.
Der CDU-Bürgermeister zeigt, daß er unter hochgradiger Geschichtsverdrängung leidet. So lange ist es noch gar nicht her, daß eine zerstörte und verarmte Bundesrepublik nach dem 2. Weltkrieg 12 Millionen Flüchtlinge innerhalb kürzester Zeit aufnehmen und integrieren konnte.
Hansen suggeriert, die Flüchtlinge würden uns arm fressen und betätigt sich damit als politischer Brandstifter, in einer Zeit, in der die Brandstifter auf der Straße keine Rechtfertigung für ihre feigen Morde mehr brauchen. Trotz der Welle gegen AusländerInnenfeindlichkeit und Diskriminierung, sagte bei der Pressekonferenz der Aktion "Schütze Deinen Nachbarn", im Pfalzgarten niemand ein Wort über das "Asylbewerberleistungsgesetz", obwohl die Informationen des Arbeitskreis Asyl Konstanz dazu vorlagen.
Den Flüchtlingen in Konstanz wäre zu wünschen, daß sie im Herbst in Konstanz mehr Unterstützung und Solidarität finden, als dies im Frühjahr in Friedrichshafen der Fall war.
*) Artikel 18 des Grundgesetzes: "Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. l), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fermneldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16, Abs. 2) zum Kampfe gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.
Nach einer Aufstellung des Aktionskreis Menschenwürde Radolfzell und des Freundeskreis Asyl Radolfzell, enthielt eine Essenlieferung einer Firma aus Grünkraut von dem die Flüchtlinge in Friedrichshafen vier Tage leben sollten:
Zusätzlich werden alle zehn Tage "Grundnahrungsmittel" geliefert: Kaffee, Öl, Mehl, Marmelade, Essig, Margarine, Salz, Gewürzmischung, Paprika scharf, Curry, Tee. Guten Appetit! Die Warenkörbe werden von der Krankenkasse nicht beanstandet, doch "H-Milch, Toastbrot bzw. Weißbrot, gezuckerte Billig-Fruchtsäfte, Tiefkühl- und Dosenkost, we- nig Frischobst und -gemüse sind für die körperlich und psychisch geschwächten Menschen aus Krisenländern eine nicht zu verantwortende Mangelkost' (Zitat Dr. med Wolf-Dietrich Foerster, Radolfzell), die vermehrte Erkrankungen vorprogrammiere", schreiben die beiden Radolfzeller Initiativen. |
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