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sw, Konstanz 5. November 1999 |
Roma - entrechtet und kriminalisiert, Leben am Rande der Legalität
Roma auf ihrem Protestmarsch 1993 in Konstanz (Foto: mac)
Es gibt sie noch, die mehr als 250 Roma-Flüchtlinge, die im Sommer
letzten Jahres in einem mehrwöchigen Protestmarsch durch ganz Süddeutschland
ihrer Forderung nach Anerkennung als ethnische und kulturelle Minderheit
und einem gesicherten Bleiberecht in Deutschland Nachdruck verschafften.
Auch in Konstanz lebt noch eine Roma-Familie, die sich an dieser Aktion
beteiligte. Doch ihre Tage in diesem Land sind - geht es nach dem Willen
des Innenministeriums von Baden-Württemberg - gezählt. Ein Rom
wurde bereits - ohne die vom Innenministerium zugesicherte gründliche
Einzelfallprüfung - nach Mazedonien abgeschoben, die anderen leben
mit der permanenten Drohung, daß sie morgen das gleiche "Schicksal"
ereilt.
Der legale Raum zum Leben wird für sie immer mehr eingeengt.
Im November fanden vor diesem Hintergrund vielfältige Aktionen statt,
um die Anerkennung der Roma als europäisches Volk einzufordern und
für alle hier lebenden Roma ein gesichertes Bleiberecht durchzusetzen.
Ein Rückblick auf die Protestaktionen des letzten Sommers
Ausgelöst durch einen Hungerstreik der Schriftstellerin Anita Geigges
suchten im Mai letztes Jahres mehr als 40 Roma auf dem Gelände der
KZ-Gedenkstätte Dachau Zuflucht. Ihre Forderung an die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland: Anerkennung der Roma als ethnische und kulturelle
Minderheit und ein gesichertes Bleiberecht für Roma aus dem ehemaligen
Jugoslawien. Auf Druck des Staates und der Kirchenoberen mußten sie
- inzwischen über 250 Menschen - Dachau nach knapp zwei Monaten verlassen.
Danach entschieden sich die Roma ihren Kampf um das Bleiberecht auf zwei
verschiedenen Ebenen weiterzuführen: während eine Gruppe nach
Straßburg ging, um dort im Namen aller Roma, die in Dachau waren,
eine Petition beim Europäischen Parlament einzureichen, begann die
andere Gruppe einen Protestmarsch durch ganz Süddeutschland. Ihre
Stationen waren unter anderem Singen und Konstanz, wo sie jedoch jeweils
nach nur wenigen Tagen Aufenthalt vertrieben wurden. Endpunkt ihres Marsches:
das Gewerkschaftshaus in Vöhrenbach, das der DGB-Landesbezirk zur
Verfügung stellte, um eine politische Lösung im Sinne der Roma
zu ermöglichen. In einer Presseerklärung erklärte der DGB-Landesvorstand
damals seinen Willen, die Bemühungen der Roma zur Verbesserung ihrer
Lage zu unterstützen. Bis zur rechtlichen und politischen Klärung
ihres Status, das heißt bis zur Entscheidung ihrer Petitionen in
Bonn und Straßburg, sowie einer Klärung ihres Status bei der
europäischen Menschenrechtskommsion, muß die Gruppe in Baden-Württemberg
bleiben können." Ergebnis der damaligen Vermittlungsbemühungen
zwischen den betroffenen Roma, ihren UnterstüzerInnen aus Kirche,
Gewerkschaften und autonomen Gruppen mit dem Innenministerium war das Angebot
des Innenministerium, nochmals für jede/n der an der Aktion beteiligten
Roma aus Baden-Württemberg eine erneute Einzelfallprüfung zu
garantieren - auch in solchen Fällen, in denen das Asylverfahren bereits
rechtskräftig abgeschlossen war. Abgelehnt wurde von Innenminister
Birzele eine "Gruppenlösung" für alle betroffenen Roma. Das Angebot
des Innenministerium war mit einer Drohung verknüpft: Sollten die
betroffenen Roma nicht zustimmen und in die Unterkünfte zurückkehren,
in die sie während ihrer Asylverfahren eingewiesen wurden, würden
alle diejenigen sofort abgeschoben werden, deren Verfahren bereits rechtskräftig
abgeschlossen sei.
Birzele verspricht Einzelfallprüfungen
Einzelfallprüfungen waren während des Protestmarsches vom Innenministerium
angeboten und von den Roma abgelehnt worden. Bei einer früheren Protestaktion
in der Stiftskirche in Tübingen (1991/1992) hatten Roma bereits die
Erfahrung machen müssen, daß trotz anderslautender Versprechungen
nur ein kleiner Teil der Gruppe als Alibi anerkannt, der Großteil
aber abgeschoben worden war. Die Prüfung individueller Abschiebehindernisse
wird zudem im Zuge jedes regulären Asylverfahrens vorgenommen. Aber
nach aller Erfahrung der Roma werden ihre Gründe dabei nicht anerkannt.
Die seit Jahrhunderten erfahrene rassistische Diskriminierung und Verfolgung
der Roma als Volk kann bei der Betrachtung jedes Einzelnen ausgeblendet
und negiert werden. Der größere Teil der an der Dachau-Aktion
beteiligten Roma sah sich schließlich dennoch gezwungen, auf das
Angebot des Innenministeriums einzugehen. In einem Brief an das Innenministerium
von Ende September 93 wies Jasar Demirov, der Sprecher der Roma, jedoch
daraufhin, daß eine nochmalige Einzelfallprüfung nur einen Sinn
machen würde, "wenn solche Begründungen für eine Verlängerung
unseres Aufenthaltes in der BRD vorgebracht und gewürdigt werden können,
die bisher im Verfahren nicht berücksichtigt oder nicht vorgebracht
werden konnten." Mit Verweis auf europäische und internationale Gesetze,
Entschließungen und Empfehlungen drückte Demirov die Erwartung
aus, "daß die Antworten, Empfehlungen und Entscheidungen auf internationaler
Ebene abgewartet und in der "Einzelfallprüfung" miteinbezogen werden."
Das Innenministerium ließ sich hierauf nicht ein, sondern es forderte
die Roma nochmals ultimativ auf, an die ihnen zugewiesenen Aufenthaltsorte
zurückzukehren und sich dort der Einzelfallprüfung zu unterziehen.
Die Mehrzahl der Roma kehrte daraufhin an ihren früheren Aufenthaltsort
zurück. Sie erhielten ein Papier des Innenministeriums, daß
ihnen solange einen Schutz vor Abschiebung zusicherte, bis eine erneute
Einzelfallprüfung abgeschlossen sei. Eine Minderheit der an der Aktion
beteiligten Roma tauchte unter.
Vorläufiger Abschiebestopp oder Duldung ohne Rechte
Mit dem Eingehen auf die Forderung des Innenministeriums war vorläufig
die Abschiebung von immerhin 260 Roma, die sich an der Dachauer Aktion
beteiligt hatten, verhindert - für sie bedeutete der Brief aus dem
Innenministerium einen vorläufigen Abschiebeschutz - ein nicht geringer
politischer Erfolg des politischen Engagement der Roma und ihrer UnterstützerInnen,
der Kirche und Gewerkschaften angesichts weiter anhaltender massenhafter
Abschiebungen. Das Innenministerium setzte bei den an der Dachauer Aktion
beteiligten Roma auf Zeit. Die politische Sensibilisierung in der Frage
von Roma-Abschiebungen, die für Innenminister immerhin handfeste Abseinandersetzungen
mit der DGB-Spitze des Landes und hochrangigen Kirchenvertretem mit sich
gebracht hatten, sollte erst abklingen, bevor es Abschiebungen anordnete.
Es vertraute im übrigen auf die Ergebnisse der anberaumten Einzelfallprüfungen.
Nach einigen Wochen des Abwartens fanden Ende letzten Jahres die ersten
Anhörungen bei den örtlichen Ausländerbehörden statt.
Viele Roma brachten bei ihren Anhörungen im wesentlichen zwei Argumente
für ein Bleiberecht hier vor: Zum einen begründeten sie Abschiebehindernisse,
die man schon in ihrem Asylverfahren hätte berücksichtigen müssen:
d.h. Gefahr für Leib und Leben bei einer Abschiebung in ihre Herkunftsländer.
Ein anderer wesentlicher Argumentationsstrang war die Forderung nach Anerkennung
ihrer Staatenlosigkeit, da ihr "Heimatstaat" Jugoslawien nicht mehr existiert
und die neuen Republiken sich ethnisch, d.h. über dasjeweilige Mehrheitsvolk
definieren. Vor dem Hintergrund der deutschen Verbrechen an Sinti und Roma
während des Nationalsozialismus forderten die Roma ferner eine Gleichstellung
mit den Juden aus der ehemaligen Sowjetunion. Diese hatte Deutschland Ende
der 80er / Anfang der 90er Jahre ein Bleiberecht im Rahmen einer Kontingentlösung
zugestanden. Die Ergebnisse der Anhörung wurden an das Innenministerium
weitergeleitet, das sich eine letzte Entscheidung in dieser Angelegenheit
vorbehalten hatte.
Roma-Alltag: Schikane und Kriminalisierung
Der Alltag der an ihren zugewiesenen Herkunftsort zurückgekehrten
Roma war von einer stetigen Zermürbungsstrategie staatlicher Behörden
bestimmt: Eingeschränkt in ihrer Bewegungsfreiheit auf den ihnen zugewiesenen
Aufenthaltsort erhielten sie mit Hinweis auf ihren vorläufigen Rechtsstatus
Freßpakete, auch wenn sie sich weit mehr als ein Jahr in Deutschland
aufhielten. Dies bedeutet eine massive Diskriminierung gegenüber allen
ihren MitbewohnerInnen in den Unterkünften, die bei gleicher Aufenthaltsdauer
Sozialhilfe in Bargeld erhalten. Die amtliche Verlängerung ihrer Duldung
erfolgte immer nur für maximal 2 Monate. Eingespeist in die polizeilichen
Datenbanken wurden sie häufig Opfer polizeilicher Kontrollen und amtlicher
Vorladungen - der Versuch, sie ganz bewußt als die "kriminellen"
Asyl"betrüger" zu stigmatisieren, die dem von Medien und politisch
Verantwortlichen geschaffenen Feindbild entsprechen.
Europarlament fordert: Anerkennung der Roma als europäisches Volk
Während aus Deutschland weiterhin tausende von Roma jedes Jahr abgeschoben
und in Baden-Württemberg die an der Dachauer Aktion beteiligten Roma
auf eine als völlig unzureichend erkannte Einzelfallprüfung zurückgeworfen
waren, wurden auf internationaler Ebene, insbesondere in den parlamentarischen
Gremien der EU bemerkenswerte Beschlüsse im Sinne der Forderungen
der Roma verabschiedet: Aufgrund der Petition der Dachauer Roma an das
Europa-Parmanent fand am 27. Oktober 93 eine Anhörung des Menschenrechtsauschußes
des Europäischen Parlaments zur Situation der Roma statt, bei der
die Forderung der Roma, europaweit Minderheitenrechte für Roma rechtsverbindlich
einzuklagen, sehr positiv aufgenommen wurden. Die Petition der Dachauer
Roma, in der sie gefordert hatten, daß den aus Jugoslawien vertriebenen
Roma ein Bleiberecht in Deutschland gewährt werden soll, erklärte
der Petitionsausschoß einen Monate später für zulässig.
Im Februar dieses Jahres schließlich publizierte der Ausschuß
für Grundfreiheiten und Demokratie des EP ein Dokument über die
Lage der Sinti und Roma in der Gemeinschaft, in das wesentliche Forderungen
der Roma aufgenommen wurden: In der Entschließung spricht sich der
Ausschuß u.a. dafür aus, Sinti und Roma, die in zahlreichen
mittel- und osteuropäischen Ländern verfolgt werden, das gleiche
Aufenthaltsrecht wie den übrigen Bürgern der EU-Migliedsstaaten
einzuräumen. Er verurteilt die Rückübernahmeabkommen zwischen
den Staaten der EU und den mittel- und osteuropäisehen Staaten, in
denen Flüchtlinge wie Waren behandelt werden. Die deutsche Regierung
wird aufgefordert, die Roma und ihre Familienangehörigen zu entschädigen,
die Opfer von Naziverfolgungen waren; ferner fordert er, die Roma, die
aus Rumänien und Ex-Jugoslawien geflüchtet sind, nicht auszuweisen
und die Aufnahme ihrer Familienangehörigen zu erleichtern. Der Ausschuß
empfiehlt den Regierungen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention
ein Zusatzprotokoll über Minderheiten hinzuzufügen, in dem die
Definition von Minderheit unter der Bezugnahme auf "nicht-territoriale
Minderheiten" die Sinti und Roma ausdrücklich einbezieht. Haken an
den Beschlüssen des Europa-Parlaments: sie sind in keiner Weise rechtsverbindlich
und entfalten allenfalls einen moralischen und politischen Druck. Das Innenministerium
als zuständige Behörde im Falle von Abschiebungen ist nicht gezwungen,
den Beschlüssen Folge zu leisten.
9. November 1994: Internationaler Aktionstag der Roma
Um der politischen Forderung nach Anerkennung des Roma-Volkes als europäisches
Volk Nachdruck zu verleihen, haben über 300 antirassistische Organisationen
in Europa, darunter zahlreiche jüdische Gruppen, Anfang November dieses
Jahres einen europaweiten Aktionstag durchgeführt. 100 Roma mit Kindern
und deutsche UnterstützerInnen besetzten in diesem Zusammenhang die
Ständige Vertretung der Europäischen Kommission in Bonn. Kernforderung
der an der Aktion beteiligten: einen Abschiebestopp in Richtung Ex-Jugoslawien
und Rumänien und ein Bleiberecht in der BRD, die Anerkennung der Roma
als europäisches Volk sowie die Garantie von Minderheitenrechten für
Roma durch die Bundesregierung. Zusammen mit zwei Roma-Paaren, die sich
nach der Flucht aus Rumänien nun auch in der Bundesrepublik verstecken
mußten, um ihrer Abschiebung zu entgehen, begannen am gleichen Tag
in Stuttgart Mitglieder der "Aktion Zuflucht" und andere kirchlichen und
antirassistischen Gruppen eine Mahnwache gegen Deportationen am Stuttgarter
Anti-Kriegs-Mahnmal. Ihre Kampagne zielt darauf, daß sich möglichst
viele deutsche Unterstüzergruppen bereit erklären, diese aus
der Illegalität aufgetauchten Roma zu schützen. Durch öffentlichen
Druck soll so ein Bleiberecht für Roma erreicht werden.
Massenhafte Abschiebung von Roma noch vor Weihnachten?
Dieser öffentliche Druck ist bitter notwendig. Die Abschiebungen von
Roma wurden auch nach der Dachauer Aktion nie ausgesetzt. Baden-Württemberg
schob im letzten Jahr allein 5500 Flüchtlinge ab, in diesem Jahr waren
es bis September erneut 2500 Flüchtlinge, deren Aufhalt in Baden-Württemberg
mit Zwang beendet wurde - darunter auch viele Roma. Der vorläufige
Abschiebeschutz beschränkte sich lediglich auf die Roma, die die Petition
an das Europaparlament unterschrieben hatte. Durch das UNO-Embargo gegen
Rest-Jugoslawien und die Schließung des Belgrader Flughafens war
eine Abschiebung in dieses Land bis vor kurzem jedoch nicht möglich.
Nachdem dieses Embargo schrittweise aufgehoben wurde, fürchten nun
viele Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien, daß demnächst Massenabschiebungen
dorthin vollzogen werden. Einzelne Landesbehörden haben dies auch
bereits angekündigt.
Trotz Schutzbrief abgeschoben
Auch die an der Dachauer Aktion beteiligten Roma sind alarmiert: Am 27.
Oktober wurde mit Idris Bajramov der erste Rom abgeschoben, der einen Schutzbrief
des Innenministers Birzele in der Tasche hatte. Er war am 24. Oktober durch
das Landratsamt Enzkreis (Pforzheim) festgenommen worden, weil ihn das
Bezirksamt Rastatt nach Abschluß des Asylverfahrens abschieben wollte.
Formal korrekt wurde das Ergebnis der Einzelfallprüfung am gleichen
Tag zusammengetippt und umgehend vom Innenministerium abgesegnet. Von einer
gründlichen Prüfung der vorgebrachten Argumente gegen eine Abschiebung
kann jedoch keine Rede sein. Idris Bajramov wurde nicht mehr freigelassen,
sondern ein Herr Nonnenmacher vom Landratsamt Enzkreis ordnete die sofortige
Abschiebung an. Angeblich zeige Idris Bajramov eine "derartige kriminelle
Energie" - womit wohl die Vorstrafe wegen Übertretung der Landkreisgrenzen
und ähnliches gemeint sein soll - daß seine Internierung und
Abschiebung geboten seien. Sollen weitere Abschiebungen von Roma verhindert
werden, muß der politische Druck auf die Verantwortlichen im Innenministerium
erheblich stärker werden. Bis heute haben sich in dieser Frage sowohl
die Gewerkschaften als auch Kirchenvertreter merklich zurückgehalten.
Selbst der Arbeitskreis Asyl Baden-Württemberg schweigt bislang zu
den Abschiebungen von Roma.
Deutschland und die Roma
Die Forderung nach besonderen Minderheitenschutzrechten für Roma ergibt
sich notwendig aus der Tatsache, daß die Roma nirgendwo einen Heimat-
bzw. Schutzstaat haben und überall ständig neuer Diskriminierung
und Verfolgung ausgesetzt sind. Insbesondere Deutschland mißachtet
diese Tatsachen und diskriminiert die Roma weiterhin als soziale Randgruppe.
Es verweigerte als einziger europäischer Staat die Zustimmung zu internationalen
Schutzabkommen für die Roma. Den deutschen Sinti und Roma wird die
Gleichstellung mit anderen Minderheiten verweigert. Romaflüchtlinge
aus den Gebieten des untergegangenen Jugoslawien werden andere Staatsbürgerschaften
aufgezwungen. Mit den wichtigsten Herkunftsländern der Roma werden
Rückübernahmeabkommen abgeschlossen, um sie massenhaft dorthin
abschieben zu können. (s. Kasten) Die europäischen Roma, die
Opfer des von Deutschen europaweit organisierten Völkermordes waren,
fordern, daß sie endlich das Recht haben, als heimatloses Volk da
zu leben, wo sie ihren Lebensmittelpunkt haben und nicht immer neu Opfer
einer letzlich tödlichen Vertreibungspolitik zu werden. Die in Deutschland
lebenden Roma lehnen den ihnen aufgezwungenen Status als Asylbewerber ab
und fordern, daß sie ebenso wie in Osteuropa bedrohte Juden, endlich
das Bleiberecht in Deutschland erhalten.
Demonstranten des RNC am 16. Mai 1993 in Neuengamme zum 53. Jahrestag
der ersten Deportation von Roma nach Polen. Die Roma wollten damit gegen
die Abschiebung und für ein Bleiberecht für Roma aus den ehemaligen
Ostblockstaaten demonstrieren. Sie errichteten ein Lager, neben dem KZ,
nachdem die Polizei ihnen gewaltsam den Zutritt verwehrte. (Quelle: Roma
und Deutschland. Situation der Roma in Europa und Deutschland seit der
Wiedervereinigung. Roma National Congress, Mai 1993.)
Menschenhandel mit den Staaten Osteuropas
Die Bundesrepublik Deutschland versucht sich der Verantwortung gegenüber
den zur Flucht aus Osteuropa gezwungenen Roma durch sogenannte Rückübernahmeabkommen
zu entledigen. Das erste solche Abkommen wurde im September 1992 zwischen
der BRD und Rumänien abgeschlossen. Es trat am 1.11.92 in Kraft. Das
Abkommen regelt die "Rückübernahme" von "illegal" sich in Deutschland
aufhaltenden rumänischen StaatsbürgerInnen. Primär richtet
es sich gegen die Flüchtlingsgruppe der Roma. Für einen Betrag
von 30 Millionen wurde der rumänische Staat erpreßt, alle Roma,
auch solche, deren Herkunft mangels Ausweispapieren nicht feststeht, "zu
übernehmen". Sie werden hiermit direkt ihren Verfolgern ausgeliefert.
Der mit Polen vereinbarte Vertrag vom 7. Mai 1993, der die sofortige Zurückweisung
von Flüchtlingen an der polnischen Grenze ermöglicht, hat für
die hiervon betroffenen Flüchtlinge gleichfalls verheerende Auswirkungen.
Auch von diesem Vertragswerk sind insbesondere über Polen flüchtende
Roma betroffen, die die Absicht haben, in der BRD um Asyl nachzusuchen.
Der Vertrag stellt in keiner Weise sicher, daß die abgeschobenen
Flüchtlinge in Polen ein ordentliches Asylverfahren erhalten. Im Gegenteil
seine Vertreter räumen offen ein, daß es ihnen nicht um die
Durchführung von Asylverfahren auf eigenem Boden geht, sondern um
die Zurückschiebung in die Herkunftsländer. Bei der Vertragsunterzeichnung
wurde Polen eine Finanzhilfe in Höhe von 120 Millionen Mark zugesagt,
die vor allem für Perfektionierung der Abwehr gegenüber aus Osteuropa
zuwandernden Flüchtlingen verwandt werden sollen. Weitere osteuropäische
Länder, mit denen Rückübernahmeabkommen abgeschlossen wurden,
sind die Tschechische Republik (zugesagte Finanzmittel 60 Millionen Mark),
Bulgarien und die Kroatische Republik. Für all diese Länder gilt:
Es fehlt ihnen an sämtlichen juristischen, administrativen und finanziellen
Vorraussetzungen für eine humane Asyl- und Flüchtlingspolitik.
Mehrere dieser osteuropäischen Regierungen schotteten sich nach Abschluß
der Rückübernahmeabkommen mit Deutschland nun ihrerseits mittels
neuer Visa-Bestimmungen gegenüber ihren osteuropäischen Nachbarn
ab. Sie vereinbarten Rücküberführungen "illegal" eingereister
Menschen, die bereits zu ersten Fällen von Kettenabschiebungen direkt
in die Verfolgerstaaten geführt haben.
Postkartenaktion an den damaligen baden-württembergischen Innenminister
Schlee für ein Bleiberecht der Roma.
Schreiben Sie!
Schreiben Sie an das Innenministerium von Baden - Württemberg und
fordern Sie Innenminister Birzele auf, keine Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien
oder aus Rumänien abzuschieben. Fordern Sie ein Bleiberecht für
Roma auf der Basis der Beschlüsse des Europäischen Parlaments.
Adresse: Innenministerium Baden-Württemberg z. Hd. Herrn Innenminister
Birzele Postfach 102443 70020 Stuttgart
Wolfgang Isele
Stefan Winkler
Vgl. auch Inkognito ins Gesicht geschaut (NNH 9/93)
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