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sw, Konstanz 6. November 1999

Dokumentation eines Offenen Briefes des AK-Asyl an das Ausländeramt in Pforzheim

Persönlich verantwortlich

Am 27. Oktober wurde der Romaflüchtling Idris Bajramov ins ehemalige jugoslawische Mazedonien abgeschoben. Der AK Asyl Konstanz, die UnterstützerInnengruppe für die Roma wandte sich in einem Offenen Brief an die Ausländerbehörde beim Landratsamt Enzkreis. Sie fragen die Verantwortlichen, inwieweit sie sich der Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidung bewußt sind!

Sehr geehrter Herr Dr. Nonnenmacher, sehr geehrter Herr Jäger,

wie wir vom Arbeitskreis Asyl Konstanz und von der Gruppe zur Unterstützung der Roma erfahren mußten, haben Sie am Donnerstag, den 27. Oktober 1994, Herrn Idris Bajramov, einen Romaflüchtling, nach Skopje in das ehemals jugoslawische Mazedonien abschieben lassen. Nach den uns vorliegenden Informationen haben Sie Herrn Idris Bajramov vor dieser Abschiebung in Haft genommen. Durch die von Ihnen angeordnete Abschiebung haben Sie die Familie Bajramov auseinandergerissen, den Familienvater von seinen Kindern, den Ehemann von seiner Frau getrennt.

Schließlich haben Sie sich, nach den uns vorliegenden Informationen, weder durch die befürwortenden Ergebnisse aus der Petition der Roma beim Europäischen Parlament, noch durch den Schutzbrief des Innenministers Frieder Birzele vom 15. Oktober 1993 für die Dachauer Roma, von der Anordnung zur Abschiebung abbringen lassen.

Wir erklären Ihnen gegenüber, daß wir die von Ihnen angeordneten und veranlaßten Maßnahmen gegen Herrn Bajramov entschieden ablehnen. Wir möchten Sie deutlich darauf aufmerksam machen, daß Sie in diesem Fall die unmittelbare Verantwortung für die getroffene Entscheidung und die daraus für Herrn Bajramov und seine Familie resultierenden nachteiligen Folgen tragen. Sie, Herr Dr. Nonnenmaeher und Herr Jäger, tragen diese Verantwortung in einem nicht administrativen Sinn auch ganz persönlich, da Sie zum einen die Ihnen zustehenden und möglichen Entscheidungsspielräume zugunsten von Herrn Bajramov nicht im geringsten genutzt haben, zum anderen eilfertig kaltes bürokratisches Handeln umgesetzt haben, ungeachtet der Würde und der Rechte des betroffenen Herrn Bajramov und seiner Familie. Unserer Überzeugung nach ist die von Ihnen im Namen Ihrer Behörde begangene Abschiebung von Herrn Bajramov, eines um Hilfe suchenden, vor Verfolgungen und Diskriminierungen in die Bundesrepublik geflohenen Roma, in jeder Hinsicht illegitim. Wir möchten Sie beide fragen Herr Dr. Nonnenmacher und Herr Jäger - , sind Sie sich der Bedeutung und der Tragweite der von Ihnen getroffenen Entscheidungen bewußt?

Eine größere Zahl namhafter Juristen (zuletzt Roland Kugler, Asylrecht. Ein Handbuch, Göttingen 1994) unterstreicht bereits die rechtliche Zweifelhaftigkeit und die unwürdige Praxis des derzeitigen Asyl- und Asylverfahrensrechts. Auch wir sind der Meinung, daß etwa die Zuteilung von Essensrationen und die Kriminalisierung von Flüchtlingen wegen des Verlassens des Landkreises, was auch Herrn Bajramov vorgeworfen wurde, die Würde der betroffenen Personen schwer verletzt und deshalb gegen den Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik verstößt. Von dieser illegitimen Abschiebepraxis wird das Grundrecht von den Behörden deutlich zur Makulatur gestempelt. Wir sind davon überzeugt, daß diese menschenverachtenden Regelungen des Asylverfahrensgesetzes darauf abgestellt sind, den Betroffenen ihr Leben schwer zu machen, sie auszugrenzen und zu diskriminieren. Die Betroffenen werden an den Rand der Legalität und geradewegs in die Verstöße gegen diese Gesetze getrieben. Die Folge ist die Kriminalisierung von Flüchtlingen, weil sie beispielsweise wiederholt irgendeine Grenze irgendeines Landkreises überschritten haben. Die Schuld an dieser politisch-staatlich betriebenen und geförderten Misere wird den Asylsuchenden zugeschoben. Diese diskriminierenden Methoden arbeiten dem Rechtsextremismus zu, fördern Haß und Anschläge gegen Asylsuchende und AusländerInnen.

Einer auf demokratische Achtung der Menschenrechte ausgerichteten Gesellschaft steht die an Herrn Bajramov vorgenommene Abschiebehaft und Abschiebung überhaupt nicht zu Gesicht. Abschiebungen und Abschiebehaft gemahnen uns stattdessen an einen totalitären Staat. Wir verurteilen die an Herrn Bajramov vorgenommene Abschiebehaft und Abschiebung. Wir sehen einen schweren Verstoß gegen Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948. Hier heißt es: "Jedermann hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen. "

Allein schon die Abschiebehaft stürzt die gefangen gehaltenen Menschen in eine ausgesprochen trostlose Lage. Den Verfolgten, zu denen Herr Bajramov allein schon wegen seiner Zugehörigkeit zum Volk der Roma zählt, werden die Traumata der bereits erlittenen Diskriminierungen und Verfolgungen auf eine psychisch zerstörerische Weise vor Augen geführt. Sie müssen erneut in schwere Angst und Schrecken geraten. In einem Bericht über die 'Abschiebehafteinrichtung' innerhalb der Justizvollzugsanstalt Mannheim (Arbeitskreis Asyl BadenWürttemberg e. V. Okt./Nov. 1994, S. 90 ff.) heißt es: "Die Häftllinge machen auf uns z. T. einen apathischen Eindruck. Häufig habe es schon sich selbst beigebrachte Verletzungen gegeben, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Fünf bis sechs defactosuizidfälle wurden uns gegenüber zugegeben. Einen jungen Mann mit Schnittwunden am Unterarm und am Hals trafen wir im A rztzimmer an, als gerade ein neuer Verband angelegt wurde. "

Wußten Sie von den zahlreichen Selbsttötungen der in den Abschiebegefängnissen festgehaltenen Zuflucht suchenden Menschen? Im Jahr 1993 klagten durch ihre Selbsttötung zum Beispiel - neben den vielen namenslosen Opfern - der aus Ghana kommende Pfarrer Kwaku gegen die verzweifelte Haftsituation an. Am Tag der Menschenrechte, dem 1 0. Dezember 1993 tötete sich Emmanuel Ehi aus Nigeria in der Abschiebehaft in Regensburg. Am 1. Weihnachtsfeiertag starb durch Selbsttötung Emanuel Thomas Tout, der vor dem Völkermord im Sudan Zuflucht gesucht hatte, in der Abschiebehaft in Herne.

Ihre 'Begründungen' der Abschiebungsverfügung vom 24.10.1994 gegen Herrn Bajramov muten uns zynisch an, da sie die fürchterliche Tradition biologistischer Erklärungen für strafbare Handlungen zum Hintergrund haben, wenn Sie gegenüber einem Roma, in diesem Fall gegen Herrn Bajramov, eine " ... derart kriminelle(n) Energie ... " behaupten. Energie ist zunächst einmal ein naturwissenschaftlich-physikalischer Begriff un d suggeriert in Ihrem Verwendungszusammenhang eine den Sinti und Roma immer wieder unterstellte, angebotene Neigung zu Kriminalität.

Ihre 'Begründungen' enthalten unverhohlen ausländerInnenfeindliche und diskriminierende Aussagen: "Die Ausweisung darf nicht als zusätzliche Bestrafung mißverstanden werden. Sie soll vielmehr Gefahren abwenden, die von Ausländern drohen und zugleich andere Ausländer, die in der Bundesrepublik Deutschland leben, davon abhalten, solche Straftaten zu begehen. "

Besonders empört uns Ihre Berufung auf öffentliche Interessen ", auf das" Interesse der Allgemeinheit", Ihre Anrufung der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung " und Ihre Beschwörung von" Recht und Gesetz" gegen den Romaflüchtling Idris Bajramov und seine Familie. Dieses von Ihnen zitierte Interesse der Allgemeinheit können wir nicht teilen, das von Ihnen beschworene Gesetz ist illegitim, das Recht ist Unrecht geworden. Solchem Gesetz können wir nicht mehr folgen, das Unrecht werden wir mit unseren Möglichkeiten zu bekämpfen wissen. Sie pflegen hier nicht nur die Sprache eines jeder ernstzunehmenden Demokratie unwürdigen autoritären Legalismus, vielmehr noch lenken Ihr Sprachgebrauch und die von Ihnen zitierte" Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" unsere Aufmerksamkeit auf eine bürokratische Sprache, die gerade in einem Herrschaftssystem eine große Rolle spielte, das von der vollständigen Diskriminierung und Ausgrenzung als "Asoziale" schließlich zur bürokratisch organisier'ten Vernichtung hunderttausender Angehöriger der Sinti und Roma geschritten ist (vgl. beispielsweise Feinderklärung und Prävention. Kriminalbiologie, Zigeunerforschung und Asozialenpolitik. Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik; 6. Berlin 1988.).

Sind Sie sich der bedeutsamen Rolle bürokratischen Handelns bei der Erfassung der Sinti und Roma bis hin zu ihrer Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager bewußt? Welche Konsequenzen müßte dieses Geschehen vor fünfzig Jahren für behördliches Handeln gegenüber Sinti und Roma in der heutigen Bundesrepublik haben?

Wußten Sie, daß auch aus Ihrem Landkreis Sinti und Roma während des "Dritten Reiches" nach Auschwitz deportiert wurden und dort ihr Leben verlieren mußten?

  • Berta Wagner, am 6. Oktober 1919 geboren, starb am 26. April 1944 vor fünfzig Jahren in Auschwitz. Sie trug die Häftlingsnummer Z5559 und stammte aus Pforzheim.
  • Anton Lehmann, ebenfalls aus Pforzheim, geboren am 6. März 1921, mußte in Anschwitz die Häftlingsnummer Z2157 tragen.
  • Maria Kobi, eine Arbeiterin aus Freudenstein, am 17. Februar 1921 geboren, mußte die Häftlingsnumrner Z4764 tragen und starb vermutlich bei einem Transport am 15. April 1944.*
  • Anton Reinhardt aus Illingen, geboren am 16. Juli 1928 wurde am 18. März 1943, als Fünfzehnjähriger, nach Auschwitz deportiert. Ihm wurde die Häftlingsnummer Z4151 eintätowiert.-
  • Theodor Reinhardt aus Eisingen, am 2. August 1891 geboren, wurde am 26. März 1943 nach Auschwitz deportiert. Theodor Reinhardt mußte die Häftlingsnummer Z5136 tragen und ist 1943 in Auschwitz ermordet worden.
  • Siegfried Lehmann aus Nöttingen, geboren am 12. September 1927, war am 4. April 1943 in das 'Stammlager Auschwitz l' gebracht worden und mußte die Häftlingsnummer Z4174 tragen. Siegfried Lehmann wurde am 9. Februar 1944 ermordet. Heute könnte Siegfried Lehmann noch leben, er wäre vor zwei Monaten 67 Jahre alt geworden.
  • Heinrich Mettbach kommt aus Birkenfeld. Er ist am 9. Juni 1920 geboren, lebte ledig als Arbeiter. Er mußte in Auschwitz die Häftlingsnummer Z7661 tragen und starb wie Maria Kobi auf einem Transport am 15. April 1944.*
  • Amalie Reinhardt kam ebenfalls aus Birkenfeld. Amalie Reinhardt ist am 29. März 1918 geboren. Sie war Arbeiterin von Beruf. In Auschwitz war ihr die Häftlingsnummer Z2869 eintätowiert worden. Sie kam vermutlich wie Heinrich Mettbach und Maria Kobi auf einem Transport am 15. April 1944 um ihr Leben.*
  • Christlieb Diesenberger kommt aus Ottenhausen und ist am 2 1. Oktober 1894 geboren. In Auschwitz mußte er die Häftlingsnummer ZI 661 tragen. Er kam vermutlich bei dem gleichen Transport vom 15. April 1944 um sein Leben.*
  • Elsa Jolanta Wittich war erst am 1. Juni 1933 geboren. Sie war noch Schülerin, als sie nach Auschwitz deportiert worden ist. In Auschwitz hatte man dem Mädchen Elsa Jolanta Wittich die Häftlingsnummer Z5936 eintätowiert.

Gerade für die Roma muß, neben der Unterbringung in Lagern - eine Ghettoisierung, die inzwischen staatlicherseits mit Asylsuchenden vorgenommen wird - Abschiebehaft in Deutschland besonders schreckliche Befürchtungen und Bilder wachrufen. Für die Roma kommt schließlich die Abschiebung der Deportation gleich. Für die, auch in Südosteuropa unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus verfolgten und vielfach ermordeten Angehörigen der Roma, tragen wegen dieser ungeheueren Verbrechen Staat und Gesellschaft in Deutschland eine sehr große Verantwortung. Die Verantwortung wurde und wird jedoch rücksichtslos beiseite gewischt. Staat und Gesellschaft müßten, um Oberhaupt noch glaubwürdig-demokratisch auftreten zu können, allen Angehörigen der Sinti und Roma einen besonderen Schutz in Deutschland gewähren und jeden Hauch einer Ähnlichkeit mit der vor fünfzig Jahren praktizierten Politik vermeiden und zu verhindern wissen.

Deshalb fordern wir, allen betroffenen Roma in Deutschland ein Bleiberecht zu gewähren. Wir fordern darüber hinaus, endlich den europäischen Status der Sinti und Roma, als eine europäische Minderheit ohne Staat, zu akzeptieren. Wir fordern, den daraus für die Sinti und Roma folgenden Anspruch gerade in Deutschland anzuerkennen, jedes europäische Land nach freiem Willen als ihre Heimat anzusehen. Wir klagen besonders die historisch begründete hohe Schutzverantwortung der Bundesrepublik Deutschland ein.

Wir protestieren gegen die unrechtmäßige Abschiebung von Idris Bajramov. Wir protestieren gegen die in Ihrer Abschiebungsverfügung auch seiner Familie angedrohte Abschiebung. Wir verlangen demgegenüber, daß Idris Bajramov von Ihrer Behörde die Möglichkeit erhält, wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren.

Roma
Am 15. April 1944 wurden 884 Sinti und Roma (Männer) von Auschwitz in das KZ Buchenwald und 473 Sinti und Roma (Frauen) in das KZ Ravensbrück verbracht.