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Singen, 5. März 1989: Wieder im Dienste der Faschisten ...Zum Auftakt des Europawahlkampfes hält die NPD eine Veranstaltung mit dem Landesvorsitzenden und ehemaligen Polizeibeamten Schützinger am 5. März 89 in der "Weinstube" in Singen ab. Neben örtlichen AntifaschistInnen, darunter befinden sich auch die Stadträtln Weingänner (SPD) und der Stadtrat Täubner (Die Grünen), beteiligen sich auch ca. 20 Leute aus Konstanz an einer spontanen Aktion, um den Faschistenauftritt zu stören bzw. zu verhindern. Durch Sprechchöre und Gesänge im Tagungslokal gelingt dies auch über eine Stunde lang. Als die von den Faschisten gerufene Polizei eintrifft, befindet sich der Konstanzer Antifaschist Jürgen W. in einer kleinen Personengruppe vor dem Eingang des Lokals. Aus einem wenige Meter entfernt abgestellten Streifenwagen gehen zwei Polizisten auf die Gruppe zu. Jürgen, der sich denken kann, daß sie kommen, um die Veranstaltung durchzusetzen, spricht dies auch aus: "Wieder im Dienste der Faschisten unterwegs". Wenig später werden seine Personalien festgestellt. Zuvor holten sich die Beamten ihre Einsatzanweisungen von den Ordnungskräften der NPD: Auf Fingerzeig führen sie Leute aus dem Lokal. Einen älteren Mann, der nicht gehen will, führen zwei Beamte gewaltsam im Polizeigriff ab. Gegen diesen, die zwei Stadträte und Jürgen ermittelt die Kripo Konstanz wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Diese Verfahren werden später von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Ein zusätzliches Ermittlungsverfahren gegen Jürgen wegen Beamtenbeleidigung kommt zur Anklage. Das Amtsgericht Singen erläßt einen Strafbefehl über 20 Tagessätze zu je 50 DM, weil er mrt der Feststellung "Wieder im Dienste der Faschisten unterwegs" zwei Beamte "beschimpft" und sie beleidigt haben soll. Am 30. Oktober 89 findet die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Singen statt. Jürgen beruft sich darauf, daß er aufgrund seiner Erfahrungen zu der Meinung gekommen sei, daß die Polizei sehr oft - wie an diesem Abend auch - zum Schutze der Faschisten unterwegs ist. Wie solle über diese Rolle der Polizei überhaupt eine kritische Diskussion zustande kommen, wenn dies nicht einmal ausgesprochen werden dürfe, fragt er Richter Hettenbach. Der Richter antwortet ihm mit der Verurteilung zu 20 Tagessätzen zu je 30 DM. Diese Strafe sei "schuldangemessen", da "die gewählte Äußerung gegenüber den zwei Beamten geeignet war, diese erheblich in ihrer Ehre zu verletzen". Der Ehrschutz müsse im vorliegenden Falle höher gewichtet werden, als das Recht auf freie Meinungsäußerung. Hettenbach unterstellt Jürgen in der Urteilsbegründung, daß er den zwei Beamten durch die Äußerung vorgeworfen habe, sie stünden in einem direkten Dienstverhältnis mit der NPD. Diese werden aber vom Land Baden-Württemberg bezahlt. Außerdem sei nicht die Rolle der Polizei im allgemeinen gemeint, sondern konkret die zwei eingesetzten Beamten. In der Berufungsverhandlung am 8. April vor dem Landgericht Konstanz erklärt Jürgen zu diesem Konstrukt: "Mir ist natürlich nicht im Traum eingefallen, daß zwischen den diensthabenden Polizeibeamten und den Faschisten ein Dienstverhältnis bestünde. Ganz im Gegenteil: Gerade daß die Polizei in staatlichem Auftrag Faschisten schützt, macht meine Meinungsäußerung nicht nur legitim, sondern auch dringend notwendig... mir ging es darum, daß umstehende PassantInnen und Passanten und auch die Beamten selbst sich mit der Rolle der Polizei in diesem Moment kritisch auseinandersetzen sollten...". In der Verhandlung bezeichnet Richter Gabius die "Dienstverhältnis-Theorie" als einen "Lapsus". Um das erstinstanzliche Gesinnungs-Urteil vom Ergebnis her trotzdem halten zu können, schießen sich Richter, Staatsanwaltschaft und Polizei auf die "persönliche Beleidigung" ein. Dazu präsentiert der Polizei-Zeuge auch eine abenteuerliche Schilderung des Vorfalles. Jürgen hätte, so der Zeuge, die Beamten abgesetzt von der Personengruppe direkt nach dem Öffnen derTüre des Streifenwagens mit den Worten "Wieder im Dienste der Faschisten unterwegs" empfangen. Jürgen bestreitet diese Aussage und erklärt, daß der Beamte in der Verhandlung vor dem Amtsgericht die Situation nicht so dargestellt hat. Jürgens Anwalt schenkt dem Beamten keinen Glauben und hält dem Polizisten sein Dienstprotokoll vor, welches er nach dem Einsatz verfaßte. Dort schreibt er: "Vor dem Eingang standen einige Personen, wobei ein Mann sofort auffiel, daß er wörtlich sagte:...". Richter Gabius führt in der Urteilsbegründung aus, daß kein Anlaß besteht, an dieser Zeugenaussage zu zweifeln. Er schmückt den Sachverhalt noch mit eigenen Phantasien aus, die in der Verhandlung gar nicht geäußert wurden: "Es erscheint ... lebensnah, daß der hinten rechts sitzende Zeuge M. unverzüglich beim Ausrollen des Fahrzeuges die Tür öffnete ... in diesem Augenblick soll der Angeklagte die fragliche Äußerung abgegeben haben...". Dieses bildliche Vorstellungsvermögen des Richters ist so "lebensnah", daß er die Zeugenaussage, daß sich der Polizist auf dem Beifahrersitz befand, welche er an einer anderen Stelle der Urteilsbegründung richtig wiedergibt, aus den Augen verliert. Noch haarsträubender sind die Theorien des Richter Gabius, mit denen er die Verurteilung begründet. "... Was den objektiven Erklärungswert dieser Aussage betrifft, so besagt sie zum einen, daß der Zeuge (gemeint der Polizist, die Red.) im Zuge seiner Tätigkeit eine politische Richtung unterstützt und schützt, die entsprechend des geschichtlichen Hintergrund als höchst verwerflich anzusehen ist und deren Zugehörigkeit unter der Bezeichnung 'Faschist' im allgemeinen heutigen Sprachgebrauch als Schimpfwort verwendet wird...". Nach dem Urteil des Landgerichts gibt es also gar keine Faschisten mehr, der Begriff existiert nur noch als Schimpfwort. Weiter spricht Gabius "im Namen des (deutschen) Volkes": "...Auch wenn der Angeklagte sich nicht aktiv an den Störungen im Saale beteiligt und den eigentlichen Versammlungssaal verlassen hatte, wußte er doch ganz genau, daß die Polizeibeamten gerufen worden waren, um eben die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit einer Partei durchzusetzen. Seine beleidigende Äußerung fiel mithin gerade gelegentlich des Versuchs, diese grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit zu verletzen. Wer sich wie der Angeklagte nicht scheut, andere in der Ausübung ihrer verfassungsrechtlich geschützten Rechte zu behindern, kann sich dann seinerseits nicht rückhaltlos in diesem Zusammenhang auf die eigene Meinungsfreiheit berufen...". Das Landgericht Konstanz kommt also zu dem Schlu&szli,g daß wer faschistische, rassistische und sexistische Hetze verhindern will oder sich dem faschistischen Straßenterror entgegenstellt, selbst keine Grundrechte mehr besitzt. Dies gilt erst recht, wenn, wie der Angeklagte in diesem Fall, er oder sie einer antifaschistischen Gesinnung zuzuordnen ist und sich nicht klar von der Verhinderung faschistischer Auftritte distanziert. Gegen die Verurteilung zu 450,- Mark Geldstrafe wegen "Beleidigung" durch das Landgericht haben Jürgen W, und sein Anwalt Michael Moos Revision vor dem Oberlandesgericht eingereicht. |