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cm, Konstanz 24. 10. 99

Herrschende Rechtssprechung nützt den Faschisten

Wir haben mit Rechtsanwalt Michael Moos, dem Verteidiger von Jürgen, ein Interview geführt. Er nimmt darin Stellung zum Urteil gegen Jürgen, zu den Konsequenzen einer solchen Rechtssprechung und ordnet das Verfahren in den Gesamtzusammenhang anderer politischer Verfahren ein.

Wie schätzt Du das Urteil des Landgerichts Konstanz gegen Jürgen ein?

Bevor man das Urteil einschätzt, muß man wissen, von welchem Sachverhalt das Gericht ausging. Im schriftlichen Urteil des Landgerichts Konstanz wird festgestellt, daß am 05.03.1989 im Lokal "Singener Weinstube" eine von der NPD geplante Veranstaltung stattfand. Nach Beginn hätten im Lokal befindliche Demonstranten den Ablauf durch Zwischenrufe, Pfiffe und Gesänge gestört. Jürgen sei unter diesen Demonstranten nicht gewesen. Auf dem Revier seien dann mehrere Anrufe eingegangen, da die Veranstaltung nicht durchführbar wäre. Zwei Beamte des Polizeireviers Singen wären daraufhin gegen 20.00 und 20.30 Uhr zur "Singener Weinstube" gefahren. Vor dem Lokal hätte dann Jürgen zu dem Polizeibeamten Marxer, als dieser ausstieg, gesagt: "Wieder im Dienste der Faschisten unterwegs."
Daraufhin stellte dieser Polizeibeamte Strafantrag wegen Beleidigung.
Das Landgericht Konstanz hat dem Polizeibeamten Recht gegeben und Jürgen wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von insgesamt 450 DM verurteilt. Jürgen habe mit seiner Äußerung den Polizeibeamten in seiner "beruflichen und persönlichen Ehre verletzt". Jürgen habe zum Ausdruck gebracht, daß Marxer eine politische Richtung unterstütze und schütze, die "entsprechend dem geschichtlichen Hintergrund als höchst verwerflich anzusehen" sei. Das Verwerfliche besteht nun nach Auffassung des Gerichts nicht etwa darin, daß die Durchführung einer Veranstaltung der NPD ermöglicht wird, sondern der Umstand, daß dies den Polizeibeamten, die der NPD zur Hilfe eilten, vorgehalten wird. Obgleich es eine unbestreitbare Tatsache ist, daß die Polizeibeamten ihren Einsatz, um die NPD-Veranstaltung zu ermöglichen, stellt es nach Auffassung des Gerichts eine Verletzung der persönlichen Ehre des Polizeibeamten Marxer dar, wenn dieser objektive Sachverhalt ihm vorgehalten wird.

Welche Konsequenzen hat eine solche Rechtssprechung?

Die Konsequenz einer solchen Rechtssprechung wäre, daß man die Dinge nicht mehr beim Namen nennen darf. Jemand, der die Ziele der NSDAP verfolgt, der für den Führerstaat, der von der Überlegenheit der deutschen Rasse spricht und die Verbrechen des Nazi-Faschismus bestreitet oder verniedlicht, darf nicht als Faschist bezeichnet werden, weil dies nach Auffassung des Gerichts keine Tatsachenbehauptung darstellt, sondern eine reine "Wertung". Bereits vor rund zwanzig Jahren hat das Oberlandesgericht Karlsruhe, das auch über die Revision von Jürgen zu entscheiden haben wird, festgestellt, daß die Bezeichnung von Burschenschaftlern der schlagenden Verbindung "Teutonia" als Faschisten keine beweisbare Tatsachenbehauptung, sondern eine dem Beweis nicht zugängliche Beschimpfung darstelle. Der Faschismus ist nach dieser Rechtssprechung bundesdeutscher Gerichte keine wissenschaftlich faßbare Gesellschaftsordnung. "Faschismus" stellt vielmehr lediglich eine Beschimpfung andersdenkender dar.
Wenn Ihr nach den Konsequenzen fragt, so muß man feststellen, daß all dies letztlich nur den Faschisten nützen kann und all denen, die an ihrer Existenz ein Interesse haben.

Wie lassen sich diese Verfahren gegen AntifaschistInnen einordnen in die gesamte politische Justiz? Gibt es Parallelen bei den Verfahren gemäß § 129a StGB?

Auch in diesen Verfahren ist es das Bestreben der Justiz, die jeweils zugrundeliegenden politischen Widersprüche zu leugnen. Wenn man z.B. jemanden des Hochverrats anklagt, dann muß man sich damit auseinandersetzen, daß es politische Bewegungen gibt, die die bestehende Ordnung bekämpfen, um sie durch eine andere zu ersetzen. Wenn man dagegen jemanden als "Terroristen" verfolgt, dann blendet man diesen politischen Sachverhalt aus und tut so, als ob man jemanden ausschließlich wegen seiner angeblichen Gewalthandlungen oder deren Unterstützung etc. vor Gericht ziehe. Mit einer solchen Verfahrensweise läßt sich natürlich politische Justiz leichter als "normale" Justiz verkaufen.

Auf welcher inhaltlichen und praktischen Ebene siehst Du als Verteidiger die Möglichkeit der zunehmenden Kriminalisierung der AntifaschistInnen entgegenzutreten?

Mir fällt die Beantwortung schwer, weil es darauf keine einfachen Antworten gibt. Die Kriminalisierung von AntifaschistInnen entspricht der gesamten politischen Entwicklung, in der zahlreich Positionen der Faschisten und der Konservativen fließend ineinander übergehen. Was noch vor Jahren ausschließlich in den Gazetten der DVU und der NPD zur "deutschen Frage" zu lesen war, ist inzwischen herrschende Politik. Wichtig scheint mir, daß wir in den konkreten Auseinandersetzungen immer sehr stark argumentativ auftreten. Das gilt sowohl in der Auseinandersetzung mit den Faschisten selbst als auch mit Polizeibeamten. Wenn es uns darum geht, faschistische Positionen soweit als möglich zu isolieren, dann müssen wir in der politischen und ideologischen Auseinandersetzung argumentativ siegreich sein.