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Interview mit Madjiguene Cissé Seeblättle 1/1999 |
Interview mit Madjiguene Cissé Für ein Europa der Menschen, nicht des Geldes!Am 13. 2. 1999 fand in Konstanz eine Veranstaltung mit Madjiguene Cissé statt, die von der Konstanzer Gruppe der "Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen" und "Hand in Hand e.V. durchgeführt wurde. Daneben unterstützen vielfältige Gruppen, wie auch die PDS Basisorganisation Konstanz die Veranstaltung. Madjiguène Cissé ist die Sprecherin der sans papier, der ohne Papiere lebenden Menschen in Frankreich, die seit Jahren durch spektakuläre Kirchenbesetzungen, Hungerstreiks und Karawanen auf die Situation der sogenannten Illegalen aufmerksam machen und Papiere für alle fordern. Lange Zeit haben viele Menschen ohne Papiere aus Angst vor Abschiebung ein öffentliches Auftreten, ein Sichtbar-Machen der eigenen Person und Geschichte vermieden. Genau diesen Zustand haben die französischen sans papiers durchbrochen. Sie haben sich zusammen getan, haben sich sichtbar gemacht, sie arbeiten autonom in vielen Kollektiven über das Land verteilt. Ein besonderer Aspekt jedoch: Sie solidarisieren sich mit den Obdachlosen oder mit den streikenden ArbeiterInnen. Deren Situation und ihre eigene haben die selben Ursachen: Eine Politik, die die Freiheit des Geldes, aber nicht mehr die Freiheit der Menschen organisiert. Die "Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen" ist eine städte-und herkunftsübergreifende Form der Selbstorganisation von Flüchtlingen, um ihre Rechte einzufordern. Sie steht in enger Verbindung mit dem Wanderkirchenasyl von etwa 100 KurdInnen, das bis 1999 dauerte und der Kampange "Kein Mensch ist illegal", die eine Vernetzung von kirchlichen, antirassistischen und Asylgruppen in die Wege leitete und sich gegen die Illegalisierung von Flüchtlingen und für offene Grenzen einsetzt. Genau diese Anliegen haben die sans papiers schon viel früher artikuliert und durch spektakuläre Aktionsformen vermittelt. Das Ziel der Veranstalung war es, von den Erfahrungen der sans papiers zu lernen. Im folgenden Interview äußert sich Madjiguene Cissé dazu, was ein sich vereinigendes Europa für Flüchtlinge und Menschen ohne Papiere bedeutet und welche Perspektiven sich durch die europäische Einigung ergeben. Frage: Madjiguene, 1999 wird das Wort Europa in aller Munde sein. Die Börse notiert seit dem 1.1.1999 den Euro, im Juni tagt in Köln der EU-Gipfel, kurze Zeit später der Weltwirtschaftsrat.Im Juni finden in Deutschland auch die Wahlen zum europäischen Parlament statt. Was verbindest du dieses Jahr mit Europa? Madjiguene: Ja, Europa bildet sich als eine große Einheit, die immer noch größer wird, weil neue Länder noch dazu kommen. Als Flüchtlinge, die wir in Europa leben, sehen wir dieses große Europa mit Angst. Wir haben den Eindruck, daß in diesem Europa die Flüchtlinge über keinen Platz verfügen werden. Frage: Siehst du das als gegenwärtige Entwicklung oder möchtest du etwas zu eventuellen Tendenzen dieser Entwicklung sagen? Madjiguene: Ja, ich sehe es als Entwicklungsprozess. Ich finde es normal, daß die Länder in Europa sich zusammentun. Als Afrikanerin träume ich schließlich auch von der Einheit Afrikas. Aber die entscheidende Frage ist, wem diese Entwicklung in Europa nützen oder dienen wird. Was werden die Völker gewinnen in dieser Entwicklung? Wir haben auch von Anfang an verstanden, daß alle Themen in Zukunft auch auf europäischer Ebene geregelt wird. Wir stehen schon mitten im Wahlkampf für die Europawahlen. Das Projekt Amsterdam, was uns als Flüchtlinge betrifft, bietet keine gute Perspektive für uns. Von der Seite der Regierungen sind die Perspektiven für uns ganz dunkel, für Ausländer überhaupt und besonders für Sans Papiers. In ein paar Jahren werden die Gesetze alle gleich gestellt und das, was uns betrifft, wird auf europäischer Ebene entschieden, aber immer repressiver. Die Gesetze werden schärfer werden, indem die Grenzen zwar innerhalb Europas fallen, aber die Grenzen außerhalb immer dichter gemacht werden, damit Ausländer nicht einfach raus oder rein dürfen.Als Sans Papiers sehen wir dieses große Europa mit sehr viel Befürchtung. Und das zu Recht. Die französiche Regierung testet im Augenblick, nachdem sie - trotz Wahlversprechen - den Aufenthaltsstatus der Sans Papiers nicht legalisiert hat, eine neue Handhabung der Einreisbestimmungen. Als Ausländer darf man jetzt in Frankreich 2, 3 Monate bleiben, falls der Arbeitsmarkt Bedarf an deiner Arbeitskraft hat. Wenn es keinen Bedarf mehr gibt - dann sofort zurück nach Afrika, nach Marokko, Senegal oder Mali. Ähnliche Pläne verfolgt übrigens auch die Bundesrepublik Deutschland. Sie ist zum Beispiel dabei, mit der Türkei zu verhandeln, sogenannten Sicherheitszonen einzurichten, aus denen sich Deutschland Leute holen und nach Deutschland bringen kann, und die hier arbeiten, solange man sie als Arbeitskraft braucht. Und wenn man sie nicht mehr braucht, dann kann man sie wieder problemlos zurück in die Türkei schicken. Ich sehe eine solche "Flüchtingspolitik" als eine Art, auch den Arbeitsmarkt zu kontrollieren. Mit einer solchen Praxis stehen dem Kapital auch in der Perepherie Arbeitskräfte zur Verfügung, die es dann wegschmeißt, wenn man sie nicht mehr braucht. Das sind meine Perspektiven zum Thema "Vereintes Europa". Frage: Ich denke, wenn man das zynisch sagt, dann ist das natürlich diese Art von Mobilität, die das Kapital von uns immer fordert. Gleichzeitig sollen wir aber diese Mobilität natürlich nur dann erstreben oder benutzen, wenn es den Arbeitsmarktinteressen gehorcht und nicht etwa unseren eigenen Interessen und Bedürfnissen. Madjiguene: Ja. Die europäischischen Behörden wollen selber die Mobilität der Leuten regeln. Obwohl man sie braucht, muß es so geregelt werden, daß diese Menschen in keiner stabilen Situation leben. Damit kann man zu Beispiel erklären, warum die Regierungen den Leuten keine langfristige Aufenthaltserlaubnis geben: All das dauert ein Jahr, dann muß man verlängern...usw. usw. Damit hat man immer Probleme, eine gut bezahlte Arbeit oder festen Arbeitsplatz zu finden, und so ist man immer in dieser prekären Situation. Somit ist man auch mit Papieren gezwungen, irgend eine Arbeit für irgend einen Lohn zu akzeptieren. Die Geschichte mit den Papieren ist auch eine Art, den Arbeitsmarkt zu kontrollieren. Daneben werden AusländerInnen und Flüchtlinge den Einheimischen und den Europäern als Konkurenten gegenüber gesetzen, um mit der Anwesenheit von AusländerInnen und Flüchtlinge die Arbeitslosigkeit zu erkären. Das stimmt gar nicht. Aber das machen alle Regierungen, um die angebliche Krise zu erklären. Frage: Madjiguene. Welche konkreten Forderungen stellen die Sans Papiers an das Europaparlament? Kannst du kurz die Ziele und wichtigsten Schritte aufzählen? Madjiguene: Zuerst mal möchten wir, daß die Sans Papier und Flüchtlinge als Menschen anerkannt werden. Unsere Erfahrungen in Frankreich, Deutschland oder Belgien sind, daß die Sans Papiers, Ausländer, Flüchtlinge nicht als Menschen betrachtet werden, sondern als Störenfriede, als Menschen, die Arbeit wegnehmen, als Kriminelle usw., usw. Auf der anderen Seiten könnte eine Lösung auch nur eine europäische Lösung sein. Das Europa des Kapital hat sich schon längst gebildet.Warum kann sich nicht ein Eurpoa der Flüchtlings- und Menschenrechte bilden? Das ist unsere erste Forderung und dann kommt die Forderung der Legalisierung: Wir fordern Papiere für alle Leute. Wir fordern weit über diese Papiere hinaus auch freie Mobilität. Ich denke, man braucht nicht Angst zu haben vor dieser Forderung. Das Kapital, die Waren und die reichen Europäer zirkulieren und bewegen sich ganz frei. Und warum dann nicht alle Menschen? Wir müssen jetzt schon Druck machen. Die KanidatInnen und Abgeordneten des Europaparlaments muß man immer fragen, wie sie über diese Problematik denken und was sie vorhaben. Wir werden eine neue europäische Migrationspolitik bekommen. Wir sind dann nicht mehr auf der nationalen Ebene, wo die Flüchtlinge oder Sans Papier in Frankreich oder in Deutschland oder in Belgien oder irgendwo ihre Probleme lösen können. Aber die Lösung kann nur europäisch sein, indem Sans Papier, Flüchtling und Hilfsgruppen, Unterstützergruppen Brücken schlagen und eine Zusammenarbeit anfangen. Ich meine, man kann nicht warten, bis das Ganze schon gemacht ist und es sich dann als ganz schlimm herausstellt, um zu reagieren. Muß man vorher intervenieren und Aufmerksamkeit auf sich und seine Forderungen lenken. D.h, nicht auf sich, sondern auf diese Probleme oder Problematik lenken. Die Zukunft der AusländerInnen in Europa, im großen Europa, das ist eine große Frage. Ich meine jeder von uns, egal ob Flüchtling oder AusländerIn oder EuropäerIn müßte sich mit dieser Frage befassen. Das vereinte Europa muß sich in diesem Zusammenhang vor allem auch mit der Kluft zwischen dem Norden und dem Süden befassen. Wir aus dem Süden, das heißt aus den Trikontländern, stehen immer in einer fatalen Abhängigkeit zum Norden. Dieses Abhängigkeitsverhältnis und mögliche Lösungen müssen endlich auch vom europäischen Palament thematisiert werden. Herzlichen Dank für das Gespräch, Madjiguene! |
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