linksrhein Quelle: AZW Nummer 01, erschienen am 11.05.1995
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Justiz

Prozeß gegen Antifaschisten

Donnerstag, den 27.4.95 wurde im Amtsgericht Konstanz gegen einen Konstanzer Antifaschisten verhandelt. Ihm wurde von der Staatsanwaltschaft eine Beteiligung an einer nicht genehmigten Versammlung am 5.9.92 am Konstanzer Bodanplatz vorgeworfen.

Zur Erinnerung. Damals hatte das Konstanzer Rechts- und Ordnungsamt eine Kundgebung der rechtsradikalen Nationalen Offensive (NO) genehmigt. NO-Aktivist Stefan Jahnel, damaliger Landtagskandidat der NO, Günter Boschütz und andere Stadtbekannte Faschisten sollten hier kurze Zeit nach den Pogromen in Rostock ungestört ihre menschenverachtende Propaganda verbreiten können.

150 bis 200 Menschen wollten das nicht einfach hinnehmen und versammelten sich ebenfalls auf dem Bodanplatz. Nachdem das Faschisten- Grüppchen von einer aus der Menge gestürmten Person mit Fußtritten angegriffen worden war, kam Bewegung in die Polizei. Der Einsatzleiter sah sich wohl gezwungen, mit einer Hundertschaft die Nazis abzuschirmen. Bestände alter Lebensmittel flogen von nun an in unglaublichen Mengen in Richtung Faschisten und Polizei. Die Megaphonrede von Jahnel, die zu einer zirkusreifen Flugobjektausweichsnummer wurde (oft erfolglos), wurde durch Gegenparolen niedergeschrieen ö bis die Polizeikette gegen die DemonstrantInnen vorrückte und die Faschisten unter Polizeischutz abzogen.

Bei einem nachfolgenden Prozeß gegen NOler konnte anhand des Polizeivideos nicht nachgewiesen werden, welcher nun die Parole "Rostock überall" gefordert hatte - es waren ausschließlich GegendemonstrantInnen gefilmt worden! Ein Polizist stellte noch während der Kundgebung einem Anwesenden gegenüber fest, daß schließlich die Linken die gewalttätigen Chaoten seien (während die braven Faschisten im Hintergrund mit der Reichskriegsflagge schwenkten!).

Zurück zum oben genannten Prozeß: Anklagepunkt 1: Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration. Nachdem Tomaten und Eier auf NOler und Polizei geflogen war ("Störung durch Gewalt") kam es zu einer Festnahme ("zur Vernehmung"). Anklagepunkt 2: Befreiung aus dem Polizeiauto. Bei nochmaliger Festnahme Widerstand, bis Handschellen angelegt wurden. Der erste Anklagepunkt wurde relativ schnell eingestellt. Die Richterin hielt die politische Motivation des Angeklagten und nicht den Wunsch nach Krawall für ausschlaggebend und respektierte diese. Schließlich konnte sie nachvollziehen, daß die Erlaubnis für eine Kundgebung einer zwei Monate später verbotenen rechtsextremen Vereinigung auf Unverständnis stoßen mußte. Betreffs des zweiten Anklagepunkts plädierte die Staatsanwältin wegen heftigen Widerstandes auf 40 Tagessätze (bei Nichtbezahlung je einen Tag Knast) a 50 DM (= 2000 DM). Der Rechtsanwalt wies jedoch darauf hin, daß die Polizei die Kundgebung hätte verbieten und auflösen müssen. Der Unmut des Angeklagten sei also berechtigt gewesen und der Widerstand sei mit "Strampeln" im untersten Bereich der Gewalt gewesen. Antrag auf 20 Tagessätze a 40 DM (= 800 DM). Dieser Antrag wurde dann auch als Urteil gesprochen. Die Richterin betonte noch einmal das wichtige und sogar löbliche politische Engagement. Im Rahmen der Gesetze wäre aber Widerstand halt Widerstand, und dies sei von der politischen Motivation zu trennen. Hier gelte der Gleichheitsgrundsatz.

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