linksrhein Quelle: AZW Nummer 06, erschienen am 20.07.1995
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Mittelamerika

Friedensvereinbarungen allein genügen nicht!

Während ihrer Rundreise durch Mittelamerika besuchte Ulla Allgeier diverse, von Konstanzer Solidaritätsgruppen unterstütze Projekte, darunter auch welche vom Weltladen.

Schwerpunktmäßig berichtet sie hier über El Salvador und die aktuellen Auseinandersetzungen um die schleppende Erfüllung der Friedensverträge. Hauptkonfliktpunkt: Umverteilung und Übereignung von Landbesitz. Eine fehlende wirksame Agrarreform war ja gerade eine der Hauptursachen des erst im Januar 1992 beendeten 12-jährigen Volkskrieges gewesen. Die Zeit drängt. Die Agrarprogramme unter UN-Aufsicht sind nur bis Oktober verlängert worden. Noch nicht einmal die Hälfte der Ex-Guerilleros hat bisher Land, das ihnen zusteht, zum Aufbau einer bäuerlichen Existenz erhalten. Ständig neue Hindernisse türmt die Regierung auf. Eine weitere Großgruppe, der laut Abkommen Begünstigten, wartet ebenfalls noch auf die seit drei Jahren versprochenen Pensionen, Wohnungen und Starthilfen zur Wiedereingliederung ins Zivilleben: die über 40 000 Kriegsversehrten - zu 75 % aus der Landbevölkerung kommend. Welche Vorschläge zu solidarischem Handeln haben SalvadorianerInnen auf einer Rundreise durch die BRD im Juni vorgelegt?

Es ist der 28. März, als ich in San Salvador bei einer Freundin auf Juan treffe, Exkämpfer der FMLN, dem noch zwei Monate vor Kriegende eine Granate den rechten Arm weggerissen hatte. Seit seinem 17. Lebensjahr war er in der Guerilla gewesen. Heute ist er 32! - "Komm' morgen früh zum Cuscatlan-Park. Da treffen wir uns zur Demo. Bestimmt einige Tausend. Es wär gut, wenn Du in Deutschland darüber berichten könntest". Auf meine Rückfrage, wer mit `wir' gemeint sei, sagt Juan "na wir, die Kriegsversehrten. Und zwar aus beiden Lagern". "Und arbeitet ihr echt zusammen?" staune ich. "Wir respektieren uns. Militärisch gab es ja bei Kriegsende weder Sieger noch Besiegte. Ökonomisch aber sehr wohl Verlierer - und zwar wir, wie schon immer, das Heer der Armen, auf beiden Seiten", meint er lakonisch.

Am anderen Morgen sind wirklich über 1000 gekommen. Auch Frauen und Kinder. Es ist schon heiß, sogar im Schatten unter den Bäumen der zentralen Straßenkreuzung, wo die Menschen jetzt in Gruppen zusammensitzen oder -stehen: Ernst sehen sie aus, drahtig, viele ausgemergelt. Der Verkehr ist in allen Richtungen gesperrt. Polizei nur an den Umleitungen zu sehen. Ich werde den Verantwortlichen der beiden Organisationen vorgestellt: ASALDIG, für die FMLN und ALFAES die Ehemaligen von der Armee. Unterschiede kann ich keine feststellen. Die meisten sind jung. Auch viele 'campesinos', an ihren Strohhüten und Macheten erkennbar, ohne die kein Bauer in die Stadt geht. Ein Spruchband, quer über die Roosevelt-Allee (!) gespannt, fordert: ZUR ERFÜLLUNG DER FRIEDENSVERTRÄGE VERLANGEN WIR EINE GERECHTE ENTSCHÄDIGUNG: ALFAES UND ASALDIG. Um 12 Uhr noch immer keine Nachricht von der Delegation, die mit Regierungsvertretern verhandelt. Unruhe breitet sich aus. Zum Protest werden Autoreifen verbrannt. Nach 5 Stunden Ausharrens ist klar, daß außer Vertröstungen nichts läuft. Wie geplant, beginnt der Marsch bergan zum Luxushotel EL SALVADOR. Dort treffen sich die 5 mittelamerikanischen Staatspräsidenten und eine Präsidentin (Nicaragua) beim "Sozialgipfel". Ihre wohlklingenden Reden über Armutsbekämpfung, nachhaltige Entwicklung und Gleichberechtigung der Frauen erscheinen anderntags in der Presse. Vor jenem Hotel wollen sich die Versehrten in stummem Protest niederlassen.

Erst beim Marschieren kann ich die vielen Krücken, Bein- und Armamputierten und hellrosa Prothesen wahrnehmen. Einige schleudern beim Vorankommen gleich zwei Kunstbeine nach vorn! Als weiter oben ein Polizeikordon sichtbar wird, versorgen sich einige mit Stöcken von Baumästen. Dann stehen sich einst berufsmäßigen Schützen, jetzt unbewaffnete Krüppel, und eine Spezialeinheit der nationalen Zivilpolizei (PNC) gegenüber: kugelsichere Westen, Helme mit Visier und Gasmasken, in der einen Hand den Plastikschild, der anderen den Schlagstock. Mace- Patronen an Brusttasche und Gürtel, das Gewehr für die Hartgummi-Kugeln geschultert. Laut Friedensvertrag ist die PNC paritätisch zusammengesetzt aus Ex-Guerilleros und Ex- Soldaten (also ähnlich kombiniert wie der Protestmarsch!) sowie 40 % Zivilpersonen. Sie wurden "professionell" ausgebildet von Instruktoren aus Spanien, USA, Chile, Norwegen und Schweden.

Auch von unten ist die Demo jetzt abgeriegelt. Die Falle ist komplett. Wut und Mut der Verzweiflung machen sich breit. Die Behelligten werden beschimpft: "Ihr Hurensöhne, ihr wart nicht im Krieg - und wenn, dann seid ihr heil herauskommen. Wir wurden zum Krüppel geschossen!" Über uns knattern Hubschrauber. Darin werden die Sozial-Gipfel-Repräsentanten zu einem Bunker gebracht! Wieder verhandelt eine Delegation. Diesmal UN-Beobachter und Polizeipräsident. Kein Resultat. Um 15 Uhr ist das Ultimatum abgelaufen. Und schon wird geballert. Die einen mit Tränengas und Gummikugeln, die anderen mit ein paar Steinen, die dumpf von den Schildern abprallen. Ich bin zum Straßenrand gewatzt und kann die Kamera nur noch auf die wild fliehenden Behinderten halten. Als ich wieder etwas sehen kann, schleppen die ersten schon ihre Beute an: im Polizeigriff oder mit Handschellen aneinander gefesselt. Zu dritt bearbeiten sie mit Schlagstöcken ein auf dem Boden liegendes Opfer. Manche bluten an der Hand, andere am Kopf. In den Seitengassen wahre Hetzjagden. Fotografierende werden nur durch das Tränengas (Mace) belästigt. Über 100 Verhaftungen. Die Straße übersät mit Mützen, einzelnen Schuhen, auch Macheten und ganz verwurstelt auch das Spruchband...

Kurz vor dem Zusammenprall hatte neben mir einer gesagt: "Dort beim Gipfel sitzen die Politiker. Hier sind wir, die von ihnen geschickt wurden, uns zu töten. Und jetzt wollen sie uns nicht anhören!" - Übrigens, der Innenminister hatte dem Polizeipräsidenten Befehl erteilt, auf keinen Fall jemanden aus der Demo durch den Kordon durchzulassen!

Sarkastisch geißelt diese Karikatur die salvadorianische Agrarreform von l980, mit der Landbesitz über 500 ha enteignet werden sollte. Das war bereits zuviel für die Großgrundbesitzer und ihre Militärs. Blutig wurden landlose Bauern verfolgt, wenn sie Rechte reklamierten. Aus Selbstverteidigung und im Kampf um soziale Gerechtigkeit wuchs eine Guerillabewegung (FMLN), die vor allem aus der Landbevölkerung Zustrom und Rückhalt erhielt.

Resonanz auf Konstanzer Projekt

Eine ähnlich menschenverachtende Hinhaltetaktik wie im oben geschilderten Beispiel legen Regierung, Ministerien und zuständige Gremien an den Tag. Macht wird skrupellos eingesetzt, um Privilegien zu verteidigen und bei rechtlich klaren Landforderungen Bauernorganisationen und die Ex-Kämpferinnen auszutrixen. Im Herbst 94 wurde im Konstanzer Weltladen beschlossen, das Projekt von Ex-Kämpferinnen, organisiert in einer kirchlichen Basisgemeinde im Norden El Salvadors, zu fördern. Vier mittellose Kooperativen benötigten Geld, um sich direkt in der entfernten Hauptstadt um die unzähligen Formalitäten zur Durchsetzung ihrer Landtitel und notwendigen Kredite kümmern zu können. Damit sollte auch hier auf die schleppende Erfüllung der Friedensverträge aufmerksam gemacht werden. Die notwendige Summe kam zustande - nicht zuletzt durch die positive Antwort der Stadt und Gemeinderat auf einen Antrag des Weltladens.

Nach meinem Besuch und korrekter Abrechnung erhielten wir jetzt einen sehr ausführlichen Dankesbrief. Einige Zitate daraus sprechen für sich selbst: "In unserer letzten Zusammenkunft am Monatsanfang, wo wir uns über die Problematik der vier Kooperativen der Ex-Kämpfer austauschten, wurde einmal mehr klar, welches ihr größtes Problem ist. Alles, was sie seit den Friedensverträgen bekommen haben, war in Form von Krediten. Sie wissen, daß sie diese zurückzahlen müssen. Aber womit?! Die Böden sind nicht sehr gut. Folglich werden sie keine ökonomischen Kapazitäten haben, um monatlich Kapital und Zinsen zahlen zu können. Was wird geschehen? Werden sie uns von neuem den Grund und Boden wegnehmen? Und nicht nur den Boden - werden sie uns auch die Hütte etc. wegnehmen? Die Debatte über diesen Punkt führte uns zu einem weisen Schluß: Nicht zuzulassen, daß das neue politische Panorama uns spaltet. Vereint zusammenhalten in unseren legitimen Interessen. Nur vereint können wir Widerstand leisten gegenüber denjenigen, die uns von neuem untergehen lassen wollen in einer Lage ohne geringste Perspektive."

Pfarrer Rogelio Ponseele, der Koordinator des Projekts schreibt auch: "Das Land geht seinen Weg inmitten großer Fragezeichen: -Was wird nach dem Abzug der UN-Delegation geschehen? -Wird die genehmigte Verlängerungsfrist ausreichen für eine totale Erfüllung der Friedensvereinbarungen? - Werden wir das soziale Chaos überwinden können, obwohl dem neoliberalen System mehr und mehr Raum gewährt wird? -Werden die umsichgreifende Delinquenz und die immer härter werdenden Aktionen der Jugendbanden kontrolliert werden können? (Einige Politiker glauben, daß die Wiedereinführung der Todesstrafe ein bedeutender Beitrag dazu wäre!!!!!). -Ist die Nationale Zivilpolizei das Organ, das wir alle gewünscht haben? Berechtigtes Fragezeichen, nachdem sie eine Demo von Kriegsversehrten mit Gewalt unterdrückt haben. -Haben die Politiker (die der FMLN und PD eingeschlossen) irgendeine Antwort auf die Problematik der großen Mehrheit der Armen, die, wie es einer zynisch ausdrückte, nur ihre "Arbeitskraft" besitzen? -Und die Kirche, mit der Ernennung des neuen Erzbischofs (ultrarechts = Opus Dei), kann sie wirksam das Volk begleiten?"

Was können w i r tun?

Im Juni reiste eine Delegation der von der Landfrage betroffenen Organisationen durch die BRD. Auch nach Bonn. Sie befürwortet sehr eine neue EILAKTION von FIAN (Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung). Ende 94 war mit einer solchen Aktion und einer Öffentlichkeitskampagne vor Ort einiges erreicht worden. Auch jetzt ist wieder eine Kampagne in den Zeitungen San Salvadors angelaufen, worin die Bevölkerung ausführlich über die 'Excedentes', die rechtmäßig von Großgrundbesitzern noch zu verstaatlichenden Überschußländereien, informiert wird. Bewiesen mit Grundbucheintragungen, und von den Besitzern einfach geleugnet! Von dem frei werdenden Land könnten sich 20 000 landlose Familien ernähren! Es ist allerbestes Land!

Ein vorgedruckter Brief und ausführliche Hintergrundinformation für eine "Eilaktion" liegen im Weltladen aus. Auch wird auf den Vorschlag der Delegation hingewiesen, Briefe an die BRD-Regierung zu schreiben, sich für die Erfüllung der Friedensabkommen nachdrücklicher einzusetzen.

Ulla Allgeier

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