Quelle: AZW Nummer 08, erschienen am 31.08.1995 | |
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Seit der Vierteilung Kurdistans, dem Abkommen von Lausanne, das die Autonomiezusicherung im Vertrag von SŠvres von 1920 aufhebt, sind 75 Jahre vergangen. In dem von der kolonialistischen Türkei besetzten Teil Kurdistans wird gegen die kurdische Bevölkerung seitdem eine systematische Assimilations-, Einschüchterungs- und Unterdrückungspolitik betrieben. Doch das kurdische Volk hat mit großen Aufständen bis 1940 gegen die Kolonialisierung Kurdistans sowie für seine nationalen und demokratischen Rechte gekämpft. Nach den 40er Jahren hat es das türkische Regime mit Hilfe der Armee dennoch geschafft, seine kolonialistischen Institutionen funktionsfähig zu machen und bis Ende der 60er Jahre den KurdInnen jegliche Rechte als solche zu verbieten.
Anfang 1970 begann noch einmal mit der Initiative der kurdischen Intellektuellen eine Gegenkampagne gegen die türkische Staatspolitik, und Ende der 70er Jahre bildeten sich die ersten organisierten kurdischen Kräfte. Erst 1984, also nach 64 Jahren, wurde mit der Aufnahme des bewaffneten Widerstandes eine neue Wende in der Geschichte Kurdistans eingeleitet. Die kurdische Bevölkerung, die bis zu diesem Datum keinerlei demokratische und nationale Rechte wahrnehmen konnte, hat mit dem bewaffneten Widerstand erst seine militärischen, dann gesellschaftlichen Institutionen gebildet.
Seit 11 Jahren wird in Kurdistan ein Vernichtungskrieg gegen das kurdische Volk geführt. Die türkische Regierung, die den 83 Tage andauernden einseitigen Waffenstillstand der PKK mit noch mehr Massakern beantwortet hat, bombardiert heute mit der militärischen Hilfe aus Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Ländern jeden Tag kurdische Dörfer, sogar Städte, vermint fruchtbares Land. Durch diese Bombardierungen und Vertreibungen wurden seit 1984 ca. 15000 Menschen ermordet, über 3000 Dörfer zerstört und ca. 2 Millionen Menschen zu Flüchtlingen in ihrem eigenen Land gemacht.
Durch diese massiven Menschenrechtsverletzungen in Kurdistan verstößt die Türkei in gröbster Weise gegen die Genfer Konvention, gegen die Richtlinien der UNO und ihrer Unterorganisationen sowie der Europäischen Union, des Europarates und der OSZE. In den Organisationen Europarat und OSZE ist die Türkei ein nicht zu vernachlässigendes Mitglied. Fernerhin hat die Türkei Antrag auf Mitgliedschaft in der EU gestellt. Einen schnellen Anschluß an die europäische Zollunion erreichte die Türkei bisher nur deshalb nicht, weil europäische ParlamentarierInnen die Mißachtung der Immunität und die verfassungswidrige Verurteilung zu langjährigen Haftstrafen u.a. wegen Separatismus von sechs kurdischen Abgeordneten im türkischen Parlament kritisierten.
...geht zurück bis in die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts. Sie beginnt mit der Neuorganisierung des zerfallenden Osmanischen Reiches sowie ihrer Armee. Unter der Führung des deutschen Generals Helmuth von Moltke wurden damals Offiziere des Sultans ausgebildet. Mit diesen gleichen Militärstrukturen und der Übernahme der Logistik durch wiederum deutsche Offiziere wurde Anfang dieses Jahrhunderts der Genozid (Völkermord) am armenischen Volk verübt. Die deutsch- türkische Militärpartnerschaft verfestigte sich mit dem Beitritt des Osmanischen Reiches zu den Mittelmächten im Ersten Weltkrieg. Nach dem verlorenen Krieg und der Teilung des Osmanischen Reiches aus dem die Türkei als stärkster Staat hervorging, wurden die Beziehungen aufrechterhalten. Mit dem Beginn des 2. Weltkrieges nahm die Türkei eine offiziell "neutrale", inoffiziell jedoch pro-deutsche Haltung ein und weigerte sich, an der Seite der Alliierten gegen Nazideutschland zu kämpfen. Zu Beginn des kalten Krieges gab die Türkei diese Neutralität mit dem Beitritt zur NATO wieder auf. Seit dieser Zeit "arbeiten" Deutschland und die Türkei erneut militärisch, politisch sowie wirtschaftlich zusammen. Inzwischen ist die BRD zum größten Wirtschafts- und zweitgrößten Militärpartner der Türkei geworden. Ihre Wirtschaftsinteressen bewegen sie dazu, die zweitgrößte Armee der NATO zu unterstützen. Allein zwischen 1990 und 1993 leistete die BRD über 3,6 Mrd. Dollar Militärhilfe an die Türkei. Deutschland ist innerhalb der NATO auch das einzige Land, welches der Türkei seit 1964 Waffen und militärisches Gerät schenkt. Sie unterstützt damit ein Militärregime, welches seit Jahren die systematische Vernichtung der Kurdinnen und Kurden betreibt. In den letzten 10 Jahren führte dieser "Krieg" laut dem IHD (Menschenrechtsverein in der Türkei) zu über 25000 Todesopfern. Tausende Menschen werden verhaftet, gefoltert und zwangsumgesiedelt. Der deutsche Kanzler empfängt türkische Regierungsmitglieder und Wirtschaftsdelegationen und verleiht immer wieder seinem Versprechen Ausdruck, die baldige Aufnahme der Türkei in die EU voranzutreiben. Ein Einmarsch türkischen Militärs (NATO-Truppen!) in die UNO-Schutzzone von Irakisch-Kurdistan wurde ignoriert und sogar toleriert.
Die berühmten deutschen NVA-Panzer, die beim Völkermord und der Zerschlagung des sich dagegen organisierenden Widerstandes eingesetzt werden, sind nicht mal die Spitze eines Eisbergs: Sie fallen kaum ins Gewicht, wenn wir uns vor Augen halten, daß es reihenweise deutsche wie europäische Konzerne gibt, die vor Ort Kriegsgerät produzieren und montieren, oder ihren sonstigen Beitrag zum Vernichtungsfeldzug gegen die KrudInnen leisten. (Dabei fällt es auch kaum ins Gewicht, wenn zur Beruhigung der Öffentlichkeit die Lieferung von zwei Fregatten vorübergehend auf Eis gelegt wird. Eine Fregatte ist in einem Krieg, der hauptsächlich in den Bergen geführt wird, als eines der wenigen Kriegsgeräte, entbehrlich.)
Die Unterstützung der Türkei durch Deutschland beschränkt sich aber bei weitem nicht nur auf die wirtschaftliche und außenpolitische Ebene, sondern beinhaltet auch die innenpolitische Unterstützung der Türkei in der BRD. Im November 1993 wurden zahlreiche kurdische Kulturvereine und Organisationen in Deutschland verboten. Das Feiern des über 2000 Jahre alten Newroz- Festes (Kurdisches Neujahrsfest- Frühlingsbeginn) wurde Kurdinnen und Kurden untersagt. Die deutsche Polizei durchsucht willkürlich kurdische Vereine und Privatwohnungen. Mit rigorosen Festnahmen werden KurdInnen terrorisiert. Anhand von Minimaldelikten (wie Ordnungswidrigkeiten) werden KurdInnen kriminalisiert, um sie abschieben und damit vor allem politisch Aktive der türkischen Justiz ausliefern zu können. Durch diese Aktionen wird nach türkischem Vorbild bezweckt, die KurdInnen mundtot zu machen.
Die Auswirkungen dieser Politik für die KurdInnen in Deutschland, für den Alltag dieser Menschen, sind unbeschreiblich: Sie befinden sich in einem fremden Land, meist der Sprache nicht mächtig, darauf angewiesen miteinander in Kontakt zu treten bzw. zu bleiben. Das tun sie normalerweise in ihren Kulturvereinen. Diese sind nicht zwangsläufig politisch, dort wo sie es sind, nehmen sie ihr Grundrecht auf politische Betätigung wahr.
Auch wir, Menschen aus Kurdistan und Deutschland, nehmen dieses Grundrecht auf politische Betätigung gemeinsam wahr. Im Gedenken an die Rolle, die Deutschland im Krieg der Türkei gegen die ArmenierInnen gespielt hat, halten wir es als hier in Deutschland lebende Menschen für notwendig, gegen ein zweites derartiges Unrecht in diesem Jahrhundert - dieses Mal an den KurdInnen begangen - anzugehen. Dabei ist es uns in erster Linie wichtig zu informieren. Die Informationen, die uns aus der Türkei in den Massenmedien erreichen, sind fast ausschließlich von türkischen Presseagenturen übernommen und damit an sich schon parteiisch. Dazu kommt die spezielle Rolle der BRD als Waffenlieferantin aus geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen und damit als faktische Kriegspartei: D.h. durch die ausschließlichen Äußerungen von SpitzenpolitikerInnen - und damit der Verantwortlichen - zum Konflikt, wird die Berichterstattung hier noch einmal parteiisch. Die politische Arbeit der KurdenInnen - und damit der Betroffenen - wird vernachlässigt. Eskalieren Angst, Wut und Haß gegen die ihnen ständig widerfahrenen Ungerechtigkeiten durch zusätzliche Provokationen seitens der Staatsorgane, sind sie ein gefundenes Fressen der Sensationsberichterstattung. Kurdische Aktivitäten werden damit in keinen bzw. in den falschen Zusammenhang gerückt.
Wir möchten durch Informationsveranstaltungen, Infostände, Geschichtsseminare etc. einen Gegenstandpunkt setzen. Dabei ist es uns wichtig, daß die kurdischen Interessen von KurdInnen formuliert werden, damit wir uns solidarisch damit auseinandersetzen und eventuell kritisieren können, ohne sie durch mitteleuropäischen Chauvinismus und Besserwisserei einzuengen oder einzudeutschen. Wir wollen Solidarität durch Zuhören und gleichberechtigte Diskussion anstelle von Bevormundung und Profilierung verwirklichen.
Die Organisation von Kulturveranstaltungen soll, sofern es uns möglich ist, ebenfalls zu unseren Aufgaben gehören.
Kontaktadresse: Kurdisch-deutscher Freundschaftsverein ROJDA e.V.
Postfach 10 17 17
78417 Konstanz
Sitzungen: ab dem 14. September, vierzehntägig, Donnerstag, 20 Uhr, im Vereinsraum des Jugendzentrum (JUZE), Gustav-Schwab-Straße.
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