linksrhein Quelle: AZW Nummer 12, erschienen am 26.10.1995
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Das Ende der Idylle:

Krach hinter den Kasernenmauern

Wo einst nackte Kinder glücklich über Wiesen sprangen, sich die "Stammesältesten" vor dem Sonnenuntergang zum Volleyballspiel versammelten und liebliches Gitarrengezupfe den lauen Sommerabend versüßte, dort in der einstigen Oase in Mitten einer kleinbürgerlichen Spießergesellschaft, herrscht heute der Ausnahmezustand. Richtete sich vor zwei Jahren der Zorn nach dem Fall des ersten Baumes noch gegen den Baubürgermeister und das Anrücken der Bagger, so tobt heute ein Kampf um Block VII im ehemaligen Kasernengelände. AZW-Mitarbeiter Jürgen Weber wagte sich ins Krisengebiet "Cherisy".

Das größte alternative Bauprojekt Europas, diesen Titel erhielt die Cherisy Anfang der 80er Jahre von den Medien, verliert zur Zeit sein Gesicht. Das Gelände wird durch verschiedene Nutzer bebaut, die zusammenhängenden Strukturen von alternativem Wohnen, Arbeiten, sozialen Einrichtungen und der Kultur gehen durch die Bebauung verloren. Die Cherisy wird zum "Stadtteil", der von diesen Strukturen sehr stark geprägt sein wird. Nicht mehr und nicht weniger. Die Entwicklung wurde "der Cherisy" von außen aufgedrückt und hängt im wesentlich mit dem Verkauf des Geländes durch das Bundesvermögensamt zusammen. Wenig Engagement für das Projekt in den letzten Jahren von vielen Leuten die dort einfach nur billig wohnen wollten, machte die Einflußmöglichkeiten und Verhandlungsgrundlagen der Neuen Arbeit nicht gerade größer. Diese hat es allerdings geschafft, daß die Cherisy nicht auseinandergebrochen ist. Daß sie sich den politischen, baulichen und vor allem finanziellen Problemen bislang stellen konnte.

Was den großen Frust für viele BewohnerInnen bedeutet, das Ende der Idylle, begreifen andere als Chance, ihren Projekten eine neue Perspektive zu geben. Sicher wollten die Wenigsten der auf der Cherisy gewachsenen gewerblichen, kulturellen und sozialen Einrichtungen und Betrieben Eigentum erwerben. Eine Alternative auf dem Gelände gab es nur für die Wenigsten unter ihnen. Der Erwerb von Eigentum und der Bau oder Ausbau neuer Flächen für diese Projekte brachte allerdings auch eine Menge neuer Probleme.

Zankapfel ist derzeit das einstige Mietgebäude von Freddy Böhm, der Block VII ("Zebra-Block") auf dem Gelände der Cherisy. Im Bebauungsplan der Stadt ist dieser Teil des Geländes als Gewerbegebiet ausgewiesen, eine Wohnnutzung ist danach nicht mehr vorgesehen. Gewerbliche, kulturelle und soziale Einrichtungen aus dem gesamten Gelände sollen dorthin umgesiedelt werden. So konnte beispielsweise der Kulturladen oder das Mauerblümchen wegen der Lärmbelastung für die noch dichter bebauten Wohnflächen im Westteil des Geländes nicht länger dort bleiben und ziehen ebenfalls in Block VII. Um diese Umstrukturierungen zu verwirklichen, hat sich die Entwicklungsgesellschaft Cherisy (EGC) gegründet, die im Herbst 1994 den Block VII vom Bundesvermögensamt erworben hat. Nachdem Freddy Böhm, der bis kurz zuvor unbefristete Mietverträge im Block VII abschloß, vom Bundesvermögensamt gekündigt wurde, mußte die EGC auch über 40 MieterInnen im Block VII "kaufen", da der Bund den Block insgesamt nur an einen Käufer vergeben wollte. Heute, knapp ein Jahr nach den ersten Baumaßnahmen, wohnen dort immer noch ca. 25 Menschen. Die Situation zwischen MieterInnen und der EGC ist reichlich verfahren, beide Seiten beschäftigen Anwälte und sahen sich mehrfach vor Gericht wieder.

Angefangen hat der Konflikt als es um die Böhmschen Mietverträge ging. Die EGC erarbeitete mit allen MieterInnen, die sich daran beteiligten wollten, neue befristete Mietverträge und sicherte dafür Ersatzwohnraum zu. Nicht alle MieterInnen akzeptierten diese neuen Verträge. Mathias Müller, ein langjähriger Mieter im Block VII, stellt die Frage, warum er einen Mietvertrag akzeptieren soll, der viel schlechter ist, als der, den er habe. Alles was bisher von der EGC gekommen sei, seien leere Versprechungen gewesen. Ein Angebot für Ersatzwohnraum, auf das sie sich ja einlassen wollten, hätte es von Seiten der EGC nie gegeben. Die EGC habe sie als MieterInnen im Block VII mitgekauft und hätte sich gefälligst mit diesem sozialen Problem auseinanderzusetzen. Müller wäre froh darüber, so erklärt er, wenn das Haus ein ganz gewöhnlicher Spekulant erworben hätte. Da seien die Fronten klar und es gäbe gewöhnliche Einigungen.

Anders sieht Dieter Bellmann, für die Neue Arbeit in der EGC, die Sachlage. Einige MieterInnen stellten sich auf den Standpunkt, sie hätten "ewige Mietverträge", trotz von der Stadt vorgegebenem gewerblichen Nutzungsplan in diesem Block. Sie hätten mit den MieterInnen gemeinsam neue Verträge entworfen, wo gäbe es denn sowas, fragt Bellmann. Ersatzwohnraum hätte es für alle gegeben, Voraussetzung seien allerdings die neuen Verträge. Vertrauen zähle für diese Leute nichts mehr, merkt Bellmann an.

Matthias Müller, dessen WG in den Räumen des neuen Kulturladens war, fühlt sich von der EGC betrogen. Die WG akzeptierte einen Umzug zum 1. Juni diesen Jahres in andere Räume des Hauses. Am 13. Juni erhielten sie von der EGC eine Kündigung für die neuen Räume auf 30. Juni. Diese ignorierten sie. Auch hätten sie bis 19. Oktober keine Heizung gehabt und es sei "arschkalt" gewesen. Eine funktionierende Heizung gab es erst nach dem er einen Antrag auf einstweilige Verfügung vor Gericht auf Wiederherstellung gestellt habe. Für seine WG steht ein gerichtliches Verfahren auf Feststellung des Mietverhältnisses auf der Grundlage des unbefristeten Mietvertrages an.

Die EGC, so Dieter Bellmann, wird nun eben eine ordentliche Kündigung aussprechen. Zu den von Müller erhobenen Vorwürfen führt er folgendes aus. Die Heizung hätte nicht fertig gestellt werden können, weil die WG ihre alte Wohnung so spät geräumt habe und die Baumaßnahmen dadurch extrem verzögert worden seien. Eine Kündigung für die neue Wohnung sei erst als Reaktion auf eine Klage dieser WG auf Baustopp erfolgt. Für viele MieterInnen aus Block VII habe es Lösungen durch Ersatzwohnraum gegeben.

Neben diesen Problemen, so Bellmann, mit denen niemand aus der EGC gerechnet habe, bewertet er die Arbeit der EGC insgesamt jedoch als überaus gute Erfahrung. Alle Beteiligten, darunter auch bürgerliche Handwerker, arbeiteten nach einem solidarischen Prinzip. Das heißt, Gesamtkosten werden auf alle umgelegt und selbst Projekte, die weniger bezahlen müßten, tragen das Gesamtprojekt mit. So sind für alle beziehbare gewerbliche Quadratmeterpreise von 730 DM anstatt der üblichen 2040 DM entstanden. Die Kulturveranstalter bezahlen in diesem Modell gar nur 630 bis 650 DM.

Im Moment scheint es so zu sein, daß über weiteren Ausbau und das Wohnen die Gerichte in Verfügungen über Baustopp, Festellungs- und Räumungsklagen zu entscheiden haben. Als Gewinner aus dem Konflikt dürften nur die Anwälte hervorgehen. Zumindest in dieser Einschätzung sind sich die Parteien einig.

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