linksrhein Quelle: AZW Nummer 13, erschienen am 09.05.1995
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LKA-Spitzel wohnte ein Jahr in Max- Stromeyer-Straße

Birzeles politischer Agent stolpert über seine Legende

Die Handlung könnte die eines zweitklassigen Agentenfilmes sein: Ein Polizeispitzel erhält die Identität eines Toten, mietet unter falschem Namen eine Wohnung und versucht sich zu den Zielpersonen des Einsatzes heranzuarbeiten. Doch, so steht es in keinem Drehbuch, diese Geschichte hat sich das Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA)

Die oberste Polizeibehörde in Deutschlands "Musterlände" ist für die Reinkarnation von Andreas Damköhler verantwortlich. Andreas Damköhler wurde 1971 in Stuttgart geboren und ist am 21. April 1974 beim Spielen in die Saale gestürzt und ertrunken. Seitdem fanden sich Hinweise zu seinem Gedenken nur auf einem Stuttgarter Friedhof - bis zum August 1994. Da bezog Andreas Damköhler eine Wohnung im vierten Stock der Max-Stromeyer-Straße 1. Der junge Mann, in Wahrheit Polizeibeamter des Landeskriminalamtes, war inzwischen Student geworden. Mit ausländerfeindlichen Sprüchen sollte er in die rechtsextreme Szene in Konstanz vordringen. Damit war er offensichtlich zunächst erfolgreich. Der falsche Damköhler hatte Kontakt zu ehemaligen Aktivisten der "Nationalen Offensive" (NO), die 1993 vom deutschen Bundesinnenminister Manfred Kanther zusammen mit der "Deutschen Alternative" und der "Nationalistischen Front" verboten wurde. Die "Nationale Offensive" trat 1992 im Kreis Konstanz zur Landtagswahl an. Im selben Jahr gingen drei Anschläge auf Flüchtlingswohnheime und die Schändungen des jüdischen Friedhofs in Wangen und der KZ-Gedenkstätte bei Überlingen auf das Konto dieser Faschisten. Zwei Mitglieder der NO wurden in diesem Zusammenhang zu Haftstrafen verurteilt. Eine Zielperson, auf die der Verdeckte Ermittler angesetzt war, dürfte der 28- jährige Andreas Saur sein, den das Landeskriminalamt als "Gehirn" der rechten Szene bezeichnet. Saur verlor 1984 sein Augenlicht, als er in der elterlichen Wohnung im Konstanzer Stadtteil "Paradies" beim Hantieren mit Sprengstoff schwer verletzt wurde. Saur enttarnte laut LKA Ende Juli auch den angeblichen Andreas Damköhler, indem er ein anonymes Fax mit Hinweis auf die Legende des Polizisten an verschiedene deutsche Presseorgane verschickte, darunter die Deutsche Presse Agentur. Zuvor erhielten die ahnungslosen Eltern des verstorbenen Andreas Damköhler von einem angeblichen Herrn Fischer zwei Anrufe. Im ersten Anruf wollte dieser seinen Schulfreund Andreas sprechen. Die entsetzte Mutter des verstorbenen Kindes erwiderte, daß dies nicht sein könne, da ihr Andreas nie zur Schule gegangen sei. Als "Fischer" sich ein zweites Mal bei den Eltern meldete, gab er an, von einer Wirtschaftsdetektei zu sein und herausgefunden zu haben, daß unter dem Namen des Toten Wirtschaftsbetrügereien in Rostock verübt worden wären. Daraufhin erhielt der Anrufer genaue Informationen über den Unfall und letztlich zur Legende des Ermittlers. Das Landeskriminalamt geht davon aus, daß es sich bei dem angeblichen "Herr Fischer" um Andreas Saur gehandelt hat, der letzte Informationen zur Enttarnung des beamteten Damköhlers einholte. Durch das anonyme Fax an die Presse aufgeschreckt, reagierte schließlich auch die Polizeibehörde. In einem Besuch weihten sie nun die Eltern des zur Legende mißbrauchten Toten ein. Als "Entschädigung" wurde ein Erholungsurlaub angeboten und Stillschweigen verlangt. Die Eltern lehnten ab. Inzwischen haben sie sich einen Rechtsanwalt genommen und fordern eine Entschuldigung des baden-württembergischen Innenministers Frieder Birzele (SPD), in dessen Verantwortungsbereich der Einsatz stattfand. Fortan war Andreas Damköhler in Konstanz nur noch per Anrufbeantworter zu erreichen, auf dem seine Stimme verlauten lies: "Ich bin die ganzen Anrufe leid". Auch seine Dienstherren waren die Anrufe der JournalistInnen , welche dem anonymen Fax nachgingen leid geworden. Das Landeskriminalamt antwortete mit einer Pressemitteilung an die eingeweihten JournalistInnen, in dem darum gebeten wurde, den Sachverhalt nicht zu veröffentlichen, um so nicht der Sache der Rechtsradikalen zu dienen. Diese freiwillige Nachrichtensperre, und somit die Geheimhaltung eines erneuten Polizeiskandals um Verdeckte Ermittler in Baden-Württemberg hielt in den deutschen Medien immerhin fast drei Monate. Bereits im Sommer 1992 zog das LKA jeweils zwei verdeckt arbeitende Beamte in Freiburg und Tübingen zurück, die in linken und kirchlichen Gruppen spionierten. Damals wurde eine bespitzelte Frau in Tübingen von einem der Ermittler schwanger. Bevor es zu einer Vaterschaft im Einsatz kam, zog es das Landeskriminalamt vor, diese Ermittler zurückzuziehen. Diese Einsätze hatten für Innenminister Birzele ein politisches und juristisches Nachspiel. Der baden- württembergische Landtag und die Gerichte beschäftigten sich mit dem Fall. Das Stuttgarter Verwaltungsgericht entschied, daß der Einsatz rechtswidrig war. Ein Urteil, was das Oberverwaltungsgericht in der Revision aufhob. Vorgeworfen wurde dem Minister und seinen Behörden flächendeckend Informationen gesammelt und ausgewertet zu haben ohne an konkrete Zielpersonen aus dem "terroristischen Spektrum" gelangt zu sein. Die baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Ruth Leuze war in dem Konflikt eine Vertreterin der Opfer der verdeckten Ermittlungen. Auch zum Konstanzer Fall hat sie sich nun zu Wort gemeldet. Sie bemerkt: "Mit diesem Vorgehen hat das Landeskriminalamt das verstorbene Kind für staatliches Handeln benutzt und dadurch seine Würde, die nach unserer Verfassung jedem Menschen auch über den Tod hinaus zukommt, beeinträchtigt." Drohte Innenminister Birzele im Tübinger Fall im Landtag noch damit, die Gesetze zu seinen Gunsten zu ändern, wenn die Gerichte ihm rechtswidriges Handeln nachweisen, so stellt sich die Situation für ihn nun heikler dar. Denn den Artikel 1 der deutschen Verfassung über die Würde des Menschen wird selbst er nicht aus der Welt schaffen können.

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