Oshakati
Am Wochenende war ich in Oshakati, um ein Interview zu führen. Oshakati ist die größte Stadt im Norden Namibias, 100 km von der Grenze zu Angola entfernt. Das heisst leider nicht viel. Die Reise war eintönig
und die Innenstadt von Oshakati ist nicht viel besser:
Es gibt nur einen Markt, auf dem leeeckere Sachen verkauft werden.
Die ganze Region ist sehr ländlich geprägt, direkt neben der Hauptstrasse sind Weiden.
Die junge Frau, die sich als Dorothea vorstellt (das ist wahrscheinlich ihr „kolonialer“ Name, die meisten Leute haben einen, plus einen richtigen Vornamen. Als Weisser kriegt man meistens den international verstaendlichen Namen gesagt...), besitzt so um die 200 Rinder (das sagt sie, ich vermute, es heisst, dass ihre Familie die besitzt), das ist jetzt nicht wahnsinnig reich, aber auch nicht ganz arm. Die Züchtung, die hier gehalten wird, heisst Brahman, ich weiss aber nicht, warum hier eine indische Züchtung bevorzugt wird. Rinder lassen sich im Norden und auf dem Hochplateau, das sich nach Sueden zieht, gut halten, und Flesich ist ein absolutes Grundnahrungsmittel in Namibia.
Die Leute, die nicht so „viel“ besitzen, muessen sich anders durchschlagen, so wie die zwei Jungs hier, die einen Autowaschservice betreiben.
Das heisst, sie haben einen Platz, in der Naehe haengt ein selbsgebasteltes Schild mit dem entsprechenden Hinweis, und sie haben eine Handynummer. Viel verdienen kann man damit nicht.
Ausserhalb der Stadt leben die Leute in solchen Gehoeften, in denen sich kleine Rundhuetten in einem Zaun draengen. Sie werden meist von einer Grossfamilie bewohnt. Die Gehoefte wurden und werden manchmal immer noch faelschlicherweise als kraals bezeichnet, ein Wort, das aus dem Afrikaans kommt (abgeleitet von port. Curral=Corral). Eigentlich ist der Kraal aber nur die Umzaeunung, in der die Tiere gehalten werden, fuer die Gehofte gibt es unterschiedliche Bezeichnungen iun den jeweiligen Sprachen. Eines von vielen Beispielen fuer den alltaeglichen rassistischen Sprachgebrauch, der die Apartheidzeit praegte und teilweise weit in die westlichen Gesellschaften vorgedrungen ist.
Der Norden Namibias ist die einzige Region im Land, in der wirklich systematisch Ackerbau betrieben werden kann. Hier gibt es eine oft überflutete Ebene, die entsprechend fruchtbaren Boden bietet.
Die Grenzregion zu Angola ist seit Jahrhunderten das Gebiet der Ovambo-Königreiche gewesen, die sich als militärisch und politisch relativ straff organisierte Gesellschaften auch ziemlich lange gegen die Kolonialmächte Portugal und Deutschland behaupten konnten. Das Ovambogebiet war immer aus der sogenannten "Polizeizone" ausgenommen, die den Rest Namibias umfasste und in der das beste Land an deutsche und afrikaanse Siedler verteilt wurde.
Allerdings wurde nach dem Völkermord an den Herero 1904-05 und nach der Entdeckung von Kupfer in Tsumeb und Diamanten im Süden auch dieses Gebiet in die koloniale Ökonomie eingegliedert: durch das System der Wanderarbeit. Zuerst wurde den Menschen in der Polizeizone – vor allem die 20 000 Herero, die die Massaker und die Omaheke überlebt hatten, und die kurz darauf unterworfenen Nama – verboten, selbst Land oder Vieh zu besitzen, so dass sie gezwungen waren, jede Arbeit auf den Farmen und in den Minen anzunehmen; als das nicht die benötigte Arbeitskraft freisetzte, griff man auf die Ovambo zurück. Das wurde möglich, weil deren Könige sich im Handel derart verschuldet hatten, dass sie immer höhere Steuern erhoben. Eingeschüchtert von der Brutalität der kolonialen Machthaber, die diese in den Kriegen von 1904-07 an den Herero und Nama demonstriert hatten, und die Gelegenheit nutzend, ihre Untertanen noch mehr zu besteuern, kooperierten die Könige und unterstützten das System der Wanderarbeit: die Männer nahmen zeitlich befristete Verträge auf, die meist über sechs und mehr Monate gingen, danach kehrten sie zu ihren Familien zurück, um kurz darauf wieder mit einem neuen Vertrag loszuziehen.
Unter südafrikanischer Herrschaft und nach Einführung der Apartheid verschlimmerte sich das noch, indem die Passgesetze eingeführt wurden. Dieses System war die Grundlage der Ökonomie, denn es sicherte einen ausreichenden Nachschub billiger Arbeit. Eine besonders perfide Variante, Arbeiter dazu zu zwingen, ihre Arbeitskraft billig zu verkaufen.
Allerdings fand hier auch die erste Politisierung statt, nachdem 1957 Herman (heute Andimba) Toivo ya Toivo, der in Südafrika studiert hatte und dort mit Mitgliedern der kommunistischen Partei und des ANC zusammengetroffen war, den Ovamboland People's Congress, 1958 in Ovamboland People's Organisation umbenannt, gründete und unter den Vertragsarbeitern regen Zulauf fand. 1960 wurde die OPO als South West Africa People's Organisation neugegründet, womit – neben der South West Africa National Union, die 1959 gegründet worden war und eher Zulauf unter einer schmalen Schicht schwarzer Intellektueller fand – eine nationale Befreiungsbewegung aus der Taufe gehoben worden war, die sich nicht nur an einzelne Bevölkerungsgruppen, sondern an die ganze "namibische Nation" richtete.
Der Norden war auch nach der Entscheidung der SWAPO 1966, den bewaffneten Kampf aufzunehmen (nachdem man sich von der internationalen Gemeinschaft im Stisch gelassen fühlte) die wichtigste Kampfzone. Zunächst operierte der bewaffnete Arm, die People's Liberation Army of Namibia (PLAN), im Caprivizipfel von Basen in Zambia aus, nach der Unabhängigkeit Angolas wurde die Grenzregion im Norden zur Hauptkampfzone. PLAN kämpfte hier gegen Einheiten der South West African Territorial Force (SWATF) und gegen die berüchtigte Spezialeinheit Koevoet (=Kuhpeitsche), die als Antiguerillaeinheit gerne auch ganze Dörfer niederbrannte und Tausende verschleppte und folterte.
Das ist gerade wieder aktuell, weil das namibische Parlament sich endlich dazu durchgerungen hat, über eine Entschädigung für die Veteranen des Freiheitskampfes nachzudenken, von denen heute ein Großteil verarmt ist. Allerdings fällt da einigen (vor allem einem, weissen) Oppossitionellen ein, dass ja auch die armen SWATF und Koevoet-Leute gelitten haben und im Sinne der nationalen Versöhnung ebenso entschädigt werden sollten. Den Hinweis darauf, dass diese Leute bezahlt wurden dafür, dass sie das Apartheidsystem absicherten, während die PLAN-Kämpfer Freiwillige waren, die keinen Sold bekamen und ihr Leben für die Unabhängigkeit riskierten, ignorieren sie.
Es ist noch ein bisschen komplizierter, weil die Swapo natürlich auch ihre Basis versorgen muss, die langsam aufmuckt, und die Opposition das Beispiel Südafrikas nennen kann, wo jetzt alle als Opfer anerkannt werden (das ist ein Thema für sich; obwohl in Südafrika keine Verdrängung stattgefunden hat wie im Nachkriegsdeuschland, sondern in der TRC vieles akribisch aufgearbeitet wurde, gibt es da auch keine Täter mehr...).
Dazu kommt, dass im Apartheidstaat – auch in Namibia – viele einen Pflichtwehrdienst absolvieren mussten, wodurch sie also durchaus auch als Opfer gesehen werden könnten (es gab durchaus nicht wenige junge weisse Suedafrikaner, die sich dem Wehrdienst, teilweise durch Flucht ins Ausland, entzogen haben).
Ausserdem schwebt allen das Beispiel Zimbabwe vor, wo Mugabe Ende der 90er vor allem deswegen zu seiner wirtschaftlich verheerenden "Landreform" (nimm den Weissen das Land weg und verteil es an die eigenen Leute, wobei sich die Parteibonzen natürlich die besten Brocken sicherten) griff, weil der Druck der Veteranen innerhalb der ZANU-PF so gross geworden war, dass er um den Erhalt seiner Macht fürchten musste. Ein solches Landproblem (zuviel gutes Farmland in der Hand einer kleinen Schicht von Weissen, die dadurch ökonomisch wesentlich besser dastehen) existiert auch immer noch in Namibia.