"Die bürgerliche Demokratie geht von der Ansicht aus, daß die politische Freiheit eigentlich alles sei, was der Mensch verlangen könne, höchstens habe der Staat für eine ausreichende Bildung aller Staatsbürger zu sorgen und die Steuern so einzurichten, daß keiner ungerecht betroffen werde. Das sind drei Dinge, die wir akzeptieren, die aber nicht ausreichen. Der Staat soll allerdings - so meinen auch die Sozialdemokraten - die Freiheit garantieren, aber auch darauf sehen, daß die Freiheit des einen der Freiheit des anderen keinen Schaden bringe. Die politische Freiheit aber kann keine gleiche sein, wenn ökonomische Ungleichheit existiert. Der ökonomisch Bessergestellte wird stets einen moralischen Druck auf den Schlechtergestellten ausüben. Ist nun gar ein Abhängigkeitsverhältnis vorhanden wie in der jetzigen Gesellschaft, ist der Arbeiter einem Brotherrn unterworfen, von dem seine Existenz abhängt, dann liegt auch auf der Hand, daß dieser Brotherr die Gewalt in den Händen hat, das politische Recht des Arbeiters zu verkümmern, es in der ihm, dem Unternehmer, gut dünkenden Weise auszubeuten.
Aber ganz abgesehen davon: an einem Staat, in dem die politische Freiheit bloß der Zweck ist, hat der Arbeiter wenig Interesse. Was ihn drängt und treibt, die politische Freiheit und Gleichberechtigung zu erobern, ist die Aussicht, mit ihrer Hilfe auch die ökonomische Unabhängigkeit zu gewinnen. Was nützt ihm die bloße politische Freiheit, wenn er dabei hungert, wenn seine Lage sich nicht verbessert, er vor wie nach der vom Kapitalisten ausgebeutete Mensch ist, der sein ganzes Leben sich plagen und abrackern muß, um schließlich elend zugrunde zugehen?
Die Sozialdemokratie betrachtet also nicht die politische Freiheit als Zweck, sondern als Mittel zum Zweck; als Zweck betrachtet die Sozialdemokratie die Herstellung der ökonomischen Gleichheit, also die Errichtung eines auf voller Freiheit und Gleichheit basierenden Staats- und Gesellschaftswesens. Die Freiheit hört da auf, wo sie hinübergreift in die Sphäre des anderen, das heißt wo sie durch ihre Übergriffe die Gleichheit verletzt."
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