Großer Andrang bei der Podiumsdiskussion über schulische Integration am 5. Mai in der Kindestagesstätte Die Arche: anwesend waren Erzieher, Lehrer und Eltern behinderter und nicht behinderter Kinder. Bedenkt man, dass dieses Thema keine Beachtung in der öffentlichen Diskussion genießt und auch für viele Fachleute - wie Lehrer - noch ein Fremdwort ist, so war dieses Interesse erstaunlich.
Vorgestellt wurden verschiedene Integrationsprojekte an Schulen der Stadt und der Umgebung (siehe Südkurierbericht vom 8. Mai 2000): interessante Versuche, der Ausgrenzung und Isolation zu begegnen, unter denen Behinderte leiden. Bei der anschließenden Diskussion und auf der Fachtagung am Tag darauf ging es dann um die grundsätzliche Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen schulische Integration möglich sei.
Im Gegensatz zu anderen Bundesländern, wie Hamburg, Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfalen, in denen Projekte schulischer Integration seit fast 20 Jahren laufen, sind die Integrationsversuche in Baden-Württemberg Neuland. Erst mit der Schulgesetznovelle vom Dezember 1997 hat das Stuttgarter Kultusministerium anerkannt, dass die Förderung behinderter Schüler Aufgabe aller Schularten ist und mit der Verwaltungsvorschrift vom 8. März 1999 hat es diese Auffassung bestätigt und bekräftigt: "Es ist Aufgabe der allgemeinen Schule, auf individuelle Lernerfahrungen und Lernvoraussetzungen der Schüler mit differenzierten Lernangeboten einzugehen; hierzu gehört die Förderung behinderter Schüler".
Die Sonderschulen (Schulen für Lern-, Körper-, Geistig-, Sprachbehinderte usw.) sind damit aber nicht abgeschafft worden, so dass die vom Ministerium unterstützten Integrationsansätze Versuche bleiben und eher Abweichungen von der Regel darstellen.
Und genauso ist die Realität im Raum Konstanz: die Außenklassen (an einer normalen Schule untergebrachte Sonderschulklassen) in der Wallgutschule und in Dettingen, einzelne Integrations- und Kooperationsprojekte an verschiedenen Schulen sind Ausnahmen und noch keine echte Integration, da die Kinder dabei nur in einigen Fächern oder bei bestimmten Aktivitäten zusammen kommen. Von echter Integration kann man nur bei den sogenannten ISEP (Integrativen Schulentwicklungsprojekten) sprechen, bei denen die Schüler den ganzen Schulalltag gemeinsam meistern...
Bis jetzt gab es in Konstanz nur ein ISEP an der Gebhardschule, eine 2. Klasse mit 17 Kindern (10 normalen und 7 behinderten Kindern), die gemeinsam von einer Grundschul- und einer Sonderschullehrerin unterrichtet wird.
Ab nächstem Schuljahr wird es ein zweites ISEP in Konstanz geben: mit Courage und Hartnäckigkeit erreichte das die Elterninitiative Miteinander - Arche-Eltern für Schulintegration, die sich seit November 1999 dafür einsetzt, dass ihre Kinder (6 behinderte und 12 nicht behinderte ) nach dem gemeinsamen Besuch des Kindergartens auch in der Grundschule zusammen bleiben. Leider konnte dieses Projekt nicht in der Wallgutschule, die eigentlich zuständig gewesen wäre, realisiert werden; stattdessen zeigten sich die Gebhardschule und die Schule in der Reichenau-Waldsiedlung aufnahme- und kooperationsbereit.
Die zwei Veranstaltungen über Integration haben gezeigt, dass das Interesse für dieses Thema bei den Eltern grösser zu sein scheint, als bei Behörden, Schulen und Lehrern. Vor allem die Schulbehörden hinken den Bedürfnissen und den Wünschen der Eltern hinterher: trotz der revolutionären Schulgesetznovelle vom Dezember 1997, hat sich bei der Lehrerausbildung bis jetzt überhaupt nichts geändert und keine einzige Fortbildungsveranstaltung über Integration hat stattgefunden.
Die Lehrer, die sich mit diesem Thema beschäftigen, sind meistens in den Sonderschuleinrichtungen tätig und leiden selber unter der Isolation und der Ausgrenzung ihrer Schüler.
Integration hat aber nur dann eine Chance, wenn sie vom Thema der Sonderschuleinrichtungen zum Thema aller Schularten (auch der weiterführenden Schulen) wird und wenn ihre gesellschaftspolitische Bedeutung endlich anerkannt wird.
Schulische Integration ist nämlich kein Zugeständnis an die Schwachen und Kranken, sondern stellt eine Chance für die ganze Gesellschaft dar.
Das gemeinsame und gleichberechtigte Lernen und Aufwachsen von Kindern unterschiedlicher sozialer und ethnischer Herkunft und auch unterschiedlicher Leistungsfähigkeit ist die Basis für eine Gesellschaft, in der jeder Mensch akzeptiert wird und seine Rolle findet: eine Gesellschaft ohne Rassismus und Ausgrenzung.
Liegt es an der sozialen und politischen Sprengkraft dieses Themas, dass es von Behörden, Massen-Medien und Politikern konsequent totgeschwiegen wird?
Wenn ja, ein Grund mehr, um der Elterninitiative vom Arche-Kindergarten zu gratulieren und zu hoffen, dass immer mehr Betroffene, ihrem Beispiel folgend, ihre Interessen offensiv und zäh vertreten und sich in Entscheidungsprozesse einmischen.
nel
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