Der Kreis Konstanz will ab 2001 an einem Projekt teilnehmen, nach dem die Sozialhilfe nur noch als Pauschale geleistet wird. Mit dieser Pauschale sollen nahezu sämtliche Ansprüche abgegolten sein. Bloß in extremen Ausnahmesituationen wird es in Zukunft möglich sein, einen darüberhinausgehenden Bedarf zu realisieren.
Nicht mehr der tatsächliche individuelle Bedarf in jedem Einzelfall soll für die Ermittlung der Höhe der Sozialhilfe maßgeblich sein. Sozialdezernentin Auchter begründet die Pauschalierung in ihrem kürzlich vorgelegten Sozial-bericht denn auch offen mit einer Gegnerschaft zum geltenden Sozialhilferecht:
"Das derzeitige Sozialhilfesystem (Bedarfsdeckungsprinzip) wird heute ... der Hilfe zur Selbsthilfe nicht mehr gerecht. Es gibt keinen Anreiz für ein eigenständiges wirtschaftliches Gesamtverhalten der Hilfeempfänger."
Das Bedarfsdeckungsprinzip ist die tragende Säule, das Fundament unserer heutigen Sozialhilfe. Es besagt, dass dem Hilfeberechtigten Sozialhilfe in einer Höhe zusteht, die ihm/ihr die Führung eines menschenwürdigen Lebens ermöglicht. Hilfeberechtigte haben einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen und können sie auf dem Rechtsweg einklagen.
Diesen Umstand beklagte Roland Klinger, Sozialdezernent beim Landkreistag Baden-Württemberg (dem Zusammenschluß der 35 Landkreise) schon vor einigen Jahren. In einem Aufsatz in einer Fachzeitschrift bemängelte er:
"Das System der Hilfe zum Lebensunterhalt, welches sich aus der Aktion einer Vielzahl möglicher inidividueller Leistungsansprüche ergibt, führt infolge der daraus resultierenden umfänglichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nahezu unvermeidbar zu einem ausgeprägten Einzel-anspruchs-Denken der Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt. Der einzelne Hilfeempfänger kann über jedes Element der Hilfegewährung - Regelsatz, Mehrbedarf, Höhe der Miete, Höhe der Nebenkosten, Höhe und Umfang der jeweiligen einmaligen Beihilfe - differenziert mit dem Sozialhilfeträger streiten." (in: NDV, Heft 1/1998)
Das nervt die Sozialbürokraten, Sozialhilfeempfänger, die ihre Rechte kennen und einklagen. Bei der Pauschalierung wird daher (übrigens rechtswidrig) streng darauf geachtet, über die Pauschale hinausgehende Ansprüche auszuschließen und so den individuellen Rechtsweg zu verbauen.
Die Festlegung des Bundessozialhilferechts, auch denen die Mittel für ein menschenwürdiges Leben zur Verfügung zu stellen, die sich nicht selbst helfen können, resultiert unmittelbar aus Art. 1 des Grundgesetzes: "die Würde des Menschen ist unantastbar". Wer das Bedarfsdeckungsprinzip der Sozialhilfe so unverhohlen angreift wie dies Frau Auchter tut, bewegt sich in der Grauzone zur Verfassungsfeindschaft. Auf jeden Fall muss ihm aber vorgehalten werden, dass er nicht nur einen "Umbau" des Sozialstaates im Sinne hat, sondern einen kompletten Wechsel im System.
Mit dem derzeitigen Modellprojekt soll in einem ersten Schritt die Beschreitung des Rechtsweges für Einzelansprüche versperrt werden. Dann sollen Fakten geschaffen werden, die nach Beendigung des Projekts eine Änderung des Bundessozialhilferechts erlauben.
In einem zukünftigen weiteren Schritt geht es um die Herunterbemessung der Höhe der Sozialhilfe an die Erfordernisse des Arbeits-Marktes. Darüber wird in Fachkreisen schon heute ganz offen geredet (und geschrieben):
"Außerdem kann die vorgeschlagene Pauschalierung die Diskussion um das Lohnabstandsgebot endlich voranbringen und transparent machen. Erst wenn der Gesamtbetrag der Hilfe zum Lebensunterhalt ... nachvollziehbar aus Tabellen ablesbar ist, besteht Klarheit über das tatsächliche Sozialhilfeniveau von Sozialhilfeempfängerhaushalten im Verhältnis zu den monatlichen durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelten unterer Lohn- und Gehaltsgruppen. Auch deshalb ist rasches politisches Handeln geboten." (Roland Klinger in obigem Aufsatz)
Hier wird nun endlich sichtbar, wohin die Reise gehen soll: die Sozialhilfe soll sich langfristig nicht mehr daran orientieren, "was für ein menschenwürdiges Leben nötig ist", sondern nur noch am sogenannten Lohnabstandsgebot. Wer heute gezwungen ist, für 13 DM brutto bei Burger King zu arbeiten, weiß sicher: die Sozialhilfe der Zukunft wird für ein menschenwürdiges Leben nicht mehr reichen.
Wir werden das Prinzip der gegenwärtigen Sozialhilfe, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, mit Zähnen und Klauen gegen die neoliberalen Propheten einer besseren Welt verteidigen.
Die bundesweiten Modellprojekte zur Pauschalierung sollen Erfahrungswerte für die Einführung einer Grundsicherung ab 2005 zur Verfügung stellen.
Daniel Kreutz, sozialpolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion NRW, kommentierte treffend:
"Bundesweit öffnet sich den Kommunen eine neue Grauzone beim Bedarfsdeckungs- und Individualisierungsgebot, die zur "Kostensenkung" nutzbar ist. Da dies der Vorbereitung einer Grundsicherung (ab 2005) dienen soll, ist zu befürchten, dass auch dieses Reformprojekt vom Versprechen zur Drohung mutiert. Beunruhigend ist überdies, dass eine kritische Würdigung des Vorgangs seitens der Wohlfahrts- und Sozialverbände bisher nur ausnahmensweise und nur sehr verhalten stattfand."
obi
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