Seeblättle <<  >>  Quelle:  Seeblättle  Jg. 2000  Nr.6


Gentechnik. Eine Abschweifung.

Vorbemerkungen zur linken Debatten-Kultur

In unserer Gruppe PDS/LL hat sich eine heftige Kontroverse über das Thema Gentechnologie entwickelt. In dieser Ausgabe soll das Pro und Contra zum Thema erörtert werden. Bevor ich ins Detail zu gehen versuchen werde, scheinen mir einige generelle Vorbemerkungen wichtig zu sein: dem unerbittlichen Gebot der political correctness, d.h.dem - nicht in Frage gestellten- allgemeinen consensus unterliegen eine ganze Reihe von Themen; als da sind: die Euthanasie, der Feminismus, die Atomenergie, Tierversuche, die Suprematie des Jung- und Schönseins, wie auch der Stalinismus oder die "erwiesene" Überlegenheit des Kapitalismus über den Kommunismus, als eben auch die Gentechnologie. Ich halte es für akzeptabel und hinnehmbar, daß bestimmte Begriffe wie z.B. die Euthanasie durch die deutsche Geschichte so kompromittiert sind, daß es - zumindest hierzulande - vermessen und gefährlich wäre, sich ihnen überhaupt zu nähern. Die Gefahr, bei einer kritischen, vorurteilfreien Annäherung ( Beispiel Euthanasie, deren Problematik in anderen Ländern wie Schweden oder den Niederlanden durchaus erörtert wird) Beifall von der falschen, d.h. faschistischen Seite zu bekommen, ist noch viel zu virulent.

Was will ich mit dieser Einleitung sagen? Es gibt eine Reihe von Themen (zu denen eben auch die Gentechnologie gehört) bei deren Erwähnung oder gar dem Versuch der Erörterung ein reflexartiger, Pawlowscher Rückzug auf das gesicherte und als unbedingt angesehene Gebiet einer totalen Ablehnung zu beobachten ist. Eine sachliche Auseinandersetzung ist - wie in einem Glaubenskrieg - nicht möglich. Es ist so, als ob einem gläubigen Christen gegenüber blasphemisch die Existenz Gottes in Zweifel gezogen würde. Da Beispiele ja oft mehr bezeugen als nüchterne Erörterungen folgendes Begebnis: als ich mich in einem Kreis von jungen (bezogen auf mich) Menschen vom Teufel reiten liess, meine Aufassungen von der Bedeutung der Gentechnologie zur Debatte zu stellen (ich gebe zu, daß es wohl auch eine Lust geben mag, antikonformistisch zu sein) wurde ich von dem Hauptkontrahenten in geradezu unerhörter Weise (wörtlich zu nehmen: ich habe in meinem langen Leben kaum jemand so schreien hören) angegriffen. Mit dem Hinweis, daß mich der Hauptkontrahent als einen "Faschisten" bezeichnete, der die "Profitinteressen des Kapitals" vertritt, verbindet sich nicht die Absicht, mich als ein geschmähtes, unschuldiges Lamm hinzustellen. Es geht mir vielmehr darum, damit auf ein Phänomen hinzuweisen, das ich tatsächlich für außerordentlich bedenklich halte: sich eben diesem Bann von unerschütterlichen Vorurteilen nicht entziehen zu können. In der Gewißheit, daß dieses kleinste "Blättle" nur eine Handvoll Linker erreicht, setze ich dazu, daß es ein eherner Grundsatz von Marx und Engels war, alles in Frage zu stellen. Was natürlich überhaupt nicht zur Orientierungslosigkeit führt. Ganz im Gegenteil: nur wer den wahren Sinn der Dialektik begriffen hat, wurde als Sozialist von den Ereignissen der 90er Jahre nicht umgeschmissen, wie das Millionen "Gläubigen" geschah.

Man könnte ergänzen, daß die Akzeptanz der Leninschen Formel von der Gleichsetzung von Kommunismus und Elektrizität die Grundlage bietet für einen vorurteilsfreien, d.h. wissenschaftlichen Umgang mit den Herausforderungen einer sich im stetigen Wandel befindlichen Welt. Der Mißbrauch der elektrischen Energie, wie er sich z.Bsp. in der perversen Erfindung (und dem Einsatz in den USA) des elektrischen Stuhls zeigte, hat wahrscheinlich da und dort zu einer generellen, äussersten Reserve gegenüber dieser neuen Erfindung geführt. Ganz sicher nicht in einem Land, das sich mit einem begeisternden Optimismus daran machte, den Kampf um eine die Menschen befreiende und ihnen dienende Zukunft zu gestalten.

Damit bin ich bei einem Punkt, den ich im Zusammenhang mit diesem Thema für sehr wichtig halte: der Frage des Optimismus. Ich bin der festen Überzeugung, daß eine der wesentlichen Säulen des gegenwärtigen Systems die Erzeugung von Perspektivlosigkeit und Angst ist. Aus der Sicht der Herrschenden ist doch unzweideutig klar, daß das Bombardement mit Horrorszenarien durch die meinungsbestimmenden Medien und die Züchtung einer unaufhörlichen Kette bewußtseinsvernebelnder, immer neuer "events" eine verflucht gute Garantie dafür bieten, daß der Blick nur noch auf das Heute gerichtet ist. Die Befriedigung "geiler", auf Tagesaktualität gerichteter Bedürfnisse engt den Horizont aufs Äußerste ein.

Selbstverständlich will ich damit die Problematik nicht auf diesen Punkt verengen. Eine solche Vereinfachung würde der Ernsthaftigkeit der Argumentation vieler meiner Kontrahenten in dieser Frage nicht gerecht. Aber ich kann mich von der Erinnerung an die Entstehung, aber dann ganz besonders der Entwicklung der grünen Bewegung nicht befreien. In der Erkenntnis der Notwendigkeit, dem ungezügelten Wildwuchs globaler, profitorientierter Technologie kritisch zu begegnen, habe ich sie zunächst mit einer gewissen Sympathie begleitet. Als aber immer deutlicher wurde, daß die Berufung auf den Primat des "Bauches" den "Kopf" (fast diskriminierend) zu verdrängen begann, wuchs meine Skepsis. Mit der Verstärkung der Überbetonung des Rückzugs auf das Individuelle vertrug sich mein Weltbild nicht mehr, das geprägt ist durch die Anstrengung rationaler Aneignung und die Berücksichtigung gemeinschaftlicher (ich kann kaum wagen, hier das Wort "kollektiv" zu gebrauchen) Belange. Diese gegensätzliche Haltung verstärkte sich dann, als die Grünen sich folgerichtig von anfänglicher linker Neigung immer mehr zum Antisowjetismus (bes. in der Friedensbewegung) und generell zum Antikommunismus neigten.Umgekehrt ist ja meine Akzeptanz des Versuches, auf deutschem Boden eine sozialistische Gesellschaftsordung zu etablieren (wozu ich mich immer noch bekenne) nur vor dem Hintergrund zu erklären und zu verstehen, daß ich mich trotz aller Widrigkeiten von der optimistischen Überzeugung (an der ich heute erst recht festhalte) einer sozialistischen Zukunft nicht abbringen liess.

Ich habe mich bis jetzt bewusst (auch aus Platzgründen) davor zurückgehalten, all die schon viele Male ausgetauschten Argumente neu einzusetzen. Eine auch nur oberflächliche Betrachtung der Auseinandersetzung über die Problematik der Gentechnologie zeigt, daß jede Behauptung oder Darstellung mit einer "überzeugenden" Gegenposition beantwortet wird. Eine wirklich rationale, d.h. sich unvoreingenommen und ernsthaft mit allen Argumenten auseinandersetzende Diskussion scheint mir z.Zt. nicht möglich. Mit meiner "Abschweifung" versuchte ich, einen nicht schon tausendmal durchgekauten Gedanken einzubringen.

Michael Venedey


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linksrheincm01.01.2001