(I.) die "Neue Weltordnung"
(I.1) Liberalisierung
Liberalisierung meint die weitgehende “Befreiung”/”Entfesselung” der
ökonomischen und sozialen Verhältnisse von staatlicher und arbeitsrechtlicher
Regulierung, setzt auf deren Selbstregulierung, auf das "freie Spiel der
Marktkräfte". Der Markt wird als ein sich selbst stabilisierendes und sich
selbst organisierendes System betrachtet, das aus sich heraus - ohne
staatliches Eingreifen - das gesellschaftliche Leben optimal regeln soll. Die
„Befreiung“ der Produktions-, Markt- und FinanzVerhältnisse von staatlicher
Regulierung soll Wachstum und Wohlstand für alle bringen - so die Ideologie!
Dieses Prinzip soll alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen und prägen. D.h. Privatisierung und Ökonomisierung des Politischen, des Sozialen, der Kultur, des öffentlichen Eigentums und der öffentlichen Leistungen, des Privaten und von Leben überhaupt (dazu s. später).
Das Primat der Ökonomie
tritt verstärkt offen, offensiv und aggressiv in den gesellschaftlichen
Vordergrund und ist unmittelbar mit dem Abbau von sozialen Errungenschaften
verbunden.
So werden z.B. Bildung,
Gesundheit, Kultur nicht mehr als allgemeine gesellschaftliche, humanitäre
Werte betrachtet. Sie werden nur noch dann betrieben und gefördert, wenn sie
ökonomischen Nutzen erwarten lassen. Die privaten BetreiberInnen der
Einrichtungen sind der Öffentlichkeit gegenüber nicht rechenschaftspflichtig.
Das soziale Kontinuum der
Gesellschaft wird in Einzelteile zerlegt (Bildung, Schule, Universität,
Gesundheitssystem, Krankenhaus, Altenheim, Nah-Verkehr, Bahn, Telefon, Post,
Badeanstalt, Energieversorgung (Strom, Gas), Kraftwerk,
Wasserversorgung,Versicherung, Renten, ...) und jedes einzelne Teil
privatisiert und kommerzialisiert. Jedes dieser Teile soll dann für sich
profitabel arbeiten - wenn nicht, wird es abgeschaltet.
Falls sich dann z.B. das
Altenheim oder das Krankenhaus nicht selbst trägt, entsteht der
"Zwang" es stillzulegen - und das scheinbar ganz wertfrei:
"niemand ist Schuld daran" - Pech für die Alten, Kranken und Armen im
Stadtteil (s. z.B. die Stillegung des Hafenkrankenhauses in HH-St. Pauli,
Februar 97).
So werden die Kosten für
staatliche Leistungen gesenkt, Quersubventionierungen von ganzen Bereichen
durch den Staat eingestellt (z.B. den Nahverkehr durch den Energiebereich zu
subventionieren).
Für den Staat gelten
demnächst dieselben Regeln wie für jedes Unternehmen (Deutschland AG) und das
hat zur Folge, daß verstärkt die Finanzmärkte die Politik bestimmen.
Im Rahmen der neoliberalen
Rationalität werden sich Fragen nach einer menschlichen Gesellschaft (was ich
darunter verstehe, darüber werde ich später genauer reden) nicht lösen lassen.
Und das liegt sicher nicht daran, daß diese Gesellschaft zu arm ist, nicht
genügend Möglichkeiten vorhanden sind. Das heißt auch, die Argumentation
"wir würden ja gerne, aber es ist kein Geld vorhanden", soll nur von
den eigentlichen Widersprüchen ablenken.
Das Projekt
"Kapitalismus mit sozialer Verantwortung", auch "Soziale
Marktwirtschaft"/"Solidargemeinschaft" genannt, hat somit seine
Aufgabe erfüllt und wird abgeschafft. Es war ja nie durch eine
menschenfreundliche Einstellung der Unternehmer zustande gekommen, sondern
wurde in langjährigen Kämpfen durchgesetzt, begünstigt durch die
Blockkonfrontation nach dem 2ten Weltkrieg bis 1989.
Finanzielle Aufwendungen für
unser Leben werden immer ausschließlicher als lästige Unkosten, die dem Profitstreben
im Wege stehen, zusammengestrichen. [1] [2]
(I.2) Globalisierung des Kapitalismus
Bei der Globalisierung
des Kapitalismus geht es um Verbesserung der Verwertungs- und Profitbedingungen
für Konzerne und Banken weltweit, um neue Märkte, um die “freie” Bewegung von
Waren, Kapital und Lohnarbeit (Internationalisierung der Arbeitsteilung). Die
Welt soll zu einem einzigen Markt vereinigt werden. (Aber siehe dagegen die
Konkurrenz zwischen USA; Europa, China, Korea, Japan.)
Es ist nichts als Ideologie,
wenn die Globalisierung als “natürliche” Ausdehnung “freier” Märkte über Ländergrenzen
hinweg gepriesen wird, die allen Beteiligten nur Vorteile bringen soll. Die
Regierungen der mächtigsten Industrienationen schaffen den Konzernen Räume
(über Regulierung durch transnationale Institutionen wie WB, IWF, WTO, OECD,...
und Verträge wie GATS, TRIPS, NAFTA,...), um die Wirtschaft der schwächeren
Länder zu kontrollieren und Rohstoffe und Arbeitskräfte auszubeuten, ohne für
die Folgen aufkommen zu müssen. Das Prinzip des Freihandels gilt nur dann, wenn
der internationale Wettbewerb zu Gunsten von Interessengruppen der reichen
Industriestaaten ausfällt.[3]
Selbst gleiche Bedingungen für Ungleiche führen fast zwangsläufig zu noch
ungleicheren Verhältnissen.
Wenn der IWF
Nationalregierungen berät, verlangt er i.A., die öffentlichen Ausgaben für
Soziales zu senken, den Markt für ausländische Firmen zu öffnen, die
Finanzmärkte zu öffnen, staatliche Unternehmen zu privatisieren.
Die Fusionierung zu globalen,
transnationalen Konzernen hat zu immensen Machtkonzentrationen geführt.
Konzerne agieren global und können auf nationaler Ebene immer weniger
beeinflußt/kontrolliert werden. Sie treten den Regierungen verstärkt als
GeschäftspartnerInnen gegenüber. Im Rahmen ihrer privat und hierarchisch
organisierten, global operierenden Machtstrukturen sind sie es, die weitgehend
den Raum vorgeben, in dem Politik noch gestalten kann. Dadurch werden weite
gesellschaftliche Bereiche jeder Möglichkeit von demokratischer Gestaltung und
Kontrolle entzogen. Ein aktuelles Beispiel sind die Fusionen auf dem
liberalisierten (europäischen) Energiemarkt.[4]
Angestrebt wird die völlige
Freizügigkeit für und die Aufgabe nationaler Kontrolle über das Kapital.
Manche Unternehmen verfügen über
ein größeres Budgets als das vieler Staaten. Zu den 100 größten Wirtschaftsmächten
gehörten 1999 49 Staaten und 51 Konzerne (Schwarzbuch Markenfirmen, Klaus
Werner, Hans Weiss, 2001, S. 42).
Im Zuge der Globalisierung
werden für bestimmte Regionen zwar die geographischen, materiellen, sichtbaren Grenzen
zunehmend aufgehoben – für den Kapitalfluß, für die, die an dem großen Geschäft
beteiligt sind, aber nicht für die, die Opfer dieser Entwicklung sind und die
versuchen, um zu überleben, sich von dem Kuchen etwas abzuschneiden -, aber es
wird ein neues, unsichtbares, weltweites, komplexes Netz von Grenzen aus Kontroll-
und Repressionsstrukturen aufgebaut.
Die repressiven Sicherheitsapparate (Polizei, militärische Eingreiftruppen, private Wachdienste, neue Gesetze, Videoüberwachung, Chip-Karte, gläserner Mensch, Erfassung biometrischer Daten, ...) werden ausgebaut, um das "Konfliktpotential" (z.B. die Pauperisierten, die MigrantInnen, die außerparlamentarische Opposition) zu kontrollieren, zu unterdrücken, zu verwalten, durchaus auch im Vorgriff – als präventive Herrschaftssicherung –auf die zu erwartenden Krisenentwicklungen.
Mit anderen Worten: Im Rahmen
von Herrschaftssicherung wird versucht, durch repressive Maßnahmen Erscheinungsbilder
(wie Armut und Unterdrückung) auf der Oberfläche zu moderieren, um auch so von
den eigentlichen Ursachen abzulenken.
(I.3) der Staat und der Krieg
Das Verhältnis/die
Aufgabenstellung zwischen Staat und Kapital werden neu bestimmt.
Der Staat gibt den selbst
erklärten Anspruch auf soziale Verantwortung (Solidarprinzip!) weitgehend auf,
ausschließlich der Markt (Gewinnprinzip!) soll das gesellschaftliche Leben
regeln. Unabhängig davon, wieweit der Staat diesem Anspruch je praktisch
gerecht wurde oder dieser Anspruch oft nur Strategie war, um die gesellschaftlichen
Widersprüche zu glätten, lassen sich Forderungen nach sozialen Veränderungen
immer weniger an die Adresse des Staates richten.
Die staatliche Kontrolle und
Regulierung im ökonomischen und sozialen Bereich wird weitgehend durch die
"Selbstorganisierung" des Systems Markt und durch die
Selbstverpflichtung der Konzerne[5]
und durch die Verantwortlichkeit der Individuen für das eigene
"Schicksal" abgelöst (s. später).
Die Aufgaben des Staates
verlagern sich verstärkt auf die Aufrechterhaltung des Rechtssystems, auf die
Wahrung der “Inneren und Äußeren Sicherheit” und des Besitzstandes des
Kapitals. D.h. Sicherheitspolitik bedeutet nicht nur Sicherheit gegenüber einem
äußeren oder inneren „Feind“, sondern Ausbau von Überwachungs-, Steuerungs-,
Ordnungs- und UnterdrückungsStrukturen zur Sicherung der Produktions- und
Verwertungsbedingungen, der Absatzmärkte, des Zugriffs zu den Rohstoffen, des
Kapitals/der Kapitalströme. Und, es geht auch um die "Sicherheit" vor
unkontrolliertem Zuzug von MigrantInnen.
Die Globalisierung des
Kapitalismus und die Verteidigung des Nationalstaates stehen dabei durchaus oft
in einem widersprüchlichen/konkurrierenden Spannungsverhältnis.
Die deutsche Wirtschaft ist
hochgradig in den Weltmarkt integriert. So ist es Ziel von Politik, das Land im
internationalen Standortwettbewerb fit für die Globalisierung zu machen.
Es geht um den
"Standort" und um die "Neue Weltordnung" und besonders auch
um Krieg als ein Projekt zur Durchsetzung dieser "Neuen Weltordnung“.
Krieg wird als legitimes Mittel der Politik immer offener gehandelt.[6]
Zur Zeit wird zwar noch über
die Ideologisierung von Krieg als "Verteidigung der Freiheit und Menschenrechte",
als "Frieden schaffende Einsätze", als "Kampf gegen den
Terrorismus" versucht, dafür Konsens zu schaffen. Aber in Wirklichkeit
geht es um die Durchsetzung ökonomischer (Märkte und Rohstoffe) und politischer
Herrschaftsinteressen, um die Sicherung von Macht- und Einflusssphären. Und
dies wird auch - und zwar nicht nur von den politisch Mächtigen - von immer
mehr Menschen ganz ungeschminkt als unausweichlich, als ultimative Vernunft
akzeptiert und offen vertreten. Die weltweite Ausbeutung und ihre militärische
Absicherung sind zwei Seiten einer Medaille.
Auch "Deutschland"
ist wieder wer in dieser Welt und mischt in vorderster Linie - auch militärisch
- kräftig mit.
Die USA forcieren ihre Rolle
als alleinige Supermacht und fordern die Kontrolle über die Welt neu ein (Recht
auf Besitz von Massenvernichtungswaffen, Recht auf ungestörten Zugang zu
Rohstoffquellen in aller Welt, Recht auf Präventivkrieg zur Sicherung der
nationalen Interessen, kulturelle Definitionsmacht,....).
Es geht um Hegemonie, um
geostrategische und wirtschaftliche Interessen. Es geht um die Verteidigung des
Dollars als weltweite Leitwährung - auch gegen die aufstrebende Konkurrenz des
Euro.
Und der christliche
Fundamentalismus Bush`s ist nicht Ursache für diesen Krieg, sondern Mittel, um
für ihn weitgehensten Konsens in der Bevölkerung zu schaffen.
Wer den größten Colt hat und
ihn am schnellsten ziehen kann, der nimmt auch für sich die Definitionsmacht
über Begriffe wie „freedom“ und „democracy“ in Anspruch und behauptet das
„Recht“ auf seiner Seite.
Die BRD erhebt eigene
hegemoniale Ansprüche, durchaus auch im Widerspruch zu den USA.
Die BRD gehört neben
Frankreich und Rußland zu den größten Handelspartnern für den Irak. Außerdem
ist die BRD führender Handelspartner für den Iran. Es ist also offensichtlich,
daß die BRD kein Interesse an einen US-kontollierten Irak hat.
Im Streit um den Irak-Krieg -
um den Einsatz von militärischen oder nichtmilitärischen Mitteln - geht es
nicht um unterschiedliche moralische Sichtweisen, sondern um unterschiedliche
Interessen und Strategien als Ausdruck derselben imperialen Neuordnung. [7]
Und unser Nein zum Krieg
gegen den Irak heißt deshalb auf keinen Fall ein Ja zu den deutsch-nationalen
Interessen.
Die BRD-hatte schon 1992 in
den Verteidigungspolitischen Richtlinien[8]
die »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu
Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung
(8(8))« als »vitales Sicherheitsinteresse« formuliert, das auch gegebenenfalls
militärisch durchgesetzt werden müsse.
Kanzler Schröder:
»Deutschland stellt heute nach den Vereinigten Staaten von Amerika das
zweitgrößte Truppenkontingent in internationalen Einsätzen zur Sicherung und
Wahrung des Friedens.« (in der Regierungserklärung vom 13.02.03).
Und weiter: »Es gibt nicht zu
viel Amerika, es gibt zu wenig Europa, lautet seine These. Wer für sich in Anspruch
nehme, Nein zu sagen wie im Fall Irak, der müsse sich in die Lage versetzen,
etwas aus eigener Kraft zu leisten.« (Die Welt, 28.03.03, "Friedenskanzler
will sich bewaffnen")
Und Außenminister Fischer:
»Wir müssen unsere militärische Kraft verstärken, um als Machtfaktor ernst genommen
zu werden und die weltpolitische Bühne nicht allein den Amerikanern zu
überlassen.« (Die Welt, 28.03.03, "Bundeswehr als Machtfaktor")
Die beiden Angriffskriege
1999 gegen Jugoslawien und 2001 gegen Afghanistan sind ja schon ein deutlicher
Hinweis darauf, was Rot/Grün mit "Friedenspolitik" meint.
»Verteidigungsminister Peter
Struck hat gestern (21.02.03) neue Maßnahmen verkündet, mit deren Hilfe die
Bundeswehr noch stärker als bisher von einer Verteidigungsarmee zu einer
Interventionsarmee umgebaut werden soll. Er erwarte, dass in den kommenden
Jahren der Schwerpunkt der Aufgaben "im multinationalen Einsatz und
jenseits unserer Grenzen" liegen werde, erklärte Struck. Die
Landesverteidigung habe "nicht mehr erste Priorität". ...
Die Unstrukturierungen
sollten gewährleisten, so Struck, "dass die Bundeswehr leistungsfähig und
damit Deutschland auch außenpolitisch handlungsfähig bleibt".« (Bettina
Gaus, TAZ, 22.02.03, "Fit für Einsätze in aller Welt".)
»
... Im Dezember letzten Jahres äußerte sich Struck deutlich: Der Schwerpunkt
der Verteidigung Deutschlands liege künftig nicht mehr in der klassischen
Landesverteidigung, sondern "weit vor unseren Grenzen". Es sei an der
Zeit, den geänderten Bedingungen Rechnung zu tragen: "Die Sicherheit der
Bundesrepublik wird auch am Hindukusch verteidigt". (Struck, FR 6.12.02)
...
Die
eifrigen Verfechter einer „friedlichen Lösung“ in Sachen Irak haben sich mit
diesen Aussagen klar positioniert: Während sie einerseits gegen den jetzigen
Krieg gegen den Irak sind, bereiten sie gleichzeitig eine EU-Interventionsarmee
vor und stimmen das „Volk“ schon einmal auf die Verteidigung deutscher
Interessen in aller Welt ein. Unter Rot-Grün wurde geschaffen, wovon die
Vorgängerregierung nur hätte träumen können: Zehntausend deutsche Soldaten im
Einsatz, in Somalia, Djibouti, Kenia, Kuwait, Ex-Jugowlawien, Afghanistan und
Usbekistan. Was interessiert sie schon das Grundgesetz, welches vorsah,
lediglich eine Armee zur Verteidigung aufzubauen, wenn es darum geht, die
wirtschaftlichen und politischen Interessen des wiedererstarkten Deutschlands
nun auch militärisch weltweit abzusichern! ...
Die
Doppelbödigkeit deutscher Politik zeigt sich noch an einem anderen Punkt: Ist
doch der Umgang mit den Ärmsten der Armen, den Verlierern der Globalisierung,
den Flüchtlingen auf der Welt ein Prüfstein dafür, wie ernst es jeder Regierung
in Sachen Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden ist. ...« [9]
(I.4) Menschenbild, Kommunikation, Ethik
ökonomische Rationalität, Nützlichkeit und Subjektivierung
des Menschen
»An die Stelle der das
gesellschaftliche Leben dominierenden Staatlichkeit treten die Marktstrategien
internationaler Konzerne, die die Bewußtseinsindustrie (Einschaltquoten,
Auflagen) beherrschen und das Lebensgefühl der nachwachsenden Generationen auf
den ungehinderten Konsum ausrichten.«
Die Begriffe von
“Demokratie”, “Menschenrecht” und "Menschenwürde" und das
Menschenbild, das dahinter steckt, verändern sich und passen sich den aktuellen
herrschenden Verhältnissen an, definieren sich verstärkt über Nützlichkeit,
Besitz, Macht.
Es geht also hierbei auch um
kulturelle, moralische Hegemonie als Voraussetzung für die neue
gesellschaftliche Formierung.
Das Prinzip der
ökonomischen Rationalität, der ökonomischen Nützlichkeit verdrängt das
Prinzip der sozialen Verantwortung/der Solidarität. Nicht, daß dieses Prinzip
nicht schon immer im Vordergrund der herrschenden Verhältnisse stand, aber die
Schonungslosigkeit und Offenheit, mit der es jetzt durchgesetzt wird, und der
Konsens, mit dem es getragen wird, haben sich geändert. Die
privatwirtschaftlich organisierte “Freiheit” ist die “Freiheit” des privaten
“Glücks” und des Konsums für die, die sich durchsetzen wollen und können.
Utilitaristisch-ökonomisches Denken - und damit auch der LebenswertDiskurs -
tritt in den Vordergrund. Wer keine Leistung bringt, wird aussortiert.
Der Mensch, bisher Objekt
in der entfremdeten Gesellschaft, soll jetzt zum Subjekt werden, das die
Marktprinzipien als Grundlagen seines Handelns verinnerlicht hat. Jeder Mensch
sein eigenes Unternehmen ("Ich-AG", Humankapital: Körper,
Fähigkeiten, Motivation, Organe) und somit alleinverantwortlich für sein
„Schicksal“: jeder Mensch muß sein Leben in die eigene Hand nehmen, ist seines
Glückes Schmied, ist an seinem Erfolg, Scheitern, Unglück selbst schuld –
„selbstbestimmt“, „selbstorganisiert“, „selbstverantwortlich“ im Kampf jeder
gegen jeden!. Wer scheitert soll sich eher als ein Looser wahrnehmen, der seine
soziale Situation selbst verschuldet hat, als einer, der seine soziale Stellung
als Produkt einer Klassengesellschaft versteht. [10]
[11]
»Der "Arbeitsunwillige", der Raucher, der Übergewichtige (und viele mehr), oder auch die Frau, die sich gegen pränatale Diagnostik entscheidet und möglicherweise ein nicht normgerechtes Kind zur Welt bringt, sie alle werden tendenziell zu Präventionsverweigerern/zu Tätern, die ihre unnötigen, weil vermeidbaren „Schäden“ selbst verursacht haben, und damit schließlich zu (Sozial-)Versicherungsbetrügern, die den „anständigen“ BürgerInnen nur auf der Tasche liegen. Die "Rede vom sozialen Netz als soziale Hängematte im Freizeitpark Deutschland" macht tendenziell alle "Netto-Empfänger" der Sozialversicherung verdächtig. Nur die propagierte versicherungmathematische Rationalität - so die implizierte Botschaft - kann dieser (betrügerischen) "Vollkasko-Mentalität" ein Ende setzen, weil sie alle Risikounterschiede der Person berücksichtigt.« (nach Henning Schmidt-Semisch, S. 178) 14
biologischer Reduktionismus und Objektivierung des
Körpers
BioTechnologie,
GenTechnologie, ReproduktionsTechnologie sind auch als Technologien zu sehen,
die das Individuum für diese Gesellschaft konditionieren, biologisch wie auch
politisch und ideologisch.
So ist z.B. die Sichtweise,
Frauen als Gebärmaschine zu betrachten, nicht nur eine technische Frage der
Reproduktionstechnologie, sondern besonders auch eine Frage des Menschenbildes,
das dahinter steckt - das auch, wenn suggeriert/erwartet wird, mit Hilfe von
"genetic enhancement engineering" (genetische VerbesserungsTechnik)
die genetische "Verbesserung" des Menschen und mittels selektiver
Eingriffe eine Gesellschaft ohne "Krankheit" und
"Behinderung" herbeizuführen. Die eugenische Faszination vom
"neuen", "perfekten" Menschen verbaut leicht die
Möglichkeit zu kritischem Hinterfragen. So werden diese Technologien kaum von
außen durchgesetzt/verordnet, sondern werden über den gesellschaftlichen
Konsens im Namen von "Selbstbestimmung" und
"Entscheidungsfreiheit" angenommen.[12]
Die moderne Genetik - als
Technik und Ideologie - stellt die ultimative Ausweitung der Macht über den Lebensprozess
dar.
·
Reproduktionstechnologie:
Normierung, Selektion,
Industrialisierung der Menschenproduktion, kapitalistische Verwertung alles Lebendigen
und sexuelle Objektivierung (Frauen als Gebärmaschine, Frauenleib als
öffentlicher Ort, Körpervorgänge orientiert an den ökonomischen Prinzipien
eines Produktionsapparates):
» Wir sehen heute noch deutlicher die diesen Technologien innewohnenden
politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen:
- eine umfassende Beherrschung von Frauen, nicht nur in unseren reproduktiven
Fähigkeiten, sondern an
unserem gesamten Leben,
- die Erschließung, Aneignung, Verwertung und Vermarktung alles Lebendigen,
- die Zurichtung von Leben, auch von menschlichen Leben, nach Interessen und
Kriterien der industriellen
Produktion,
- die Vernichtung nicht angepassten, nicht profitablen Lebens,
- die Erfassung und Kontrolle von sozialem Leben,
- der Versuch, mit einer neuen Form des Krisenmanagements, ökologische und
soziale Fragen handhabbar
zu machen. « [13]
·
"genetische
Veranlagung "und soziales Verhalten/soziale Stellung
» Durch die anvisierte vollständige
Entschlüsselung des menschlichen Genoms soll es nach den Vorstellungen einiger
ihrer Vertreter sogar möglich sein, die Humangenetik als Erklärungsmodell für
jede denkbare Form individueller und kollektiver Variabilität zu etablieren. In
dieser "radikalen" Perspektive beschränkt sich die Suche nicht auf
die mutmaßlichen genetischen Grundlagen für erbliche Krankheiten, sondern es rücken
auch mögliche molekularbiologische Bedingungen von sozialen
Verhaltensauffälligkeiten wie Arbeitslosigkeit, Alkoholismus oder
Obdachlosigkeit in den Blickpunkt des gendiagnostischen Interesses. (Thomas
Lemke, S. 232) « 14
Statt die Bedingungen z.B. am Arbeitsplatz zu verändern, die
"Krankheiten" verursachen können, wird nach genetischen Dispositionen
als Ursache für diese "Krankheiten" gesucht. ArbeiterInnen mit
solchen Dispositionen wird empfohlen, sich Beschäftigungen zu suchen, die für
sie keine Gefahr bedeuten und den Betrieb nicht belasten.
Die Vorstellungen von Determiniertheit durch genetische Anlagen führt schnell
zu (Selbst-) Objektivierung, dazu, den Menschen als ein sich selbststeuerndes
System, als eine Machine, einen Cyborg zu betrachten.
Dies steht durchaus im Widerspruch dazu, den Menschen für bestimmte
"Krankheiten"/Verhaltensweisen selbst verantwortlich zu machen und
ihn als Präventionsverweigerer zu behandeln (s. oben). Aber was soll`s? Solange
widersprüchliche Ideologien den gleichen Zielen dienen, wird das akzeptiert.
·
"genetische
Veranlagung" und soziale Verantwortung/Machtverhältnisse
» Wenn soziale Probleme ihre Ursache
in der individuellen Biologie haben und diese tendenziell auf genetische
Faktoren zu reduzieren ist, werden Staat und Gesellschaft aus ihrer
Verantwortung für die sozialen Bedingungen entlassen, in denen diese Probleme
entstehen. Der genetische Reduktionismus funktioniert also im Rahmen der
neoliberalen Rationalität zunächst als ein Instrument im Kampf gegen
wohlfahrtsstaatliche Programme (etwa zur Bekämpfung der Armut und
Arbeitslosigkeit, der Rehabilitation von Straftätern etc.), die in dem Maße
irrelevant werden, wie soziale Probleme auf Funktionsstörungen im individuellen
genetischen Programm zurückgeführt werden. ((Nelkin/Lindee 1995, S.
127-148) S 239)...
Wenn die Gene unser Schicksal sind, dann
hat unsere soziale Position weniger mit Herrschaft oder Ausbeutung zu tun als
mit biologischen Differenzen. Der Rekurs auf die Macht der Gene erübrigt die
Frage nach sozialen Machtverhältnissen. (S. 243, Thomas Lemke) « [14]
Beziehungen zwischen den
Menschen werden durch vertragsmäßige (Waren-)Verhältnisse ersetzt.
Was zählt, ist
Effizienz-Denken, das Prinzip des individuellen Überlebens und des privaten
Vorteils.
Das ganze Leben/der Alltag
verläuft verstärkt ökonomisiert, wird dem Markt, dem betriebswirtschaftlichen
Denken unterworfen. Gesellschaftliche Flexibilisierung und Entwurzelung,
Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen und
Marginalisierung, wachsende
gesellschaftliche Ungleichheit und soziale Polarisierung kennzeichnen die
Gesellschaft. Das führt zu Vereinzelung und Entsolidarisierung und zu
verschärfter Konkurrenz zwischen den Menschen.
Die Schere zwischen arm und
reich, zwischen den "winnern" und "loosern" - dem
"gesellschaftlichen Müll" - wird größer. Und damit auch die Angst, zu
den VerliererInnen zu gehören. Angst ist widerum auch eine Grundlage für
nationale und rassistische Formierung.
An die Stelle der Forderung
nach Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit aller Menschen, tritt die
Selektion in nützlich und unnütz und wird verstärkt als "natürliche
Auslese" akzeptiert.
Als "nützlich" wird
das verstanden, was sich ökonomisch rentiert. Der Begriff des Sozialen ohne
ökonomischen Wert verschwindet. Begriffe wie "Solidarität",
“Autonomie (Selbstbestimmung/Kollektivität)", "Herrschafts
freiheit", "Gleichheit", "Demokratie",
"Konsens", "Verantwortung", "Kommunikation" als
soziale Kategorien wirken in dieser Gesellschaft antiquiert und fremd,
geraten in Vergessenheit, tauchen dann einfach nicht mehr auf, oder werden als
weltfremde, utopistische Träumereien, als Sozialromantik und als
geschäftsschädigend abgetan.
"Freiheit" und
"Autonomie" meinen jetzt, individuelle Fähigkeit und Bereitschaft zur
Eigeninitiative und Selbstorganisation, um sich den gesellschaftlichen
Bedingungen optimal anpassen zu können. Das bedeutet auch hochgradig flexibel
und mobil (z.B. „atmende Arbeitszeiten“) zu sein und bereit zu sein,
gesellschaftliche Risiken privat abzusichern (Arbeitslosen-, Kranken-, RentenVersicherung,
Altenvorsorge usw.) und bedingungslose Bereitschaft zur Selbstausbeutung.
Die Alten, Menschen, die
nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, die "Schwachen" – die
„unnötigen Esser“ - haben in dieser Gesellschaft keinen Platz mehr – es sei
denn, sie haben ausreichend finanziellen Hintergrund.
Aus diesem Geist heraus
werden neue gesellschaftliche Normierungs-, Steuerungs- und
Selektionsprinzipien ("Neue Eugenik", "Positive Eugenik",
"Neue Euthanasie", "Bioethik", Gen- und
ReproduktionsTechnologie, "sozialverträgliches Ableben", usw.)
entwickelt, verinnerlicht/konsensfähig und durchgesetzt:
- Bayerns Innenminister
Günter Beckstein: »Wir müssen darauf achten, daß weniger Ausländer kommen, die
uns ausnützen, sondern mehr, die uns nützen.«
- Bayerns Ministerpräsident
und Vorsitzender der CSU, Edmund Stoiber, auf dem Franz-Josef-Strauß-Symposium
1999: »Unsere Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit dürfen aber nicht
verwechselt werden mit Gleichmacherei und bloßer Umverteilung. Nur der Starke
kann dem Schwachen helfen. Wir müssen daher die Starken fördern, um den Schwachen
helfen zu können. Nur wenn wir den internationalen Wettbewerb bestehen und uns
durch Spitzenleistungen ein überdurchschnittliches Einkommen verdienen, können
wir für die Schwachen in solidarischer Verantwortung einstehen. Sozial ist der,
der auf Wachstum setzt.«
Aber was spricht eigentlich gegen diese Entwicklung?
Trägt sie nicht dazu bei, das "Gesamtglück"
der Gesellschaft zu optimieren?
» ließe sich das
Rentenproblem nicht leicht lösen, wenn einerseits das Renteneintrittsalter
hochgesetzt wird (vielleicht auf 90 Jahre!) und andererseits die medizinische
Versorgung für die eingestellt wird, für die es sich nicht mehr
"lohnt" und die das nicht privat bezahlen können? Das wäre doch auf
jeden Fall auch solidarisch der jüngeren Generation gegenüber?!«
» Weshalb sollte ich einen
Menschen, der am Ertrinken ist, retten, wenn mir dadurch keine Vorteile,
sondern nur Unannehmlichkeiten erwachsen?! «
» Haben Sie schon einmal
daran gedacht, Ihren Opa oder Ihre Oma zu ermutigen, sich sozialhygienisch und
ökologisch entsorgen zu lassen? - natürlich gewaltfrei und in schönem
Ambiente?! «[15]
(I.5) zur Ideologie von Zwangsläufigkeit und
Unausweichlichkeit
und zur Anonymisierung von Macht
Diese Entwicklung soll Zwangsläufigkeit,
Unausweichlichkeit und damit Unanfechtbarkeit suggerieren.
Soll suggerieren, es gäbe keine Alternative zur "Neuen Weltordnung",
soll suggerieren, gesellschaftliche Realität und Entwicklung sei keine Frage
von bewußtem politischem Handeln und gesellschaftlicher Utopie, sondern eine
Frage “objektiver” Prozesse und Wechselwirkungen in einem vom menschlichen
Handeln und Denken unabhängigen Gesamtsystem. Nicht der Mensch handelt,
sondern das System handelt (Selbstorganisation des Systems
"Gesellschaft", Verschwinden des Politischen, Allparteienkoalition).
Ein System, in dem die Marktprinzipien - die Ideologie des "freien Spiels
der Wechselkräfte" - als "Naturgesetze" interpretiert wird und
so versucht wird, sich jeder ethischen und politischen Kritik zu entziehen.
"Entweder wir
modernisieren, und zwar als soziale Marktwirtschaft, oder wir werden
modernisiert, und zwar von den ungebremsten Kräften des Marktes, die das
Soziale beiseite drängen würden" (Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner
Regierungserklärung zur Agenda 2010, vor dem Deutschen Bundestag am 14. März
2003).
Gesellschaftliches
“Wohlergehen” hängt demnach ausschließlich von der Qualität der
WissenschaftlerInnen, TechnikerInnen, ManagerInnen und anderer ExpertInnen ab,
die dies erkennen und gesellschaftliches Handeln in Einklang mit diesen
“objektiven” Gesetzmäßigkeiten (Begriff:“Natur”, “Wirklichkeit”, “Vernunft”)
stellen. Macht und die Strukturen der Macht werden so weitgehend anonym,
wertfrei und schwer begreifbar und angreifbar.
Was der/dem Einzelnen dann
scheinbar noch übrigbleibt ist, zu versuchen, sich in den bestehenden Verhältnissen
optimal einzurichten, für sich das beste aus der Situation zu machen. Eine
pragmatische Einstellung zu den herrschenden Verhältnissen zu entwickeln, sie
als objektiv/schicksalhaft und damit unveränderbar zu akzeptieren.
Dieses Menschenbild drückt
sich auch in soziologischen, systemtheoretischen, biologischen Theorien
(Selbstorganisation, “Rationale Egoisten”, “Fraktale Fabrik”[16],
“Ist der freie Wille eine Illusion?!”, Gesellschaft als thermodynamisches
System, usw.) zur Modellierung gesellschaftlichen Handelns aus.
Z.B. beschreibt das
soziologische/moralphilosophische Modell der "Rationalen Egoisten"[17]
(ein neuer Begriff spricht von "sozial orientiertem Egoismus“!), nachdem
der Überlegene den Schwächeren "frißt", soweit er nicht aus
Kooperation Vorteile ziehen kann oder darauf angewiesen ist, diese Gesellschaft
immer besser. Hier stellt sich uns die Frage, wie eine Gesellschaft aussieht
und wie sie sich dahin entwickelt hat, daß sie durch solche Modelle scheinbar
immer besser zu beschreiben und auch zu steuern ist.
Vielen Menschen fehlt die
Erfahrung, daß diese Verhältnisse angreifbar und veränderbar sind - auch
grundsätzlich, über die individuellen, alltäglichen Interessen hinaus - und
damit die Hoffnung/der Mut/die Freude sich auf den Weg zu machen und das
Schicksal kollektiv in die eigene Hand zu nehmen. [18]
(II.) zur Utopie von Solidarität, Kommunikation und
Befreiung
(II.1) wenn
ich mich über Utopien auseinandersetze, so komme ich an drei Fragen nicht
vorbei:
erste Frage: Was sind die Grundlagen der
herrschenden Verhältnisse?
Nach wie vor läßt sich der Kapitalismus identifizieren über das private Eigentum an Produktionsmitteln, über Warenproduktion, Privatisierung des Profits, Lohnarbeit, über die inhärente Notwendigkeit zur Steigerung der Produktivkräfte, zum Wachstum und zur Expansion, über Konkurrenz, Ausbeutung, Leistung und Nützlichkeit. Ausdruck davon ist die zunehmende Liberalisierung aller Lebensbereiche: des Ökonomischen, des Politischen, des Sozialen und auch des Privaten und die GlobalisierungsBestrebungen.
Der Kapitalismus hat spezielle Herrschafts- und GewaltFormen wie Nationalismus, Rassismus, Patriarchat, Sexismus stets auf sich neu zugeschnitten und für sich dienstbar gemacht.
Aufgabe des Staates ist es, die Bedingungen für diese Verhältnisse zu schaffen und zu sichern.
Auch im sozialen Bereich verdrängt das Prinzip der ökonomischen Rationalität das Prinzip der gesellschaftlichen Solidarität. Alle Lebensäußerungen sollen zur Ware gemacht werden.
»Die Macht des Kapitals liegt in seiner Struktur, in den inneren Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Akkumulations- und VerwertungsProzesses - also übersetzt auf die heutigen Verhältnisse: die Macht liegt im (vom Kapital organisierten) Weltmarkt selbst. ...
Zwar lassen sich sehr wohl Verantwortliche und Mächtige lokalisieren. Doch die spannende Frage ist, wie autonom sind diese "Herrn der Welt" in ihrem Handeln, wie gefangen sind sie im Netz der Konkurrenz, des Weltmakts - oder klassisch mit Marx gefragt: inwieweit sind sie nur "Charaktermasken" einer von ihnen sich unabhängig vollziehenden Gesetzmäßigkeit des kapitalistischen Verwertungs- und AkkumulationsProzesses? ...
Die Macht des Weltmarkts und der Global Player beruht auf dem ungleichen Tausch, der neokolonialen Ausbeutung des Trikont, der ausschließlichen Marktbeherrschung durch die produktivsten Volkswirtschaften und Konzerne. Der Weltmarkt reguliert die Migrationsströme, der Weltmarkt entscheidet heute über Armut und Reichtum, über Hunger und Überfluß. Ich glaube, diese Macht wird nur schwer wieder regulierbar, eingrenzbar sein - der heutige Weltmarkt und die Macht des Kapitals sind nicht reformierbar.«[19] Was aber auch auf keinen Fall heißen soll, die Global Player und Nutznießer dieser Weltordnung als Opfer zu betrachten und sie aus ihrer individuellen Verantwortung zu entlassen.
Die Öffnung für eine Auseinandersetzung in Richtung einer humanen Gesellschaft - solidarisch und herrschaftsfrei - werden wir nicht erreichen, wenn wir ausschließlich darum kämpfen, die allerschlimmsten Auswüchse zu begrenzen, sondern nur, wenn wir auch die Grundlagen dieser Verhältnisse angreifen.
Und "kämpfen" und "angreifen"
wird sich nicht beschränken lassen auf "Vernunft", Analyse,
Aufklärung und Überzeugung, sondern wird immer auch eine Frage der Gegenmacht
sein. Es geht also dabei auch um einen eigenen Begriff von Recht und
Legitimität, von Gewalt und Widerstand.
zweite Frage: Welche Bedeutung haben
Wissenschaft und Technik in diesen Verhältnissen?
Nicht die Sorge um das Wohl
der Menschen ist treibendes Moment der Forschung, sondern die Verwertbarkeit
der Ergebnisse für Macht und Profit.
Neue Technologien, als
Grundlage der Entwicklung der Produktivkräfte, werden in der herrschenden Ideologie
prinzipiell als Motor für Emanzipation (wovon? wohin?) der Gesellschaft dargestellt
und damit positiv begrüßt.
Aber sogenannte
wissenschaftliche/technische "Fortschritte" - das Machbare - und
deren Verwertung sind nicht per se gut, nützlich und emanzipatorisch für Mensch
und Umwelt.
»Sehr bald wurden wir mit dem
Widerspruch konfrontiert, daß unsere Arbeit nicht nur der Kritik der Verhältnisse
dient, die Ursache z.B. für die Umweltvergiftung sind, sondern auch dazu
beiträgt, genau diese Verhältnisse zu reformieren, zu stabilisieren, zu
modenisieren.
Denn ökologisches Denken -
will es die Probleme an der Wurzel fassen und sie nicht nur auf der Oberfläche
moderieren - kann nicht stehen bleiben bei Schadensbegrenzung oder bei der
bloßen - wenn auch kritischen - Durchleuchtung von Verwertung
wissenschaftlicher, technologischer, telekratischer Ergebnisse und Strukturen.
Diesem Anspruch - in die
Tiefe gehen, die Dialektik begreifen und nicht nur an Phänomenen rumhandwerkeln
- zu genügen, erfordert nachfragen nach dem Wissenschaftsbegriff, Menschenbild
und Weltbild, die dahinter stecken, und dieses Nachfragen in den Rahmen einer
Auseinandersetzung, um eine eigene gesellschaftliche Perspektive/Utopie zu
stellen.
Politische und soziale
Herrschaftsverhältnisse (wie sie sich z.B. im Patriarchat, in
Geschlechterkategorisierung zeigen) hängen in ihrer historischen Entwicklung
eng mit dem Naturbegriff (z.B. Frau als Natur, Mann als ”Geist”, der die
”Natur” erobert, kontrolliert, beherrscht, der gesellschaftlichen Nutzung
gefügig macht; ein Leben im Einklang mit der ”Natur” zu führen), dem Verhältnis
zur Umwelt (”Natur” als allzeit und unbegrenzt verfügbare Ressource, ”Natur”
als Ware) zusammen.
In diesem Sinne ist eine
radikal ökologische Sichtweise nicht zu trennen von der Kritik an den
bestehenden herrschenden politischen und sozialen Verhältnissen und, um es noch
einmal mit anderen Worten zu sagen: es geht hierbei nicht nur um die Kritik an
"Willkür" und "Mißbrauch" oder ”Auswuchs”, sondern um die
Kritik an einer Gesellschaft, in der weitgehend nicht der Mensch im Mittelpunkt
steht, sondern die ökonomische Rationalität; in der oft gerade das, was von
manchen allzugerne als "Willkür", "Mißbrauch" oder
”Auswuchs” behandelt wird, konsequenter Ausdruck genau dieser Verhältnisse ist.
Den politischen, sozialen
Charakter der Maschine, der Technologie (auch z.B. der Reproduktions- oder GenTechnologie),
der telekratischen Struktur, des wissenschaftlichen Denkens, der Erkenntnis,
der Produktionsweise zu erkennen und in ein dialektisches Verhältnis zu deren
Verwertung zu stellen, kann u.a. ein Hebel sein für die Auseinandersetzung um
eine humane Gesellschaft, eine Gesellschaft, in der wir - und immer wieder neu
- uns einen Begriff von Herrschaftsfreiheit, Solidarität, Kommunikation und
Würde entwickeln und aneignen.«[20]
Wir müssen der Forschung und
vor allem auch den mit den Forschungsergebnissen arbeitenden ökonomischen
Bereichen, der Verwertung wissenschaftlicher Ergebnisse, Bedingungen und
Grenzen setzen.
Das gilt für die militärische
und zivile Nutzung der Atomenergie ebenso wie auch z.B. für die Bio-, Gen-, Reproduktions-
und NanoTechnologie. 12
Zu beurteilen, woran zu
forschen, wie zu verwerten, was gut , nützlich und emanzipatorisch für Mensch
und Umwelt ist, ist keine Frage einer "objektiven Wahrheit", sondern
letztendlich eine der gesellschaftlichen Utopie.[21]
"Natur",
"Wirklichkeit", "Vernunft", "Wahrheit",
"Erkenntnis", "Fortschritt" sind geistige Konstrukte,
geprägt durch die gesellschaftlichen Verhältnisse (z.B. Geschichte, Kultur,
Machtverhältnisse). Sie suggerieren, daß die herrschenden Gedanken nicht
weitgehend die Gedanken der herrschenden Verhältnisse sind, sondern eine von
diesen losgelöste und neutrale, unschuldige, ja sogar
befreiende/emanzipatorische Bedeutung haben. Diese scheinbare Objektivität
wissenschaftlicher Begrifflichkeit und Aussage und der weitverbreitete Glaube
daran, der Glaube, daß gesellschaftliche Fragen wissenschaftlich wertfrei
gelöst werden können (Wissenschaftsgläubigkeit!), begründet ihren Herrschaftscharakter
und auch das hohe gesellschaftliche Ansehen, die Autorität der ExpertInnen.
Und das meine ich auch, wenn
ich dafür plädiere, unseren Kampf nicht nur gegen eine "Maschine" zu
richten, sondern uns für eine Gesellschaft einzusetzen, in der diese "Maschine",
diese menschenfeindliche Technologie keinen Platz hat.
dritte Frage: Welche Lehren/Konsequenzen ziehe ich aus dem Holocaust?
Vielleicht wird es manchEn verwundern, an dieser Stelle mit dieser Frage konfrontriert zu werden. Aber können wir eigentlich weitermachen, und wie können wir von gesellschaftlichen Utopien reden, ohne vor Augen zu haben, wozu Menschen fähig waren und sind?
Da stellen sich viele Fragen, auch für die Gegenwart und für die Zukunft!
-
Ist der Holocaust ein singuläres Ereignis in der Geschichte,
ist eine Wiederholung undenkbar?
(Sicher nicht in denselben Uniformen, derselben Architektur, denselben
Technologien, denselben Begriffen, derselben Ideologie!)
-
Was hat sich seitdem in der Gesellschaft so grundlegend
verändert, so daß wir diese Frage bejahen können? Auch vor dem Hintergrund
einer Generation, die so einmütig angeblich von allem nichts gewußt hat.
Wo und wie haben die Menschen, hat die Gesellschaft sich
"emanzipiert", um eine Wiederholung so selbstverständlich auszuschließen?
-
Wie konnte es möglich sein, daß auch Menschen - und zwar wie
du und ich (!?) -, oder wie die "guten Nachbarn", sich an der
Verfolgung und Ermordung von Menschen, die den Normen der herrschenden
Ideologie nicht entsprachen, beteiligten, und/oder die Entwicklung von
Strukturen, Theorien und Ideologien dazu unterstützten, oder "einfach
nur" wegschauten oder sich fügten (s. Hannah Arendt [22];
M. Broszat [23])?
-
Was muß ich tun, um auszuschließen, daß ich damals, heute und
morgen nicht zu diesen Menschen gehörte/gehöre?
Wie kann ich Einfluss auf eine Gesellschaft nehmen, um eine Wiederholung des
Holocaust auszuschließen?
Dazu zwei Stimmen von vom nationalsozialistischen Terror unmittelbar Betroffener, denen ich mich anschließe, und die ich versuche zum Bestandteil meiner Vorstellung von gesellschaftlicher Utopie zu machen:
-
Felicia Langer [24], eine Rechtsanwältin, die in Israel lebte und mehr
als 20 Jahre PalästinenserInnen juristisch verteidigt hat:
»Meine
Lehre aus dem Holocaust war und ist, angesichts jeglichen Unrechts und
Verbrechens nicht zu schweigen, sondern alle Formen von Rassismus und
Antisemitismus zu bekämpfen und die Würde und Rechte der Menschen, wer auch
immer sie sein mögen, zu verteidigen.«
-
Istvan Eörsi [25], ein ungarischer Schriftsteller, Überlebender des
Budapester Ghettos:
»Welche
moralischen Lehren lassen sich aus dem Holocaust ziehen? Was betrachte ich als
das Erbe des Überlebens? ... Aus dem Holocaust leite ich für mich die
moralische Verpflichtung ab, daß ich stets mit den Verfolgten der jeweiligen
Zeit, mit den ethnischen, konfessionellen, kulturellen und sexuellen
Minderheiten sowie mit den sozial Benachteiligten solidarisch sein muss.«
Das heißt für mich: Der Kampf
gegen Antisemitismus und auch gegen andere Herrschafts-Ideologien
/-Formen ist nur glaubwürdig, wenn er als Kampf für
"Menschenrechte"/“Menschenwürde“ geführt wird. Dies trifft auch auf
den aktuellen Israel/Palästina-Konflikt zu.[26]
Was unter
"Menschenrechten"/“Menschenwürde“ zu verstehen ist, ist nur über
unsere Vorstellungen von gesellschaftlicher Utopie zu beantworten.
Und Erinnerungsarbeit
erstarrt zum Monument – die Geschichte wird abgewickelt und wird dann politisch
beliebig funktionalisierbar – wenn sie nicht zum Ziel hat, die
gesellschaftlichen Verhältnisse zu kritisieren und die Zukunft neu zu
gestalten. So konnte z. B. der deutsche Außenminister Fischer den Krieg gegen
Jugoslawien (1999) mit „ein neues Auschwitz verhindern“ rechtfertigen, der
Präsident der USA Bush den „Kampf gegen das Böse“ mit der Befreiung von
Auschwitz (27. 01. 1945) in Zusammenhang bringen (Januar 2005).
(II.2) zum Begriff "Utopie"
Es liegt an uns, Utopien immer wieder neu zu entwickeln und die alten immer wieder neu in Frage zu stellen. Uns verstärkt eigene Orte anzueignen, in denen wir Leben/Kommunikation als Sabotage an den herrschenden Verhältnissen, als subversives Leben ausprobieren und lernen. Nicht als fertige Modelle, Rezepte, Dogmen, sondern als Ergebnis von kontinuierlichen Auseinandersetzungen im Rahmen erfahrener gesellschaftlicher Widersprüche („der Weg ist das Ziel und die Frage nach dem Weg ist Teil des revolutionären Prozesses!“). "Kommunikation" - als gleichberechtigte Auseinandersetzung und gemeinsame Entwicklung verstanden und nicht als bloßen Informationsaustausch - läßt sich nur in einem herrschaftsfreien Raum/in herrschaftsfreien Beziehungen verwirklichen. Das werden wir wohl nie erreichen, daran werden wir ständig arbeiten müssen! In diesem Sinne verstanden, richtet sich Kommunikation auch gegen jede gesellschaftliche Normierung, Kategorisierung und Selektion, gegen Effizienzdenken, gegen fertige, abgeschlossene Antworten, gegen Rechthaberei und Besserwisserei, gegen den Glauben an die "richtige Linie", gegen dogmatische und fundamentalistische Denkweisen, gegen jede Form von intellektuellem Kolonialismus, gegen Stellvertretungspolitik - also gegen jegliche Gewalt- und KommandoStrukturen.
Es geht besonders auch um ein anderes Gesellschafts- und MenschenBild als das bestehende. Es geht - und das immer wieder neu - um die Bestimmung und Aneignung von Begriffen, wie "Herrschaftsfreiheit", "Solidarität", "Kollektivität", "Kommunikation", "Autonomie" und "Glück".
Das wird uns nicht individuell, durch bloßes Nachdenken und Studieren, durch Formulieren von Appellen gelingen, sondern nur kollektiv, und indem wir in die gesellschaftlichen Prozesse eingreifen, sie verändern, sie bewußt und kritisch neu gestalten.
Das wird uns auch nicht gelingen, wenn wir selbst Teil der gesellschaftlichen Machtstrukturen werden, z.B. in die Parlamente gehen und glauben von dort aus, mit deren eigenen Mitteln, sie zu verändern („Befriedungsverbrecher!“). Das kann - wenn überhaupt - immer nur ein taktisches Mittel sein (z.B. als imperatives Mandat einer außerparlamentarischen Bewegung). Aber daran knüpfen sich viele Fragen und da gibt es auch viele gescheiterte Erfahrungen; darauf will ich an dieser Stelle nicht eingehen. Nur soweit: Sich Macht aneignen, um Macht zu zerstören, ist ein sehr schwieriger dialektischer Prozess, der bisher in der Geschichte meistens dazu geführt hat, dass die Macht sich verselbständigte und die Menschen für eine "höhere Idee" funktionalisiert wurden, im Sinne von: "der Zweck/das Ziel heiligt das Mittel!"
Sicher, wir alle sind auch Teil unserer/der herrschenden Verhältnisse, wie der Geschichte, Kultur, Denkstrukturen, Begriffe, Ideologien u.s.w. – es gibt kein "Draußen", aussteigen ist nicht möglich. Noch in der Auflehnung gegen die Verhältnisse wird unsere Vorstellung durch sie geprägt. Identität/Bewußtsein sind immer auch Definitionen über herrschende Gesellschaftsbilder („es gibt kein richtiges Leben im Falschen!“).
Aber wir können immer wieder diese Verhältnisse kritisch hinterfragen - möglich wird das immer da, wo wir mit ihnen in Widerspruch geraten - und dieses Hinterfragen zum Bestandteil unserer Vorstellung von Emanzipation machen.
(II.3) was tun?
Inzwischen haben Menschen auf
der ganzen Welt angefangen, sich gegen die "Neue Weltordnung" zu
wehren.
Der Siegeszug des
Kapitalismus weltweit schien lange unaufhaltsam. Ratlosigkeit und Resignation
bestimmten die Diskussionen. Viele oppositionelle politische Zusammenhänge
zerbrachen. Die ausserparlamentarische Linke - zersplittert in viele kleine
Gruppen und Einzelpersonen - konnte dem herrschenden Mainstream keine eigenen
Vorstellungen entgegensetzen, die vielen Menschen Mut, Hoffnung, Zuversicht auf
eine andere Gesellschaft vermittelten. Der Diskurs um eine menschenwürdige
Gesellschaft fand kaum noch statt - die Flucht in das Private/die
Individualisierung der Gesellschaft schien/scheint für viele der einzige
Ausweg, um zu überleben. Auch innerhalb der radikalen Linken war/ist die
Sehnsucht nach bürgerlicher Geborgenheit, Sicherheit und Anerkennung verstärkt
zu beobachten – so habe ich zumindestens die Entwicklung in den letzten Jahren
erlebt.
Der plötzlich massenhafte
Protest gegen Neoliberalismus und Globalisierung (gegen Globalisierung des
Kapitalismus oder gegen Auswüchse der Globalisierung?, „für die Humanisierung
des Kapitals“?), der unterschiedlichste Menschen aus der ganzen Welt, auch
Menschen unterschiedlichster politischer Erfahrungen/Auffas-
sungen, zusammenführt, läßt Hoffnung aufscheinen, vermittelt Faszination und
Aufbruchstimmung für den Kampf um eine "andere Welt".
Die Kraft schöpft die
Bewegung daraus, dass es ihr gelingt, einen Raum zu schaffen, in dem eine große
Vielfalt von Diskursen emanzipativer Kämpfe aus den verschiedensten Ländern der
Welt, welche vorher isoliert waren, zusammenkommen können (soziale, Umwelt-,
indigene, feministische, anti-patriachale, anti-rassistische, anti-faschistishe
Kämpfe, u.s.w.) - und das, trotz oft großer ideologischer Unterschiede. Das hat
sich bisher in gemeinsamen konkreten Aktionen geäußert, verbunden mit dem
Beginn einer gemeinsamen Auseinandersetzung um eine Analyse der Gesellschaft,
der Entwicklung globaler Koordinationsstrukturen und Netzwerke, dem
Sichtbarmachen sozialer und politischer Widersprüche und auch von Möglichkeiten
die Machstrukturen anzugreifen.
In den letzten Jahren gab es
kaum ein Treffen der Mächtigen dieser Welt, das nicht kritisch und massenhaft
von Protesten begleitet wurde. [27]
Das sind Versuche, dem
Prinzip des Neoliberalismus und der Globalisierung des Kapitalismus das Prinzip
der Solidarität und Kommunikation entgegenzustellen, gemeinsam
herauszubekommen, was das überhaupt sein kann. Versuche, gemeinsam die Frage zu
stellen "wem gehört die Welt?" und das mit der Zuversicht: "eine
andere Welt ist möglich!", wenn wir das gemeinsam, über alle nationalen,
kulturellen, weltanschaulichen Grenzen hinweg, global in Angriff nehmen.
Aber diese globalen
"events" werden dezentrale und regionale und persönliche
Entwicklungen nicht ersetzen können, und der Euphorie über die massenhafte
Begegnung und über den spektakulären Widerstand und über das große Presseecho
werden genaue politische Diskussionen und bewußte Bündnisse folgen müssen.
Da, wo diese Entwicklung für
Menschen erfahrbar wird, gibt es Anzeichen dafür, dass es inzwischen auch an
anderer Stelle gärt und brodelt: Sozialraub, Zunahme der Repression, verstärkte
gesellschaftliche Normierung, Kontrolle und Selektion, Einschränkung
individueller Freiheiten und Zwang zur Anpassung, Verfolgung und Abschiebung
von MigrantInnen und Flüchtlingen, Kriegsbeteiligung, ein allgemeiner
Rechtsruck - auch als konservativer Reflex auf die Globalisierung im Sinne von
"zurück zu Nation" oder: “Volksgemeinschaft gegen Globalisierungswahn“
(NPD, 1. Mai 2004) - müßten eigentlich den Topf zum Überlaufen bringen.
Deshalb kann die
Auseinandersetzung gegen Agenda 2010 und Hartz 4 – d.h. mit der aktuellen und
konkreten Politik der Bundesregierung – auch ein Hebel für die praktische
Kritik an Neoliberalismus und kapitalistischer Globalisierung sein.[28]
Auf der anderen Seite kann
die Angst davor, was die Zukunft bringt, Angst davor, die letzte Sicherheit zu
verlieren, Angst davor, in prekäre Verhältnisse zu geraten, Angst davor,
gesellschaftlich nicht aufgefangen zu werden und dann ganz alleine und einsam
dazustehen, dazu führen, Menschen zu disziplinieren, sich mit den Verhältnissen
kritiklos zu arrangieren oder/und Sicherheit in unterschiedlichen Formen von
rassistischer und faschistischer Gewaltherrschaft zu suchen, nach dem Motto:
„da muß doch endlich jemand kommen, der Ordnung und Sicherheit schafft!“.
Einerseits kann diese Angst
zur Akzeptanz der Verhältnisse führen und Menschen erpressbar machen, andererseits
können diese Verhältnisse nur in einem Klima von Angst durchgesetzt werden.
Aber es kann nicht angehen, sich für den status quo, dafür, das “Alte zu bewahren”, einzusetzen - für Erhaltung des Nationalstaats als Grundlage von Rassismus und Antisemitismus, von Gewerkschaften, als Instrument der Integration in die kapitalistischen Verhältnisse, eines Sozialstaates, der auf Lohnarbeit beruht, ... -, nur weil alles, was sich für die Zukunft abzeichnet, noch schlimmer zu werden droht.
»Es gibt keine
„Alternative“« zur Liberalisierung
und Globalisierung. Die Reformpolitik ist eine Anpassung an ökonomische
Sachzwänge - sagen Schröder und Konsorten – die besten ManagerInnen seien da
gefragt!
Es wäre weltfremd, der
Wirklichkeit gegenüber die Augen zu verschließen, und wer von Alternativen
rede, der schütte Wasser auf die Mühlen der Demagogen. „Wir leben über unsere
Verhältnisse, es ist kein Geld vorhanden“, „wo nichts ist, kann nichts
ausgegeben werden“, „wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit
Solidarität rechnen“, „es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft
(Interview mit der Bild-Zeitung, 05. April 2001)“.
Macht wird so anonymisiert
und als unangreifbar suggeriert.
»Es gibt „Alternativen“« – die Möglichkeiten innerhalb der herrschenden
Verhältnissen sind noch lange nicht ausgeschöpft – sagen u.a. Stimmen aus den
Gewerkschaften und aus ATTAC, und fordern "Rückeroberung staatlicher
Regulierung und staatlicher politischer Handlungsspielräume gegen die Dominanz
des Marktes", "Kampf gegen Auswüchse, gegen Willkür des
Kapitals", "gegen den räuberischen Kapitalismus", "Zähmung
des Kapitals", "bessere Kontrolle der Finanzmärkte",
"soziale und gerechte Gestaltung des Kapitalismus", "einen
Kapitalismus mit menschlichem Antlitz", "dem Tiger Kapitalismus die
schärfsten Zähne ziehen", „sozial und ökologisch nachhaltiges Wachstum“ und
„Umverteilung des Reichtums“, „transnationale Konzerne an die Kandare zu
nehmen, die Finanzmärkte zu regulieren oder den Welthandel sozial und
ökologisch zu reformieren“ (Sven Giegold, attac, E&W, 11, 2004).
Das alles, ohne den Charakter
des Staates im Kapitalismus zu hinterfragen, und sie suggerieren somit, daß ein
fairer und humaner Kapitalismus möglich oder auch nur denkbar wäre.[29]
Wenn Stimmen aus ATTAC im
Zusammenhang mit »Alternativen« z.B. von stärkerer Regulierung der Finanzmärkte,
und die IGM von Stärkung der Kaufkraft, um die Konjunktur anzukurbeln, um
dadurch neue Arbeitsplätze zu schaffen, reden, dann müssen wir den Begriff
»Alternative« neu hinterfragen.
»Es gibt „Alternativen“
nur im Rahmen der Überwindung der herrschenden Verhältnisse«, sagen Stimmen aus dem linksradikalen Spektrum. Die
„Wirklichkeit“ ist kein Schicksal, ist immer auch eine Frage des politischen
Kräfteverhältnisses. Und Alternativen meint hier, Emanzipation aus den herrschenden
Verhältnissen/Überwin-dung der Ursachen der herrschenden Verhältnisse und nicht
nur stehen bleiben bei Verbesserung bestimmter Erscheinungsbilder. So genügt es
nicht, das Produkt zu kritisieren, ohne die Produktionsverhältnisse in die
Kritik mit einzubeziehen.
Eine ausschließliche,
regional begrenzte Veränderung einzelner Erscheinungsbilder wird immer von dem
augenblicklichen Kräfteverhältnis vor Ort abhängen und auf der
Ausbeutung/Unterdrückung Anderer außerhalb dieses Ortes beruhen und somit einen
beständig labilen Zustand aufrechterhalten.
Alternativen in diesem Sinne
sind nur vorstellbar, wenn die Privatbesitz-, Profit- und WachstumsParadigmen
des Kapitals angegriffen werden. Ein Verzicht auf eine Einbettung des Protests
in grundsätzliche Gesellschaftskritik („Realpolitik“) würde bedeuten, bei
Empörung über einzelne Erscheinungen zu verharren.
Da stellen sich viele
Fragen:
Wie können Alternativen
jenseits von Lohnarbeit, Vollbeschäftigung, nationalem Sozialstaat und Wachstum
aussehen?
Eine solidarische Sicherung
der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist nicht mehr im nationalstaatlichen
Rahmen und auch nicht auf der Grundlage individueller Lohnarbeit und
Vollbeschäftigung denkbar und auch gar nicht wünschenswert.
Besonders auch, wenn wir
berücksichtigen, daß der nationale Sozialstaat ein Privileg der Gesellschaften
des Nordens ist/war, das mit dem Ausschluß und der Ausbeutung der
Gesellschaften des Südens erkauft wurde. Und Wachstum (auch sog. nachhaltiges
Wachstum) weiterhin die Mehrheit der Weltbevölkerung von den Ressourcen des
Überlebens strukturell ausgrenzen.[30]
Und wir sollten nicht von „Umverteilung des Reichtums“ reden, ohne zu fragen,
woher der Reichtum kommt.
Wie ist eine Welt, in der die
Menschen ohne Zukunftsangst, in sozialer Absicherung leben können, vorstellbar?
Eine Welt, in der der Zugang zur Bildung, Kultur, Gesundheitsversorgung,
Altersversorgung, öffentliche Verkehrsmittel, Schwimmbäder, Bibliotheken usw.
nicht vom Geldbeutel abhängig ist, sondern für alle Menschen kostenlos ist.
Wie sind aktuelle Forderungen
u.a. nach Mindestlohn und 30 Stunden Woche und bedingungsloses Grundeinkommen
für jeden Menschen am Ort seines jeweiligen Aufenthaltes durchsetzbar, und
weisen sie in eine emanzipatorische Richtung?
Alle Hoffnung auf "ein anderes Leben" wird längerfristig wie eine Seifenblase zerplatzen oder im Boden versickern, oder konfliktbesänftigt in die herrschenden Verhältnisse integriert werden und vielleicht sogar zu deren Modernisierung beitragen (selbst die Weltbank und der IWF reden inzwischen wie die GlobalisierungsKritikerInnen z.B. von Transparenz, Partizipation und Armutsbekämpfung), wenn es nicht gelingt, die sicher berechtigten realpolitischen Forderungen zur Milderung der Härten dieser Entwicklung, in den Kontext einer Auseinandersetzung zur Überwindung der herrschenden Verhältnisse zu stellen. Die Härten sind keine Auswüchse, sondern konsequente Erscheinungen der Verhältnisse. Es geht also letztendlich um eine Gesellschaft, in der diese Härten nicht nur besser kontrolliert und abgemildert werden, sondern die Ursachen dafür gar nicht mehr vorkommen, gar nicht mehr denkbar sind.
Macht, Privatbesitz,
Lohnarbeit, Profit, Wachstum, Warenproduktion, ... auf der einen Seite, und Armutsbekämpfung,
soziale Gerechtigkeit, ... auf der anderen, sind unvereinbare Widersprüche
(Antagonismen). Der IWF, die Weltbank, die WTO, ... als Teil des Problems
können nicht zum Bestandteil der Lösung gemacht werden.
Es ist jetzt angesagt, im Zusammenhang mit den
konkreten Auseinandersetzungen auch wieder über gesellschaftliche Utopien zu
reden- diese zum Kriterium für "Wahrheit" und Handeln zu machen - und
im Rahmen dieser Auseinandersetzung BündnispartnerInnen zu suchen und eine
gemeinsame Widerstands-und LebensPraxis zu entwickeln.
Wir sollten wieder den Mut haben, das scheinbar
Unmögliche zu denken:
Weshalb sollte es nicht
möglich sein, eine Gesellschaft anzustreben, die den Menschen in den
Mittelpunkt von Denken und Handeln stellt und nicht die ökonomische
Rationalität. Eine Gesellschaft, die „Eigentum als Diebstahl“ (Proudhon 1840,
französischer Sozialist) begreift, die auf der Auseinandersetzung um Herrschaftsfreiheit,
Solidarität, Kooperation, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit für alle
beruht!? Die für ein Leben ohne Hunger und Armut, ohne Krieg und Unterdrückung
eintritt.
Um uns in diese Richtung
zu bewegen, wird es wichtig sein, daß wir uns autonome soziale Räume aneignen
und sie verteidigen. Räume in denen wir lernen, Kommunikation und Solidarität,
Autonomie und Kollektivität, Selbstorganisation und Widerstand der Gewalt des
Kapitals entgegenzustellen.
Das was von Menschen
gemacht worden ist, kann auch von Menschen verändert werden, und wir müssen den
Zustand überwinden, in dem wir gelähmt auf die herrschenden Verhältnissen
starren – deren Übermacht ist auch ein Ergebnis unserer sinnlichen Entfremdung,
unserer kulturellen Konditionierung -, sondern wir sollten uns mit einem Lachen
auf den Lippen, mit Selbstbewußtsein, Mut und Freude gemeinsam auf den Weg der
Befreiung machen! Gemeint ist hier ein Begriff von Befreiung, der unsere individuelle
Befreiung als Teil der Befreiung weltweit versteht und umgekehrt.
Das alles ist sicher nicht
neu, aber wir müssen es immer wieder neu versuchen. Denn es wird uns nichts
anderes übrigbleiben, wenn wir den zur Zeit in atemberaubender Geschwindigkeit
stattfindenden Absturz in Krieg und Barbarei aufhalten und eine andere Richtung
geben wollen und wenn wir Teil sein wollen des Kampfes um eine weltweite,
humane Gesellschaft.
(Label:F.Storim,Neoliberalismus/Globalisierung*Datei:
NeoGlo010203Material2 *Ergänzung: 11.02.05)
[1] »(...) Die meisten Ökonomen glauben, daß eine marktwirtschaftliche Ordnung, die willkürliche Staatsinterventionen begrenzt und die Macht erworbener Besitzansprüche bändigt, durch das Wirken des aufgeklärten Eigennutzes automatisch jene Kräfte freisetze, die sie für ihren eigenen Fortbestand braucht.
Triebkraft der Zerstörung sei demzufolge der Staat, nicht der Markt. Die Regierungen schwächen die Tugend der Bevölkerung, indem sie eigenständiges und selbstverantwortliches Handeln durch steuerfinanzierte Wohlfahrtsprogramme erdrücken, Arbeitsanreize durch hohe Steuerprogression unterminieren, private Fürsorge durch staatliche Sozialhilfe austrocknen, lokale Initiative durch fiskale Transferleistungen abwürgen, das Verantwortungsbewußtsein der Familien durch die Verstaatlichung der Bildung zerstören. Jede Intervention der öffentlichen Hand reduziere die Möglichkeit freien Handelns und schaffe dadurch Bedarf an weiteren Staatseingriffen. (...)« Robert Skidelsky (Professor für politische Ökonomie an der Warwick University, GB), aus »Freiheit braucht Werte - Wie wir im Zeitalter der Globalisierung Wohlstand, Frieden und Moral bewahren können«, Die Welt, 11.08.2000.
Rolf Steil, Direktor der Hamburger Agentur für Arbeit:
»Wir können im Umgang mit Arbeitslosen heute das Thema Fördern und Fordern leichter ansprechen als früher. Die Menschen sehen, dass der Staat als Sozialstaat nicht mehr soviel leisten kann wie die letzten 50 Jahre.« »Er verspreche sich von Hartz IV eine mentale Veränderung bei den Arbeitslosen«, sagt Steil, »nämlich, dass die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, anstatt sich darauf zu verlassen, dass der Staat endlos für sie sorgt.« (D.W., 01. 09. 04)
[2] im Einzelnen heißt das:
* Alle wettbewerbshemmenden Vorschriften sollen abgebaut
werden, z.B. durch:
- Abbau staatlicher Subventionen (nicht generell: die Atomenergieproduktion ist gerade mit Hilfe des Konsensvertrages zwischen Unternehmer und Regierung durch Subventionen für den liberalisierten Markt konkurrenzfähig gemacht worden, oder die Industrieländer schützen durch Subventionen z.B.in der Landwirtschaft oder Textilwirtschaft ihre Produkte vor der möglichen Konkurrenz aus sog. Entwicklungsländern.), staatlicher Konjunkturprogramme und Handelsschranken.
- Deregulierung von Arbeitsmärkten,
- Deregulierung von Arbeitsrechten und gewerkschaftlichen Rechten (Lohnniveau, Mindestlöhne, Tarifsicherheit, Tarifverträge durch betriebsinterne Vereinbarungen ablösen, Arbeitszeiten, Arbeitsverträge; "freiwilliger" Lohnverzicht, Kündigungsschutz), Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld,
- Abbau und Individualisierung von Sozialleistungen (das heißt dann zynisch, “Stärkung der Eigenverantwortlichkeit”), Einführung privatwirtschaftlicher Konkurrenz von Sozialleistungsanbietern,
-
Produktionsstandorte werden nach Höhe der Lohnkosten,
"politischer Sicherheit", vorhandenen Produktions- und Verteilungsstrukturen
("Billiglohnländer") gewählt.
ArbeiterInnen in den industrialisierten Ländern werden gezwungen, sich in einen
Wettbewerb mit ArbeiterInnen in den sog. Entwicklungsländern zu begeben.
- ...
Das führt einerseits zum Abbau von Rechten, die in jahrzehntelangen Auseinandersetzungen von den Lohnabhängigen erkämpft worden sind: zur Zunahme unsicherer Beschäftigungsverhältnisse, zum Lohnabbau, zur Vergrößerung der Arbeitshetze, zu Arbeitslosigkeit, zum Sozialabbau, also zum Abbau kollektiver Schutzsysteme und allgemein zur Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen, andererseits zur Vermehrung privaten Reichtums und privater Macht für Wenige.
Freier Handel mit Dienstleistungen: Am 1. Jan. 2005 soll "GATS 2000" (General Agreement on Trade in Services) in Kraft treten. Private Unternehmen sollen dann künftig auch dort zugelassen werden müssen, wo Dienstleistungen bisher bei den Kommunen lagen. Werden öffentliche Einrichtungen subventioniert, haben alle Anbieter die gleichen Rechte darauf.
Das bedeutet: Privatisierung und Kapitalisierung öffentlichen Eigentums, öffentlicher Dienstleistungen, staatlicher Infrastrukturen, sozialer und kultureller Bereiche und Leistungen z.B. von Post, Telefon, Bahn, Verkehr (s. dagegen die Kämpfe für 0-Tarife ab Ende der 68er: "0-Tarif, sonst legen wir die Schienen schief!"), Kanalisation, Autobahnen, Gefängnissen, polizeilichen Aufgaben, Ausbildung (Universitäten, Schulen), Krankenhäusern, sozialen Diensten, Krankenversorgung, Altenpflege, Jugendhilfe, Rentenversicherung, Arbeitsämtern, Arbeitslosenversicherung, Sozialversicherung, Einrichtungen und Diensten für Menschen mit Behinderungen, Kultureinrichtungen, Finanzdienstleistungen, von öffentlichen Räumen, Plätzen, Straßen (wie Bahnhöfe, Flughäfen, Einkaufszentren und der damit verbundenen Vertreibung von Obdachlosen und anderen an den Rand gedrängten Gruppen und Einschränkung der “freien Meinungsäußerung”, wie z.B. Verbot von Demonstrationen und von Verteilen von Flugblättern) und in letzter Zeit eben verstärkt auch der Energie-, Gas- und Wasserversorgung.
Widerstand:
Am 03.10.02 demonstrierten in Paris rund 70 000 Menschen gegen die Privatisierungspläne der französischen Regierung, u.a. gegen die geplante Privatisierung des weltweit größten Elektrikkonzerns EdF (Electricité de France) und des Gaskonzerns GdF (Gaz de France) und gegen den damit zu erwartenden Sozialabbau und gegen den »Albtraum, wenn die Sicherheit in den Atomkraftwerken den Gewinninteressen einer Aktiengesellschaft untergeordnet wird«.
"Die Demonstranten verteidigen die Reste eines sozialen Regimes, das unmittelbar nach Kriegsende eingeführt wurde. In jener Zeit, die von den sozialen Forderungen der kommunistischen Résistance geprägt war, waren viele Unternehmen von Kriegskollaborateuren verstaatlicht worden und waren die Konturen des flächendeckenden öffentlichen Dienstes und der auf dem Prinzip der Solidarversorgung basierenden Sozialversorgung eingeführt worden."
Am 26.11.02 gingen mehr als 100 000 Menschen gegen die Privatisierungspläne auf die Straße. (TAZ, 04.10.02, 27.11.02. Handelsblatt, 04.10.02.)
Enteignungsforderungen in der BRD nach 1945:
»Im Interesse der Industrie war der Eroberungskrieg von den Nazis geführt worden. Besonders die Schwerindustrie hatte sich als Wegbereiter Hitlers diskreditiert. Anfänglich verfolgten die westlichen Besatzungsmächte eine Bestrafung der Unternehmer und deren Wirtschaftsführer wegen ihrer Kriegsschuld. Diese waren zeitweilig entmachtet und mussten den Beschäftigten, ihren Betriebsräten und den Gewerkschaften Einfluss in den Betrieben überlassen: Für diese ging es um die Beseitigung der unmittelbaren Not, sie nahmen die Anlagen wieder in Betrieb, organisierten die Versorgung der Familien, kämpften gegen die Arbeitsplatzzerstörung durch die Demontagen. Es entstand die Forderung, die Großbetriebe der Schlüsselindustrie in Gemeineigentum zu überführen. Unter diesem Meinungsdruck wurde den Gewerkschaften Mitbestimmung in den Unternehmen angetragen. Selbst die CDU war anfänglich dieser Einsicht: “Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und den sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden” (Ahlener Programm 1947).
Doch die westlichen Besatzungsmächte waren nach 1945 die bestimmende Kraft in ihren Besatzungszonen. Sie verhinderten die Abrechnung antifaschistischer Gruppen (z.B. Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus in Bremen) mit den faschistischen Gegnern und gaben dem kapitalistischen Privateigentum Schutz. Waren erst die Siegermächte für eine dezentralisierte Volkswirtschaft und Entflechtung der Konzerne, verhinderten später die westlichen Besatzungsmächte die Durchführung von staatlichen Beschlüssen nach Überführung in Gemeineigentum und Wirtschaftsdemokratie: z.B. den Beschluss des Landtages von Nordrhein-Westfalen 1948 über die Enteignung der Kohlebesitzer. Die alten Eigentümer kehrten wieder in ihre Machtpositionen zurück. Als der politische Druck vorbei war, setzten sich die Unternehmer und ihre politischen Vertretungen über die “Sozialisierungs”-Forderungen und die Arbeiterkontrolle in den Betrieben hinweg.
Die Gewerkschaften führten schließlich noch eine Auseinandersetzung um ihre Mitbestimmung in den Betrieben. Ihre geplanten und vorbereiteten Streiks führten sie aber nicht durch und beugten sich dem Parlamentsbeschluss über das Betriebsverfassungsgesetz. Nur in der Montanindustrie – bei Kohle und Stahl – gab es durch die Streikdrohung eine erweiterte Mitbeteiligung in Aufsichtsrat und Unternehmensvorstand durch Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre. Aber auch diese Möglichkeit der ArbeiterInnenkontrolle haben sie sich inzwischen aus den Händen nehmen lassen. (Erich Kassel, persönliche Mitteilung, März 2003, Kassel@net-special.de)«
[3] »Der transnationale Aktionsradius der Konzerne und der unregulierte Kapitaltransfer schaffen eine politische Allmacht, die eine noch nie dagewesene Globaldiktatur aufschimmern läßt. Wer Standorte gegeneinander ausspielen kann, wer darüber entscheidet, wo Betriebe ausgebaut oder geschlossen, wo Arbeitsplätze erhalten oder vernichtet werden, welche Währung steigt oder welche ruiniert wird, welcher Tropenwald zur Wüste, welches Gebiet durch Hunger, Bürgerkrieg oder Seuchen entvölkert wird - der kann die eigenen Interessen politisch und militärisch, auf der Erde und im All durchsetzen.«, "Enteignung für die Demokratie", TAZ 6./7.10.2001, Dieter Dehm, Horst Heininger.
Ein aktuelles Beispiel ist der Schutz der Landwirtschaft und Textilwirtschaft der Industrieländer vor Konkurrenz aus sog. Entwicklungsländern.
»Die Anhäufung grosser öffentlicher Schuldenberge in den westlichen Ländern hat den Finanzeliten einen politischen Hebel an die Hand gegeben und sie mit der Macht ausgestattet, die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierungen zu diktieren. (S. 25, ...)
Allüberall werden die gleichen ökonomischen Rezepe befolgt. Unter der Schirmherrschaft von IWF, Weltbank und WTO schaffen die marktliberalen Reformen günstige Bedingungen für global operierende Banken und multinationale Konzerne. Tatsächlich jedoch handelt es sich gar nicht um ein System "freier Märkte": Trotz der neoliberalen Rhetorik nämlich stellen die von IWF und Weltbank eingeforderten "strukturellen Anpassungsprogramme" nur einen neuen interventionistischen Rahmen dar. (S. 32,33, ...)
Diese neue Form der ökonomischen und politischen Herrschaft - eine Form des "Marktkolonialismus" - unterjocht Menschen und Regierungen durch das scheinbar neutrale Spiel der Marktkräfte. (...) Die Umstrukturierung der Weltwirtschaft unter Führung von IWF und Weltbank nimmt Entwicklungsländern zunehmend die Möglichkeit, ihre Volkswirtschaften eigenständig aufzubauen. Stattdessen machen die internationalen Finanzorganisationen aus diesen Ländern offene Wirtschaftsgebiete und verwandeln ihre Volkswirtschaften in Reservoirs billiger Arbeitskräfte und natürlicher Ressourcen. (S. 43, ...)
Die Regulierung des Handels nach den Regeln der WTO,
verbunden mit einem erweiterten Schutz geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen),
ermöglicht es multinationalen Konzernen, lokale Märkte zu durchdringen und ihre
Kontrolle über praktisch alle Bereiche der nationalen Fertigungssektoren, der
Landwirtschaft und Dienstleitungsökonomie auszuweiten. (S. 48, ...)«
"GLOBAL BRUTAL. Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg", Michel Chossudovsky, Zweitausendeins, Frankfurt am Main, Juni 2002.
[4] Atomenergie
ist schon lange kein regionales und auch kein nationales Problem mehr.
Die durch die Liberalisierung und Globalisierung des Kapitalismus ermöglichten
Fusionierungen zu weltweiten Konzernen haben zu bisher nicht dagewesenen
Machtkonzentrationen geführt. In der BRD gibt es noch 4 große Energieversorgungsunternehmen
(RWE, E.ON, EnBW, Vattenfall/HEW), die aber auch schon europaweit und weltweit
eine wichtige Rolle spielen, auch in den Bereichen Gas, Wasser, Öl, Abfall und
Dienstleistung - "stell dir vor, daß RWE alle Versorgung bieten kann -
alles aus einer Hand", wie die Fernsehwerbung der RWE propagiert.
Im Zuge der Liberalisierung und Globalisierung des Energiemarktes werden nur einige wenige mächtige Energiekonzerne der großen Industrienationen weltweit übrigbleiben.
So wurde der Konsensvertrag der BRD "notwendig", um die Atomenergie fit zu machen für den liberalisierten Markt. Das steht nur scheinbar im Widerspruch dazu, daß auf diesem Markt zur Zeit die Atomenergie ohne Subventionen (z.B.: Verzicht auf genauere Auflagen in Sicherheitsfragen, Verzicht auf Nachweis von schadloser Entsorgung, Verzicht auf realistische Deckungsvorsorge für den Fall einer nuklearen Katastrophe, keine Besteuerung des Brennstoffs Uran und der milliardenschweren Entsorgungsrücklagen) gar nicht überlebensfähig wäre. Das alles hat mit Ausstieg aus der Atomenergie nichts zu tun - das Gerede vom Ausstieg ist erst einmal reine Propaganda! Es geht hauptsächlich um die Bestandssicherung der bereits laufenden Reaktoren. Unter dem Etikett "Ausstieg" wird versucht, Akzeptanz für deren langjährigen Weiterbetrieb zu schaffen.
Durch die Globalisierung und Liberalisierung des Energiemarktes hat der Staat sich weitgehend aus der Verantwortung für die Energiepolitik herausgezogen und die Entscheidung darüber perspektivisch an den Markt abgegeben; praktisch heißt das, an die großen Konzerne der reichen Industrienationen.
Damit ist die Energiepolitik weitgehend einer Gestaltung und Kontrolle durch Staat und Kommune entzogen. Vor diesem Hintergrund sollte sich der Widerstand gegen Atomtechnologie global verorten und sich in den Kontext der "Neuen Weltordnung" einordnen und sich nicht als eine rein technologische und regionale Frage begreifen (s. ausführlich: Rede auf der Kundgebung gegen die Jahrestagung Kerntechnik 2002, 11.05.02, Stuttgart, "Wir wollen ein anderes Leben, wir wollen eine andere Welt!", Fritz Storim, Schwarzer Faden, Nr. 75, 2/2002; www.MAUS-Bremen.de unter: Textarchiv).
[5] s. z.B. AtomKonsensvertrag und die Verhandlungsergebnisse zu KWK/CO2- Emission oder zur Höhe der Versicherungssumme bei AKW-Unfällen oder auch die Verhandlungen um das geheime Multilaterale Investmentabkommen (MAI) von 1998. s. »"Atomkonsens" - statt Atomausstieg, Einstieg in den liberalisierten Markt!«, KöXüs (EmigrantInnenZeitschrift), Nr. 14, Winter 00/01, Fritz Storim; www.MAUS-Bremen.de unter: Textarchiv).
[6] s. hierzu: Heinrich Hannover, "Aus der Geschichte gelernt?", www.Heinrich-Hannover.de .
[7] Michel Chossudovsky sieht das folgendermaßen: »Der Öffentlichkeit als "Kampagne gegen den internationalen Terrorismus" präsentiert, dient der Einsatz der amerikanischen Kriegsmaschine in Wahrheit jedoch der Ausweitung der amerikanischen Einflusssphäre nicht nur in Zentralasien und dem Nahen Osten, sondern auch auf dem indischen Subkontinent und in Fernost. (...)
Die Ideologie der "Schurkenstaaten", die das Pentagon bereits während des Golfkrieges 1991 entwickelte, dient als Rechtfertigung, um aus "humanitären Gründen" Krieg gegen Länder zu führen, die sich nicht der Neuen Weltordnung und den Grundannahmen des Systems "freier" Märkte fügen. (S. 11, ...)
Und viel deutet darauf hin, dass dieser Krieg (gemeint ist der Krieg in Afghanistan) lange vor dem 11. September geplant worden war - in Verfolgung übergeordneter strategischer und wirtschaftlicher Ziele. (S. 370, ...)
Amerikas neuer Krieg dient dazu, das globale Marktsystem auszuweiten und den US-Konzernen zugleich neue Räume zu öffnen. (S.389, ...)
Doch besteht das Ziel nun nicht länger in der Eindämmung des Kommunismus, sondern darin, Russland und China daran zu hindern, konkurrierende kapitalistische Mächte zu werden. (S. 409, ...)
Das verschwiegene Ziel dieses Krieges ist die
Rekolonialisierung nicht nur Chinas und der Länder des ehemaligen Ostblocks,
sondern auch des Irans, des Iraks und des indischen Subkontinents - eine
Rekolonialisierung, bei der es darum geht, zugunsten eines grenzenlos
globalisierten Marktsystems souveräne Staaten in offene Territorien zu
verwandeln. Und zur Erzwingung mörderischer Marktreformen sind dann eben auch
militärische Mittel nicht ausgeschlossen. Krieg und Globalisierung gehen Hand
in Hand. (S. 414, ...) «
"GLOBAL BRUTAL. Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg", Michel Chossudovsky, Zweitausendeins, Frankfurt am Main, Juni 2002.
[8] Bundesministerium für Verteidigung, Nov. 1992; www.antmilitarismus.de
[9] aus: "Fluchtursachen bekämpfen - den Krieg stoppen - Fluchtwege öffnen - Abschiebungen verhindern", Aktionsbündnis gegen Abschiebung Rhein-Main, www.aktivgegenabschiebung.de/download/irakflyer.pdf
[10] Das ist durchaus etwas ganz anderes, als die Marxssche Diskussion meint, wenn sie von Subjektwerdung in einer sozialistischen Gesellschaft redet, oder als die Diskussion in der Autonomen Bewegung meint, wenn dort von Selbstbestimmung/Eigenverantwortlichkeit und Kollektivität als zwei Seiten einer Medaille, als untrennbare Einheit die Rede ist/war. In der neoliberalen Begrifflichkeit fällt die kollektive Seite ganz weg.
[11] » Arbeit, die seit Adam Smith als die allen Waren gemeinsame Wertsubstanz gilt, hört unter diesen Umständen auf, in Zeiteinheiten messbar zu sein. Nicht die abgeleistete Arbeitszeit, sondern die „Verhaltenskomponente“ und die Motivation gelten als ausschlaggebende Wertschöpfungsfaktoren. Die Firmen betrachten sie als ihr „Humankapital“. Die Frage, wie sich das Kapital des ganzen Menschen bemächtigt und ihn total „mobilmachen“ kann, wurde durch den Abbau des vertraglichen Lohnverhältnisses gelöst: Die Erwerbstätigen sollen zu Unternehmern werden, die selbst in industriellen Großunternehemen (etwa VW und Daimler-Chrysler) für die Rentabilität ihrer Arbeit einstehen müssen. Sie müssen durch den Konkurrenzkampf gezwungen werden, den Druck der Verwertungslogik zu verinnerlichen. An die Stelle des Lohnabhängigen soll der Arbeitskraftunternehmer treten, der für seine Ausbildung, Weiterbildung, Krankenversicherung usw. selbst sorgt – „die Person ist ein Unternehmen“. An die Stelle der Ausbeutung tritt die Selbstausbeutung und Selbstvermarktung der „Ich-AG“, von denen die großen Firmen profitieren, die die Kunden der Selbstunternehmer sind.«
André Gorz, »Wissen, Wert und Kapital, zur Kritik der Wissensökonomie«, S. 10, Rotpunktverlag, Zürich, 2004.
[12] Fritz Storim, »Die DefinitionsMacht und die Gutmenschen - sie halten sich alle für gute Menschen, die nur eins wollen: „Leid“ abschaffen oder gar dafür sorgen, dass „Leid“ erst gar nicht entsteht!«, Sept. 03, www.MAUS-Bremen.de unter: Textarchiv.
[13] Paula Brandish, Erika Feyerabend, Ute Winkler (Hg.): Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien. Beiträge zum 2. Bundesweiten Kongreß Frankfurt 1988, München 1989, S. 277 ff.
[14] Aus: "Gouvernementalität der Gegenwart, Studien zur Ökonomisierung des Sozialen", Herausgegeben von Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke, Suhrkamp Taschenbuch, Wissenschaft, Frankfurt am Main 2000.
[15] Ich bin seit einigen Semestern an einem Seminar an der Universität Bremen beteiligt, das sich unter dem Thema »Neue Technologien, Menschenbild und Ethik vor dem Hintergrund der Liberalisierungs- und GlobalisierungsOffensive« u.a. auch mit Reproduktionstechnologien, Bio- und Gentechnologie, den Motivationen, die hinter dieser Entwicklung stecken und deren gesellschaftliche Auswirkungen befaßt.
Nach langen Studien und vielen Diskussionen kam das Bedürfnis auf, uns mit unseren Arbeitsergebnissen einer größeren Öffentlichkeit zu stellen und zu vermitteln: raus aus dem Elfenbeinturm der Universität - nicht nur studieren, um immer klüger zu werden, sondern die "Wahrheiten" an der gesellschaftlichen Realität zu überprüfen.
Wir verfaßten einen Text, wissenschaftlich logisch und widerspruchsfrei - dazu sind wir ja in der intellektuellen Diskussion geschult - in dem wir "beweisen", daß alle, Oma und Opa, die Angehörigen, die Gesellschaft nur Vorteile hätten und glücklicher wären, wenn Oma und Opa sich entsorgen ließen- selbstverständlich freiwillig und ohne Gewalt und in einem "würdigen" Rahmen. Wir wollten diesen Text öffentlich machen, Kontakte und Beratung anbieten, und erwarteten empörte Reaktionen und dachten darüber ins Gespräch zu kommen.
Aber wir waren uns in unserer Einschätzung doch nicht so ganz sicher und auch nicht, ob dieses Vorgehen moralisch zu vertreten ist, vielleicht als zynisch verstanden wird und sprachen deshalb mit unterschiedlichen Menschen, z.B. mit Menschen, die in Altenpflegeeinrichtungen arbeiten, die verstärkt auf Assistenz anderer Menschen angewiesen sind, die sich in Krüppelgruppen organisieren u.a.
Wir kamen dann zu einer gemeinsamen Einschätzung: Unser Aufruf wird nicht als Provokation verstanden werden, um auf bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse/Entwicklungen hinzuweisen, sondern wir werden aufgesucht werden, um sich im Sinne der Aufforderung unseres Aufrufs beraten zu lassen - also wir würden vielleicht genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir eigentlich erreichen wollten. Das hat uns erst einmal doch sehr erschrocken gemacht und wir haben das Projekt nicht gestartet.
Daran knüpfen sich viele Fragen an diese Gesellschaft, z.B. an Begriffe wie "Solidarität" und "Nützlichkeit".
[16] Die Fabrik setzt sich aus ArbeiterInnen zusammen, die sich alle individuell als Gesamtfabrik verstehen.
[17] »Ist Solidarität unter rationalen Egoisten möglich?«, Rainer Hegselmann, Impulse aus der Forschung, Universität Bremen, Nr. 18, Oktober 1994.
[18] Hier sehe ich auch die Funktion der RZ-Prozesse, die gerade in Berlin stattfanden. Meiner Einschätzung nach, geht es den staatlichen Instanzen dabei nicht haupsächlich um die konkreten Taten, um die Beschuldigten, oder um Rache. Es geht ihnen darum, zu demonstrieren, daß antagonistischer Widerstand keine Chance hat, zu vermitteln: "wir kriegen euch alle, auch wenn es Jahrzehnte dauert"; um damit die Hoffnung auf Veränderung durch eigenes Tun zu zerstören oder gar nicht erst wieder aufkommen zu lassen, sie vollkommen aus dem Bewußtsein, die Begrifflichkeit darüber auszulöschen.
Aus dieser Einschätzung wäre den Angeklagten, VerteidigerInnen und allen anderen Beteiligten und Betroffenen eine ganz besondere Verantwortung erwachsen. Wir können unsere Geschichte nicht einfach abhaken, uns von ihr distanzieren, sie verdrängen oder vergessen, um dann irgendwie wieder neu von vorne anzufangen und weiterzumachen. Aus der Verantwortung für unsere Geschichte und durch die Auseinandersetzung mit ihr können wir Vorstellungen von Veränderung und Emanzipation entwickeln.
[19] Hauke Benner, "Die Globalisierung der Ökonomie oder die Ökonomisierung des Globus", www.MAUS-Bremen.de unter: Textarchiv, Nov. 98.
[20] Aus der Selbstdarstellung der Meßstelle für Arbeits- und UmweltSchutz (MAUS e.V.) - Bremen: www.MAUS-Bremen.de.
[21] So ist auch die Frage, ob sich der Salzstock Gorleben für die Endlagerung radioaktiver Stoffe eignet oder nicht, nicht zu beantworten, in dem nach einer vermeintlich technischen, "objektiven Wahrheit" gesucht wird. Die gibt es nicht - denn in die technischen Fragestellungen und auch in die Ergebnisse (die immer Interpretationen sind) gehen das jeweilige Menschenbild/Gesellschaftsbild, die jeweiligen politischen/ökonomischen Vorstellungen/Interessen mit ein.
Das, was für die Anti-AKW-Bewegung "nicht geeignet" heißt, kann für die Atomindustrie oder die Regierungen durchaus "geeignet" heißen. Und da führt der Streit um die technischen Details weg von den eigentlichen gesellschaftlichen Widersprüchen. Das trifft auch für die Forderung zu, “außerhalb von Gorleben nach einem “geeigneten” Standort zu suchen”. Sie stellt die weitere Produktion von Atommüll nicht in Frage, sondern suggeriert, dass ein geeignetes Endlager prinzipiell denkbar ist und nur an anderer Stelle gesucht werden muß. Und legt den Verdacht nahe, dass versteckt dafür plädiert wird, das Problem von der eigenen Haustür an einen andern Ort zu verlagern.
Oder ein anderes Beispiel:
»Die Weltbank gibt sich alle Mühe, ihre Thesen (wie z.B. "die Offenheit für den Welthandel hat der Wirtschaft der Dritten Welt eindeutig geholfen") als wissenschaftlich fundiert, streng rational, unpolitisch und werturteilsfrei erscheinen zu lassen. ...
Ebenso wie das Wetter erscheint der Markt als gegeben, quasi-natürlich und schicksalshafte Größe, der sich die Menschen anzupassen haben. ...
Sowohl die Praktiken der Unternehmen als auch die ihnen zu Grunde liegende Funktionsweise des Kapitalismus werden durch ihre Naturalisierung einer ethischen und politischen Diskussion entzogen. ...
Das Problem der Armut wird so dargestellt, als seien die Armen durch schlechte Regierungsführung oder soziale und politische Ausgrenzung an einer effektiven Teilnahme an der Marktwirtschaft (und damit an ihren wohlstandshebenden Wirkungen) gehindert. Marktorientierte Reformen, die ihnen diese Teilnahme ermöglichen, kämen ihnen daher zugute.«
aus: Dram Ziai, "Die Bank, die Armen und der Markt. Ideologische Diskurstrategien der Weltbank", Blätter des Informationszentrums 3. Welt, Nr. 265, Sonderheft Globalisierungskritik, Dez. 2002.
[22] Hannah Arendt, "Eichmann in Jerusalem, ein Bericht von der Banalität des Bösen"; Piper Verlag, München, 1999.
[23] "Kommandant in Auschwitz, autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß", herausgegeben von Martin Broszat; dtv, Dokumente, Nr. 2908, München 1994.
Aus der Einleitung von M. Broszat:
» ... Am Falle Höß wird in aller Eindeutigkeit klar, daß Massenmord nicht mit persönlicher Grausamkeit, mit teuflischem Sadismus, brutaler Roheit und sogenannter "Vertiertheit" gepaart zu sein braucht, welche man sich naiverweise als Attribut eines Mörders ausdenkt. Höß` Aufzeichnungen widerlegen diese allzu einfachen Vorstellungen radikal und offenbaren stattdessen als Porträt des Mannes, bei dem die Regie täglicher Judenvernichtung lag, einen Menschen, der alles in allem recht durchschnittlich geartet, keineswegs bösartig, sondern im Gegenteil ordnungsliebend, pflichtbewußt, tierliebend und naturverbunden, ja auf seine Weise "innerlich" veranlagt und sogar ausgesprochen "moralisch" ist. Höß ist, mit einem Wort, das exemplarische Beispiel dafür, daß private "Gemüts"-Qualitäten nicht vor Inhumanität bewahren, sondern pervertiert und in den Dienst des politischen Verbrechens gestellt werden können (S. 19). ...
Höß` Autobiographie verdeutlicht, daß es nicht irgendein verkommener Auswurf der Menschheit war, der die Technik des Massenmordes erfand und durchführte, sondern das Werk ehrgeiziger, pflichtbesessener, autoritätsgläubiger und prüder Philister, die, in Kadavergehorsam erzogen, kritik- und phantasielos mit bestem Gewissen und Glauben sich einredeten und sich einreden ließen, die "Liquidierung" hunderttausender von Menschen sei ein Dienst für Volk und Vaterland (S. 22). ...«
[24] Felicia Langer, "Quo vadis Israel? Die neue Intifada der Palästinenser", Lamuv Verlag, Göttingen 2001.
Felicia Langer, in Polen geborene Jüdin, als Kind mit der Familie vor den Nazis geflohen, nach dem Krieg nach Israel ausgewandert. Mehr als 20 Jahre hat sie als Anwältin PalistinenserInnen juristisch verteidigt. Seit 1990 lebt sie in der BRD.
[25] Istvan Eörsi, "Das Ende des Überlebens. Was lernt man aus dem Holocaust für den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern? Auf der Seite der Verfolgten zu stehen und wahrhaftig zu sein.", Die Zeit, 29/2002.
Istvan Eörsi wurde 1931 in Budapest geboren. Er überlebte das Budapester Ghetto. Die gesamte Familie seines Vaters und weitere Familienangehörige wurden von den Nazis ermordet.
[26] s. "Naher Osten, Ferner Westen. Der Israel/Palästina - Konflikt und die Linke in der BRD." Hamburg, August 2002, www.MAUS-Bremen.de unter:Text Archiv.
[27] Um nur einige Beispiele zu nennen: die Proteste gegen die Jahrestagung des IWF und der Weltbank in West-Berlin (26. – 29.9.1988), die Rebellion der Zapatisten in Mexiko (am 1. Jan. 1994 begann der zapatistische Aufstand in Chiapas), oder der weltweite Widerstand gegen den globalen Markt, "Frei"-Handel und die Welthandelsorganisation (WTO), die Auseinandersetzungen gegen die WTO in Seattle (November 1999) und in Washington (April 2000), oder die Aktionen von 500 indischen BäuerInnen von der "Interkontinentalen Karawane" und die "Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen" gegen den Gipfel der Europäischen Union und den Weltwirtschaftsgipfel in Köln (Juni 1999), oder die Diskussion um die Charta 2000 (Informationen dazu s. www.raison.org ), die Proteste gegen die Konferenz des IWF und der Weltbank in Prag (Sept. 2000), den EU-Gipfel in Göteburg (Juni 2001), den Klimagipfel in Bonn, das Treffen der Staats- und Regierungschefs der sieben reichsten Industrienationen und Russland (G8) in Genua (Juli 2001, dem sich über 300.000 Menschen entgegenstellten. Es kam zu brutalen Übergriffen der Polizei, ein Demostrant - Carlo Guilliani - wurde erschossen, viele wurden verhaftet und noch in Haft mißhandelt), die Ministerkonferenz des WTO in Doha (Nov. 2001), den EU-Gipfel in Brüssel (Dez. 2001), das Weltwirtschaftsforum in New York (Feb. 2002), die Sicherheitskonferenz (Wehrkundetagung) in München (Feb. 2002), der EU-Gipfel in Barcelona (März 2002, mit etwa 300.000 DemonstrantInnen), den G8-Gipfel in Kananaskis/Kanada (Juni 2002), den EU-Gipfel in Sevilla/Spanien (Juni 2002), ...
Unter dem Motto "eine andere Welt ist möglich", trafen sich auf dem ersten WeltSozialforum (Feb. 2001) in Porto Alegre/ Brasilien, ehemals als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum in Davos geplant, etwa 60.000 Menschen aus aller Welt.
Inzwischen haben fünf WeltSozialforen stattgefunden (2002, 2003, 2005 in Porto Alegre, 2004 in Mumbai/Indien) und drei europäische Sozialforen (2002 in Florenz, 2003 in Paris, 2004 in London) und es fand im Juli 2004 die dritte europäische Konferenz des weltweiten Netzwerks Peoples` Global Action (PGA) in Belgrad/Serbien statt.
(www.forumsocialmundial.org.br/ , www.agp.org , www.attac.de )
In einem Aufrufflugblatt gegen eine Neoliberalismuskonferenz am 24./25. April 2001 in Frankfurt heißt es: »Die Karawane der 500 indischen Bäuerinnen und Bauern wird auf die dramatische Verschlechterung der Lebenssituation von nahezu 75% der indischen Bevölkerung aufmerksam machen, die durch die schnelle Verbreitung der Freien Marktwirtschaft hervorgerufen wurde. Insbesondere die Freihandelsabkommen und die Auflagen der WTO, die "Dritte-Weltländern" verbietet, ihre Wirtschaft bzw. ihren Binnenmarkt zu schützen, ermöglicht es den Multinationalen, die einheimischen BäuerInnen vom Markt zu verdrängen und ihnen ihre Lebensgrundlage zu entziehen.«
[28] „... Wer sich mit der Marktliberalisierungspolitik der WTO auseinandersetzt, lehnt auch die Privatisierung lokaler öffentlicher Verkehrsbetriebe ab, weil diese nur eine andere Facette der globalen Enteignungsökonomie vor unsereer Haustür ist. Genauso ermöglicht ein genaues Verstehen der Politik der Institutionen des globalen Empire, die selben Phänomene der Verarmung, Enteignung und Entrechtung bei Hartz IV wiederzuentdecken. Hartz IV funktioniert nach der Logik eines Strukturanpassungsprogramms des IWF und ist in diesem Sinne keine innerpolitische Angelegenheit. ...
Die Hartz-Gesetze sind der konkrete Ausdruck dieses globalen Projekts von Verarmung und Enteignung, weil es gerade den Besitz der Ärmsten zur Disposition stellt; von Entrechtung, weil der Verlust des Arbeitsplatzes mit Arbeitszwang und sozialem Abstieg einhergeht; und von verschärfter Präkarisierung von Arbeitsverhältnissen, weil somit eine noch viel stärkere Disziplinierung möglich gemacht wird. Eine Politik, deren Grundrichtung falsch ist, verdient kein ambivalentes „Einerseits-Andererseits“, sondern ein unmissverständliches Ya Bsta – Es reicht! ...“
»Das prodiktive Nein. Schlaue Fragen reichen nicht mehr
aus – Attac muss klare Antworten liefern und machbare Alternativen aufzeigen.« Alexis Passadakis, Pedram Shahyar,
TAZ, 10.02.05.
[29] Ohne den VertreterInnen dieser Positionen irgendeine Form nationalsozialistischer oder antisemitischer Nähe zu unterstellen und mit dem Wissen, dass solche Vergleiche in letzter Zeit oft gemacht werden, um den Holocaust für konkrete politische Ziele zu instrumentalisieren, möchte ich auf einen historischen Aspekt dieser Diskussion hinweisen. Sie erinnert mich an die Vorstellungen/Ideologie im NationalSozialismus, wo zwischen "raffendem" und "schaffendem" Kapital unterschieden wurde. Zu den VertreterInnen des "raffenden" Kapitals wurden damals die Juden gemacht und das wurde dann u.a. zur Legitimation für ihre Verfolgung und Ermordung herangezogen, die VertreterInnen des "schaffenden" Kapitals waren die "guten Deutschen" die dann im Rahmen von "Volksgemeinschaft" zu den gesellschaftlichen Eliten gehörten.
[30] „Das reiche Fünftel (20 %) der Weltbevölkerung in den OECD-Staaten ist verantwortlich für mehr als 80 % des Verbrauchs von Energie aus nicht erneuerbaren Ressourcen, sowie für mehr als 80 % des Schadstoffeintrags in die Biosphäre. … Mit unserer ökologisch nicht tragbaren Lebens- und Produktionsweise beteiligen wir uns weltweit an einem chauvinistischen Selektionsprozess, der andere unmittelbar ihrer Lebenschancen beraubt.“
Saral Sarkar, Bruno Kern, »Ökosozialismus oder Barbarei, eine zeitgemäße Kapitalismuskritik«, Herausgeber: Initiative Ökosozialismus, Köln und Mainz, Mai 2004.
»Jenseits des nationalen Sozialstaats: Weltbürgerliche Solidarität. Medico-Thesen zu einem globalen Projekt sozialer Gerechtigkeit.« www.medico-international.de/projekte/gesundheit/sozsicherung.pdf