Betrifft:
Internationaler Kongreß, 1.-5. Mai 1996, in Heidelberg:
Science/Fiction,
»Fundamentalismus und Beliebigkeit in Wissenschaft und Therapie«,
Veranstalterin: Internationale Gesellschaft für systemische Therapie (IGST).
Zur Pressemitteilung der OrganisatorInnen des Kongresses zur Ausladung von Peter Singer, vom 30. März 96.
Es stellt sich die Frage
nach der Absicht, auf eine Pressemitteilung einzugehen, die sich
nicht im geringsten bemüht, die vielfältige Kritik an den
Kongreß wahrzunehmen, geschweige denn, sich mit ihr
auseinanderzusetzen; die sich auf "Tatsachen beruft", die
sie selbst erst behauptet, um darauf Argumente aufzubauen, die die
KritikerInnen diffamieren sollen und um sich selbst ins rechte Licht
zu rücken. Für wahr, der Standort scheint herrschaftsimmanent-integrativ, darüber kann der liberalistische und
populistisch unschuldige/ empörte/anbiedernde Habitus auch nicht
hinwegtäuschen.
Die OrganisatorInnen
schrecken nicht einmal davor zurück, »viele Behinderte«
- wer immer das sein mag und wen immer sie damit von sich selbst
abgrenzend kategorisieren - als ZeugInnen aufzurufen, um ihre
Einladung an Peter Singer zu rechtfertigen und diesen ihre eigenen
Argumente in den Mund zu legen:
»...(die "vielen Behinderten", d.V.), die uns ausdrücklich ermutigt haben, die Einladung an Peter Singer aufrecht zu halten. Ihr Argument ist, man müsse mit ihm offensiv diskutieren. Empört haben sich vor allem selbsternannte nicht behinderte Anwälte der "Behinderteninteressen". ...«
»... Insofern bedauern wir, zu solch einer Diskriminierung durch die Ausladung Peter Singers beizutragen. Allein die Abwägung der zur Debatte stehenden Werte rechtfertigt unsere Entscheidung. All die Behinderten, die uns wegen dieser impliziten Diskriminierung gebeten haben, an der Einladung Peter Singers festzuhalten, bitten wir hiermit öffentlich um Entschuldigung.«
Das wirft ein Licht auf den Kongreß insgesamt; das läßt sich nicht nur an den aufgeführten Themen festmachen, sondern viel eher an der offensichtlichen Absicht, die hinter den Themen steht und an den Vorstellungen, in welchem politischen/gesellschaftlichen Kontext diese Themen behandelt werden sollen und auch an dem Mangel an intellektueller Ehrlichkeit, den propagandistischen Tricks und Machtspielchen. Zu ihrer inhaltlichen eigenen Auffassungen schweigen die VeranstalterInnen sich wohlweislich aus, sie argumentieren auf einer Oberfläche mit vorgeschobenen, scheinbar objektiven Kriterien von "Meinungsfreiheit" und "Wissenschaftlichkeit".
Deshalb geht es mir hier nicht um eine Auseinandersetzung mit den VeranstalterInnen - da trennen uns sicher antagonistische Vorstellungen was unser Menschenbild, Wissenschaftsbegriff und unsere gesellschaftliche Utopie betrifft -, mir geht es um die Menschen, die mit Unverständnis diese Auseinandersetzung verfolgen. D. h. um eine möglichst breite und kollektive Diskussion gegen eine Entwicklung, die unsere Gesellschaft zur Zeit grundsätzlich prägt: ich meine die neue Offensive von Staat, Philosophie, Wissenschaft, Medizin, Rechtsprechung, ... in Richtung "Neue Euthanasie", "Neue Eugenik", gesellschaftliche Normierung, Selektion, Entsorgung und Vernichtung; die Modellierung von gesellschaftlichen Fragen durch Theorien aus Naturwissenschaft, Mathematik und Informatik, um Gesellschaft berechenbar, prognostizierbar, steuerbar zu machen; die marktorientierte Umstrukturierung/Kapitalisierung vieler gesellschaftlichen Bereiche; und die Vernetzung dieser so un terschiedlich erscheinenden "Fach"-Gebiete.
Zur "Meinungsfreiheit", "Redefreiheit Andersdenkender".
»... Der Verdacht
ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß all die
Bestialitäten der Nazi-Zeit auch deshalb stattfinden konnten,
weil in Deutschland die Meinungsfreiheit nicht genügend
geschützt wurde.
Langfristig sind
Behinderte in einer Gesellschaft ohne geschützte
Meinungsfreiheit unseres Erachtens gefährdeter als in einer
Gesellschaft, in der die Meinungsfreiheit unabhängig von den
vertretenen Inhalten als hoher Wert betrachtet wird. Wo dieses Recht
beschnitten wird, muß das Verfahren rechtsstaatlich geregelt
sein.
Soviel Verständnis
wir für die Betroffenheit über Peter Singers Positionen
haben und so sehr wir bereit sind, für das Lebensrecht
Behinderter einzutreten: Keiner gesellschaftlichen Gruppe sollte das
selbstherrliche Recht zugebilligt werden, über die Redefreiheit
Andersdenkender zu entscheiden. Das wäre eine Form der
Diskriminierung, deren Vorzeichen sich nur zu leicht umkehren ließen.
...«
Hier wird sich auf ein
scheinbar wertfreies und scheinbar un hinterfragbares Recht, der
"Meinungsfreiheit" oder der "Redefreiheit
Andersdenkender" berufen und dadurch die Frage nach den
Absichten, die hinter der Einforderung dieses "Rechts"
stehen, nicht mehr gestellt/zugelassen.
Die Empörung über
Zensur und Gewalt - »... Wir haben uns dazu (die
Einladung an Peter Singer zurückzunehmen, d. V.) entschlossen,
da wir ausreichend Hinweise dafür erhielten, daß
anderenfalls über legitime Proteste hinaus der Ablauf des
Kongresses gewalttätig ge stört worden werden könnte,
so daß die Sicherheit Peter Singers, der Kongreßteilnehmer
und Referenten bedroht würde. ...« -, gegen
KritikerInnen des Kongresses, erscheint vorgetäuscht und
demagogisch, in Anbetracht der Frage, wer den Hebeln der Macht so
wieso schon nahe ist und wer sich gegen die herrschenden Verhältnisse
bemühen muß, überhaupt erst einmal Gehör zu
verschaffen.
»Als die ersten
Kongresse und Seminare zum Thema "Bio-Ethik" gesprengt
wurden, ging ein Aufschrei durch die liberale Szene. Das wäre
gegen die Spielregeln der offenen Diskussion, die Freiheit der
Wissenschaft würde angegriffen, wo bliebe da die Toleranz.
Diese regelmäßig
eingeforderte "Toleranz" ist es wert, genauer untersucht zu
werden. Zuerst einmal wird hier von der Fiktion eines
herrschaftsfreien Dialogs zwischen Opfern und Tätern
ausgegangen. Eine kleine Ungleichgewichtigkeit wird dabei
ausgeblendet: Wenn die eine Seite, die den Hebeln der Macht sowieso
schon nahe ist, sich durchsetzt, kann das tödliche Konsequenzen
für die andere Seite haben, mit der - oder über die - jetzt
noch friedlich diskutiert werden soll. Diese Toleranz wird nicht
zum solidarischen Umgang der Menschen miteinander, nicht für
das Ziel einer humanen, gleichberechtigten Gesellschaft
eingefordert. Sie dient einzig dem Schutz der herrschenden
Ideologie vor unbotmäßiger Kritik. Das Einklagen von
Toleranz gegenüber Singer und seinen MitstreiterInnen hat nichts
mit der Freiheit aller Individuen zu tun, sondern ist nur ein Vehikel
zu Durchsetzung reaktionärer Politik.« (E.coli-bri,
">Bio-Ethik<, unser aller Lebensrecht ist nicht
diskutierbar", Nr. 7, Hamburg, Juni 1991)
Der Bezug auf die Nazi-Zeit vertauscht bewußt - und hier ist der Zynismus auf die Spitze getrieben und eigentlich läßt sich nur noch von Taschenspielertrick reden - die Rolle der Täter und Opfer. Dort haben die Täter jede Kritik unterdrückt und die KritikerInnen vernich tet, hier sollen sich die potentiellen Opfer - und das sind beiweitem nicht nur die Menschen, wie die VeranstalterInnen unentwegt glauben machen wollen, die in dieser Gesellschaft sowieso schon behindert werden, die sogenannten "Behinderten" - mit den TäterInnen und ihren ProtagonistInnen aus Naturwissenschaft, Soziologie, Philosophie, Medizin, u.s.w. an einen Tisch setzten.
Zudem erscheint es für die VeranstalterInnen eine äußerst großzügige Geste zu sein, wenn sie »für das Lebensrecht Behinderter« einzutreten vorgeben und Verständnis für deren Betroffenheit äußern. Unser Verharren auf Empörung über solche Anmaßung, Ignoranz und Selbstgefälligkeit scheint mir Illusion über die Absichten, die dahinter stecken, zu sein und auch ein Zeichen noch eigener Ohnmacht.
»... Wir halten
daran fest, daß Meinung- und Redefreiheit ihre Grenzen hat,
nämlich da, wo andere Menschen durch die geäußerte
Meinung beleidigt, verletzt oder bedroht werden. Deshalb ist z.B. das
Verbreiten der sog. "Auschwitz-Lüge" strafbar, weil
damit die Opfer nachträglich verhöhnt werden. Eine
rationale Diskussion darüber, wie lebenswert das Leben
bestimmter Individuen ist, beleidigt und bedroht Menschen, die ihr
Lebensrecht nicht rational zur Debatte gestellt haben wollen. Man
kann über den Wert eines Menschenleben nicht verhandeln wie über
den Preis eines Keidungsstückes. Der Begriff Wert stammt aus der
Ökonomie und wer mit diesem Begriff Leben bemißt,
transportiert eine klare Botschaft an die, die sich unter dem
Kosten-Nutzen-Aspekt als teuer erweisen. Die Bioethik spricht von
"Freiheit der Wissenschaft" und meint den Freibrief zur
Tötung von behinderten Neugeborenen, chronisch Kranken und
alten Menschen. ...«
(Aus einem offenen Brief
an die VeranstalterInnen des Kongresses, Mannheim/Heidelberger
Aktionsgruppe, April 96.)
Zu den »Behinderten« und ihren »selbsternannten, nicht be hinderten Anwälten der "Behinderteninteressen"« aus der »Helfer-Szene«.
»... Erschreckt mußten wir zur Kenntnis nehmen, daß Organisationen, welche den Kampf gegen die Ausgrenzung der Stigmatisierten in unsere Gesellschaft zu ihrem Programm gemacht haben, in ihrem eigenen Handeln Stigmatisierung und Ausgrenzung als Mittel der Ausgrenzung verwenden. Die Selbstgerechtigkeit, mit der in manchen Kreisen der Helfer-Szene Moralismus als Machtstrategie praktiziert wird, hat uns sehr nachdenklich gemacht. ...«
Es geht bei dem
eingeforderten Diskurs um die Kategorisierung von menschlichem Leben
in lebenswert und lebensunwert, in Person und Unperson, in
sinnvolles, nützliches oder sinnloses, nutzloses Leben, also um
Normierung, Qualitätskontrolle und schließlich um
Selektion und Vernichtung.
Diese Diskussion ist auch
im Zusammenhang zu sehen mit der zur Zeit von staatlichen Stellen
eingeforderten marktorientierten
Umstrukturierung/Kommerzialisierung/Monetari-sierung vieler
Lebensbereiche, mit der Effizienzkontrolle und Qualitätskontrolle
des "Outputs" sozialer Arbeit
Es geht um ein
Weltbild der ökonomischen Rationalität in dem der Mensch
als Kostenfaktor definiert und an seiner "Effizienz"
gemessen wird.
Eine ideologische
Grundlage bildet die Philosophie des Utilitarismus: »Diese
Denkrichtung gibt vor,alle individuellen Handlungen objektiv
nach deren Nützlichkeit abzuklopfen, dann die als positiv oder
negativ eingestuften Schritte und Ergebnisse gegeneinander
aufzurechnen, um am Ende die größtmögliche Summe
von Glück für möglichst viele Menschen zu
erreichen.«
(Christian Mürner,
Udo Sierck, Freitag, 1.3.1996)
Und wer sich auf diesen Diskurs überhaupt einläßt, akzeptiert schon, daß menschliches Leben zum Objekt/Gegenstand der Diskussion/Abwägung gemacht wird und macht das Ergebnis vom Ausgang einer angeblichen objektiven, wertfreien, unschuldigen Erörterung, mit dem Etikett wissenschaftlich versehen, abhängig.
Jede Kategorisierung, Normierung, Qualitätskontrolle (nach Geschlecht, Hautfarbe, Fähigkeiten, Nationalitäten, Verwertbarkeit, Leistung, Nichtbehindert, Behindert, Normal ...) von Menschen bedeutet Hierarchisierung, Selektion, Herrschaft von Menschen über den Menschen, und sie verhindern/zerstören Kommunikation als Berührung und Austausch, als sich aufeinander einlassen, als kritische, radikale Auseinandersetzung, als gemeinsame Erfahrung/gemeinsame Entwicklung.
Aus der Erfahrung, daß
das Bemühen um Kommunikation uns dem Leben öffnet und sich
gegen Hierarchisierung/Selektion/Herrschaft richtet, gemeinsame
Entwicklung/Emanzipa-tion/Befreiung erst zuläßt - in
diesem Sinn ist Kommunikation auch immer Sabotage an Herrschaft -,
geht es darum, hierfür Position zu beziehen und nicht um den
Streit um angeblich sich konträr gegenüberstehende
wissenschaftliche Thesen und Theorien:
Für eine
solidarische, herrschaftsfreie Gesellschaft! Was das ist, können
wir nur in der Auseinandersetzung mit den bestehenden herrschenden
Verhältnissen herausbekommen. Jeder Mensch/die Kommunikation
steht hierbei im Mittelpunkt.Das wird u.a. auch bedeu ten: die
materielle Existenzsicherung von der Arbeit zu trennen, das
Privateigentum an Produktionsmitteln, an Grund- und Boden, ...,
abzuschaffen.
Aber - hier nur als
Hinweis auf das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen, angeführt
- es gibt kein "Draußen", "Aussteigen" ist
nicht möglich: Identität/Bewußtsein/Utopie ist immer
auch Definition über herrschende Gesellschaftsbilder und die
individuelle Entscheidung/Kri-tik/Handlung ist weitgehend schon in
die herrschenden Verhältnisse integriert, auch schon bevor
sie stattfindet.
So stehen sich nicht verschiedene wissenschaftliche Meinungen/Erkenntnisse gleichberechtigt gegenüber, die in einem wissenschaftlichen Disput in einem neutralen Verfahren geklärt werden können, sondern es stehen sich antagonistische Menschenbilder/Gesell-schaftsbilder gegenüber. Der wissenschaftliche Disput soll nur dazu dienen, dies und die Absicht, die dahinter steckt, zu verschleiern. So ist es auch nur wenig interessant und dient der eigentlichen Auseinandersetzung nicht, z.B. den VertreterInnen des Utilitarismus, logische Fehler, Fehlinterpretationen von "empirischen" Daten u.s.w. nachzuweisen - im Gegenteil, führt das gerade dazu, weg von den eigentlichen Differenzen, sich auf eine falsche Diskussion einzulassen. Das ist Täuschung, in die besonders gerne VertreterInnen der "Scientific Community" ausweichen, denn das ist ja gerade ihr Existenzfeld/Legitimationsraum, dafür werden sie mit gesellschaftlichen Privilegien belohnt, und dafür haben sie sich oft schon längst entschieden und sich somit jeder gesellschaftlichen Verantwortung entzogen, sich weitgehend zum Büttel der herrschenden Verhältnisse gemacht.
Der Vorwurf des
Fundamentalismus gegen alle, die den Diskurs ablehnen, ist der
Versuch, sie als DogmatikerInnen, die nicht mit der Entwicklung der
Zeit gehen, zu diffamieren. Das soll die eigene Position als
wissenschaftlich neutral und als "natürliche" Wahrheit
propagieren und das eigene Menschenbild/Gesellschaftsbild das
dahinter steckt, die eigene gesellschaftliche Rolle verbergen.
P. Singer unterstellt z.B. denjenigen, die sich auf den Diskurs nicht
einlassen, eine Haltung, die aus jüdisch -christlicher Tradition
unhinterfragt und unkritisch stammen soll und schlägt ein
Vorgehen vor, das den Anforderungen einer modernen Gesellschaft
besser gerecht werden soll:
»"Der
Einfluß der jüdisch-christlichen Auffassung von der
Gott-ähnlichen Natur des Menschen wird nirgendwo deutlicher
als in der westlichen Doktrin der Unantastbarkeit des menschlichen
Lebens; eine Doktrin, die selbst das Leben des hoffnungslosesten und
un heilbar hirngeschädigten menschlichen Wesens über
das Leben eines Schimpansens stellt." In seinem 1984 ins
deutsche übersetzte Buch Praktische Ethik (Reclam Verlag,
Stuttgart 1984) formulierte er konsequent weiter, daß auch alte
Menschen oder Unfallopfer getötet werden dürfen, wenn
Außenstehende das Fehlen der Personalität festgestellt
haben.« (Christian Mürner,Udo
Sierck,Freitag,1.3.1996)
Zwischen diesen Positionen - die keine Frage von Irrtum oder Unwissenheit sind, sondern politische Absicht und Haltung bedeuten - ist ein wissenschaftlicher Diskurs oder ein klärendendes Gespräch nicht möglich. Sie sind nicht zu vereinen oder abzugleichen, oder es ist nicht möglich, Kompromisse zwischen ihnen zu finden: Ein bißchen Vernichten kann es für uns nicht geben, oder wir können uns auch nicht darauf einlassen, "nur" eine bestimmte Bevölkerungsgruppe oder Menschen mit bestimmten Merkmalen zu opfern, das würde uns immer alle meinen und nicht nur die, die von dieser Gesellschaft sowieso schon behindert werden, die unter dem sozial-politischen Selektionsbegriff "Behinderte" kategorisiert/"ge-führt" werden - aber natürlich nur dann, wenn wir eine Gesellschaft wollen und auch versuchen, in der Menschen nicht über Menschen herrschen.
Es stellt sich die Frage nach Charakter und Absicht des Kongresses.
Es stellt sich die Frage
nach der Absicht, mit der Peter Singer zu diesem Kongreß
eingeladen wurde, und daraus ergibt sich die Frage nach
Charakter und Absicht des Kongresses und des veranstaltenden
Instituts.
Wiederholte Versuche von
Peter Singer, in der BRD öffentlich aufzutreten, konnten bisher
erfolgreich verhindert werden. Daß dies bisher gelang, hat
zumindest symbolische Bedeutung für die Kritik gegen die
"Neue Euthanasie", "Neue Eugenik", gegen die
Diskussion um gesellschaftliche Normierung und Selektion.
Das ist sicher auch den
VeranstalterInnen, ReferentInnen und den weiteren TeilnehmerInnen
bekannt.
Für den Kongreß
scheint es nicht wichtig zu sein, was Peter Singer zu sagen
hat - die Praxis und die Ideologiebildung haben ihn inzwischen auch
in der BRD, zumindest in einer gesellschaftlichen Grauzone,
längst überholt - sondern daß er im Rahmen
eines öffentlichen, wissenschaftlichen Kongresses reden
kann und somit bestimmte Ideen versucht werden, gesellschaftlich
reputierlich zu machen, oder überhaupt erst einmal als
gesellschaftlich notwendige, wissenschaftliche Fragestellungen
propagiert werden können.
Konzentriert sich die
Kritik ausschließlich auf Peter Singer, können das
veranstaltende Institut und der Kongreß ihn
vorschicken/sich hinter ihn verstecken, um die öffentliche
Akzeptanz zu erkunden und zu gestalten.
Jede(r) TeilnehmerIn des
Kongresses ist an diesem Prozeß beteiligt und so verantwortlich
zu machen.
Nachdem zahlreiche WissenschaftlerInnen und VertreterInnen unterschiedlicher Gruppen - z.B. aus der Krüppelbewegung, aus dem antifaschistischen, autonomen Spektrum - erklärt haben, daß sie ein Auftreten von Peter Singer nicht kritiklos hinnehmen werden, ja teilweise dafür eingetreten sind, zu versuchen, den Kongreß zu verhindern, haben die VeranstalterInnen Peter Singer wieder ausgeladen. - aus taktischen Gründen: »... obwohl wir diesen Schritt für falsch halten ...«.
und: »... Als
Veranstalter hätten wir uns dann gezwungen gesehen,
Rollstuhlfahrer, welche die Veranstaltung gewaltsam zu
blockieren suchten, - wenn wir sie nicht diskriminieren wollten -
durch die Polizei abtransportieren zu lassen. Dies wollen wir weder
den betroffenen Demonstranten, noch der Polizei, den
Kongreßteilnehmern, der Stadt Heidelberg oder uns antun. ...«
Die scheinbare Fürsorge
trieft vor Heuchelei und soll verdecken, daß die
VeranstalterInnen sich nicht auf die inhaltliche Auseinandersetzung
mit der Kritik an den Kongreß einlassen, sondern daß es
ihnen um die Bewahrung vor Schaden, den das Ansehen der
TeilnehmerInnen und der Stadt Heidelberg durch vielleicht für
sie unschöne Presseberichte und -Fotos erleiden könnten,
geht.
Aber die Fragen gehen
eigentlich noch viel weiter:
* Nach dem
Wissenschaftsbegriff, dem Menschenbild und Gesellschaftsbild, das
dahinter steckt, wenn versucht wird, Gesellschaft durch Theorien aus
Naturwissenschaft, Mathematik, Informatik zu modellieren, um sie
berechenbar, determinierbar, prognostizierbar und steuerbar zu
machen.
* Nach der Gesellschaft
in der wir leben, und wie sie sich dahin entwickelt hat, so daß
sie die Beschreibung und Gestaltung durch solche Theorien weitgehend
akzeptiert.
* Wo sich die Theorie des
Biologen Humberto Maturana über die Selbstorganisation
biologischer "Systeme" und die Theorie des Soziologen
Niklas Luhmann - der sich auf Maturana bezieht - über die
Selbstorganisation gesellschaftlicher "Systeme" mit den
Utilitarismusphantasien, der "praktischen Ethik" des
Moralphilosophen Peter Singers treffen. (Alle sind oder waren als
Referenten für dem Kongreß vorgesehen.)
* Wie sie und viele
weiteren ReferentInnen des Kongresses (wie z.B. der Jurist Norbert
Hoerster, der Philosoph Dieter Birnbacher und weitere, die Peter
Sigers Positionen vertreten und auf deutsche Rechtsverhältnisse
anwendbar machen wollen) sich z.B. im Rahmen des Projekts "Bio-Ethik"
interdisziplinär ergänzen und zusammenarbeiten - für
einen neuen Aufbruch in Richtung "Neuer Euthanasie" und
"Neuer Eugenik".
»... Aus
dem beiliegenden Programm können Sie ersehen, daß die mit
dem Namen Singer verbundenen Themen neben vielen anderen stehen, die
auf abstrakter Ebene verwandt sind. ...« (Dr.
Fritz Simon, Mitglied der wissenschaftlichen Planung und Leitung des
Kongresses, aus einem Brief an den Behindertenbeauftragten des Landes
Niedersachsen vom 31.3.96.)
Fritz Simon führt
diese Verwandschaft an, um die Einladung von Peter Singer zu
rechtfertigen. Ich meine aber, daß sie genau darauf
hinweist, wie notwendig es ist, unsere Kritik nicht nur gegen die
Einladung von Peter Singer, sondern gegen den ganzen Kongreß zu
richten.
Fritz Storim
Kontakte:
Autonom Leben e.V., Eulenstraße 74, 22763 Hamburg, T.: 040-392555, F.: 040-3907078
Infoladen Mosquito, Alte Bergheimer Str. 7a, 69126 Heidelberg, T./F.: 06221-22652
Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz, Richard-Wagner-Str. 22, 28209 Bremen, T./F.: 0421-342974
Termine:
Informationsveranstaltungen:
Bremen,
Angestelltenkammer, Violenstraße, Mi. 17.4., 20.00 Uhr,
Hamburg, B5,
Brigittenstraße 5, Fr. 19.4, 19.00 Uhr.
Demostration in Heidelberg, Mi. 1.5.96, 12.30 Uhr, Kornmarkt - anschließend Kundgebung vor der Stadthalle.
Für die Zeit des
Kongresses sind in Heidelberg mehrere Veranstaltungen und Aktionen
geplant.
u.a.:
1.5., 16.00-20.00 Uhr,
Stiftung Rehabilitation Heidelberg. Berufsförderungswerk. HD
Wiebingen, Bonhoefferstr. 1, Haus 1 - »Forum gegen die
Euthanasiedebatte«.
2.5., gepl. 19.00 Uhr,
Universität Heidelberg, Antifa-AK, »Normierung,
Selektion, Vernichtung im Namen von Zwangsläufigkeit und
Wissenschaftlichkeit«.
(Label: F.St.,Konf.Heidelberg/P.Singer; File-Name: Hei96T02;April 96)