Beitrag der Meßstelle auf der Demostration "Krieg ist nicht die Antwort", Bremen, 22.09.2001


zum Anschlag gegen die USA

Es herrscht Krieg,
aber das ist nichts Neues,
neu ist nur, daß der Krieg plötzlich näher gerückt ist,
und die USA, das westliche Bündnis, und vielleicht auch wir selbst zu den Angegriffenen gehören.

Das World Trade Zentrum und das Pentagon, diese Symbole für weltweit ökonomische und militärische Vorherrschaft der USA und auch der gesamten "westlichen Wertegemeinschaft", Symbole für Macht, Überlegenheit, Unangreifbarkeit, Expansion, globale Hegemonialpolitik zeigen sich plötzlich verwundbar. Das erschüttert den Stolz, das Selbstbewußtsein der amerikanischen Nation und wirft viele Fragen für die Zukunft dieser Welt wieder neu auf.

Aber es war nicht nur ein Angriff auf die Symbole der Macht, es war auch ein Angriff gegen ganz konkrete Menschen.
Wir lehnen solche Angriffe gegen Zivilisten, gegen nicht unmittelbar Beteiligte oder Veranwortliche, als eine Form des politischen Kampfes auf das Entschiedenste ab. Wir drücken allen Betroffenen unser tiefes Mitgefühl aus - und da gibt es kein wenn und aber.

Fundamentalismus, Dogmatismus, Fanatismus - wo immer sie auftreten, ob im Westen oder Osten, ob im Christentum oder im Islam oder sonstwo - sind immer Grundlage dafür, sich nicht für eine Welt ohne Hierarchien einzusetzen, sondern sich selbst in den Mittelpunkt dieser Welt zu stellen. Sind Grundlage für die Funktionalisierung von Menschen für politisches Machstreben, nach dem Motto: »der Zweck heiligt das Mittel«. Ausdruck ist auch, die Menschen nicht in ihrer gesellschaftlichen Widersprüchlichkeit zu begreifen, sondern an abstrakten Kategorien - wie "gut" und "böse", "zivilisiert" und "unzivilisiert" - zu messen, "Wahr-heiten" außerhalb jeder gesellschaftlichen Verhältnisse zu definieren.
Diese ideologischen Vorstellungen haben mit unseren Utopien von einer Welt, solidarisch und ohne Herrschaft nichts zu tun.


Es ist traurig und erschütternd, wenn Menschen auf diese Art in New York verletzt und getötet wurden. Für uns ist es genauso traurig und erschütternd wenn Menschen z.B. in Jugoslawien von den amerikanischen Bomben verletzt und getötet wurden. Da stellt sich schon die Frage, weshalb jetzt so viele Menschen entsetzt sind, aber im Jugoslawienkrieg bereit waren, die vielen Toten und Verletzten als Kolateralschäden hinzunehmen. Und es ist kein Naturgesetz, wenn weltweit täglich viele Menschen an Hunger, leicht zu heilenden Krankheiten und Krieg sterben, ohne daß davon hier jemand besonders Notitz nimmt.


zu den politischen Hintergründen für den Anschlag

Verschließen wir nicht die Augen davor: der Angriff war nicht nur ein Angriff von einigen durchgeknallten Fanatikern, sondern ist weltweit bei vielen Menschen auf Sympathie gestossen.
Über was freuen sich diese Menschen, sollten wir uns fragen. Unserer Kenntnis nach ist es nicht der gewaltsame Tod der vielen Tausenden. Sie drücken ihre Freude darüber aus, daß die Menschen in New York und Washington ein Beispiel davon erleben, was sie alle schon in weitaus größerem und schrecklicherem Ausmaß erlebt hatten und heute noch erleben müssen - verursacht oder mit Beteiligung der Weltmacht USA.
Es gibt gute Gründe dafür, warum die US-Regierung in vielen Teilen der Welt verhaßt ist. Und wir müssen nach diesen Gründen fragen - und dabei geht es auf keinen Fall um eine Aufrechnung und schon gar nicht darum, die Tat in New York und Washington zu rechtfertigen - , sondern wir müssen nach den Gründen fragen, wenn wir uns an einer Zukunft ohne Krieg, Gewalt und Ausbeutung beteiligen wollen, und wir deshalb nicht bereit sind, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu verteidigen.

Die USA dehnen ihre Macht bis in den letzten Winkel der Erde aus und zwingen den Völkern ihr Wirtschaftssystem auf. Ohne Rücksicht auf Schäden, die sie damit anrichten. (heute wird das kapitlistische Globalisierung und Neoliberalismus genannt). Die Welt bietet den unterdrückten Völkern zur Zeit nicht viel Hoffnung. Und es sind Hoffnungslosigkeit und Einflußlosigkeit, die Menschen veranlassen, solche Anschläge wie die in New York und Washington gutzuheißen.

Robert Bowman, Bischof der Vereinigten katholischen Kirche in Melbourne Beach, Florida sagt dazu Folgendes:
»Es wird verbreitet, wir (gemeint sind die USA) wären das Ziel des Terrorismus, weil wir für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte stehen. Unsinn! Wir sind das Ziel der Terroristen, weil unsere Regierung fast weltweit für Diktatur, Sklaverei und Ausbeutung steht. Wir sind das Ziel der Terroristen, weil wir gehaßt werden. Und wir werden gehaßt, weil unsere Regierung hassenswerte Taten begangen hat. In wievielen Ländern haben die Vertreter unserer Regierung Führer, die von der Bevölkerung gewählt waren, abgesetzt und durch Militärdiktatoren ausgetauscht, die nichts anderes als Marionetten und bereit waren, ihre eigenen Bürger an amerikanische Großkonzerne zu verkaufen? ... Wir taten dies in Chile. Wir taten dies in Vietnam. Und wie oft haben wir es in Nikaragua und anderen Ländern getan? ... Wir taten dies im Iran, als die US-Marine und das CIA Mossadegh absetzten, weil er die Ölindustrie nationalisieren wollte. Wir ersetzten ihn durch den Schah, und wir bewaffneten, trainierten und bezahlten dessen Geheimpolizei, die die Menschen im Iran versklavte und terrorisierte, nur um die finanziellen Interessen unserer Ölkonzerne zu schützen. Ist es ein Wunder, daß es Leute im Iran gibt, die uns hassen?« - soweit der Bischof.

Wer in den USA will heute schon daran erinnert werden, daß z.B. Osama bin Laden zu Zeiten der sowjetischen Besatzung Afghanistans ein Verbündeter war, der auf die Unterstützung der CIA zählen konnte? Der Gotteskieger und heute »meistgesuchte Terrorist« war zu Zeiten des Kalten Krieges ein »Freiheitskämpfer«.

Die Liste der Geueltaten und kriegerischen Auseinandersetzungen der USA läßt sich beliebig fortsetzen - fast überall, wo es auf der Welt Krieg gibt, sind die USA beteiligt. Zur Erinnerung einige Stichpunkte:

Hiroshima (06.08.45) und 2 Tage später Nagasaki,
Korea (25.06.50 - 27.07.53),
Kuba (1961),
Vietnam (1964 - 1975),
Chile (11.09.1973),
Nicaragua (1983),
Finanzierung von Todesschwadronen in Zentralamerika und Kolumbien,
Grenada (1983),
Panama (1989),
Irak (1991),
Sudan (1998),
Jugoslawien (1999/2000),
(die Rolle der USA im Palästina/Israel-Konflikt), u.s.w.
Und es soll nicht vergessen werden, daß die USA der größte Versorger der Welt mit "konventionellen Waffen" ist.


Empörung über den Anschlag, um von den eigenen Verbrechen, der eigenen Aggression abzulenken und die eigene Macht zu stabilisieren?

Jetzt ausschließlich einzelne Menschen oder Gruppen für die Anschläge in den USA verantwortlich zu machen soll von den eigentlichen Ursachen, den eigenen Verbrechen ablenken. Denn nach den Ursachen zu fragen würde auch heißen, die eigenen Machtverhältnisse zur Diposition zu stellen.

In diesem Sinne verkündet Bundeskanzler Schröder:
»Das ist eine Kriegserklärung an die gesamte zivilisierte Welt« und sichert den USA "uneingeschränkte Solidarität" zu - eine Arroganz, die von zwei Drittel der Menschheit als purer Rassismus empfunden werden muß.

Offiziell wird von den Repräsentanten des westlichen Bündnisses gesprochen: von Anschlag auf die Zivilisation, auf die Freiheit, auf die Demokratie, auf die Menschlichkeit und auf die Menschenrechte, auf die Grundwerte der freiheitlichen Welt.

Damit wird versucht zu suggerierent: wir sitzen alle in einem Boot, wir müssen jetzt gegen das "Böse" zusammenhalten.
»Entweder ihr seid für uns, oder ihr steht auf der Seite der Terroristen« sagte der Präsident der USA Bush in seiner Regierungserklärung Freitag morgen.

Da wird die Volksgemeinschaft geschmiedet, ein neuer Nationalismus beschworen.
1914 zur Vorbereitung des 1. Weltkrieges sagte Kaiser Wilhelm: »Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche«, jetzt heißt es: »ab heute sind wir alle Amerikaner« .
Kein Mensch hier war Jugoslawe, als Jugoslawien bombardiert wurde. Es ist auch kein Mensch Afrikaner, sondern höchstens froh, keiner zu sein, wenn dort die Menschen verhungern, damit wir billige Nahrungsmittel haben.

Da wird ein Klima erzeugt, indem es gefährlich ist, Kritik zu äußern ohne gleich auf die Seite der Täter von New York und Washington gestellt zu werden. Ein Klima indem alle zusammenhalen müssen, um den inneren und äußeren Feind zu bekämpfen. Ein Klima gegen Menschen ausländischer Abstammung, gegen Flüchtlinge, sowie gegen linke außerparlamentarische Opposition.
So haben schon bald PolitikerInnen die Bilder der Schutthaufen und der Toten benutzt, um ohne massenhaften Widerspruch mehr Gelder für Polizei und Militär zu verlangen, um größere Überwachungs- und Eingriffsmöglichkeiten für den Staat und eine weitere Verschärfung des AusländerInnengesetzes zu fordern, die Bildung paramilitärischer Polizeiverbände aus Polizei- und Bundeswehrkräften, einer Art Nationalgarde zur Aufstandsbekämpfung, wird von Bundesinnenminister Schily in die Diskussion gebracht. Der Ruf nach mehr Sicherheit und dem starken Staat war selten so laut wie heute. Der latente Rassismus, der immer Teil dieser Gesellschaft war, bricht immer offener auf.
Mit der Drohung der NATO, eine militärische Operation bis hin zu einem Krieg gegen vermeintliche Urheber zu führen, wird die Spirale der Rüstung und Gewalt weiter angefacht und das scheint zur Zeit durchaus auf massenhaften Konsens zu stoßen.


ohne soziale Gerechtigkeit wird es keinen Frieden geben

Die Logik der kapitalistischen Weltordnung, die die Menschheit nach Verwertbarkeit normiert und selektiert, scheint jetzt eine neue Stufe erreicht zu haben. Mit ideologisch aufgeladenen Floskeln wie "freie Welt", "Demokratie", "westliches Wertesystem" wird versucht, die Bevölkerung zu formieren, sich bedingungslos in das kapitalistische Weltgefüge einordnen zu lassen. Wer nicht mitmacht, wird zum Feind erklärt.
Deshalb halten wir es auch gerade jetzt für wichtig, zu betonen, daß der Widerstand gegen Neoliberalismus und kapitalistische Globalisierung notwendig ist.

Vergessen wir nicht, daß drei Viertel der Menschheit unter Massenarmut, ökonomischer Ausplünderung und sozialer Ausgrenzung in ihren Ländern leiden und das durch die Bedingungen, die ihnen von den reichen Mächten aufgezwungen werden -
und vergessen wir nicht, daß sie durchaus auch auf unsere Solidarität angewiesen sind, auch in unserem eigenen Interesse, der Utopie einer menschlichen, solidarischen Gesellschaft.

Es gibt keine anständigen, ehrenvollen, sauberen Kriege. Krieg ist immer ein entsetzliches Verbrechen.
Die Grundlagen die den Haß hervorbringen, müssen beseitigt werden. Ohne soziale Gerechtigkeit, ohne gerechte Verteilung der Ressourcen wird es keine Sicherheit, keinen Frieden geben.

Was jetzt unmittelbar ansteht, ist die Ausweitung des Krieges. Und da sollten wir die unterschiedlichen parteipolitischen Interessen, die unterschiedlichen politischen Positionen nicht zum Kriterium für Ausgrenzung, sondern zum Kriterium für gemeinsame Auseinandersetzung machen. Zusammenkommen nicht aus Opportunismus oder aus einem gegenseitigen taktischen Verhältnis heraus, sondern durchaus um voneinander zu lernen, um gemeinsam voranzukommen, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Alle, die gegen den Krieg und für eine gerechte Welt sind, müssen sich jetzt zusammeschließen.


Zuletzt will ich mir eine persönliche Bemerkung erlauben:
- die Bilder des Anschlags in New York und Washington erfüllt mich mit Entsetzen und Trauer. Ich stehe voller Kritik und entschiedener Ablehnung der menschenverachtenden Aktion gegenüber.
- Ich bin voller Wut gegenüber der Ignoranz und Überheblichkeit, mit der Bush, Schröder, Fischer u.s.w. die momentane Situation für ihre Machtinteressen funktionalisieren.
Wir sollten das als einen neuen Impuls begreifen, dazu beizutragen, diese Machtverhältnisse zu verändern.

Aus der "Rede für den Frieden" von Bertolt Brecht, 1952:
»Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.
dem kann ich mich nur anschließen!