den Glauben an die Macht der Marktlogik stärken!
- die Atomfabrik Hanau kaufen -


IPPNW - die internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges und in sozialer Verantwortung - haben Ende Februar eine Intitiative "Hanau selbst kaufen" ins Leben gerufen. Sie wollen Siemens ein besseres Angebot als China machen (also über 50 Millionen €) und dadurch den Export und die Inbetriebnahme der Anlage verhindern. Es wird befürchtet, dass China mit der Anlage neben zivilen auch militärische Zwecke verfolgen könnte. Die Folgen für die Bevölkerung bei ziviler Nutzung werden schon gar nicht mehr erwähnt.
Anschließend soll die Anlage umweltgerecht entsogt (das wird noch einmal mehrere Millionen € kosten) und die Bauteile der Anlage, "soweit rechtlich zulässig", versteigert werden.

Inzwischen haben sich dieser Initiative wie aus der Presse zu entnehmen ist BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz), Greenpeace, BBU (Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz), Politiker wie Winfried Nachtwei (sozialpolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion) und 20 Bundestagsabgeordnete - unter ihnen Hermann Scheer, Ernst Ulrich von Weizäcker (beide SPD), Christine Scheel, Franziska Eichstädt-Bohlig, Hans-Christian Ströbele, Winfried Hermann (alle Bündnis 90/Die Grünen), Petra Pau (PDS), der Landesverband der schleswig-holsteinischen Grünen und weitere prominente BürgerInnen wie Konstantin Wecker (Liedermacher) oder Erich Loest (Schriftsteller) angeschlossen.
Auf einer Pressekonferenz am Montag, den 22. März in Berlin teilte Sprecherin Ute Watermann (IPPNW) mit, dass bisher 6626 Menschen aus zehn europäischen Ländern sowie aus den USA, Japan, Israel, Palästina, Brasilien und Namibia Beteiligungen in Höhe von 847.272 € für den angestrebten Kauf gezeichnet haben (N.D. 23.04.04).


Als wir von dieser Initiative über die Presse erfuhren, haben wir erst einmal ungläubig geguckt und das Ganze für einen Scherz gehalten - dann für einen Trick, um für den eigenen Verein Geld abzuzocken. Das uns das selbst nicht vorher eingefallen ist, hat uns ganz neidisch gemacht. Aber inzwischen müssen wir wohl einsehen, daß das Ganze ernst gemeint ist. Was steckt wohl dahinter? Verwirrte Köpfe oder ein bestimmtes politisches Konzept, eine bestimmte politische Haltung?



Vorweg zwei Beispiele, die in die gleiche Richtung weisen.
Beispiel 1:
Als die Regierungskoalition und Atomindustrie einen "Konsensvertrag" zum "Ausstieg aus der Atomenergieproduktion" vereinbarten [ 1 ] , in dem die Regierung sich für die Aufrechterhaltung des ungestörten Betriebs der alten AKWs für unbestimmte Zeit verpflichtete [ 2 ], tauchte ein Satire-Flugblatt mit dem Logo von Bündnis 90/Die Grünen auf, mit der Aufforderung: »jetzt den Ausstieg in die eigene Hand nehmen: - deutschen Atomstrom kaufen! - Atomtransporte nicht behindern!« Das sollte wohl daran anknüpfen, dass im "Konsensvertrag" nicht die Laufzeit für einzelne AKWs vereinbart wurde, sondern eine noch zu produzierende Gesamstrommenge, unabhängig davon, mit welchem AKW und unabhängig davon in welchem Zeitraum sie produziert wird. Im Rahmen dieses Vertrages war die Forderung nur konsequent.
Aber aus Kreisen der Grünen kam dagegen Protest. Es war ihnen wohl peinlich, dass dadurch ihr zynischer Umgang mit Menschenleben noch einmal verstärkt deutlich wurde.

Beispiel 2: Das Wertpapier-Handelshaus Versiko VermögensverwaltungsGesellschaft mbH in Düsseldorf bietet Aktien für Ausstiegswillige aus der Atomenergie an:
»bieten wir ihnen jetzt die Möglichkeit, aktiv etwas gegen Atomkraftwerke zu unternehmen«, »Ja, ich will mein Geld nicht mehr für Atomkraftwerke arbeiten lassen. Bitte machen Sie mir ein Angebot für Aktien von Unternehmen, die weltweit führend sind im Bereich erneuerbarer Energien.«


Bei diesen Beispielen - und auch bei der IPPNW-Aktion jetzt - geht es um die Verschleierung und Entschärfung politischer Probleme durch das Einlassen auf die Spielregeln des "Freien Marktes". Und suggeriert die Macht der Marktlogik als integer, deligitimiert die vielfältigen Widerstandsformen.

Die Botschaft lautet: politische Konflikte lassen sich auf der Ebene von Markt abwickeln. Gegenüber stehen gleichberechtigte GeschäftspartnerInnen. Wer kein Geld hat, kann bei diesem deal nicht mitmischen - Pech gehabt, daran läßt sich eben nichts ändern! Wer Geld hat, hat politische Macht und Recht - für wahr, ja keine neue Erkenntnis: nur wird hier sichtbar, welch Geistes Kinder die InitiatorInnen dieser Aktion sind.
Moralisch - im Sinne einer emanzipatorischen/revolutionären Moral, die den Menschen in den Mittelpunkt politischen Handelns stellt und nicht die ökonomische Rationalität - ist diese Aktion zutiefst verwerflich und zynisch.
Und sind bestenfalls Versuche von kosmetischen Korrekturen an vermeintlichen Auswüchsen der herrschenden Verhältnisse - ein Reagieren auf der politischen Oberfläche. Und problematisiert nicht - und das soll es wohl auch nicht - die eigentlichen Hintergründe für die Atomtechnologie. D. h. es ist auch als ein Vorgehen zu verstehnen, gesellschaftskritischen Widerstand zu entpolitisieren, ihn auf die Ebene von kaufen und verkaufen zu verorten/zu legitimieren - im Sinne postmoderner neoliberaler Ideologie.

Daß Teile der Grünen und Sozialdemokraten und auch Teile der bürgerlichen Umweltbewegung dieser Initiative zustimmen, ist nur allzuleicht verständlich - steckt doch eine Haltung dahinter, die sie aus jeder politischen Verantwortung entläßt (gemeint ist hier die Verantwortung für die Menschen und nicht für das Kapital!).
Gespannt können wir jetzt auf die nächste Initiative warten, die vielleicht lauten wird: »jetzt Siemens-Aktien kaufen, um den Bau des finnischen AKW zu verhindern.«
Aber, um das zu erreichen, da müssen wir wohl alle noch kräftig in die Hände spucken.


Übrigens, Geld für den Widerstand gegen Atomenergie wird schon gebraucht, z.B. um die politisch Verfolgten und die vielen autonomen außerparlamentarischen Initiativen zu unterstützen - da gibt es noch ein weites Betätigungsfeld.

Fritz Storim, März 2004.
(Label:AntiAKW2004, DateiName: Hanau-kaufen-1, überarbeitet: 25.03.04)





[ 1 ] Das neue Atomgesetz wurde am 14. Dezember 2001 im Bundestag gegen die Stimmen der Opposition be-schlossen und trat am 27. April in Kraft

[ 2 ] "... für die verbleibende Nutzungsdauer den ungestörten Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung zu gewährleisten." Die Bundesregierung sichert "bei Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen den ungestörten Betrieb der Anlagen" zu und "sie wird keine Initiative ergreifen, mit der die Nutzung der Kernenergie durch einseitige Maßnahmen diskriminiert wird".