Stellungnahme zur Unterzeichnung des "Energie-Konsensvertrages"
Am Montag, den 11. Juni 2001, haben in Berlin Vertreter der vier größten Energieversorgungsunternehmen E.ON, RWE, HEW und EnBW und der Bundesregierung den seit etwa einem Jahr auf dem Tisch liegenden sogenannten "Konsensvertrag", mit dem die zukünftige Nutzung der Atomenergie geregelt werden soll, unterzeichnet.
Die Bundesregierung stellt dies als großen Erfolg dar, mit dem der Einstieg in den Ausstieg aus der Atomenergieproduktion besiegelt worden sei und somit auch dem gesellschaftlichen Konflikt um die Atomkraft der Boden entzogen sei. Der grüne Umweltminister Trittin spricht von einer "historischen Weichenstellung" und von einer "weltweit einmaligen Vereinbarung".
Die Atomindustrie sieht das durchaus etwas anders: "Wir glauben an eine Renaissance der Kernenergie", "dieser politisch gewollte Ausstieg ist nicht unumkehrbar", schließlich könne sich "das politische Klima ändern" und der sogenannte Kernenergie-Konsens sei "ein historischer Fehler", stellte der Vorstand der Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW), Manfred Timm am Donnerstag letzter Woche auf der Bilanzpressekonferenz der HEW - der zukünftigen dritten Kraft auf dem deutschen Energiemarkt - in der Handelskammer in Hamburg fest.
Es geht in die gleiche Richtung wenn nach der "Financial Times Deutschland" vom 29.5.2001 Günter Marquis, Präsident des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft (VDEW), bei der Vorstellung des VDEW-Jahresberichts 2000 am Montag letzter Woche in Frankfurt sagt: "Der politisch gewünschte Ausstieg aus der Kernenergie steht im Widerspruch zu den Klimaschutzzielen der Bundesregierung", oder wenn Gert Maichel, Präsident des Deutschen Atomforums und Vorstandschef der REW Power AG kürzlich in Dresden sagte: "Nach meiner Auffassung hat die Kernenergie auch in Deutschland trotz dieser Vereinbarung noch eine Zukunft", "über die Grundsatzfrage der friedlichen Nutzung der Kernenergie bestehen zwischen der Bundesregierung und der Industrie weiterhin unterschiedliche Auffassungen", in Deutschland werde es "in wenigen Jahren zu einer Neubewertung der Kernenergie mit dem Ergebnis einer weiteren Nutzung kommen".
Die Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz sieht sich im Einklang mit der Bewegung gegen Atomenergie, wenn sie feststellt:
Der "Konsens-Vertrag" sichert den Stromkonzernen durch Subventionen und politische Zusi-cherungen auf Jahrzehnte kostengünstigen und vor allem auch ungestörten Weiterbetrieb der bestehenden Atomkraftwerke.
Alle Druckmittel für einen Ausstieg- wie z.B. genauere Auflagen in Sicherheitsfragen, die Forderung nach Verschärfung, oder überhaupt Einhaltung des Entsorgungsnachweises, eine realistische Erhöhung der Deckungsvorsorge für den Fall einer Katastrophe oder die Besteuerung des Brennstoffs Uran und der milliardenschweren Entsorgungsrücklagen (z.B. haben die großen Energieversorger wie RWE oder E.ON für Entsorgung und Abriß von stillgelegten Atomanlagen geschätzte 70 Milliarden Mark angelegt) - hat die Regierung aus der Hand gegeben.
Das wird von den VertreterInnen der Atomindustrie ja auch freudig begrüßt. Manfred Timm spricht in einem Interview im "Deutschland Radio Berlin" Montag abend von "unstreitbaren Vorteilen", die der Atomindustrie durch die jetzt zugesicherte Rechts- und Planungssicherheit erwachsen. Gert Maichel sagt in der "Welt am Sonntag": "Die Bundesregierung hat uns den ungestörten Betrieb und die Entsorgung unsererKraftwerke auf lange Sicht zugesichert. Für die Branche bedeutet das das Ende unkalkulierbarer und großer wirtschaftlicher Risiken".
Der Vertrag bildet so die Grundlage für das Weiterlaufen der Atomkraftwerke, für die jetzt in großen Umfang stattfindenden CASTOR-Transporte und für den Neubau von Atomanlagen, den sogenannten "Zwischenlagern".
Die ausgehandelte Laufzeit bedeutet, dass ab jetzt noch einmal dieselbe Menge Atommüll produziert werden kann wie die seit Einführung der Atomenergie in Deutschland. Und das, obwohl es weltweit kein einziges sicheres Endlager für hochradioaktive Abfälle gibt und aus phyikalisch-technischen und gesellchaftlich-organisatorischen Gründen auch nicht vorstellbar ist.
Dieser "Konsenvertrag" macht also deutlich, dass die Rot-Grüne Regierung sich auf einen Deal zwischen ökonomisch-politischen Machtinteressen und unseren Lebensbedingungen zugunsten der Machtinteressen eingelassen hat und sich damit von ihren ehemals geäußerten eigenen Vorstellungen und auch von den Vorstellungen der Anti-AKW-Bewegung in einem nicht mehr zu vereinbarendem Maße entfernt hat.
Mit der Liberalisierung des Energiemarktes zieht sich die Regierung sukzessive aus der gesellschaftlichen Verantwortung für die Energieversorgung zurück und überläßt sie verstärkt dem Markt. Aber ohne die Subventionierung der Atomkraft könnte die Atomindustrie auf diesem Markt ökonomisch nicht überleben. Der "Konsensvertrag" hat also primär nicht etwas mit Ausstieg aus der Atomenergieproduktion zu tun, sondern soll die Atomkraft für den liberalisierten Markt fit machen und zudem den Protest gegen die Atomenergieproduktion ruhig stellen.
Die massenhaften und auch entschiedenen Protestäußerungen gegen die Atomtransporte und auch gegen die Genehmigung von sogenannten "Zwischenlagern" lassen erkennen, daß die Anti-AKW-Bewegung sich durch die Ausstiegsinszenierung der Bundesregierung nicht hat irreführen lassen.
Die gemeinsame Forderung ist nach wie vor, sofortiger Ausstieg und das weltweit. Nur das kann die Grundlage sein, über die Probleme, die durch die Atomenergieproduktion hinterlassen werden, gemeinsam und verantwortlich nachzudenken. Bis dahin werden wir nicht umhin kommen, den Betrieb der Atomanlagen auch praktisch zu behindern, d.h. dass wir uns überall da, wo sich eine Möglichkeit bietet, gegen das technische und politische System der Atomenergieproduktion "quer stellen". Da bieten sich in nächster Zeit z.B. eine große Anzahl von Atomtransporten in die Wiederaufbereitungsanlagen La Hague, und Sellafield, oder in die Atomlager Gorleben, Ahaus und Greifswald an; ebenso die häufigen Hexafluorid-Transporte nach Gronau zur Herstellung des Atombrennstoffes, und auch die vielen Erörterungstermine zur Genehmigung der "Zwischenlager".