UZ-Interview mit Isaac Velazco, Internationaler Repraesentant der Revolutionaeren Bewegung Túpac Amaru (MRTA) Perus (Oktober 2000)
1.- Was geht in Peru vor sich?
Die Krise, die als
Folge des neoliberalen Modells, des Staatsterrorismus, der Autoritarismus
und der Korruption des Regimes seit Jahren herangereift war, ist ausgebrochen
und hat den wahren Charakter eines politischen und oekonomischen Systems,
eines Systems, das von der so genannten internationalen Gemeinschaft als
demokratisch anerkannt worden war, enthuellt.
Es war die unaufhoerliche
Mobilisierung der Bevoelkerung, die als Katalysator fuer die Zuspitzung
der Widersprueche innerhalb der Bourgeoisie gedient hat, die nun zum Kollaps
des Regimes gefuehrt haben. Die Regierung Fujimori hatte die Hilfe von
Sektoren der Unternehmerschaft erhalten und es war ihr nur aufgrund dieser
Uebereinstimmung moeglich, die schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte,
der Meinungs-, Presse- und Organisationsfreiheit und aller oekonomischer
und sozialer Buergerrechte zu verheimlichen. Aber im Laufe der Zeit und
mit dem Deutlichwerden, dass die errungenen Profite nur dem kleinen Teil
der Unternehmerschaft, der mit den transnationalen Konzernen verbunden
ist, zugute kommen, hat die nationale Bourgeoisie, die nur dem Namen nach
national ist, begonnen zu erkennen, dass, wenn sie nicht fuer ihre Interessen
kaempft, sie immer weiter von ihrer oekonomischen Macht und aus ihrem sozialen
Status verdraengt werden wuerde, wie es der Mittelklasse schon passiert
ist, die sich im oekonomischen Sinne proletarisiert hat.
Diese Konflikte
zeigen sich gerade jetzt, weil die Bourgeoisie weiss, dass die Bevoelkerung
der Diktatur ueberdruessig ist und dass ihr Handeln immer bewusster wird
und sich schliesslich nicht mehr nur gegen das diktatorische Regime, sondern
gegen das ganze neoliberale kapitalistische System richten koennte und
damit Schluss machen koennte mit ihren Klassenprivilegien. Deshalb stehen
die herrschenden Klassen, die noch bis gestern bedingungslose Verbuendete
des Regimes waren, heute in Opposition zu diesem und setzen all ihre Ressourcen
ein, um zu enthuellen, was laengst ein offenes Geheimnis war: dass das
Fujimori-Regime autoritaer, terroristisch und korrupt ist.
Heute ist das Regime
in der Krise und unfaehig, zu regieren. Aber das Volk, das so viel Diktatur
und Staatsterrorismus ueberdruessig ist, ist bisher weder genuegend organisiert,
noch hat es ausreichend Kraft, um das Regime und mit ihm das System niederzuwerfen
und den Aufbau einer neuen Gesellschaft zu beginnen, die auf Frieden mit
sozialer Gerechtigkeit beruht.
2.- Wie bewertet ihr die Ankuendigung von Fujimori, Neuwahlen zu veranstalten und bei diesen nicht mehr anzutreten?
Die Ausrufung eines neuen Wahlprozesses ist ein Versuch, einen Ausweg aus der das Regime zernagenden Krise zu finden und Zeit zu gewinnen, um das Volk vom zentralen Punkt der Krise abzulenken, der in unseren Augen nicht nur das Fehlen von formaler Demokratie ist, sondern insbesondere die Existenz des kapitalistischen Unterdrueckungs- und Ausbeutungssystems, dessen neoliberales Modell nach autoritaeren Regimen verlangt. Dass Fujimori bei diesen Neuwahlen nicht wieder antritt ist nur die Anerkennung dessen, dass er in der Wirtschafts- und Innenpolitik gescheitert ist und dass das Volk ihn nicht mehr will.
3.- In eurer ersten Erklaerung nach dieser Ankuednigung Fujimoris sagtet ihr: Danke Genossen des Kommando Edgar Sanchez, dass ihr das Schweigen gebrochen habt." Welche Beziehung besteht zwischen der Besetzung der japanischen Botschaft, dem Massaker an den Genossen und der heutigen Entwicklung?
Das Regime des Alberto Fujimori konnte von Beginn an mit der Komplizenschaft der herrschenden Klassen und der politischen Klasse rechnen, in einigen Faellen in Form von Aktivitaeten, in anderen durch Unterwerfung. Die herrschenden Klassen unterstuetzten aufgrund ihrer Ideologie und aus oekonomischen Gruenden die repressive Politik, die der Fujimorismus anwandte, wie die Verletzung der Rechtsstaatlichkeit, und trugen zum Bankrott der formalen Demokratie bei, die in diesem Moment ein Hindernis fuer die Anwendung des neoliberalen Modells war, das auslaendische Investitionen bevorzugen und ihre Gewinne erhoehen sollte. Andere unterstuetzten ihn aus dem Grund, den Martin Niemoeller beschrieb: Als sie die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, denn ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, denn ich war ja kein Gewerkschafter,..."
Und weil ja die Verhafteten,
die Gefolterten, die Ermordeten und die Verschwundenen alle Terroristen
waren, und um zu vermeiden, selbst als Terroristen oder deren Helfershelfer
beschuldigt zu werden, sagten sie nichts, bis sie selbst die Repression
des Regimes traf.
Die wenigen Journalisten,
die sich trauten, die Verbrechen der Diktatur anzuklagen, wurden zu Terroristen
oder Helfern des Terrorismus erklaert und wurden das Ziel von Verhaftungen,
Folterungen und Morden. Die Politiker der institutionellen Linken erklaerten,
sie haetten nichts mit denen zu tun, die von der Regierung des Terrorismus
beschuldigt wurden, und um nicht als deren Komplizen betrachtet zu werden,
begannen sie, sich der selben Sprache zu bedienen wie die Regierung. So
hatte diese psychosoziale Politik Erfolg und man sprach nicht mehr von
sozialen Kaempfern, von Aufstaendischen oder Guerrilleros, sondern von
Terroristen. Es ist wahr, dass die fanatische und an Pol Pot erinnernde
Praxis einer maoistischen" Gruppe es der Diktatur einfacher machte, aber
grundsaetzlich war es diese psychosoziale Politik, die jede Meinungsaeusserung
gegen das Regime und seine terroristischen Methoden und damit jede Moeglichkeit
legalen Widerstandes unmoeglich machte. Deshalb konnte, nachdem das Kommando
Edgar Sanchez die japanische Residenz eingenommen hatte, in der Welt der
wahre, terroristische und massenmoerderische Charakter des Fujimori-Regimes
verbreitet werden. Es war das erste Mal, dass sich durch die Kehlen unserer
Brueder die Stimme unseres Volkes hoeren liess, um anzuklagen, dass mehr
als 50 Prozent unserer Bevoelkerung unter Bedingugen extremen Elends leben,
um die allgemeine Rezession der Industrie und die von dieser verursachten
riesigen Erwerbslosigkeit anzuklagen, um anzuklagen, dass Tausende Kinder
unterernaehrt sind und vor Vollendung ihres ersten Lebensjahres an einfach
zu heilenden Krankheiten sterben muessen und noch vieles mehr, das die
Konsequenz der Anwendung dieses neoliberalen Modells war. Unsere Bevoelkerung
konnte sehen und verstehen, dass wenn sie nicht fuer die Rueckeroberung
ihrer Rechte kaempfen wuerde, sie bald an zu Tode ausgezehrt sein wuerde,
wie es in Biafra und Somalia der Fall war, und trotz der Ermordung unserer
Brueder verstand die Bevoelkerung unsere Botschaft: Organisiert euch und
werdet aktiv gegen die Diktatur. Und diese Bewegung wuchs im ganzen Land,
es reorganisierten sich die verschiedensten Formen des Widerstandes und
vor allem konsolidierte sich die Organisierung der Einheit, obwohl es heute
notwendig ist, diese Organisierung noch weiter zu staerken. Aber allgemein
gesprochen machte unser Volk einen grossen Schritt vorwaerts zu seiner
Einheit und Autonomie und das kann eine neue politische Bewegung und die
Konkretisierung neuer Formen konsequenter Politik bedeuten, die sich vor
allem um die Interessen unseres Volkes und nicht um die einiger Macht-
oder Politikergrueppchen kuemmert, die nur die Unzufriedenheit des Volkes
ausnutzen wollen, um sich als seine Repraesentanten aufzuspielen.
4.- Wie wird die MRTA angesichts der neuen Situation handeln?
So, wie wir schon
in all den Jahren gehandelt haben: politisch. Viele vergessen, dass die
MRTA eine politisch-militaerische Organisation ist und dass die militaerische
Seite der politischen Entwicklung untergeordnet ist, nicht der politischen
Entwicklung unserer Organisation, sondern den objektiven Bedingungen, unter
denen sich der Klassenkampf in unserem Land entwickelt. Eine politische
Organisation ist nicht deshalb die Avantgarde des Volkes, weil sie meint,
ihm voraus zu sein oder weil sie sich besonders erleuchtet oder als
Leuchtturm der Weltrevolution" fuehlt, sondern weil sie es versteht, den
Bewusstseinsstand des Volkes zu erkennen, um es mit Vorschlaegen voranzutreiben,
die das Klassenbewusstsein des Volkes bilden und aufklaeren und um
zu seiner politischen Organisierung beizutragen.
Und in diesem Sinne
sagte die MRTA waehrend der Wahlen von 1990, dass sowohl Mario Vargas Llosa
als auch Alberto Fujimori das neoliberale Modell anwenden wuerden. Ebenso
wie die Einheit zwischen Fujimori und den Streitkraeften war auch der Selbstputsch
vom 5. April noetig, um das neoliberale Modell einzufuehren. Juengst, angesichts
der Wahlen vom 9. April diesen Jahresn, sagten wir unserem Volk, dass alle
Bedingungen fuer einen Wahlbetrug geschaffen worden seien und nach dem
Wahlbetrug erklaerten wir, dass es angesichts der Situation des Landes
an der Zeit sei, voranzuschreiten zum zivilen Ungehorsam und zum Aufstand
des ganzen Volkes, aber dass es dafuer noetig sei, sich zu organisieren,
um den revolutionaeren Krieg des ganzen Volkes zu sichern.
Heute hat sich die
Situation radikal veraendert. Nachdem die Diktatur die Abhaltung von Neuwahlen
angekuendigt hat, ist klar, dass wir verrueckt waeren, wenn wir weiter
zum Aufstand aufrufen wuerden, waehrend das Volk in eine andere Dynamik
eingetreten ist, auf die Rueckgewinnung der formalen Demokratie durch Wahlen
hofft und glaubt, dass diese die draengendsten Probleme des Landes loesen
werden. Aber da diese Erwartungshaltung der Bevoelkerung gegeben ist, koennen
die Wahlen dazu dienen, sie politisch zu bilden, sie zu organisieren und
Erfahrungen zu sammeln. Deshalb haben wir einen Aufruf an unser Volk verfasst,
auf der Grundlage der Einheitserfahrung der 4 Suyos" weiterzugehen.
Das ist kein Vorschlag des buergerlichen Oppositionsfuehrers Toledo, sondern
entstanden aus unserem Volk und gezielt auf die Beteiligung aller Peruaner
ueberall im Land und derjenigen, die ueber die Welt verstreut sind, denn
wir alle sind Teil des Problems und muessen Teil seiner Loesung sein.
5.- Was sind die 4 Suyos"?
Es handelt sich dabei
um ein Wort aus der Quechua-Sprache und bedeutet die Einheit des Inka-Territoriums
der vier Weltregionen, Tawantinsuyo. Tawa bedeutet 4 und Suyos Regionen.
Heute handelt es sich
hierbei um die Erfahrung der Einheit unseres Volkes, die sich zu einer
neuen Form der politischen Organisation unseres Volkes entwickeln kann,
um eine neue politische Option unseres Volkes zu begruenden, die auf der
gemeinschaftlichen Erfahrung unserer Vorfahren beruht.
Wir danken dir fuer
dieses Gespraech und wuenschen euch auch weiterhin viel Erfolg in eurem
Kampf.