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THEMA: GEWALTFREIHEIT
Christoph Besemer
Mediation ist ein Verfahren der Konfliktlösung, das in den sechziger und Siebzigerjahren in den USA entwickelt wurde und dort mit Erfolg in vielen Lebensbereichen angewendet wird.
Wörtlich übersetzt bedeutet Mediation Vermittlung. Gemeint ist die Vermittlung in Streitfällen durch unparteiische Dritte, die von allen Seiten akzeptiert werden. Die vermittelnden MediatorInnen helfen den Streitenden, eine einvernehmliche Lösung ihrer Probleme zu finden. Aufgabe der MediatorInnen ist es nicht, einen Schiedsspruch oder ein Urteil zu sprechen. Vielmehr liegt es an den Konfliktparteien selbst, eine ihren Interessen optimal entsprechende Problemlösung zu erarbeiten. Alle sollen durch die Übereinkunft "gewinnen".
Diese konstruktive Konfliktlösung wird durch das Mediationsverfahren ermöglicht. Sie kann selbst dann gelingen, wenn die Konfliktparteien in einer offenkundigen Sackgasse stecken und alleine nicht mehr weiterkommen bzw. gar nicht mehr miteinander reden. Die VermittlerInnen hören sich die Anliegen aller Beteiligten an, lassen sie ihre Gefühle ausdrücken und helfen bei der Klärung der eigentlichen Interessen der Konfliktparteien. in zunehmendem Maße stellen sie wieder eine direkte Verbindung zwischen den Streitenden her. Die Kontrahentinnen erfahren durch diese Vorgehensweise, welches die eigentlichen Probleme, Gefühle und Interessen der anderen Seite sind. Im geschätzten Raum eines solchen Gesprächs können sie Verständnis und neues Vertrauen zueinander entwickeln und schließlich gemeinsam an einer Lösung ihrer Probleme arbeiten. Das Ziel ist eine Vereinbarung, die alle Konfliktparteien unterzeichnen und umsetzen.
Wichtige Merkmale des Mediationsverfahrens sind: die Anwesenheit der vermittelnden Mediatorlnnen, die Einbeziehung aller Konfliktparteien, die in der Regel auch anwesend sind; die informelle, außergerichtliche Ebene; die Freiwilligkeit der Teilnahme am Mediationsverfahren und die Selbstbestimmung bzgl. der Konfliktlösung: die Entscheidungsbefugnis wird nicht an Dritte abgegeben. Das Verhandlungsergebnis ist nicht bindend, solange nicht alle Beteiligten zugestimmt haben. Es muss also ein Konsens erzielt werden.
Vorphase: Die Konfliktparteien an einen Tisch bekommen.
Das Mediationsgespräch:
Einleitung
Sichtweise der einzelnen Konfliktparteien
Konflikterhellung: Verborgene Gefühle, Interessen, Hintergründe
Problemlösung: Sammeln und Entwickeln von Lösungsmöglichkeiten
Übereinkunft
Umsetzungsphase
Überprüfung und ggf. Korrektur der Übereinkunft
Am besten ist es, wenn die Konfliktparteien gemeinsam den Wunsch
nach einer Mediation äußern
und entsprechende Schritte einleiten. Meist ist dies jedoch nicht
der Fall, sondern eine der Konfliktparteien ergreift die Initiative.
Die MediatorInnen nehmen dann den Kontakt zu den übrigen
Konfliktbeteiligten auf und versuchen, sie zu einer Teilnahme am
Mediationsgespräch zu bewegen. Es ist auch möglich, dass
die Initiative von Dritten ausgeht oder von den Mediatorlnnen selbst.
Diese sprechen dann alle beteiligten Konfliktparteien an und schlagen
den Versuch eines Mediationsgespräches vor.
Voraussetzung für eine Erfolg versprechende Mediation ist die Bereitschaft aller Beteiligten, aktiv an dem Gespräch teilzunehmen und nach einer einvernehmlichen Problemlösung zu suchen.
Die MediatorInnen sorgen dafür, dass das Gespräch in einer wohl tuenden, offenen und vertrauensfördernden Atmosphäre stattfinden kann. Der Gesprächsraum sollte sorgfältig ausgewählt und gestaltet sein, die Sitzordnung eine gleichwertige Kommunikation untereinander ermöglichen und die einleitenden Worte ein Klima des Angenommenseins und des Vertrauens schaffen.
Die Gesprächsteilnehmerinnen werden (noch einmal) über den Ablauf, die Rolle der Mediatorinnen und die Grundregeln informiert.
Unverzichtbare Grundregeln sind:
Ausreden lassen! Keine Beleidigungen oder Handgreiflichkeiten! Die MediatorInnen haben die Verantwortung für den Gang des Gesprächs und greifen ein, wenn es erforderlich ist. Weitere Regeln können gemeinsam vereinbart werden.
Nach der Erklärung des Mediationsverfahrens werden offene Fragen beantwortet. Schließlich werden alle Beteiligten nach ihrer Bereitschaft gefragt, sich auf die-Regeln und das Verfahren einzulassen.
Jede Seite hat nun die Gelegenheit, den Konflikt aus ihrer Sicht zu erzählen. Sie bekommt dafür so viel Zeit, wie sie nötig hat, um alles auszusprechen, was dazugehört. Die MediatorInnen hören aktiv zu, stellen gegebenenfalls Fragen und fassen das Gehörte zusammen.
Die anderen KontrahentInnen hören in diesem Stadium nur zu und müssen ihre Erwiderungen auf den Zeitpunkt verschieben, an dem sie selber mit dem Erzählen dran sind. Sie können sich jedoch Notizen machen, um nicht zu "platzen" und ihre Einwände in Erinnerung zu behalten.
Soweit das noch nicht in der vorangegangenen Phase geschehen ist, sollen nun die mit dem Konflikt verbundenen Gefühle zum Ausdruck gebracht sowie die Interessen und Wünsche herausgearbeitet werden, um die es den Beteiligten eigentlich geht. Alles, was als Hintergrund zum offenen Streit von Bedeutung ist, soll zur Sprache kommen. Die MediatorInnen sind bei der Erhellung des Konfliktes behilflich, indem sie geeignete Fragen stellen und Hilfstechniken einsetzen.
Die Kommunikationsrichtung wird zunehmend auf den Kontakt der KontrahentInnen untereinander verlagert. Kernsätze zum Verständnis einer Konfliktpartei sollen in eigenen Worten von den KontrahentInnen zusammengefasst werden (Spiegeln). Die MediatorInnen leiten sie dazu an und geben Hilfestellungen.
Wenn durch die vorangegangene Phase ein gegenseitiges Verstehen ermöglicht wurde, können die Streitenden nun gemeinsam überlegen, wie sie ihre Meinungsverschiedenheiten beilegen wollen. Aus dem "Konflikt" wurde ein "Problem", für dessen Lösung alle KontrahentInnen gemeinsam Verantwortung tragen. Mit geeigneten Methoden (z.B. Brainstorming) werden kreative Ideen gesammelt und die interessantesten zu Lösungsvorschlägen ausgearbeitet.
Die Konfliktparteien einigen sich auf die Lösungsvorschläge, die ihnen am meisten zusagen. Sie regeln alle Fragen, die mit der Überprüfung und eventuell erforderlichen Überarbeitung der Vereinbarung zutun haben. Das Ganze wird schriftlich festgehalten und von den Beteiligten unterschrieben.
Nach einer gewissen Zeit nehmen die MediatorInnen und die Konfliktbeteiligten noch einmal Kontakt zueinander auf, um zu klären, ob die Übereinkunft tatsächlich die Probleme gelöst hat. Falls nötig, müssen Korrekturen angebracht werden, oder es muss ganz neu verhandelt werden.
Rolle der MediatorInnen
Mediationen können von einer Person oder von mehreren durchgeführt werden. Eine Mediation durch mehrere Personen ist sinnvoll, wenn es sich um einen komplexen Konflikt mit mehr als zwei Konfliktparteien handelt und längere Mediationssitzungen erforderlich sind. Ein gemischtgeschlechtliches MediatorInnenteam ist vorteilhaft - besonders wenn die Konfliktbeteiligten sich ebenfalls aus Frauen und Männern zusammensetzen.
Die Person des Mediators/der Mediatorin muss von allen Konfliktbeteiligten akzeptiert und respektiert werden. Es muss sich um eine Person handeln, die das Vertrauen der Streitparteien genießt bzw. sich erwirbt und deren Kompetenz nicht bestritten wird.
Die MediatorInnen sollen kein eigenes Interesse an einem bestimmten Konfliktausgang haben. Sie sollen in diesem Sinne neutral und unparteilich sein. Sie setzen sich aber für die Interessen und Belange aller Konfliktparteien ein. In diesem Sinne sind sie "allparteilich". Die Unparteilichkeit braucht die Verbundenheit mit einer der Konfliktparteien nicht auszuschließen. Diese Verbundenheit darf allerdings nicht so weit gehen, dass die MediatorInnen das Gespräch in ihrem Sinne steuern und das Vertrauen der Kontrahentlnnen verlieren. Die MediatorInnen bewerten oder urteilen nicht. Sie nehmen alle Standpunkte, Interessen und Gefühle ernst. Die MediatorInnen sind für den Gang des Mediationsgesprächs verantwortlich, die Kontrahentinnen für den Inhalt. Die Lösungen werden nicht von den MediatorInnen, sondern von den Betroffenen erarbeitet. Eigene Ideen können von den MediatorInnen als eine unter mehreren Möglichkeiten ins Spiel gebracht werden.
Die MediatorInnen helfen den Beteiligten, sich über ihre Gefühle und Interessen klar zu werden und sie verständlich zum Ausdruck zu bringen und sorgen dafür, dass Machtungleichgewichte ausgeglichen werden bzw. beim Mediationsprozess nicht zum Tragen kommen. Die MediatorInnen gehen mit dem Gehörten vertraulich um. Insbesondere stehen sie nach einem Scheitern der Mediation keiner der Konfliktparteien als AnwältInnen zur Verfügung. Auch sollten sie nicht als ZeugInnen oder GutachterInnen in einem anschließenden Rechtsstreit benannt werden.
Die MediatorInnen achten darauf, dass keine unrealisierbaren, nutzlosen Vereinbarungen getroffen werden. Sie können das Gespräch von sich aus abbrechen, wenn keine vernünftige und/oder ethisch verantwortbare Lösung gefunden wird.
Den MediatorInnen stehen eine Vielzahl an Methoden zur Verfügung, um den Prozess der Konfliktbearbeitung und Problemlösung voranzubringen. Die wichtigsten sind:
Aktives Zuhören
Zuhören mit dem Ziel, die Sicht der anderen Person voll und ganz zu verstehen. Verstehen heißt jedoch nicht, die Sichtweise der anderen Person zu übernehmen.
Wenn sich ein Mensch ganz aussprechen darf und verstanden fühlt, ist er auch eher bereit, andere anzuhören und Verständnis für sie aufzubringen. Um zu überprüfen, ob man den oder die andere richtig verstanden hat, gibt man von Zeit zu Zeit in eigenen Worten wieder, was man gehört hat und fragt nach, ob es richtig zusammengefasst wurde (Spiegeln/ Paraphrasieren). Auf diese Weise kann man der erzählenden Person deutlich machen, dass ihr tatsächlich zugehört wird. An entscheidenden Stellen werden auch die KontrahentInnen aufgefordert, sich gegenseitig zu spiegeln. Sie werden dadurch veranlasst, genau zuzuhören und das Wesentliche des Gesagten zu erfassen.
Ich-Botschaften
Die KontrahentInnen werden angeleitet, von ihren eigenen Erfahrungen und Gefühlen zu reden und sich nicht hinter Allgemeinplätzen zu verstecken oder in Beleidigungen und Beschuldigungen der Gegenseite auszuweichen. Dabei sollen sie klar benennen, um was es konkret geht (ging) und was für Gefühle das bei ihnen auslöst (ausgelöst hat).
Einzelgespräche
In schwierigen Situationen können die MediatorInnen Einzelgespräche mit den Konfliktparteien einschieben. Dort können die aufgetauchten Probleme ohne den Druck, dass die "Gegenseite" mithört, geklärt werden. Auch können die KontrahentInnen auf diesem Weg den MediatorInnen Vorschläge mitteilen, die sie vor der Gegenseite nicht offen aussprechen wollen.
Brainstorming
Kreative Ideensammlung, bei der alle Vorschläge unzensiert aufgelistet werden und die brauchbarsten zur Weiterarbeit verwendet werden.
Mediation ist ein Verfahren der gewaltfreien Konfliktlösung unter anderen. Sie ersetzt die anderen Formen der Konfliktaustragung nicht, sondern ergänzt sie. Mediation ist sinnvoll, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind:
Der Konflikt kann nicht oder nur schlecht in direkten Gesprächen bzw. Verhandlungen gelöst werden.
Die Konfliktaustragung befindet sich in einer Sackgasse.
Die Streitenden haben ein Interesse an guten zukünftigen Beziehungen zueinander.
Eine einvernehmliche Konfliktlösung wird von allen Beteiligten angestrebt.
Die wichtigsten Konfliktparteien, wenn nicht alle, sind vertreten.
Es geht nicht um grundsätzliche Wertorientierungen, um grundlegende Rechte oder um bloße Ja/Nein-Entscheidungen.
Es gibt keine gravierenden Machtunterschiede. Falls doch, müssen entweder die Schwächeren ihre eigene Machtposition verbessern (z.B. durch das Entwickeln von guten Alternativen zum Verhandeln, das Suchen von Verbündeten oder durch gewaltfreien Widerstand), oder die Stärkeren müssen bereit sein, im Rahmen der Mediation auf ihre Machtposition zu verzichten.
Es bleibt genügend Zeit, um eine einvernehmliche Konfliktlösung zu erarbeiten.
Die KontrahentInnen verfügen über ein Mindestmaß an Ausdrucksvermögen und Selbstbehauptungsfähigkeit. Sie haben keine ausgeprägte psychische Krankheit oder Behinderung, keine starke Sucht und werden nicht missbraucht oder gewaltsam unterdrückt.
Mediation ist sowohl in persönlichen Streitfällen als auch in Gruppenkonflikten und in politischen Konflikten anwendbar.
Weite Verbreitung hat das Mediationsverfahren bei der Regelung von Ehekonflikten und Scheidungsangelegenheiten gefunden. Auch zur Bereinigung von Nachbarschaftsstreitigkeiten und Mietkonflikten wird Mediation angewendet. Mediationsähnliche Verfahren werden bei Konflikten am Arbeitsplatz und bei Arbeitskämpfen eingesetzt. Im juristischen Bereich gibt es Modellversuche, bei denen Täter und Opfer zu Gesprächen zusammengeführt werden, um den Straftätern eine Einsicht in das von ihnen begangene Unrecht zu vermitteln und ihnen statt einer Gefängnisstrafe eine Entschädigungsleistung für das Opfer aufzuerlegen.
Im politischen Bereich werden vor allem Umweltkonflikte durch Mediation zwischen BürgerInneninitiativen, Wirtschaft und Verwaltung lösungsorientiert angegangen. Dabei handelte es sich bisher z.B. um die Ansiedlung von Industriebetrieben, Straßenbauvorhaben, Müllentsorgung usw. In größeren sozialen Konflikten und im internationalen Bereich gab es schon einige erfolgreiche Beispiele politischer Mediation (Sudanesischer Bürgerkrieg 1972, Camp-David-Abkommen 1978, Moskito-Konflikt in Nicaragua 1988-89). Die Anwendungsbereiche von Mediation gehen über die genannten Beispiele hinaus. Zudem findet das Mediationsverfahren in immer neuen Konfliktfeldern Eingang.
Christoph Besemer arbeitet bei der Werkstatt für gewaltfreie Aktion Baden, Büro Freiburg, Tel: 0761-43284.
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