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THEMA: GRAZER KONGRESS FÜR FRIEDENSERZIEHUNG
Horst Bethge
Im Leben trifft man immer wieder auf Widersprüche und Konflikte der unterschiedlichsten Art. Man kann sie abtun, verdrängen oder aushalten, andere kann man auf Grund von Erfahrungen und Ausbildung aufarbeiten oder beseitigen. Wieder andere erschüttern einen mehr oder weniger, stellen bisheriges Denken und alte Gewohnheiten in Frage, regen zum Nachdenken an und beschäftigen einen tage- oder wochenlang, weil man sie nicht so einfach bearbeiten oder auflösen kann. Sie beunruhigen, machen zornig, spornen aber auch an.
Als ich jüngst in Graz auf dem 3. Europäischen PädagogInnen-Kongress für Friedenserziehung war und viereinhalb Tage mit rund 300 KollegInnen aus 26 Ländern, aus der Ukraine und der Schweiz, aus Schweden und Georgien, aus Bashkortostan und Bosnien" aus dem Kosovo und Serbien, über die "Schaffung einer Kultur des Friedens in Europa gegen Gewalt" (so das Kongressthema) in Workshops und Plenumsveranstaltungen diskutierte, Erfahrungen austauschte und wir uns gegenseitig aus unserer täglichen Arbeit in den Klassenräumen, an den Hochschulen oder in den Kinder- und Jugendeinrichtungen berichteten, bin ich an einem Tage auf solche Widersprüche gestoßen worden, die mich seitdem nicht wieder loslassen. Ob es nun an der offenen Atmosphäre des Kongresses lag, für den die gastgebenden österreichischen "LehrerInnen für den Frieden" vor allem gesorgt hatten, an der Vielzahl aufgeschlossener und gleichgesonnener KollegInnen oder an den schon zwei Tage lang dauernden intensiven Diskussionen - das vermag ich nicht zu verorten.
Jedenfalls waren wir, wie bei solchen internationalen Kongressen
üblich - und ich weiß gar nicht, wie oft ich selber schon
an Ähnlichem teilgenommen hatte - alle zu einem Empfang der
steiermärkischen Landesregierung in die Grazer Burg eingeladen.
Wie üblich wurden Nettigkeiten ausgetauscht und es wurde der
Dank für die (in diesem Falle sogar ansehnliche) materielle und
personelle Unterstützung durch die offiziellen Stellen von den
österreichischen KollegInnen abgestattet. Wie üblich wurde
Kultur geboten. Um unserem Kongressthema in etwa gerecht zu
werden, hatte die Landesregierung drei exzellente bosnische
Sängerinnen aus der ehemals heftig umkämpften Stadt Vukovar
aufgeboten. Wie bei solchen Anlässen auch üblich, waren vor
allem die russischen, lettischen, litauischen und österreichischen
Kollegen festlich gekleidet erschienen, vor allem die Kolleginnen
hatten sich herausgeputzt, dass ich manche fast nicht wieder erkannt
hätte. Dann folgte, wie auch üblich, die offizielle
Ansprache, diesmal der Ministerpräsidentin. Auf Österreichisch:
Landeshauptmann Waltraud Klasnic. Aber sie musste sich vertreten
lassen, da kurz zuvor das Bergwerksunglück in der Steiermark
geschehen war und sie zum Unfallort musste. Also verlas ihre
Repräsentantin die vorbereitete Rede. In ihr fehlte keine
unserer auf der Konferenz gebrauchten Vokabeln: Frieden, Zukunft,
Völkerverständigung, Bürgerkrieg (nur wenige Kilometer
weit weg), Gewalt gegen Frauen und Kinder, Fremdenfeindlichkeit und
ethnische Säuberungen, Grenzprobleme mit Flüchtlingen,
Schengener Abkommen (dem Österreich kürzlich beigetreten
war), NATO-Osterweiterung, Wirtschaftsfreiheit, Menschenrechte,
bedeutsame Rolle der LehrerInnen, UNESCO, Kultur des Friedens. Es
wurde nichts ausgelassen. Nur der Kontext, die Worte dazwischen,
waren anders, gegenteilig. Die Begriffe klangen im Gegensinn
plötzlich ganz anders. Entweder wurde zu keiner der Fragen
Position bezogen oder nicht im Sinne der Betroffenen bzw. des
Friedens. So etwa wenn die Segnungen des Wirtschaftsliberalismus für
die Ostvölker gepriesen wurden oder die Reisefreiheit. Ich kam
mir wie bei einem Empfang der CSU vor und überlegte, ob ich
unauffällig hinausgehen oder als Mitglied der internationalen
Koordinierungsgruppe anschließend spontan das Wort ergreifen
sollte, um diplomatisch einiges geradezurücken. Doch ehe ich mir
schlüssig geworden war, erklang "Und nun ist das Büffet
eröffnet!" Alle Mienen hellten sich auf, auch die, die
vorher verbissen oder ernst gewesen waren. Also stürzte auch ich
mich auf Rotwein und Lachs, den schalen Geschmack herunterzuspülen.
Wie bei solchen Anlässen üblich, kommt man auch mit anderen Teilnehmern unvorhergesehen ins Gespräch. Plötzlich schleppte eine mir schon näher bekannte ukrainische Kollegin Lamara Marqvelashvili aus Tblissi an. "Sie möchte Dir was sagen, darum mache ich euch miteinander bekannt", sagte sie und verschwand wieder. Lamara bedankte sich bei mir herzlich, weil ich in meiner Eröffnungsrede für den Kongress die georgischen KollegInnen erwähnt hätte (Dazu muss ich bemerken, dass ich eine Passage eingebaut hatte, um zu zeigen, wieviele wir sind. Dass nämlich, während wir in Graz miteinander diskutierten, überall in der Welt KollegInnen praktisch etwas für den Frieden täten, vor Ort für Abrüstung und Menschenrechte kämpften: Die indischen Lehrergewerkschafter, die Proteste gegen die indische Atombombe organisieren, die japanischen KollegInnen, die den Hiroshima-Tag vorbereiteten, die KollegInnen in Georgien und Aserbeidschan, die sich militärischen Konflikten entgegenstellten. Diese Beispiele hatte ich erwähnt, weil ich davon durch Briefe und Faxe der letzten Zeit konkret wusste). "Ein persönliches Danke, dass Du auch an uns in Georgien gedacht hast, denn an unser kleines Land mit nur 3, 5 Millionen Einwohnern und nun fast 1/2Million Flüchtlingen denkt sonst niemand. Wir sind im Windschatten der großen Politik. Die Russen mögen uns nicht, die Türken nicht und auch die Amerikaner nicht. Uns hilft niemand, wir haben ja kein Öl, also müssen wir uns selber helfen. An meiner Schule geben wir Lehrer von unserem Gehalt Geld ab, um Mittagessen für die Kinder in der Schule kochen zu können. Denn die Flüchtlingskinder bekommen sonst nichts. Wir Lehrer bekommen zwar pünktlich unser Gehalt, aber für die Schulspeisung ist anders als früher kein Geld da. Und wenn so viele Kinder vor Hunger umkippen, können wir doch nicht Englisch und deutsche Literatur unterrichten. Da müssen wir doch einfach helfen, wir sind doch Lehrer! Darum nochmals herzlichen Dank, dass Du an uns gedacht hast. Vergessen werden ist schlimmer als Hunger!"
Dazu konnte ich nichts sagen. Spontan umarmte ich diese Schulleiterin der 53. Schule in Tbilissi, denn mir wurde der große Widerspruch dieses Abends bewusst. Offenherzige, gutwillige, aber saturierte KollegInnen aus West- und Nordeuropa, ein üblicher Regierungsempfang, eine blasphemische Rede aus der rechten ÖVP-Ecke einerseits, diese georgische Kollegin, junge Kriegsflüchtlinge aus Vukovar als Kunstgenuss, russische KollegInnen, die seit vier Monaten kein Gehalt bekommen hatten oder die, wie in Woronesch, stattdessen von der Stadt mit Grabsteinen entlohnt worden waren, die bosnische Studentin Vahida, die nun in Slowenien studiert und mit monatlich DM 50.- auskommen muss oder Sorin, der aus einer Stadt im nördlichen Rumänien kommt, wo es keine Arbeits- und Ausbildungsplätze für Jugendliche gibt andererseits, auf einer Veranstaltung zusammen, dasselbe erlebend. Wie nehmen sie es auf? Was vermitteln heute positiv besetzte Begriffe wie Menschenrechte, Frieden? Was lösen sie bei uns aus, wenn sie in einem konfliktverschärfenden, inhumanen oder verharmlosenden Kontext benutzt werden? Das geschieht ja nicht gedankenlos, sondern wohl bedacht. Beflügeln sie unser Engagement - oder lähmen sie es? Wie viel Konvention nehmen wir eigentlich hin? Wie gehen andere mit solchen Widersprüchen um? Das fragte ich mich - und das hielt mich lange gefangen. Eigentlich bis heute hin, wo mich der Alltag in meiner gewohnten Umgebung wiederhat.
Am nächsten Nachmittag sollte ich meinen vorbereiteten
Workshop "Soziale Polarisation zwischen Arm und Reich und die
Konsequenzen für die Schule" halten. Wie heute methodisch
üblich, hatte ich Moderationskärtchen und Materialkopien
vorbereitet und etwas altmodisch durch einen Tafelanschrieb ergänzt.
Ich wollte Projekterfahrungen und Unterrichtsbeispiele aus meiner
Hamburger Vor
stadtschule vermitteln. Da sich alle Teilnehmer für die
Workshops auf Listen hatten eintragen müssen, wusste ich, dass
zu mir Kolleginnen aus Slowenien, Bosnien, der Ukraine, Russland,
Tatarstan, Rumänien, Deutschland, Frankreich, England, Finnland,
Kroatien und Österreich gekommen waren - und die genannte
georgische Kollegin. Als ich diese alle nun so vor mir sah,
übermannte mich die Widersprüchlichkeit vom Vortag: Ich
wollte berichten von Projekten, Arm und Reich in Hamburg zu erkunden,
Brecht-Texte und Grosz-Grafiken zur Sensibilisierung der sozialen
Fragen zu benutzen, Analysen über die soziale Situation meiner
SchülerInnen zu erstellen. Aber das fand ich in dieser Runde
plötzlich völlig unangemessen, künstlich. Also warf
ich mein Konzept beiseite, erklärte mein Unbehagen und die
empfundenen Widersprüche, die ich unerträglich fände.
Nach anfänglicher Zögerlichkeit stimmten wir aber darin
überein, über uns, die soziale Lage unserer
Bildungseinrichtungen zu sprechen. Und so berichteten wir, so wurden
in einer ersten Runde alle informiert. Auch über die Probleme in
Österreich, England. Fast aus allen Ländern wurde
berichtet, dass sich die Schulen scheuten, dass sich. die LehrerInnen
fast schämten, über das Thema Armut und Reichtum zu
sprechen. Viele LehrerInnen litten psychisch und auch physisch unter
der Situation: Ihr beruflicher Ethos einerseits, ihre oft geringen
Möglichkeiten andererseits, ohne in Caritas abzugleiten. Einige
sahen als Ausweg an, das von uns vertretene Toleranzgebot an einer
Stelle zu brechen, nämlich intolerant mit Reichtum und Reichen
zu sein - und dies auch zu vermitteln. Ich gebe zu, dass dieser
Nachmittag auch meine Intoleranz "gegen die Reichen" wieder
entfacht hat. Über die Ursachen und welchen Anteil die
Regierenden an dieser Entwicklung hätten, gerieten wir heftig
aneinander.
Wie mit den Widersprüchen umgehen? Hilft darüber zu sprechen, unter KollegInnnen, im Unterricht, mit den Jugendlichen? Hilft die Mobilisierung von Information und Verständnis? Helfen persönliche Kontakte, Briefe über Ländergrenzen? Schulpatenschaften? Hilft die Intoleranz gegen die Mechanismen der ökonomischen Macht, die Analyse der Situation? Hilft der Austausch von Informationen über soziale Rahmenprogramme (Schulspeisung,
Gesundheitsfürsorge, Erholungsfürsorge, Ausbildungsplatzprogramme), über die von Staats wegen zur Verfügung gestellten Ressourcen? Jedenfalls gibt das von einer russischen Kollegin zitierte alte russische Sprichwort: "Gib dem Kind ein Brot oder zeige ihm, wie es das Brot verdienen kann" das politische und zugleich pädagogische Konzept wieder, das zum Grundprinzip werden könnte. Auch wenn es nicht alle Widersprüche auflöst.
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