Aussageverweigerung
Wenn die Sache irre wird - werden die Irren zu Profis (Teil VIII)

Infos und Texte zur Aussageverweigerung und Beugehaft

Inhaltsverzeichnis

Erfahrungsbericht einer Zeugin

Im Großen und Ganzen habe ich für mich das Gefühl, richtig gehandelt zu haben, indem ich Aussagen gemacht habe. Zweifel bleiben, kommen auch immer wieder auf. Es scheint notwendig zu sein darzustellen, daß ich keine Aussagen gemacht habe, die dritte Personen belasten bzw. in diese Geschichte verwickeln könnten.
Wie ich mit der Verhörsituation umgegangen bin, habe ich dort erzählt, wo ich das Gefühl habe auch offen damit umgehen zu können. Ich habe das auch zu dem Zweck gemacht, damit diese Leute wiederum gegenüber anderen klarstellen können, daß die Aussagen, die in Karlsruhe und Essen gemacht wurden, eine andere Qualität haben als die, die im Zusammenhang mit den Startbahnschüssen zunächst gelaufen sind.
Ich wurde dazu gezwungen, Aussagen zu machen. Meine Einstellung zur Aussageverweigerung schlechthin hat sich dadurch aber nicht von einem Tag auf den nächsten verkehrt. Nach wie vor finde ich es richtig, Aussagen im Zusammenhang mit Verfahren nach dem §129a zu verweigern. Trotzdem können wir in dieser Haltung nicht verharren, ohne zu diskutieren, wie wir damit umgehen, wenn der Druck auf die Einzelnen, z.B. unter der Androhung von Beugehaft, zu groß wird. Gibt es in so einer Situation Wege, möglichst wenig zu sagen, eben um nicht mit dem Staatsschutz zu kooperieren?
Ich habe gelernt, daß es faktisch kein kollektives Vorgehen gibt, jedenfalls nicht in der Form, daß alle zum Schluß in der gleichen Art und Weise handeln. Trotzdem ist das sich-zusammen-hocken und austauschen, heulen und lachen, gemeinsam nach Lösungen suchen ein wichtiger Prozeß. Uns als Gruppe der Vorgeladenen unter Ausschluß anderer Leute zu treffen, war absolut notwendig. Wir haben allerdings den Fehler gemacht, die Diskussionen um unsere Ängste, unsere labile emotionale Situation, unsere ökonomischen und beziehungsmäßigen Probleme nur unter uns zu führen. Aus Angst, der Statsschutz könnte unsere Schwächen mitkriegen und genau in diese Kerben hauen, haben wir davon noch nicht mal was in die uns direkt unterstützenden Kreise fließen lassen. Außerdem hat aus juristisch-taktischen Gründen keine von uns vorher offengelegt, wie sie sich nun genau bei ihrer 3. Vorladung zu verhalten gedenke, d. h. wie die Strategie der Einzelnen aussieht.
Das hatte fatale Folgen. Auf allen Flugblättern, in allen veröffentlichten Publikationen, auf Plakaten und in politischen Diskussionen ging es nur um die Aussageverweigerung bis in die letzte Konsequenz, nämlich für ein halbes Jahr in den Bau zu wandern. Die unterstützenden Leute fühlen sich jetzt teilweise benutzt und verarscht, weil die meisten von uns doch Aussagen gemacht haben. Sie hatten angenommen, wir alle würden im Zweifelsfall für die Aussageverweigerung in den Knast gehen.
Wir müssen also offener diskutieren. Der Anstoß und das Bemühen darum muß meiner Meinung nach aber genausogut von den UnterstützerInnen kommen. Es ist naiv zu glauben, daß da 8 Leute sind, die diese Situation für sich mal ganz locker wegstecken und mal eben für einen Frühling und Sommer lang im Knast verschwinden. In der Theorie habe ich auch gesagt, Aussageverweigerung bis in den Knast. Als die Bedrohung spürbar war, hatte ich oft das Gefühl an der Schizophrenie kaputtzugehen. Noch nie zuvor habe ich so intensiv gefühlt, wie ich mich nach dem Frühling, nach Sonne, Wärme, bunten Blüten und schönen Gefühlen sehne. - Trotzdem, jedesmal wenn ich die Sicherheit hatte, mit den anderen zusammen ein gemeinsames Vorgehen gefunden zu haben, ging es mir gut. Sobald alles wieder schwankte, ging es mir total beschissen. Ein Grund dafür war, daß ich nur dann einen Sinn darin sah in den Knast zu gehen, wenn wir es gemeinsam getan hätten, um zu zeigen, daß wir uns nicht kleinkriegen und spalten lassen und in der Hoffnung, daß das Vorgehen des Staatsschutzes Empörung bis in die liberale Öffentlichkeit hinein auslösen würde. Der Druck der Öffentlichkeit hätte dann vielleicht bewirkt, daß der Staatsschutz die 6 Monate Beugehaft nicht hätte durchziehen wollen.
Zu erfahren, daß einige Leute für sich entschieden hatten, einige Aussagen zu machen und andere nach §55 zu verweigern, veränderte die Situation für mich. Deshalb mußte ich mich nochmal mit den wenigen Handlungsalternativen, die ich hatte, auseinandersetzen. Mir wurde immer klarer, daß ich letztendlich meine individuelle Entscheidung treffen und tragen mußte. Das hieß, ich mußte die Spekulationen über ein gemeinsames Vorgehen aufgeben, zumindest im Zusammenhang mit meiner Entscheidungsfindung.
Ich habe also nochmal intensiver im Knastratgeber gelesen, um mir die Knastsituation zu vergegenwärtigen. Dann habe ich mit einem geredet, der selbst mal gesessen hat. Auf der anderen Seite habe ich fiktive Verhörfragen aufgeschrieben und mich hingesetzt, um sie zu beantworten. Irgendwann habe ich den Kuli in die Ecke geschmissen und beschlossen die Aussage zu verweigern; es ist zu riskant und zu kompliziert mich auf deren Logik einzulassen.
Dann bin ich in den Park gegangen, hab eine Frau getroffen, die mir sagte, daß sie und andere finden, ich solle nicht in den Knast gehen. Also habe ich mich wieder an die Fragen gehockt und mich auf deren Beantwortung eingelassen. Nach einer Weile habe ich sowas wie einen Sog verspürt, der den Effekt hatte, daß ich mir nach und nach immer weniger bei der einzelnen Frage überlegt habe, ob ich sie überhaupt beantworten will. Ich merkte, daß ich sehr damit beschäftigt war, nur noch zu überlegen, wie ich diese Frage beantworten sollte, um so wenig wie möglich mit dieser Antwort auszusagen. Das war also eine Gefahr, in die ich bei einer Vernehmung geraten könnte für den Fall, daß ich Aussagen machen würde.
Die Entscheidungen sahen letztlich so aus , daß Einige weiterhin die Aussage verweigern wollten. Andere wollten zunächst die Aussage verweigern und sehen, wie sie mit der Knastsituation klarkommen würden. Daran gemessen wollten sie ihr weiteres Vorgehen bestimmen. Im Hinterkopf bei uns war dabei, wenn wir alle jede Aussage nach dem §55 verweigern, dann können sie uns nicht sofort einknasten, weil die Begründung für den Beugehaftbeschluß sich auf unserere juristisch nicht begründete Aussageverweigerung bezieht. Zumindest würde sich der Haftantritt verzögern, weil unserer Meinung nach ein neuer Beugehaftbeschluß gemacht werden mußte, der sich auf die veränderte Situation bezieht. Also gut, angenommen wir würden sofort eingeknastet, so wäre der Ermittlungsrichter bestimmt "froh", nach ca. 3 Wochen eine grundsätzliche Aussagebereitschaft von uns signalisiert zu bekommen. Wir nahmen an, es könnte einen Kompromiß geben, sozusagen bis zu 5 Fragen gestellt zu bekommen, die nicht so "heikel" sind, auf deren Beantwortung wir uns einlassen können.
Mit diesen Überlegungen im Kopf sind wir am 16.3. nach Karlsruhe gefahren. Spätestens als klar war, daß die BAW gegen Gabi in absoluter Härte vorgegangen ist, war auch klar, daß unsere schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen wurden.
Es war klar, wenn ich jetzt in den Knast gehe, gibt es keine Kompromisse mehr. Entweder ich bleibe dann das halbe Jahr drin oder ich komme nur raus, wenn ich die ganze Tortur der Befragung über mich ergehen lasse. Konsequenz: entweder ich gehe jetzt rein und das für ein halbes Jahr; oder ich bleib draußen in der Hoffnung, daß sie mich nach einmaliger Befragung in Ruhe lassen.

Gedanken um Gabi: wie geht es ihr jetzt?

Ich fühle mich beschissen, spüre, daß der Druck wiederkommt, daß ich mich neu entscheiden muß unter neuen Umständen. Meine Gedanken schwanken zwischen "Gabi nicht alleine lassen" und der Angst als "Hardlinerin" in den Augen der Staatsschutzbehörden dazustehen und im Anschluß an die Beugehaft weiter mit Mitteln wie Strafvereitelungsverfahren und / oder §129a Verfahren verfolgt zu werden.
Ich habe dann Aussagen in Kombination mit dem §55 gemacht. Die Verhörsituation war anstrengend. Mich dazu zu zwingen jede Frage dahingehend zu prüfen, ob ich sie überhaupt beantworte, ist mir nicht immer gelungen. Hinzu kam, daß ich mit meiner Nervosität zu kämpfen hatte. Den Körper unter Kontrolle zu kriegen, um nicht offensichtlich zu zittern.

In so einer Verhörsituation ist es wichtig auf bestimmte Sachen zu achten:

Zu jeder Frage rausgehen, damit der Gesamteindruck nicht hängenbleibt, zu welchen Fragen man/frau sich erstmal mit Rechtsbeistand beraten muß, und welche Fragen spontan beantwortet werden. Außerdem gebe ich mir damit die Zeit, in Ruhe über die gestellte Frage nachzudenken und meine Möglichkeit damit umzugehen. Wenn ich dann noch die Fragen und Antworten protokolliere, kann ich nachsehen, ob mir diese Frage nicht schon einmal in einer anderen Variante gestellt wurde. Es ist wichtig, das Protokoll denen zur Verfügung zu stellen, die ebenfalls "betroffen" sind, sei es von Vorladungen oder von Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang.
Jetzt komme ich zu meinen Erwartungen, die ich den Leuten gegenüber habe, die sich mit Aussageverweigerung beschäftigen. Setzt euch solidarisch mit den Vorgeladenen auseinander. Versucht die Situation, in den Knast zu gehen, emotional so weit es geht, an euch heranzulassen. Guckt, ausgehend von eurem eigenen Standort, was es bedeutet, folgende Sachen in eure Entscheidung einzubeziehen:

ich kann jeder Zeit wieder vorgeladen werden; der Beugehaftbeschluß wurde nur ausgesetzt, d. h. ich stehe bei einer erneuten Vorladung wieder vor der Knastbedrohung;
ich kann nur hoffen, nicht mal in einem Prozeß zu sitzen und da miterleben zu müssen, wie meine Aussagen in einem BAW-Konstrukt auftauchen.

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 27.6.1997