Aussageverweigerung
Wenn die Sache irre wird - werden die Irren zu Profis (Teil XI)

Infos und Texte zur Aussageverweigerung und Beugehaft

Inhaltsverzeichnis

Laßt sie im Trüben fischen
Diskussionspapier zur Kampagne für Aussageverweigerung

Am 16.03.1989 bekam Gabi H. aus Bochum für ihre Weigerung, der "Denunziationspflicht" nachzukommen, sechs Monate Beugehaft aufgebrummt. Im Vorfeld zu den Zeuglnnenvorladungen nach Karlsruhe im März kam es aufgrund der Tatsache, daß einige der Vorgeladenen aussagen würden, dazu, daß die Kampagne zur Aussageverweigerung in Frage gestellt wurde. Die Palette der Argumente reichte vom Vorwurf, daß die Betroffenen gar nicht anders handeln könnten, als zu schweigen, da sie durch den Druck der Ansprüche in der Szene nur die Wahl zwischen Märtyrerin oder Verräterin hätten bis hin zu der Auffassung, die Kampagne wäre nicht "politisch".
Trotzdem - oder gerade deshalb - weil wir das für eine fatale Entwicklung halten, wollen wir den Versuch starten, die politischen Dimensionen und Voraussetzungen für das Gelingen einer solcher Kampagne zu. thematisieren, denn mit der Beugehaft haben unsere Verfolger eine neue Waffe erprobt.
Diese Waffe hat sich gegen uns bewährt, die Aussageverweigerung konnten wir nur vereinzelt erreichen. Man muß kein Wetterfrosch sein, um zu wissen, woher der Wind weht; um zu wissen, daß mit der neuen Waffe Beugehaft in Zukunft vermehrt zu rechnen ist, bei der Fahndung gegen militante Gruppen, bei der Kriminalisierung von Veranstaltungen, bei der Verfolgung unserer Publikationen, bei der Konstruktion neuer "terroristischer Vereinigungen".
Keine HeldInnen, keine Märtyrerlnnen! Der Ruf nach größerer Entschlossenheit, nach Konsequenz und Opferbereitschaft vergrößert nicht unseren Schutz, sondern produziert nur unsere "Verräterlnnen". Wenn umgekehrt der Umgang mit der Denunziationspflicht nur eine persönliche Entscheidung der Betroffenen ist, wenn unser Umgang mit staatlichen Nachforschungen nur taktisch und nicht politisch bestimmt ist, dann untergraben wir die Basis jeglichen politischen Handelns, dann zerstören wir unsere Solidarität untereinander. Wie wir unsere Kämpfe kollektiv führen wollen und sollten, so muß auch unser Umgang mit der Repression ein kollektiver sein.
Das soll nicht heißen, daß DER Verhaltenscodex entwickelt wird. Gleiches Verhalten ist ungleich für ungleiche Menschen, die in unterschiedlichen Lebenssituationen leben und unterschiedliche politische Auffassungen haben. Wir können politische Grundpositionen, die Richtung, in die unsere politische Intiative, die massenhafte Aussageverweigerung, zielt, gemeinsam entwickeln, aber nicht detailliert die einzelnen Handlungen.
Wenn wir die Kampagne, auf einen realistischen Boden stellen und verbreiten, brauchen wir ein Konzept, das von allen (potentiell) Betroffenen gemeinsam getragen werden kann. Die Unterschiedlichkeit und Breite dieses Spektrums müssen wir dabei genauso berücksichtigen, wie die unterschiedlichen Lebenssituationen der jeweiligen Betroffenen!
Trotz der Teilerfolge im Rhein-Main-Gebiet und im Ruhrgebiet, die Kampagne Aussageverweigerung greift noch nicht überzeugend. Aussagen sind die Regel, Aussageverweigerung die Ausnahme. Die - auch bei Linksradikalen - hohe Aussagebereitschaft wird in Diskussionen, Analysen, Kritiken und Rechtfertigungen mit vier Faktoren erklärt:

  1. Viele meinen, mit größerer persönlicher Entschlossenheit ließen sich die Probleme mit der, Kampagne lösen. Größere Entschlossenheit ist natürlich auf jeden Fall eine gute Sache, doch Skepsis ist angebracht, ob sie allein ausreichen wird. "Die Aussagen waren und sind nicht (nur) Ausdruck individueller Schwächen und fehlender persönlicher Standfestigkeit; in ihnen spiegeln sich vor allem gravierende Fehler einer gesamten Bewegung wider. Militante Überheblichkeit und Arroganz, patriarchale Strukturen, Fluktuation und fehlende Eigenverantwortlichkeit, die sich besonders immer wieder in der Nichteinhaltung von gemeinsamen Absprachen gezeigt hat - dies sind Fehler, die schon länger diskutiert wurden, ohne daß dies jedoch zu ernsthaften Konsequenzen geführt hätte" (Zitat aus der Plattform zum Startbahn-Prozeß). Unter anderem auch die mangelnde Bereitschaft, sich auch auf der persönlichen, alltäglichen Ebene (halt auch Ängste uns Schwierigkeiten) mit der Bedrohung Knast auseinanderzusetzen. Bevor sie uns trifft, unterschätzen wir ihre Gewalttätigkeit, nachdem sie uns getroffen hat, unterschätzen wir unsere Kraft und Widerstandsmöglichkeiten.
  2. Politisch ist die Aussageverweigerung mit dem Kampfverhälfnis zum Staat begründet worden. Viele der Strömungen, die eine Kampagne mittragen müßten, haben aber gar kein solches Verhältnis zum Staat - weder die Grünen, noch Journalistlnnen von taz bis Emma -. Darüberhinaus: auch viele Linksradikale verhalten sich entgegen ihren eigenen Analysen, als hegten sie im Stillen die Hoffnung, sich taktisch geschickt der Bedrohung entziehen zu können. Eine entsprechende Unterwerfungsgeste ist die Berufung auf den juristisch-taktisch ziemlich unbrauchbaren §55 StPO. Wenn unsere Verfolger konkret an etwas interessiert sind, verzichten sie wegen einer Unterwerfungsgeste nicht auf Repressalien; sie lassen erst ab, wenn sie haben, was sie wollen oder wenn wir ihnen gezeigt haben, daß sie nicht kriegen werden, worauf sie aus sind und ihnen der politische Preis zu hoch wird.
  3. Die Bereitschaft zu Aussagen ist umso größer, je mehr Distanz zu den verfolgten Taten und / oder Inhalten besteht (siehe Startbahn): Die Aussageverweigerung wird umgekehrt bestärkt, wenn neben der Solidarität mit den verfolgten Menschen und Inhalten (die ja, je nach Strömung unterschiedlich stark ausgeprägt ist) ein gemeinsamer Inhalt die Aussageverweigerung mitbegründet und mitmotiviert: der Kampf gegen den §129a.
  4. Besonders fatal sind die Konsequenzen des individuellen Herangehens an die Zeugniserpressung. Aussagen werden gemacht in dem (in der Regel irrigen) Glauben, sie würden nicht schaden: "Ich weiß ja nichts, warum soll ich also Zwangsgeld und Beugehaft in Kauf nehmen?" In dieser Haltung versteckt ist die Bestärkung zweier Vorwürfe und Vorurteile: Zum einen ist sie der heimliche Vorwurf des "Märtyrertums" an die Leute, die bereit sind Aussagen generell zu verweigern und die Beugehaft auf sich zu nehmen, zum anderen bestärkt sie die in dieser unserer Denunziantenrepublik weit verbreitete Haltung, daß "wer nichts zu verbergen hat, auch aussagen könne" und entsprechend "wer nicht aussagt, hat auch was zu verbergen". So richtig und wichtig konsequente und generelle Aussabeverweigerung ist: eine Kampagne zur Aussageverweigerung muß einen gangbaren Weg zwischen zu hohen Ansprüchen und taktischer Beliebtheit (Berufung auf §55, Teilaussagen, Gedächtnisschwund) finden.

Unser Vorschlag dazu ist eine öffentliche Absichtserklärung, grundsätzlich jedes.129a-Verfahren zu blockieren, zu verzögern und zu behindern. Und dies u.a. durch Verweigerung jeglicher Aussage - auch entlastender Aussage - zu tun.
Das Ziel der Kampagne, die kollektive Aussageverweigerung, wird auch erreicht über das Verständnis und die Solidarität legaler, linker, politischer Gruppen bis hin zum Lager des politischen Liberalismus und sie dazu zu bewegen, sich hinter diese Absichtserklärung zu stellen.
Für den Kampf gegen den §129a ist das Ziel der Kampagne, die Aussageverweigerung, eine praktische Handlungsmöglichkeit, die über die hilflose Aufforderung an unsere Feinde hinausführt, den von ihnen als Waffe gegen uns eingeführten §129a wieder zu streichen.
In Verfahren nach diesem Gesinnungs- und Ermittlungsparagraphen, der insbesondere ja auch soziale Beziehungen kriminalisiert (die Kontaktschuld ersetzt mangelhafte Tatvorwürfe) kommen ZeugInnenaussagen eine besondere Bedeutung zu. Um nicht mißverstanden zu werden:

Es geht NICHT um eine Relativierung des Ziels kollektiver Aussageverweigerung!

Es geht um eine Diskussion auf möglichst breiter Ebene, von Verständnis, Solidarität bis hin zum konsequenten Einsatz der Aussageverweigerung und darum, dieses Zusammenwirken als Mittel gegen den verordneten Denunziantenzwang durchsetzen.

Laßt uns nicht die Abschaffung des §129a fordern, sondern Aussageverweigerung und Solidarität als eine Möglichkeit einsetzen, um ihn wirkungslos verpuffen zu lassen.

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 27.6.1997